• 04.06.2014 08:05

  • von Roman Wittemeier

GTE-Pro-Klasse: Quartett endlich ohne Spielereien

Die Hersteller der GTE-Klasse müssen endlich die Hosen herunterlassen - 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über Kampf und Krampf

Liebe Freunde des heißen Reifens,

Titel-Bild zur News: Gianmaria Bruni, Toni Vilander

Die GTE-Pro-Szene bietet in der WEC immer wieder spannende Rennen Zoom

wäre es nicht schön, wenn die vier Hersteller in der GTE-Pro-Kategorie mit gleichen Waffen antreten könnten? Wenn beim großen GT-Quartett die Ansagen bezüglich PS, Hubraum, Luftwiderstand oder Abtriebswerten allesamt mit "sticht" beantwortet werden könnten? Ja, es wäre für die Vorbereitung eines fairen Wettbewerbes in Le Mans sicherlich besser, aber andererseits würde die Szene damit auch an Reiz erheblich verlieren.

Gerade die grundsätzlich unterschiedlichen Konzepte machen den Kampf zwischen Porsche, Ferrari, Aston Martin und Corvette so hoch interessant. Schade, dass wir die Viper in diesem Jahr nicht brummen hören. Die vier verschiedenen Marken, die in diesem Jahr um die Ehren in der GTE-Pro-Klasse kämpfen, üben allesamt einen großen Reiz aus. Und noch viel besser: Bevor die ersten Rennstunden gelaufen sind, lässt sich überhaupt kein Favorit ausmachen.

Porsche, Ferrari und Aston Martin haben in den ersten WEC-Rennen in Silverstone und Spa-Francorchamps alles getan, um das wahre Potenzial nicht vollständig aufzudecken. Immer nach dem Motto: Wer länger langsam fährt, ist später entsprechend schnell. Auch beim Vortest nutzte sicherlich nicht nur einer der Hersteller ein wenig optimales Mapping, um der Konkurrenz nur ja nicht um die Ohren zu fahren. Vor allem über Aston Martin schüttelten - mal wieder - viele Beobachter die Köpfe.

Aston Martin hat mehr Tiger im Tank

Die Briten haben schon in den Vorjahren aus Sicht der Mitbewerber immer wieder enorme Vorteile in den Einstufungen erfahren. Zum Sieg hat es jedoch dennoch nie gelangt - jedenfalls nicht beim wichtigen Highlight in Le Mans. Im vergangenen Jahr wollte Aston Martin die Feierlichkeiten zum großen Jubiläum (100 Jahre seit Gründung) mit dem Klassensieg abrunden - aber Porsche fuhr an der Sarthe mit beiden Werksautos vor den besten Vantage.

Aston Martin

Aston Martin hat sicherlich noch längst nicht alle Performance-Karten aufgedeckt Zoom

In diesem Jahr nimmt man erneut Anlauf. Man feiert zehn Jahre Aston Martin Racing - und endlich den Sieg an der Sarthe? Die Voraussetzungen scheinen recht gut zu sein. Die beiden Werksautos ließen beim WEC-Auftakt in Silverstone wieder mal Porsche den Vortritt, in Belgien ließ man sich von den Zuffenhausenern und von Ferrari bügeln. Das Pokerspiel klappte bestens: Vor Le Mans stufte der ACO neu ein und verabreichte dem Aston Martin zusätzliche fünf Liter mehr Sprit pro Stint.

Der Vantage, der seit Jahren über technische Ausnahmeregelungen ("Waiver") in die GTE-Szene gepresst wird wie ein Klitschko in ein T-Shirt der Größe XS, wird erst in der Le-Mans-Woche wirklich aufdrehen. Das wissen die Konkurrenten, der ACO nimmt dies in Kauf. Wie zurückhaltend die Briten am vergangenen Sonntag beim Test agierten, zeigt unter anderem ein Blick auf die Top-Speeds: Die beiden Werksautos erreichten gerade einmal 284,7 km/h. So schnell war das gleiche Auto im Vorjahr beim Test im Regen...

Ist der Vantage langsamer geworden?

Ein kurzer Blick auf die Zeiten. Beim Vortest 2013 lag die optimale Rundenzeit des Vantage (beste Sektorenwerte addiert) bei 3:57.882 Minuten. Im Rennen waren dann plötzlich locker Runden in 3:54 Minuten möglich. Damals wurde offensichtlich arg geblendet. Und in diesem Jahr? Alles noch viel extremer. Die Optimalzeit am vergangenen Sonntag wäre eine 3:58.138 Minuten gewesen - bei besseren Bedingungen als im Vorjahr. Haben die Briten ihr Auto etwa "verschlimmbessert"? Nein, sicher nicht.

Roman Wittemeier

Beim Testtag in Le Mans musste ich mir die genauen Daten immer wieder anschauen Zoom

Die Analyse der Sektoren fördert deutlich zutage, dass Aston Martin jeweils zum Ende einer Runde noch einmal bewusst Gas herausgenommen hat. Im ersten Abschnitt war man schneller als im Vorjahr, im zweiten trotz des geringen Top-Speeds ebenso, aber im dritten Sektor ging dann plötzlich massig Zeit verloren. "Vielleicht ist der Koffer mit fünf Kilo mehr Sprit einfach nicht mehr fahrbar", schüttelte ein Teamchef der Konkurrenz amüsiert den Kopf. Man schmunzelt über etwas, das längst nicht mehr lustig ist.

