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  • 17.06.2016 14:11

  • von Roman Wittemeier

Die Legende live erlebt: Eine Runde in Le Mans

Videos: Ein 400 PS starker Audi TT RS, 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier und der Circuit des 24 Heures in Le Mans - Erfahrung der besonderen Art

Liebe Freunde des Gaspedals,

Titel-Bild zur News: Roman Wittemeier

Bei schlechter Sicht und starker Nässe ging es über den Le-Mans-Rennkurs Zoom

ich sitze auch in diesem Jahr im Medienzentrum von Le Mans und darf wieder von meinem Lieblingsrennen berichten. Heftiger Regen, matschige Parkplätze und ausbleibende Zeitenjagd - alles egal. Hauptsache Le Mans. Dieser langsame Spannungsaufbau im Verlauf der Woche, die zahlreichen Traditionen wie Fahrzeugabnahme in der Innenstadt, Fahrerparade am Freitag oder der "Mad Friday" mit komplett hemmungslosen Fanaktionen reißen mich jedes Jahr vom Hocker.

Kurz vor dieser 84. Auflage der 24 Stunden von Le Mans - ich war übrigens 1995 erstmals hier - kommt für mich noch einmal ein ganz neues Element hinzu. Eine Erfahrung, die mir in Zukunft immer wieder ein Grinsen ins Gesicht zaubern wird. Am Donnerstag durfte ich im starken Regen zwischen den Qualifyings selbst eine komplette Runde über den 13,6 Kilometer langen Circuit des 24 Heures drehen. Der Hammer!

Audi hat die zweite Generation des TT RS in Peking vorgestellt und damit Stürme der Begeisterung entfacht. Der zweisitzige Supersportler wurde in allen Bereichen optimiert. Der soundstarke Fünfzylinder schiebt das flache Geschoss mit 400 PS und 480 Newtonmetern nach vorn, es braucht aus dem Stand bis Tempo 100 nur 3,7 Sekunden. In einem solchen Gefährt, das in Europa erst ab Herbst in einer ersten Charge an die Kunden ausgeliefert wird, durfte ich die berühmten Porsche-Kurven, Tertre Rouge und Arnage erleben.

Nasse Fahrbahn erfordert anderen Fahrzeugmodus

Ein dreimaliger Le-Mans-Sieger dient als Leitfigur auf der Strecke. Marco Werner nimmt einen baugleichen TT RS und leitet mich bei schwierigen Streckenbedingungen auf den Kurs. Weil sich im zweiten Qualifying zuvor zahlreiche Teilnehmer der 24 Stunden von Le Mans bei Aquaplaning gedreht hatten, lassen wir es vorsichtig angehen. Der "Drive Select"-Knopf wird von "dynamic" auf "comfort" umgestellt - das verhindert zu bissiges Fahrverhalten und bietet uns auf der nassen Piste mehr Sicherheit.

"Es geht los", meldet Marco Werner im Funk. Der "Start"-Button am Lenkrad (Bravo, Audi - der sieht geil aus!) ist längst gedrückt, der Helm auf und der Gurt angelegt. Wir rollen vorsichtig an. In der Ford-Schikane dürfen wir aus dem Infield auf die Strecke einbiegen. Marco Werner tritt aufs Gas, ich ebenso. Vor tausenden Zuschauern und großartiger Lichtkulisse jagen wir über die Start-Ziel-Gerade, biegen anschließend im Schleppbetrieb in den schnellen Rechtsbogen den Hügel hinauf ab.

Trotz der Nässe und dem stehenden Wasser: Anker werfen vor der engen Links vor dem Dunlop-Bogen, vorsichtig einlenken, um bloß niemals die rutschigen Randsteine zu berühren. "Pass besonders am Kurvenausgang auf, da steht oft viel Wasser", meldet Marco per Funk. Die Fahrt unter dem legendären Dunlop-Bogen hindurch nehme ich leider gar nicht wahr. Mein Blick ist automatisch von der vor mir liegenden Strecke gefesselt.

Durch die Esses geht es in sanften Schwüngen mit mittlerem Tempo - und dann kommt eine der großen Ikonen: Tertre Rouge. Der schnelle Rechtsbogen bildet den Übergang von permanenter Rennstrecke auf die Landstraße. Die D338 verbindet Le Mans und Tours. In diesem Tagen heißt sie Ligne droite des Hunaudieres - oder Mulsanne-Gerade, wie die Briten sie nennen. Vollgas in Richtung Playstation-Schikane. Die Bäume und Leitplanken fliegen im Regen vorbei, die Spurrillen vom regelmäßigen LKW-Verkehr sind vor allem auf der rechten Fahrbahnseite gefährlich mit Wasser gefüllt.

