Kolumne: Mein erstes Le Mans (2/3) - "Mad Friday" im Clio

Das erste Mal Le Mans ist immer speziell - Heiko Stritzke schildert seine Eindrücke: Sound aus erster Hand, Jubel über einen Clio und das Regenradar als bester Freund

(Motorsport-Total.com) - Der Mittwoch beginnt noch nicht wirklich mit Trainings, sondern wiederum mit Meet the Teams. Diesmal ist auch Toyota dabei, für die ich in dieser Woche verstärkt eingeteilt bin. Ein bisschen schlägt mein Herz auch für die Mannschaft aus Köln, nachdem sie nun schon so viel Pech in Le Mans gehabt hat. Alle Fahrer beantworten geduldig die Fragen, ohne dabei irgendwo etwas Falsches zu sagen - man merkt den hohen Grad der Professionalität. Rob Leupen sagt einem Kollegen: "Ich bin optimistischer als 2014." Okay, wir sind gespannt.

Titel-Bild zur News: Renault Clio, Sven Haidinger

Am Mad Friday ist jedes Auto ein Superstar - auch unser quirliger Renault Clio Zoom

Ich lerne jede Menge Leute kennen, die man jetzt nicht aus dem Fernsehen erkennt. Etwa Toyota-Marketingchef Alastair Moffitt, der sich wirklich ins Zeug legt und mir zeigt, wer gerade verfügbar ist. Ich spreche mit großen Namen: Kazuki Nakajima, Sebastien Buemi, Anthony Davidson. Man spürt regelrecht, wie Toyota auf dieses Rennen brennt. Nach der großen Enttäuschung im Vorjahr, als man überhaupt nicht konkurrenzfähig war, gab es jetzt eine echte Chance auf den Gesamtsieg und auf Wiedergutmachung für 2014, als man in Führung liegend ausschied.

Eine Stunde später bin ich bei Toyota fertig und es ging weiter zu Audi. Wieder viele neue Gesichter, obwohl ich am Vortag schon dort gewesen bin. Doch heute ist noch wesentlich mehr los. Wir, also mehrere Journalisten, haben ein schönes, langes Gespräch mit Lucas di Grassi mit vielen interessanten Themen.

Man vergisst fast, dass es sich um eine Interviewsituation handelt, so locker ist der Brasilianer drauf. Schließlich frage ich ihn sogar, ob sein Benzinverbrauch im Privatwagen gesunken ist, seit er in WEC und Formel E sehr auf den Energieverbrauch achten muss. Alle sind amüsiert und Lucas erzählt aus dem Nähkästchen, wie er seiner Mutter effizientes Fahren im Straßenverkehr beigebracht hat. Interviews können richtig Spaß machen. Vielleicht baut di Grassi mit der Lockerheit auch Druck ab - jeder Fahrer hat hier seine eigene Herangehensweise.

Aus Spaß sollte dann sehr bald Ernst werden, denn um 16 Uhr geht es endlich los mit der Action. Das Freie Training steht auf dem Programm. Der Sound ist schon eine ganze Ecke gewaltiger als beim von unzähligen Lärmschutzvorschriften beeinträchtigten 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Als ich das erste Mal aus dem Medienzentrum rausgehe, ist es richtig laut, selbst hinter dem Boxengebäude kann man sich kaum unterhalten. Ein paar Minuten auf der Tribüne will ich mir das Geschehen dann doch geben. Im Freien Training ist ja noch Zeit dazu. Rauf und genießen.

Sound auf Tribüne: Genuss und Fluch zugleich

Vor allem die betagten Ferrari 458 Italia machen richtig Lärm, wenn auch meines Erachtens keinen allzu schönen. Ich bin niemand, der laut mit schön gleichsetzt. Aber in Kombination sticht es dann doch. Die Soundwertung geht definitiv an die Werks-Corvette mit herrlichstem, lauten V8-Sound. Knapp dahinter landen die Ford GT, die zeigen, dass Turbo nicht unbedingt leise bedeuten muss. Den schönsten Sound macht für mich der LMP2-Judd-Motor, ein schön hochdrehender Sauger, leider vom Aussterben bedroht. Laut ist er zwar nicht, aber das Klangbild ist herrlich. Meines Erachten wird in Sound-Diskussionen zu oft schön mit laut gleichgesetzt.

