• 26.04.2016 11:21

  • von Roman Wittemeier

Audi-R18-Hybrid: So kommt der Saft in "Juicy Lucy"

Details zum neuen Energiespeicher im Audi R18: Die Entscheidung für Lithium-Ionen-Battieren, die Auswahl der Zellen und die notwendigen Sicherheitschecks

(Motorsport-Total.com) - Audi ist beim Debütrennen des neuen R18 in Silverstone als Erster ins Ziel gefahren. Nach den sechs Stunden von Silverstone, dem Saisonauftakt der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) 2016, standen Andre Lotterer, Marcel Fässler und Benoit Treluyer ganz oben auf dem Siegertreppchen. Das Trio im Auto #7 verlor den Sieg später aufgrund einer zu dünnen Bodenplatte am Fahrzeug, aber das neue LMP1-Auto aus Ingolstadt hatte sich im Wettbewerb prompt als konkurrenzfähig erwiesen.

Titel-Bild zur News: Audi

Der neue Audi R18 fährt mit einem Batteriespeicher in der 6MJ-Hybridklasse Zoom

"Juicy Lucy" haben Lotterer und Kollegen das neue Gefährt getauft. "Den Vornamen wählt die Crew immer auf Grundlage einer Comicfigur, wir fügen dann immer noch etwas an", erklärt der dreimalige Le-Mans-Sieger. "Und weil wir ab sofort mehr Strom - also Saft - im Auto haben, kamen wir auf 'juicy' - das sollte man aber besser nicht bei der Google-Suche eingeben..." Neben zahlreichen Burgern (mit Käseherz) wirft eine entsprechende Suche durchaus auch nicht jugendfreie Ergebnisse aus.

Um den technischen Aspekt von "Juicy Lucy" haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche erwachsene Toptechniker gekümmert. Nach den Ergebnissen aus dem Vorjahr war bei Audi allen klar, dass man die Hybridklasse wechseln muss, um im Wettbewerb gegen Porsche und Toyota weiterhin bestehen zu können. Das bewährte Flywheel musste einem neuen Batteriesystem als Hybridspeicher weichen. Eine Entscheidung, die nicht als Schnellschuss gelten darf.

"Als wir vom 2014er-Auto aufs 2015er gegangen sind, haben wir uns bereits die Frage gestellt, ob der Schwungradspeicher noch zielführend ist", sagt Thomas Laudenbach im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der Leiter Elektrische Systeme bei Audi Sport betont, dass "immer klar war, dass Batterien mehr Sinn machen, wenn mehr Energie ins Spiel kommt". Der Nachteil des Schwungrads: Es wächst bei zunehmendem Speicherbedarf überproportional an, der ursprüngliche Gewichtsvorteil geht verloren.

Batterie: Zuerst war es eine einzelne Zelle...

"Wenn man solche Bewertungen anstellt, dann gibt es irgendwann einen Punkt, an dem sich die Linien schneiden. Das ist nicht bloß rein mathematisch, es gibt viele Parameter, die man annehmen und abschätzen muss. Ganz sicher ist, dass bei sechs Megajoule die Batterie die bessere Lösung ist", stellt der erfahrene Ingenieur klar. Bei Audi begann auf dieser Grundlage schon frühzeitig die Suche nach den passenden Zellen, die man selbst anschließend zu passenden Paketen zusammenfügt.

"Wenn man sich sicher ist, dass man in das Thema rein will, dann beginnt man mit Einzel-Zelltests. Man charakterisiert erst einmal die verschiedenen Zellen", sagt Laudenbach. "Das liegt daran, dass wir die Zellen auf ganz andere Art und Weise nutzen wie es im Serienwagen der Fall ist. Die Technologie ist nicht so weit von der Serie weg und ist vergleichbar, aber wir quetschen sie sehr viel mehr aus - auch, weil wir nicht an eine hohe Lebensdauer wie in der Serie gebunden sind."

Der Markt für konkurrenzfähige Produkte im Bereich Batteriezellen ist in den vergangenen Jahren zwar rasant gewachsen, die Zahl der Anbieter mit Angeboten für die Anwendung im Motorsport ist dennoch gering. Porsche sicherte sich die Exklusivnutzungsrechte des Herstellers A123 für die LMP1-Klasse, also jene Zellen, die Mercedes im erfolgreichen Formel-1-Fahrzeug nutzt. Neben Panasonic in Japan gelten die koreanischen Hersteller Samsung und LG als gute Adressen.