Gischt kommt im TV niemals so rüber

Plötzlich sehe ich Marco und sein Auto nicht mehr. Die Gischt hat seinen Audi TT RS verschluckt. So fahren wir mit rund 200 km/h geradeaus - ein seltsames Gefühl der Einsamkeit bei gleichzeitig maximaler Konzentration. "Hier erreichen wir mit der LMP1 rund 345 km/h", schallt es plötzlich aus dem Funkgerät. Auf einmal rote Bremslichter vor mir. Wenn Marco hier den Anker wirft, dann sollte ich es auch tun. Die Playstation-Schikane ist extrem langsam, davon habe ich nur noch Standbilder im Kopf.

Ausgangs dieser Passage geht es wieder mit dem rechten Fuß nach unten. Vollgas - der Fünfzylinder brüllt, aber den Topspeed von 280 km/h erreichen wir bei diesen Bedingungen natürlich nicht. "Wir halten uns jetzt auf der rechten Seite, um gleich passend zur zweiten Schikane zu kommen", setzt der dreimalige Le-Mans-Champion seinen nächsten Hinweis per Funk ab. Das Zwischenstück von Playstation- zur Michelin-Schikane kommt mir unfassbar kurz vor.

Es geht wieder mit gutem Schub weiter voran. Ein leichter Rechtsbogen, dann starkes Anbremsen zur Mulsanne-Kurve. Der enge Rechtsbogen wirkt auf mich unübersichtlich, vielleicht müssen sich Augen und Kopf nach solch langer Geradeausfahrt erst wieder an Kurven, Abbiegungen und Lastwechsel gewöhnen. "Hier könntest du normalerweise einen tollen Sonnenuntergang sehen", meint Marco Werner. Die Piloten der 24 Stunden von Le Mans werden abends auf dem Weg in Richtung Indianapolis und Arnage geblendet. Heute verhindern dichte Regenwolken dieses Spektakel - schade.

Respekt vor den Piloten noch weiter gewachsen

Indianapolis kommt überraschend am Ende eines schnellen Rechtsbogens. Beim Blick auf das Kiesbett und die Leitplanken habe ich nach langer Zeit erstmals wieder das Gefühl von Rennstrecke. Ich bin von einer Sekunde auf die andere wieder in einer anderen Welt - hätte ich mir niemals so vorgestellt. Die Vorfreude ist groß als ich die enge Arnage sehe: Rechts abbiegen, bitte. Auf geht's zu den Porsche-Kurven! Schade, dass wir bei dieser Nässe nicht wirklich hohe Fliehkräfte erleben können.

Der schnelle Rechtsbogen wird problemlos durchfahren, für die anschließende Links gehen wir etwas vom Gas und halten einen respektablen Abstand zu den Randsteinen, die zur gefährlichen Falle bei Nässe werden können. Auf meiner rechten Seite zeichnet sich ein blauer Streifen ab - die neuen SAFER-Barriers huschen vorbei und enden direkt vor dem zweiten Knick. Diese Linkskurve hat es dann tatsächlich in sich. Wir bremsen usd rein und fahren mit reichlich Luft nach oben hindurch. So auch in den abschließenden Bögen, wo mir auf jedem Meter die drohende Gefahr bewusst ist.


Fotos: 24 Stunden von Le Mans, Donnerstag


Hier mit einem Abtriebsauto durch? Vielen Dank, auf keinen Fall! So einen Gedanken hatte ich am Ende der Porsche-Kurven. Mein Respekt vor den insgesamt 180 Piloten bei den 24 Stunden von Le Mans ist in diesen rund fünf Minuten noch einmal um ein gehöriges Stück gestiegen. Erst diese Fahrt über den kompletten Kurs hat mir klar gemacht, wie ganz anders der Circuit des 24 Heures von Le Mans im Vergleich zu anderen Strecken ist. Es ist eine ganz andere, eine wunderschöne Welt, die bitte für immer so bleiben möge!

Ich freue mich euch zusammen auf ein spannendes Rennen am Samstag und Sonntag. Viele Grüße,

Roman Wittemeier