• 29.03.2010 10:24

  • von Stefan Ziegler

Hintergrund: Regenrennen in der WTCC

Tourenwagen-Spezialist James Thompson erklärt die Tücken eines Regenrennens am Beispiel von Curitiba: Wer hat wann und wo einen Vorteil?

(Motorsport-Total.com) - Wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, dann stehen den Protagonisten der Tourenwagen-WM einige aufregende Rennrunden ins Haus. Ist die Fahrbahn erst einmal schlüpfrig und nass, verschärft sich der Wettbewerb auf der Rennstrecke nochmals deutlich, was nicht selten in spektakuläre WM-Läufe mündet. Auch beim Saisonauftakt 2010 kamen die Fans diesbezüglich voll auf ihre Kosten.

Titel-Bild zur News: Wet Track

Es regnet und die Strecke ist nass: Was ist nun aus der Fahrersicht zu beachten?

Wenige Minuten vor dem Start fegte ein heftiger Regenguss über das Autódromo Internacional de Curitiba und sorgte urplötzlich für vollkommen neue Bedingungen, an die sich die Piloten während zweier Runden hinter dem Safety-Car gewöhnen konnten. Dann schickte die Rennleitung das Feld auf die Reise, doch was gilt es bei einem Regenrennen in der WTCC eigentlich alles zu beachten?#w1#

Mit dieser Materie kennt sich James Thompson bestens aus. Der britische Rennfahrer kommentiert in diesem Jahr einige Rennen der Tourenwagen-WM für 'Eurosport' und wird bei einigen ausgewählten WM-Läufen auch selbst ins Lenkrad greifen. In Brasilien war Thompson aber Zuschauer, als sich seine Fahrerkollegen mit den schwierigen Verhältnissen von Curitiba auseinander setzen mussten.

Wer führt, ist zunächst fein raus - aus der Gischt

Auf was es bei solchen Bedingungen besonders ankommt, erklärt Thompson bei 'Eurosport': "Es ist im Prinzip von großer Wichtigkeit, gleich in der ersten Runde an der Spitze zu liegen", meint der 35-Jährige. "Man könnte natürlich auch sagen, dass der Zweitplatzierte einen Vorteil hat, weil er die Bremslichter des Führenden sieht und ein bisschen später in die Eisen steigen kann."

Augusto Farfus, Tom Coronel, Andy Priaulx

Ein Vorausfahrender hat es im Regen immer etwas leichter als seine Verfolger Zoom

"Bei so viel Wasser und Gischt wird das aber recht schwierig", findet Thompson und fügt an: "Bei solchen Bedingungen hast du nur die Scheibenwischer und die Geschwindigkeit des Autos, um dir freie Sicht durch die Windschutzscheibe zu verschaffen. Für den Führenden ist das ein großer Vorteil. Er kann die Scheibenwischer ausmachen und versuchen, sich vom Rest des Feldes zu lösen."

Dies gelang Yvan Muller beim Saisonauftakt ganz ausgezeichnet, denn der Franzose münzte seine Pole-Position optimal in die Führung im Rennen um. Doch auch der Weltmeister von 2008 war nicht vor den Tücken der brasilianischen Rennbahn gefeit. Thompson erklärt die verschärften Verhältnisse am ersten Wochenende: "In Curitiba hatten es die Fahrer mit unterschiedlichen Oberflächen zu tun."¿pbvin|64|2535|wtcc|0|1pb¿

Die Ideallinie im Nassen: Wer suchet, der findet...

"Einerseits ist dieser Kurs recht holprig, andererseits konnte man in den Kurven viel stehendes Wasser sehen. Zudem gibt es auf dieser Rennstrecke noch unterschiedliche Asphaltbeschaffenheiten, was die Reifen zusätzlich strapaziert", so der britische Rennfahrer. "Im Nassen kommt noch erschwerend hinzu, dass man die beste Linie erst suchen muss. Das sollte möglichst schnell passieren."

