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  • 02.05.2017 12:12

  • von Neel Jani

Kolumne von Neel Jani: Raketensitz und Bettgeflüster

Porsche-Werksfahrer Neel Jani berichtet in seiner neuesten Kolumne vom heißen LMP1-Wettkampf, der sonnigen Schwester und dem "Bett der Astronauten"

Titel-Bild zur News: Neel Jani

Ich freue mich schon auf das Spa-Rennen am kommenden Wochenende Zoom

Liebe Fans der WEC,

endlich stehen wir wieder mitten im Wettbewerb. Beim WEC-Auftakt, dem 6-Stunden-Rennen in Silverstone wurden nach zahlreichen Tests im Winter zumindest mal halbwegs alle Hosen heruntergelassen: Was kann Toyota, was kann Porsche? Rang drei für unsere Startnummer eins - damit sind meine Teamkollegen Andre Lotterer und Nick Tandy und auch ich selbst für den Start in die Saison zufrieden. Wir konnten wichtige Punkte holen. Aber es ist auch klar: Wir wollen und müssen uns ab hier weiter steigern!

Silverstone war eine Herausforderung für das ganze Porsche-LMP-Team, hatte man sich doch dazu entschieden, das Aeropaket für viel Abtrieb erst zum Rennen am Nürburgring im Juli zu homologieren. Das heißt, dass wir uns in Silverstone mit unserem Le-Mans-Paket über die Runden retten mussten. Diese Konfiguration war für die britische Piste alles andere als optimal. Toyota war mit einem passenderen Aeropaket unterwegs, sodass wir damit rechnen mussten, im Rennen recht weit hinterher zu fahren.

Aber es kam dann doch anders. Unser Rückstand auf Toyota war nur im Qualifying so groß wie befürchtet. Im Rennen waren wir dran. Das macht uns glücklich und zufrieden - und ganz nebenbei zu den aktuell Führenden in der Herstellerwertung. Wer hätte das gedacht? Der geringere Rückstand im Rennen hatte unterschiedliche Ursachen. Einerseits war das Safety-Car verantwortlich, anderseits die Gelbphasen und dann kommt dieses Jahr meiner Ansicht nach ein neuer Faktor hinzu: LMP2 - die haben jetzt einen grösseren Einfluss auf unsere Rennpace.

LMP2 als wichtiger Faktor im Wettbewerb

Ich kenne die 2017er-LMP2-Autos aufgrund meiner Einsätze mit Rebellion in Daytona und Sebring ganz gut. Ich muss sagen, dass diese neuen Fahrzeuge schon sehr nahe an dem sind, was ich 2013 im privaten LMP1-Auto kennengelernt habe. Wenig Gewicht, gute Power für ein Auto ohne Hybrid und eine sehr effiziente Aero.

Als Fahrer erhält man vom Fahrzeug auch sehr direktes Feedback, weil das Auto eine eher einfach gestrickte Elektronik besitzt und diese einfach ausgeschaltet werden kann. Zum Beispiel haben wir in Sebring - je nach Situation - die Traktionskontrolle deaktiviert, da wir mit dem eigenen Gasfuß eine bessere Schlupfregelung hatten. Das macht einem echten Racer viel Spaß. Trotzdem möchte ich die technologische Herausforderung und vor allem diese unvergleichliche Hybridpower meines 919 nie mehr missen!

Die kleinen LMP2-Prototypen sind mittlerweile richtig schnell auf den Geraden - und genau das wurde in Silverstone für Toyota im Verkehr zum Problem. Wir selbst kamen am Ende der Geraden an den LMP2s gerade noch so vorbei, aber die Toyotas hatten durch die hohen Abtriebskräfte ihres Aeropakets und der dadurch niedrigeren Höchstgeschwindigkeit ihre liebe Mühe. Das kostete ihnen viel Zeit. Außerdem ist Silverstone eine Strecke, auf der die Rekuperation über die Bremse nicht optimal ist. Toyota bezieht die Energie für den Boost nur über diese Rekuperation. Da wurde deren High-Downforce-Paket zu einem kleinen Dilemma, denn die Länge der zur Rekuperation nutzbaren Bremszonen wird mit viel Abtrieb kürzer.