WEC-Anreißer für Spa-Francorchamps

Die Langstrecken-Weltmeisterscahft (WEC) macht Station in Spa - Wir können uns auf ein packendes Sechs-Stunden-Rennen freuen, wie die Szenen zeigen

Bei Audi fiel die Wahl recht schnell auf Samsung SDI. Unter anderem auch deshalb, weil die Ingolstädter bei der Entwicklung von Serienfahrzeugen mit diesem Hersteller verbunden sind. "Und dann gibt es kein Zurück mehr", schmunzelt Laudenbach. Sobald die Entscheidung für einen Anbieter gefallen ist, stehen Rahmendaten des Hybridsystems fest. "Das Konzept der Batterie ist das Format - nicht nur das räumliche Format, sondern auch die Spannungslage und die ganze Chemie."

Entscheidung fiel schnell zugunsten Samsung SDI

"Samsung hatte die für uns am besten passende Zelle", so laut Audi-Hybridchef das Ergebnis eines umfangreichen Tests im Labor. "Es ist leider nicht so, dass man Tests durch führt und dann eine Hitliste erstellen kann. Es war zu dem Zeitpunkt so, dass man gesagt hat, dass es eine gute Technologie zu sein scheint und dass die Anbindung über die Serienabteilung schon besteht. So ist dann die Entscheidung getroffen worden."

Die Lithium-Ionen-Zellen wurden in Prüfstandsumgebungen der Serienentwicklung mit verschiedenen Spannungslagen überprüft. Audi hält bislang geheim, mit welcher Spannung man im neuen R18 arbeitet. Sicher ist nur, dass man sehr nahe an die vorgeschriebene Obergrenze von 1.000 Volt herankommt. "Faustformel: Je mehr Spannung bei konstanter Leistung, umso weniger Strom. Je weniger Strom, umso weniger Gewicht", erklärt Laudenbach den Hintergrund.

Juicy Lucy

Der R18 von Lotterer/Fässler/Treluyer heißt in der Saison 2016 "Juicy Lucy" Zoom

"Je nachdem wie viel Ampere ich durchjagen will, benötige ich einen gewissen Querschnitt, um Stromtragfähigkeit zu erzeugen. Deswegen ganz salopp formuliert: Mehr Strom heiß mehr Gewicht", so die Vorgaben bei der Entwicklung des Speichers. "Deshalb geht man tendenziell zu einer hohen Spannungslage, um den Strom herunterzufahren. Die FIA gibt uns die Grenze vor: 1.000 Volt. Ich habe meine Einzelzellen und weiß, wie viel Kapazität ich brauche. Daraus berechne ich die Gesamtzahl der benötigten Zellen."

Die Zellen werden dem gewünschten "Packaging" im Fahrzeug entsprechend in mehreren Paketen zusammengefasst. Jedes Paket enthält auch sogenannte "Slaves" - also Kontrolleinheiten. "Um die Varianz der Teile innen nicht zu hoch werden zu lassen, versucht man, sie in identischen Packs unterzubringen. Ansonsten würde es zu viele verschiedene Einzelteile geben", so der Ingenieur. "Die Zelle kaufen wir zu, aber alles andere wird 100% bei Audi gemacht: konstruiert, ausgelegt und montiert."

Sicherheitschecks im eigenen Haus und beim TÜV

"Wir haben in der Nähe vom Werk ein 'Batterietechnikum'. Die sind darauf spezialisiert, kleine Stückzahlen anzufertigen, beispielsweise bei Prototypen für die Serienkollegen", erklärt Laudenbach. "Das sind absolute Produktionsprofis - kleine Stückzahlen, hohe Qualität. Als wir uns mit denen zusammensetzten, haben wir gemerkt, dass dies das Richtige für uns ist. Wir greifen im Haus auf eine schöne Technologie zurück und profitieren dabei von der Vorarbeit aus der Serie, wie etwa bei den Sicherheitsfragen."