Norbert Michelisz

Das Feld auf der Suche nach der Linie: Norbert Michelisz und seine Rivalen Zoom

"Wer auch immer zuerst genau diese eine Linie findet, hat natürlich gleich mehr Grip. Das ist meistens auf der Außenseite der Strecke der Fall, wo sonst wenig Gummi gelegt wird", erläutert Thompson und verweist darauf, dass sich die Ideallinie bei einem Regenrennen recht deutlich von der Fahrspur bei trockenen Bedingungen unterscheiden kann. Doch im Nassen gibt es noch Weiteres zu beachten.

"Schwierig wird das Ganze, wenn du das Auto nicht für diese Bedingungen abgestimmt hast", hält Thompson fest. "In Brasilien hatten wahrscheinlich nicht alle Fahrer die passenden Einstellungen, weil dafür vielleicht nicht die Zeit war." Entsprechend konnte man vor allem in der Anfangsphase beobachten, wie einige Piloten immer wieder Ausflüge in die Grünanlagen von Curitiba unternahmen.

Fronttriebler spielen ihre Stärken im Regen aus

Generell sieht Thompson Chevrolet und SEAT bei solchen Verhältnissen im Vorteil: Ein Fronttriebler sei im Regenrennen einen Tick besser zu fahren als ein Hecktriebler, erklärt der Tourenwagen-Routinier. "Das liegt einfach daran, dass sie mehr Gewicht auf der Vorderachse haben. Das macht das Bremsen einfacher. Es fällt dem Fahrer schlichtweg leichter, das Auto herunter zu bremsen."

Jordi Gené, Yvan Muller

Vorteil für Chevrolet und SEAT: Fronttriebler sind im Regen etwas besser Zoom

"Dieses Extragewicht auf der Vorderachse ist das Entscheidende - im Trockenen ist das hingegen ein Schwachpunkt dieser Fahrzeuge, weil damit der Reifenverschleiß größer ist. Die Fahrer können sich im Nassen aber besser an die Bedingungen anpassen", kommentiert Thompson die Eigenschaften von frontgetrieben Fahrzeugen wie dem Chevrolet Cruze, dem Lacetti oder dem SEAT León.


Fotos: WTCC in Curitiba, Sonntag


Egal welche Antriebsart - alle WTCC-Teilnehmer müssen im Rennen mit den Einheitsreifen von Lieferant Yokohama auskommen. Und beim Saisonstart in Brasilien hatten die Protagonisten laut Thompson keine andere Wahl, als zunächst auf den Regenpneu des japanischen Unternehmens zu setzen. "Wir haben keine Intermediates und Slickreifen wären viel zu riskant gewesen", so Thompson.

Ein Reifenwechsel lohnt sich nicht

Letztendlich hielt sich die Nässe aber nur wenige Runden lang, was die Fahrer mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontierte: Der Reifenverschleiß nahm von Umlauf zu Umlauf massiv zu. "Eine abtrocknende Strecke ist ein großes Problem für die Regenreifen. Das kann man ganz einfach daran erkennen, dass die Fahrzeuge immer deutlicher ins Rutschen kommen", erläutert Thompson.

Darryl O, Stefano D, Fredy Barth

Die Strecke ist trocken - und wer konnte seine Rennreifen am besten schonen? Zoom

"Die Reifen überhitzen und werden dadurch instabil. Da musst du als Fahrer versuchen, die letzten nassen Flecken zu nutzen, um deine Pneus etwas herunterzukühlen", so der ehemalige Lada-Fahrer. Aus diesem Grund scherten die Piloten in Curitiba immer wieder aus dem Windschatten ihres Vordermannes aus, um die letzten noch feuchten Stellen des Kurses zu suchen und zu durchfahren.

Zum Schluss war die Piste vollkommen trocken, doch ein Reifenwechsel ist in der WTCC nicht drin. Liegen die Rundenzeiten etwa zehn Sekunden über dem Trockenwert, dann würden Slicks aber "definitiv funktionieren", meint Thompson und fügt abschließend hinzu: "Wenn das Rennen länger andauern würde, wäre das genau der richtige Zeitpunkt, um die Pneus auszutauschen."