Nick Tandy, Neel Jani und Andre Lotterer

Wir haben viel Spaß zusammen: Nick, Andre und ich beim Gedankenaustausch Zoom

Den richtigen Unterschied zwischen Toyota und uns sah man wohl am besten beim Start des Rennens, als wir alle noch freie Runden hatten. Da haben wir alles gegeben, konnten hier aber nicht mithalten. Ihre schnellste Rennrunde war um eine Sekunde schneller als die unsere. Aus diesem Grund sollten wir jetzt auch nicht euphorisch über den geringen Abstand im Rennen zu Toyota sein, aber wir dürfen mit Selbstvertrauen nach Spa anreisen, denn dort passt unser Aeropaket schon besser.

Realistisches Bild erst in Belgien sichtbar

Wir können jedoch glücklich über die ganzen Abläufe während des Rennens sein, denn das ganze Team hat perfekt gearbeitet, ob das nun Taktik, Pitstop oder Standfestigkeit war. Nur so konnten wir auch den Druck auf Toyota aufrecht halten. Ich persönlich habe mich auf den ersten Metern nach dem Start wie in einem Rallyeauto gefühlt. In Kurve eins ist mir das Heck ausgebrochen und ich wäre beinahe abgeflogen, in den Kurven zwei und drei hatte ich weitere heikle Momente mit wildem Übersteuern.

Der Grund lag in den neuen Reifen, Michelin hat neue Konstruktionen für diese Saison gebracht. Diese Reifen müssen länger als letztes Jahr halten, da wir weniger Reifen während eines Rennwochenendes zur Verfügung haben. Die neuen Gummis müssen in der Einführungsrunde anders angewärmt werden. Mir ist das in Silverstone nicht nach Plan gelungen - das war nicht rennentscheidend aber sehr lehrreich.

Fazit ist, dass das Rennen in Spa noch abzuwarten ist, bevor ich uns wirklich einschätzen kann. In Le Mans wird dann das erste Mal mit gleich langen Spießen gefahren, und ab Nürburgring sehen wir, wie viel uns die längere Entwicklungszeit des High-Downforce-Pakets gebracht hat. Eines ist aber jetzt schon klar: Auch in dieser Saison wird es in der LMP1 einen harten und engen Wettbewerb geben. Vielleicht sogar enger als je zuvor.


Fotos: WEC in Silverstone


Silverstone war ein netter Vorgeschmack auf das, was die Fans und uns in den kommenden Monaten erwartet. Schade ist nur, dass Audi nicht mehr mitmischt. Mir fehlten im Fahrerlager viele bekannte Gesichter, an die man sich über die Jahre gewöhnt hatte. Vor allem mein Landsmann und Freund Marcel Fässler war nach fünf Jahren im gleichen Zirkus plötzlich nicht mehr da. Auch viele andere Fahrer aus dem Audi-Kader kenne ich seit der Jugend, da ist es nur natürlich, dass man diese Kollegen vermisst.

Popeye an Bord: Der einhändige Radwechsel

Andererseits: Ohne den Abschied von Audi aus der Szene wäre es wohl nie dazu gekommen, dass ich mir mit meinem Kumpel "Lotti" ein Auto teilen würde. Die Zusammenarbeit mit Andre und Nick macht Spaß und wir bilden ein starkes Trio. Apropos stark: Habt ihr das Video von unserem Boxenstopp-Mann, der vorne links die Räder wechselt, gesehen? Ein einzelnes Rad wiegt ca. 20 Kilogramm...

Der Rainer macht das einhändig. Mit einer unfassbaren Präzision! Ich weiß nicht, wie viel Spinat der sich täglich reinhaut - aber es ist beeindruckend! Aber nicht nur er ist so gut drauf, die ganze Boxencrew beeindruckt mich, denn mit den schweren Reifen so flink rumzurennen braucht viel Training. Eines weiß ich ganz sicher: Ich wäre mit meinen Fähigkeiten schon längst aus der Boxencrew geflogen. Ganz nach dem Motto "Schuster bleib bei deinen Leisten"!