Ich kann nur jedem raten, sich ein solches Spektakel auf der Tribüne ohne Gehörschutz nicht zu lange anzutun, denn bleibende Schäden sind da sicher möglich. Gerade die Ferraris sind schon an der Schmerzgrenze. Draußen im offenen Gelände, wo sich der Schall mehr verteilt, kann es sicherlich auch länger gehen. Natürlich bleibt die Unsicherheit: Wie lange wird Motorsport noch solchen Sound machen (dürfen)?

Jedenfalls heißt es bald zurück an den Arbeitsplatz, schließlich geht es im Freien Training bereits richtig rund. Der ByKolles-CLM steht in Flammen, der RGR/Morand-Ligier dreht sich in den Kies. Schließlich wird mit rot abgebrochen. Der Bericht muss schneller drauf als geplant. Leichter Stress, aber es geht noch.

Jan Magnussen, Antonio Garcia

Sound-Monster: Wenn die Corvette vorbeifährt, vibriert der Körper Zoom

Zum Qualifying versuchen wir dann etwas Neues: Wir haben eine GoPro zu Testzwecken zur Verfügung gestellt bekommen. Die Kamera an sich macht vom gesamten Equipment etwa ein Prozent aus, der Rest ist komplett Zubehör. Wir müssen leider sehr aufpassen, denn fahrende Autos auf der Strecke dürfen wir aus rechtlichen Gründen nicht filmen. Wir drehen auf der Tribüne und wollen den Sound ein wenig einfangen.

Doch die Boliden sind so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehe. Zwar bringe ich Moderationserfahrung mit, aber in einem solchen Lärm habe ich noch nie geredet. Es ist wirklich unglaublich, man kann nicht mehr klar denken, wenn man sich selbst nicht mehr versteht! Ich versuche noch, es zu schneiden, doch dann bricht es zu plötzlich ab. Leider sind dann am Bildrand auch noch fahrende Autos zu sehen und wir entschließen uns, das Video nicht auf unserer Seite einzubinden. Leichter Frust.

Zum Glück gibt es ja ausreichend Action, die darüber hinwegtröstet. Neel Jani fährt eine frühe Bestzeit, wird aber im Verkehr aufgehalten. Timo Bernhard ist noch schneller, wird aber noch kräftiger aufgehalten. Keiner glaubt zu diesem Zeitpunkt, dass damit bereits die Positionen entschieden sind. Doch es passiert überraschenderweise an der Spitze nichts weiter. Das ist erstaunlich, denn eigentlich geht es noch viel schneller. Und für den Donnerstag ist Regen vorhergesagt.

Blick in die Zukunft

Etwas unwohl fühle ich mich hinsichtlich der GTE Pro: Es zeichnet sich ab, dass Ford und Ferrari dominieren würden. Hat der ACO sich das Szenario zurecht geschnitzt, das er haben wollte? Jedenfalls schneide ich dieses Thema in meinem ersten Videofazit an. Es ist 1 Uhr nachts, als wir drehen, aber draußen wird man wieder richtig wach. Drinnen im Medienzentrum herrscht schon die ganze Zeit eine schrecklich stickige Luft.

Nächstes Ärgernis: Das WLAN. Unsere GoPro schießt selbst auf niedrigster Auflösung so große Videos, dass der Upload im Medienzentrum fast eine halbe Stunde dauert. Scheinbar haben wir die Holzklasse des WLANs bekommen. Trotzdem warten wir geduldig und stellen das Video ein. Ins Bett falle ich um 2 Uhr.

