• 17.02.2016 13:11

  • von Roman Wittemeier

Kolumne: Ein Tag beim Porsche-LMP1-Test

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier durfte Porsches Vorbereitung auf die Saison 2016 der WEC aus der Nähe begleiten: Ein Tag mit "Black Beauty"

Titel-Bild zur News: Brendon Hartley

Seltene Einblicke in die Box: Redakteur Roman Wittemeier spielte den Kiebitz Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der Langstrecke, heute möchte ich versuchen, euch an meinen Erlebnissen vom Dienstag dieser Woche teilhaben zu lassen. Einen Tag lang durfte ich die Testarbeit von Porsche mit dem 919 Hybrid in Abu Dhabi begleiten - und zwar aus nächster Nähe, mit erstaunlich wenigen Einschränkungen. Nirgends ein Sichtschutz, von Pressepolizei keine Spur und nahezu ungehinderter Bewegungsspielraum an der Strecke, in den Teamgebäuden und sogar in der Box. Aber der Reihe nach.

Nach der Anreise am Montagabend ist die Spannung schon beim abendlichen Drink in der Skylite Lounge des berühmten Viceroy-Hotels, das sich mit einer Brücke zu beiden Seiten des Yas Marina Circuit erstreckt, riesig groß. Von der Dachterrasse geht der Blick steil nach unten. In der Tiefe ist das von blauen Randzonen eingefasste Asphaltband zu sehen. Ich sehe Kurve 19, erkenne an den Reifenstapeln dunkle Flecken - es ist jene Stelle, an der Marc Lieb in der Vorwoche abgeflogen war.

Unten der dunkle Fleck an den weiß eingewickelten Reifenstapeln, oben das Leuchten künstlicher Sterne. Ihr kennt den Anblick des in rot-blauen Farben beleuchteten Hotels sicher von den Formel-1-Übertragungen aus Abu Dhabi. Beim Blick nach oben tropft es plötzlich auf meine Wange. Was ist das? Regen in Abu Dhabi? Fallen Ostern und Weihnachten auf einen Tag? "Nein", sagt einer der Barkeeper und lacht. "Das ist Schwitzwasser, das vom Dach tropft. Musst keine Angst haben, dass es von einem Vogel ausgeschieden wurde..."

Mit einem Lächeln gehe ich nach dem kurzen Gastspiel in der Bar in mein Zimmer. Ich muss dringend schlafen. Nicht, dass ich müde wäre, aber der Test soll am Morgen pünktlich um 9:00 Uhr starten - und die Zeitverschiebung arbeitet gegen mich, wenn es ums zeitige Aufstehen geht. Als am Dienstag um 7:00 Uhr (4:00 Uhr MEZ) das Handy ungemütliche Geräusche durch den Raum brüllt, verfluche ich mal wieder den Erfinder des Weckers. Aber dennoch bin ich hellwach und voller Vorfreude.


Fotostrecke: Abu Dhabi als Disneyland für Morgenmuffel

Treffen um 8:30 Uhr vor dem Hotel. Nach einem kurzen Fußmarsch über eine kleine Brücke mit tollem Blick auf die Yachten im Hafen, bin ich gemeinsam mit den Porsche-Leuten, einigen Kollegen und einem Hamburger Motorsport-Fotografen im Paddock. Wir steuern sofort Teamgebäude Nummer 12 an. Hier haben sich die LMP1-Macher aus Weissach für den Test niedergelassen. In einem Raum mit rund 15 Arbeitsplätzen sitzt Teamchef Andreas Seidl ganz einsam vor seinem Laptop.

"Reifentests - um das geht es hier in dieser Woche", erklärt der Rennleiter für das Projekt in der LMP1-Weltmeistermannschaft. "Wir müssen nach diesem Test die Varianten der Mischungen aussuchen, die wir in den Rennen verwenden möchten. Das ist extrem wichtige Arbeit vor einer extrem wichtigen Entscheidung." Der französische Reifenhersteller klotzt, er kleckert nicht. In der Box gegenüber von Gebäude Nummer 12 türmen sich die frischen Gummis der Sorten Medium, Soft und Soft-Hot. Bis zu fünf verschiedene Spezifikationen stehen pro Mischung zur Auswahl.

Ich gehe in die Box und sehe den 919 an diesem Tag zum ersten Mal. Wie in den Jahren zuvor verzichtet Porsche auch nun wieder auf eine aufwändige Lackierung. Der Wagen ist schwarz, breit, stark - das finale Design wird erst zum Prolog in Le Castellet Ende März vorgestellt. "Black Beauty" ist bereit, endlich loszulegen. Brendon Hartley sitzt im Cockpit, um der schwarzen Schönheit die Sporen zu geben für den ersten Galopp über die Abu-Dhabi-Piste.

Ich versuche kurz vor dem lautstarken Ritt des Neuseeländers schnell die Neuerungen zu erkennen. Von außen: Fehlanzeige. Porsche hat die 2016er-Aero nicht nicht dabei. Das Fahrzeug ist quasi ein Testträger, der die Neuheiten unter dem Kleid trägt. Schade, aber dennoch verständlich. Die erste von drei Aerodynamikvarianten für die neue Saison wird erst zum kommenden Test fertig. Wichtig ist erst einmal, dass die überarbeiteten Teile der Mechanik und am Verbrenner gut arbeiten, das verbesserte Hybridsystem ebenso.

Zu meiner Überraschung schickt Renningenieur Kyle Wilson-Clarke den jungen Hartley mit einer Le-Mans-Front auf die Bahn. So wenig Abtrieb für die doch recht winklige Strecke in Abu Dhabi? "Es geht nur darum, dass wir gewisse Lasten auf die Vorderachse bringen, um das Verhalten der Reifen zu checken", erklärt mir Teamchef Seidl. Mit dieser Spezifikation für geringe Abtrieb sind trotzdem konstante Rundenzeiten im Bereich von 1:51 Minuten drin.