Abseits des Rennsports mit Porsche habe ich seit der vergangenen Kolumne wieder viele spannende und spaßige Dinge erlebt. Kartfahren gehört immer dazu. Als ganz besonderes Highlight hat ein Radiosender zum Wettbewerb aufgerufen. Zuhörer konnten sich für ein Rennen gegen mich bewerben. Ein toller Event, bei dem alle Beteiligten auf ihre Kosten kamen.

Ich hatte in letzter Zeit auch viel im Film- und Fotostudio zu tun, das war neu für mich! Da ging es für mich in unter anderem in die Waagerechte! Bei einem Shooting für Tempur (Betten, Matratzen, Kissen) hatten wir viel Spaß. Man stelle sich die Situation vor: Ein Glas Rotwein steht auf einer Matratze. Mit einem beherzten Sprung auf das Doppelbett ist das Malheur doch vorprogrammiert. Aber nein, man glaubt es kaum: Das Glas ist trotz meiner Landung nicht umgefallen. Da muss die Aufhängung schon sehr gut sein - auch wenn ich als Rennfahrer wenig Gewicht habe :-)!

Astronautenmaterial im Cockpit des Porsche 919

Interessant ist übrigens, dass ich das Material für die Matratzen aus dem Rennsport kenne. Dieser spezielle Schaum wurde ursprünglich von der NASA für die Raumfahrt entwickelt, damit für die Astronauten die Kräfte beim Start möglichst gut abgefedert werden. Genau dieses Material haben wir auch in unseren Rennsitzen, um gewisse Druckpunkte beispielsweise an den Schultern zu polstern. Es passt sich der Körperform genau an. Den ultimativen Test für Tempur-Matratzen werde ich im Juni im Fahrerlager von Le Mans durchführen. Da werde ich hoffentlich noch besser in den Ruhephasen des Rennens schlafen und sogar von Raketen mit bequemen Sitzen träumen?

Wenn ihr meine Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' kennt, dann wisst ihr, dass ich jedes Mal in irgendeiner Form auch von den Besonderheiten meiner teils indischen Herkunft berichte. Das Wort Karma ist euch oft begegnet, unter anderem habt ihr auch das leckere indische Gericht mit Mamas Chapati kennengelernt. Nun will ich einmal ganz kurz auf mein Helmdesign eingehen. Es ist ein Entwurf meiner Schwester, aus den 1990er-Jahren als sie circa zwölf Jahre alt war. Ich habe das Design nie verändert und plane es auch in Zukunft nicht zu ändern. Dieses Design ist zu meiner Handschrift geworden - die verändert man auch nicht jede Saison.

Neel Jani

Hier seht ihr mal mein Helmdesign etwas genauer: Danke, liebe Schwester! Zoom

Mittig oben auf dem Helm prangt ein Element, das wie eine flammende Sonne aussieht. Es handelt sich dabei um ein Mandala und bedeutet im Sanskrit (alte Indische Sprache) Kreis oder Kreisbild. Die Formen eines Mandalas sind zum Zentrum gerichtet und zeigen eine bestimmte Ordnung. Die Kraft der Mandalas bewirkt mehr Energie, Konzentration und Kreativität, aber auch eine innere Ruhe.

Die Farben Rot und Gelb stehen für Licht, Energie, Ausdauer und Tatkraft. Da hat meine Schwester irgendwie den Nagel auf den Kopf (oder Helm?) getroffen. Mit Besonnenheit und Ausdauer in ein Rennen gehen, dann die Energie des Autos nutzen, um mit Tatkraft so viele Siege wie möglich einzufahren - auch wenn es in Le-Mans-Nächten mal Licht dafür braucht ;)

Viele Grüße und bis bald

Neel Jani

P.S.: Schaut auch auf meinen Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram vorbei, um weitere besondere Einblicke in mein Leben als Porsche-Werksfahrer zu bekommen!