Zu lange schlafen können wir nicht, denn am Donnerstag steht die Pressekonferenz des ACO auf dem Programm. Es geht um die Zukunft von Le Mans. Dass man mit den dort ins Spiel gebrachten Mitteln - weniger Gewicht, breiterer Flügel, DRS ab 2018 - die privaten LMP1 näher an die Werke bringt, glaubt niemand wirklich. Spannend klingt in jedem Fall, dass der ACO Le Mans für weitere Technologien wie Biogas und Brennstoffzelle öffnen möchte. Klingt nach einem netten Technologiewettbewerb in den 2020er-Jahren. Aber da wird noch viel Wasser die Sarthe runterfließen.

Zurück in die Gegenwart, Meet the Team: Diesmal fangen wir bei Porsche an. Die GT-Werksfahrer bestätigen meinen Eindruck: Gegen Ford und Ferrari sind sie absolut chancenlos. Es herrscht Frust im zweiten Stock des Palastes. Regen ist die einzige Hoffnung. Porsche-GT-Chef Dr. Frank-Steffen Walliser bricht auf einer Pressekonferenz sogar in Tränen aus, so groß ist der Druck. Bei Toyota hingegen ist die Stimmung weiterhin gut. Am Donnerstag herrscht viel Zeit. Das erste Training geht erst um 19 Uhr über die Bühne. Zeit, mit dem einen oder anderen Kollegen zu quatschen.

Meteorologie-Ausbildung im Schnelldurchgang

Der Beginn des zweiten Qualifyings ist trocken. Genug Zeit für ByKolles, eine Zeit zu setzen. Doch die Strecke ist "green", Verbesserungen sind nicht möglich. Nach kurzer Zeit setzt der Regen ein. Ich versuche den alten Trick aus der Eifel und werfe das Regenradar an. Ach Mist, wir sind ja gar nicht in Deutschland! Also schnell ein internationales Radar suchen. Tatsächlich finde ich eines, wenn auch umständlich zu bedienen. Sieht gut aus, könnte zum zweiten Training wieder trocken werden. Ein Regenband zieht von Nordwesten durch, aber dahinter kommt erst einmal nichts.

Unsere Aufgabenverteilung an diesem Abend: Sven im Ticker, Roman fängt Stimmen ein und ich hänge am Regenradar. Doch was ich sehe, lässt mich vom rechten Glauben abfallen: Kaum glaubt man, die Regenzelle sei durchgezogen, bildet sich dahinter ein Anwuchs heraus und sorgt für noch mehr Regen! Es ist unglaublich, das Regenband pilzt immer weiter auf. Zwar zieht es nach Südosten weg, wächst aber gleichzeitig genauso schnell in die andere Richtung an. Frust steigt auf, eigentlich wollten wir doch noch Zeitenverbesserungen sehen!

Der Frust sollte schon bald Erheiterung weichen. Der Regen wird im zweiten Qualifying so heftig, dass zunächst ein Audi beinahe auf fast gerader Strecke abfliegt und anschließend der Risi-Ferrari rauskreiselt. Keine Einschläge, also bleibt die Erheiterung ob der Mehrfach-Pirouette des Risi-488. Plötzlich geht ein Raunen durchs Pressezentrum gefolgt von mehreren "Wows". Mein Blick fliegt auf den Monitor. Was ist passiert? Zum Glück sollte ich die Wiederholung schnell gezeigt bekommen. Yannick Dalmas mit einem (unfreiwilligen) irren Drift im Safety-Car! Selbst bei der dritten Wiederholung wird in allen Sprachen noch heftig diskutiert.