"Die Vernetzung mit der Serie geht nicht nur nach außen, sondern lohnt sich auch nach innen. Wir berichten uns mittlerweile sogar gegenseitig, wo wir stehen. Auch der Zellenhersteller hat sehr viel gelernt. Denn wir haben mit denen Sachen gemacht, wo sie gesagt haben: 'Das geht nie.' Dann haben wir gesagt: 'Aber wir probieren es mal.' Das war sehr schön, weil man den Grenzbereich der Chemie austesten konnte. Das war sehr spannend", schmunzelt der "Mister 1.000 Volt" von Audi.

Im Zentrum der weiteren Erprobung von Batteriepaketen stehen neben Performance- vor allem Sicherheitschecks. "Wir haben die Latte da sehr hoch gelegt und gesagt: So lange sie die nicht richtig absolviert haben, kommt das nicht in unser Fahrzeug hinein. Natürlich zahlt man Lehrgeld, aber man lernt viel. Man geht alle möglichen Fälle durch, die einem als Worst Case einfallen", sagt Laudenbach. Man spielt verschiedene Szenarien durch: Unfälle, Kurzschlüsse und vieles mehr.


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Das Gesamthybridsystem wird auf dem Prüfstand getestet, um den Aufwand möglichst gering zu halten. "Der ganze Steuerungsverbund, das BMS (Batterie-Management-System; Anm. d. Red.) kommuniziert mit anderen Systemen und den Sicherheitseinrichtungen, die uns die FIA vorschreibt, wie etwa das rot-grüne Lämpchen - das machen wir alles außerhalb des Autos. Im Fahrzeug ist so etwas immer am kompliziertesten."

Gefahr: Wenn hohe Voltzahl und viele Ampere zusammenkommen

Weitere Überprüfungen - sogenannte "Abuse-Tests" werden beim TÜV durchgeführt, der entsprechende Einrichtungen betreibt. "Wir erzeugen also künstlich einen Kurzschluss, um zu sehen, ob unsere Sicherheitseinrichtungen greifen. Wir haben diese in der Batterie und sie müssen auslösen, ohne Gefahr für Leib und Leben zu generieren. Wir machen das im 'Bunker'. Erst wenn das alles durch ist, gehen wir mit dem System ins Auto. Im Auto sitzt ja schließlich ein Fahrer."

Wie sehr man auf Sicherheit bedacht ist, wurde im WEC-Auftakt in Silverstone deutlich. Als der R18 mit der Startnummer 8 mit Problemen an den elektrischen Systemen auf der Strecke zum Stehen kam, wurde Pilot Lucas di Grassi zunächst aufgefordert, im Fahrzeug sitzen zu bleiben. Ein speziell ausgebildeter Techniker von Audi wurde zum Auto geschickt, um die Sicherheit genau zu überprüfen. Alles nach dem Motto: Nur ja keine Gefahr für Leib und Leben.

Lucas di Grassi, Oliver Jarvis

Im 6-Stunden-Rennen von Silverstone blieb der Audi #8 mit einem Defekt stehen Zoom

"Nur hohe Spannung ist nicht gefährlich. Aber gefährlich wird es dadurch, dass mächtig Strom dahinter steckt", erklärt Laudenbach die Gefahr, die von den Hochvolt-Gleichstrom-Anlagen potenziell ausgehen kann. "Der Vorteil beim Flywheel war, dass wenn es einmal steht, keine Energie mehr drin steckt. In einer Lithium-Ionen-Zelle bleibt immer etwas drin. Das heißt, ich muss mit dem Fahrzeug anders umgehen, wenn es steht. Das gilt etwa für Transporte und all die anderen Sachen."

Die am Hybridsystem arbeitenden Techniker haben teils eine Zusatzausbildung bei der Industrie- und Handelskammer absolviert. Sie gelten als "VEFKs", also Verantwortliche Elektrofachkräfte. Zudem sind sie im Besitz eines "AUS-Zertifikats", das sie für die Arbeit unter Spannung legitimiert. "Es gibt immer jemanden, der das Auto für die Mechaniker freigibt. Das ist anders als beim Flywheel. Wir erfüllen alle Standards, die die Industrie auch erfüllen muss."