• 26.10.2012 12:18

Zwischen Cricket und Dashahara: Formel 1 am falschen Ort

Das Rennen in Indien ist weiterhin das ungewöhnlichste im Grand-Prix-Kalender der Formel 1, zumindest abseits des Buddh International Circuits

(Motorsport-Total.com/SID) - Wenn die Formel 1 nach Indien kommt, wird immer gefeiert, wenn auch nicht immer die Formel 1. Als die Königsklasse im Vorjahr erstmals in das Land der 1.000 Farben kam, begingen die Hindus gerade das Divali-Fest, das Gegenstück zum christlichen Weihnachten. In dieser Woche feierten sie Dashahara, den Tag des Sieges von Rama über den Dämonen Ravana.

Titel-Bild zur News: Indien

Indien ist anders: Impressionen aus der Boxengasse des Buddh Circuits Zoom

Die bunten Festlichkeiten bräuchte es allerdings nicht, um der Formel-1-Familie zu zeigen, dass es sich um das ungewöhnlichste Rennen des Jahres handelt. Schon die Werbetermine der Fahrer unterscheiden sich grundlegend von den herkömmlichen. Mark Webber spielte Cricket und setzte sich auf einen Traktor, Felipe Massa kredenzte Frucht-Cocktails.

Andere betätigen sich in dem Land, in dem 28 Millionen Menschen ohne fließendes Wasser auskommen müssen und ein Drittel der 1,2 Milliarden unter der Armutsgrenze lebt, missionarisch. Sebastian Vettels Titelrivale Fernando Alonso besuchte beispielsweise im Rahmen eines UNICEF-Projekts Kinder in einer Schule.

Die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Inder beeindruckt alle. Nico Rosberg wurde bei einem Werbetermin mit einem Gemälde überrascht, das ihn mit seinem Silberpfeil zeigt. Der Aachener Architekt Hermann Tilke, der den Buddh International Circuit entwarf, wird überall als "German Guru" gehuldigt.

Noch mehr staunen die besten Rennfahrer der Welt aber, wenn ihre Fahrer sie zur Strecke pilotieren, durch ein endloses Hupkonzert, in fünf Reihen statt der markierten drei und ständig auf der Hut vor Hindernissen wie Tuk-Tuks, Schweinen, Hunden, Kühen oder Fußgängern. "Eigentlich müsstet ihr in Indien unzählige toller Rennfahrer haben", sagt Lewis Hamilton. "Auf den Straßen von Delhi zu fahren ist schließlich gefährlicher als ein Formel-1-Rennen. Wir fahren nur kontrolliert auf leeren Strecken im Kreis."

Doch zur Ausbildung von Profis fehlt die Infrastruktur. "Der nächste Inder, der irgendwann in die Formel 1 kommen wird, sitzt heute noch im Kart", sagt Karun Chandhok, der zwischen 2010 und 2011 immerhin elf Grand Prix bestreiten durfte.

In Neu-Delhi tun sie jedoch viel, um den Menschen die Formel 1 näherzubringen. Die Autobahn-Maut wird ausgesetzt, Restaurants und Kneipen haben sich herausgeputzt. Das "Colonial Cafe" feiert das "Need for speed"-Wochenende mit Freibier und zeigt das Rennen auf Großleinwänden. Im Restaurant des Radisson Blu sind Flaggen gehisst, Reifen als Dekoration angebracht, auf den Rennstrecken-Tischdecken stehen kleine Autos.

Auch an der Rennstrecke bemüht man sich, das Rennen als Event zu verkaufen. "Wir wollen es zum Karneval machen, zu einem echten Familienfest", sagt Samir Gaur, Generaldirektor des privaten Veranstalters Jaypee. Dafür sind die Inder grundsätzlich auch zu haben, doch viele erreicht er gar nicht erst. Statt 95.000 Zuschauern wie im Vorjahr werden diesmal wohl maximal 60.000 Fans am Renntag zur Strecke kommen. "Der Faktor des Neuen ist weg", sagt Vicky Chandhok, Präsident des indischen Motorsport-Verbandes und Vater von Karun.


Fotos: Großer Preis von Indien, Pre-Events


In Wahrheit sind die Preise zu hoch. Die rund 35 Millionen Euro Antrittsgage müssen eben ohne Staatsunterstützung gestemmt werden. Außerdem ist Neu-Delhi wahrscheinlich der falsche Austragungsort. Gaur gibt zu, dass man aus Gründen der Motorsport-Tradition eigentlich woanders hätte hingehen müssen. "Die indischen Renn-Hochburgen sind Mumbai und Bangalore. Dort hätten wir sicher eine größere Fanbasis gehabt", sagt er. "Aber Delhi ist einfach der am schnellsten wachsende Markt in Indien."

Immerhin: Der Kauf von Merchandising-Artikeln, vom T-Shirt über den Bierhelm bis zur Vuvuzela, steigt. Warum, weiß Rahul Barta, Manager des offiziellen Merchandising-Vertriebs: "Die, die nicht dabei sein können, wollen auch ein Teil des Ganzen sein."