Vor dem Testtag in Le Mans sind die teilnehmenden Hersteller mit jeweils einem Auto zu einem Versuch auf die Michelin-Entwicklungsanlage in Ladoux gebeten worden. Dort wurden Aston Martin Vantage V8, Ferrari 458 Italia, Porsche 911 RSR und Corvette C7-R über die Testbahn gejagt, um genaue Messungen bezüglich Abtriebswerte, Radlasten und Luftwiderstand vorzunehmen. Was man nicht messen wollte, waren die Beschleunigungswerte - kurios, denn auch dieser Faktor ist für die Einstufungen durchaus entscheidend.

Die Corvette als große Unbekannte

ACO und FIA berufen sich darauf, dass man aus den vorangegangenen Rennen genügend Daten bezüglich der Beschleunigung vorliegen habe. Allerdings kamen dabei nur Daten zustande, die die Werke auch bereit waren zu generieren - eine gute Grundlage für das sogenannte "Sandbagging", also die Verschleierung der eigentlich möglichen Performance. An dieser Stelle sei ganz klar gesagt: Diese Verschleierung betreiben alle, ohne Ausnahme. Es ist schon seltsam zu sehen, wie höllisch schnell all die Amateurautos beim Test waren...

Corvette

Gelb, breit, stark: Die Corvette ist neuerdings nicht nur schnell und laut Zoom

Wer kann Aston Martin auf dem Weg zum lang ersehnten Erfolg aufhalten? Chancen haben sie alle. Die neue Corvette ist mit dem neuen Direkteinspritzer endlich effizienter und sollte mit nur 85 Litern Tankinhalt ebenso 14 Runden schaffen wie die Gegner. Porsche bekommt jeweils 90 Liter mit auf die Reise, bei Aston Martin sind es 95 und bei Ferrari (auch mit Direkteinspritzung) 85 Liter Treibstoff pro Stint. Fragezeichen gibt es bezüglich der Zuverlässigkeit des amerikanischen Dampfhammers. Schnell ist die Corvette aber allemal.

Porsche hat seine Konkurrenzfähigkeit in den bisherigen WEC-Rennen deutlich dargestellt. "Es wäre sicherlich der bessere Weg, eine Regelung zu finden, bei der man nicht Angst haben muss, für eine gute Performance sofort bestraft zu werden, so wie das uns nach unserem Doppelerfolg beim Saisonauftakt in Silverstone passiert ist", bezieht Porsche-Motorsportchef Hartmut Kristen klar Stellung. "Der augenblickliche Zustand wird einem Saisonhöhepunkt wie den 24 Stunden von Le Mans nicht wirklich gerecht."

Porsche ist immer da, wenn es gilt

Die Zuffenhausener dürfen dennoch entspannt in den Wettbewerb gehen. Porsche ist für alle Bedingungen gewappnet, die Mannschaft um den "Fuchs" Olaf Manthey wird ebenso wie die Konkurrenz noch einiges an Performance in der Hinterhand behalten haben. Außerdem: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es auch in diesem Jahr zwischendurch Regen gibt. Dann kann der 911er seine aufgrund des Heckmotors existierenden konzeptionellen Vorteile voll ausspielen.

Ferrari Bruni Vilander Fisichella

AF Corse hat mit dem Ferrari 458 Italia seit Jahren sehr viel Erfahrung Zoom

Bleibt also noch Ferrari. Niemand dürfte mehr Erfahrung mit einem aktuellen Einsatzauto haben als die Werksmannschaft von Amato Ferrari. AF Corse hat im vergangenen Jahr fast 100 Fahrzeuge weltweit in unterschiedlichen Rennserien eingesetzt, darunter unzählige F458. Beim Testtag liefen sieben (!) Autos unter der Nennung der Italiener, hinzu kamen die Fahrzeuge von 8Star und SMP, die ebenfalls von AF Corse betreut werden. Da sind Datenmengen aufgelaufen wie bei der NSA.

Wer ist für mich also der Favorit für den Sieg in der GTE-Pro-Klasse? Wahrscheinlich ist ein Sieg von Aston Martin, den Ferrari halte ich konzeptionell für das beste Auto im Feld, die Corvette hat bei mir immer aufgrund des brachialen Sounds (ist immer noch gut!) ein Stein im Brett und Porsche ist ohnehin in den wichtigen Momenten immer da. Wenn ich nun also tippen muss, dann sage ich: Bruni/Vilander/Fisichella werden gewinnen. Erfahrene Piloten, starkes Team, gutes Auto - da passt irgendwie alles.

Ich freue mich vor allem darauf, in der Rennwoche endlich mal die wahre Leistungsfähigkeit der Autos sehen zu dürfen. Das Versteckspiel hat jetzt mal wieder viel zu lange angedauert!

Viele Grüße und bis bald

Roman Wittemeier

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