Hartley fährt immer nur kurze Stints von fünf, sieben oder maximal zehn Runden. Gegen Mittag wird es still in Abu Dhabi. Nicht nur, weil die Mechaniker und Ingenieure zum Essen gehen möchten, sondern auch weil man einen Tausch wichtiger Bauteile an der Vorderachse vornimmt. Ganz in Ruhe - wir sind beim Test und nicht im Rennen. Umso entspannter kann sich Mark Webber auf seinen Einsatz am Nachmittag vorbereiten.


Fotos: Porsche-LMP1-Test in Abu Dhabi


Dem Australier begegne ich in der ersten Etage des Porsche-Mietshäuschens. Mit einem lächelnden "Hey mate", winkt Webber aus seinem Raum und versteckt sich schnell, weil er nur in Unterhose bekleidet gerade von der Massagebank kommt. Während des Abtauchens ruft er noch hinterher: "See you in five minutes." Ich setze mich auf die sonnige Terrasse, kurze Zeit später taucht auch der Ex-Formel-1-Star - nun in voller Montur - auf.

Wir sprechen über den Gewinn der WM, über zahlreiche Ehrungen in Australien, den rasanten Wertzuwachs seines Porsche 918 in der heimischen Garage (Webber: "Du glaubst es nicht: Der ist nicht beklebt, sondern wirklich in Rot und Weiß lackiert - echter Lack!") und über die Erwartungen an das neue Jahr in der WEC. "Wir haben ein sehr gutes System noch weiter verbessert, Audi und Toyota kommen mit brandneuen Fahrzeugen", sagt er und fügt an: "Es ist nie so einfach, ein neues Konzept zuverlässig zu bekommen..."

Das Teammanagement bittet Webber nun zum Einsatz. Schnellen Schrittes geht es in die Box, der Australier schnappt sich seinen Helm und steigt mit kompletter Ausrüstung auf die Waage: gut 81 Kilogramm zeigt das Gerät an. Zufrieden nickt der Physiotherapeut und schickt seinen Schützling an die Arbeit. Mark Webber habe ich seither nicht mehr gesehen. Er drehte seine Runden noch in der Dunkelheit. Die Arbeit weit abseits der Öffentlichkeit geht eben immer weiter...

Zwischendurch stattet Timo Bernhard dem Fahrerlager einen Besuch ab. Der Saarländer hat am Dienstag frei, genießt etwas Ruhe im Hotel, kümmert sich aus der Ferne möglichst gut um seine Familie, die kürzlich um einen weiteren Nachwuchs-Racer gewachsen ist. Für einen Plausch ist dennoch Zeit. "Ich habe heute frei, weil ich am Montag die ganze Zeit gefahren bin", sagt Bernhard und schüttelt seine Arme noch einmal aus. "Da weißt du wirklich manchmal, was du getan hast."

"Wenn wir bei Reifentests auf Longruns gehen, um die Haltbarkeit der Pneus zu testen, dann kommst du an einem Testtag schon mal auf rund 1.000 Kilometer - und dabei darfst du nicht trödeln", schmunzelt der deutsche Weltmeister. 1.000 Kilometer entsprechen der Distanz eines normalen 6-Stunden-Rennens in der WEC - und das ganz alleine? "Ja, wirklich", lacht Bernhard. "Und am Abend saugen dich die Ingenieure vom Team und von Michelin so richtig aus. Da bist du physisch und psychisch ganz schön platt."

Wie anstrengend solche Arbeit ist, wird auch am Beispiel Hartley deutlich. Der Neuseeländer hatte sich nach seinem Einsatz am Morgen eine Ruhepause erbeten, aber seine Rückkehr für den Nachmittag angekündigt. Ab 15:00 Uhr versuchen Porsche-Mitarbeiter, den "Kiwi" zu erreichen - doch er meldet sich weder auf Anrufe noch auf SMS zurück. "Passt so gar nicht zu Brendon", heißt es - und weiter: "Der ist bestimmt eingeschlafen..."

Ob Hartley nach getaner Arbeit wirklich ein Nickerchen eingelegt und von weiteren Siegen 2016 geträumt hat, kann ich nicht sagen. Ich frage ihn gar nicht danach, als er gegen 17:00 Uhr doch noch in den Paddock kommt. Ich will vielmehr von ihm eine realistische Einschätzung hören. "Wir haben ein verlässliches Paket, die neuen Konzepte der Mitbewerber bergen potenziell höhere Risiken in sich. Es kann gut sein, dass 2016 nicht jedes Rennen über Speed entschieden wird", sagt er. "Ich möchte jedenfalls die Startnummer 1 auf dem Auto behalten - und auch in Le Mans wieder auf dem Podest stehen."

Tatsache ist, dass Porsche bereits im Dezember vergangenen Jahres in Aragon einen erfolgreichen Endurance-Test abgespult hat. Die neuen Komponenten taten über fast 6.000 Kilometer das, was sie tun sollten. Dies ist Grundlage des Optimismus, den bei Porsche derzeit alle versprühen. Genau das wurde mir bei meinem Besuch des Tests in Abu Dhabi an allen Ecken und Enden deutlich. Porsche ist selbstbewusst, ohne die Konkurrenz zu unterschätzen. Nicht ohne Grund dreht Webber unter Flutlicht immer noch seine Runden als ich bereits die Koffer packe.

Viele Grüße und bis bald

Roman Wittemeier