Immerhin haben wir so einen Aufhänger für den Sessionbericht. Ein Novum bei 'Motorsport-Total.com', dass ein Safety-Car in einer Trainingssitzung zur Hauptattraktion wird. Einen Vorteil hatte der Regen: Der Bericht konnte quasi mit Fallen der Zielflagge auf die Seite gestellt werden. Das Pressefoto war auch schnell da, schließlich konnte auch der ACO alles bereits frühzeitig arrangieren. Noch schnell ein Video-Fazit drehen, sich wieder über das WLAN ärgern, und diesmal sind wir schon um 1:30 Uhr im Bett!

Rennfreier Tag, kaum weniger Stress

Der rennfreie Freitag ist so etwas wie ein Erholungstag in Le Mans. Alle Beteiligten - seien es Fahrer, Mechaniker, PR-Chefs, Journalisten, Fotografen, Rennleitung, Streckenposten, was auch immer- hatten schon mehrere Tage Strapazen hinter sich. Wir merken bei der Anfahrt (endlich einmal ausschlafen!), dass es merklich voller geworden ist. Wir wollen mit Michelin im Reifenbunker drehen, doch war die Idee, die Alternativroute ins Fahrerlager zu probieren, eine gänzlich schlechte. Wir landen in einem Stau, in dem gar nichts mehr geht.

Was der Grund dafür war, sollte sich uns nie entschließen, denn wir finden auf dem französischen Navi eine Ausweichroute durch einen Schleichweg über Feldwege und fahren dann doch in den Haupteingang rein. Hier ist fast gar nichts los! Okay, wenigstens wissen wir jetzt, welchen Weg wir morgen nicht nehmen werden. Leider müssen wir Michelin absagen. Das ist sehr schade, denn sie hatten sich sehr bemüht, es uns recht zu machen und uns sogar Zutritt zu ihrem VIP Cafe gewährt. Jammerschade, wir holen das nächstes Jahr nach. Versprochen! Wir fahren wieder auf den Medienparkplatz, der mittlerweile ein einziges Schlammloch ist.

Eine große Audi-Pressekonferenz steht auf dem Programm, und zwar in der Lounge außerhalb des Fahrerlagers samt integriertem Pizza-Bäcker. Es fällt eigentlich nicht viel Überraschendes. Wir reden nochmal mit den Fahrern über eine mögliche Änderung des Qualifying-Formats. Anthony Davidson hatte am Vortag ein Shootout ins Spiel gebracht. "Lustigerweise haben wir darüber heute beim Frühstück geredet!", grinst Loic Duval. Einen kleinen Think Tank später schreibe ich den Artikel. Diesmal macht das Medienzentrum früh zu und entsprechend früh sind wir draußen.

Zeit, nochmal ein bisschen mit der GoPro zu filmen. Wir fangen das Village ein, als es mal wieder zu regnen beginnt. Wir stellen uns erst einmal unter. Erst nach ungefähr 15 Minuten fällt uns beiden ein, dass wir ja Regenschirme haben. Man merkt es vielleicht subjektiv nicht, aber anhand solcher Dinge zeigt sich, dass die Woche doch strapaziert. Und das Rennen hat ja nicht einmal angefangen! Wir fahren noch einmal zur SAFER Barrier, um mit der GoPro zu drehen. Endlich ein Video, das von vorne bis hinten gelungen ist! Sven hatte einige gute Ideen für den Drehort und was ich reden soll.

Eine besondere Attraktion sind in Le Mans immer die Fans. Und so werden auch wir mit dem geliehen Clio Diesel gefeiert als wäre es ein LMP1, der da an den - meist betrunkenen - Fans vorbeirollt. Der "Mad Friday" ist berüchtigt in und wir kriegen zumindest einen kleinen Ausschnitt mit, den wir dann auch gleich spontan filmen. Hinter uns veranstaltet noch einer einen Burnout mit einem Camaro. Die Menge tobt. Wir gönnen uns eine Runde Billard im Ferienhaus und sind pünktlich im Bett. Den Schlaf werden wir brauchen.

Gerald Dirnbeck

Im dritten Teil: Ein packendes Rennen und das unfassbare Jahrhundert-Drama um Toyota aus erster Hand.

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