• 16.10.2004 15:50

Wie Formel-1-Teams die Sektor-Zeiten analysieren

Renault-Chefingenieur Pat Symonds verrät Ihnen, wie sich Abtrieb, Reifen und Motorleistung auswirken und wie man "spioniert"

(Motorsport-Total.com) - "Wenn wir Ingenieure an eine bestimmte Strecke kommen, dann sind wir gerüstet mit einer Datenbank an Fakten und Zahlen, die es uns erlaubt, die Leistung unserer Autos zu bewerten und das passende Setup auszuarbeiten. Diese Zahlen bezeichnet man als Sektor-Sensibilität und sie legen im Einzelnen dar, wie verschiedene Faktoren die Leistung des Autos in den drei Sektoren auf einer bestimmten Strecke beeinflussen. Wir studieren viele verschiedene Parameter, die vier wichtigsten Faktoren sind Abtrieb, Luftwiderstand, Haftung und die Leistung des Motors."

Titel-Bild zur News: Heckflügel

Mehr oder weniger Flügel, diese Frage beantwortet der Computer

"Wenn man sich Interlagos ansieht, so hat man es mit einer Strecke zu tun, auf der es zwei ähnliche Sektoren gibt, die aus einer langen Gerade und ein paar Kurven bestehen (Sektor 1 und Sektor 3). Dann gibt es einen deutlich engeren Mittelsektor, der für ungefähr die Hälfte der Rundenzeit sorgt."#w1#

"Sektor 1 beginnt auf der Linie der Zeitmessung und beinhaltet drei Kurven: T1, die im zweiten Gang mit rund 95 km/h durchfahren wird, T2, knapp unter 160 km/h im dritten Gang, sowie T3, in deren Ausgang man rund 240 km/h erreicht und die auf die kurze Rückgerade führt, wo der Sektor endet."

In Sektor 2 zählt der Abtrieb

"Sektor 2 beinhaltet acht der zwölf Kurven der Strecke, die von T5, welche mit Vollgas und 240 km/h durchfahren wird, bis zu T10 reicht, die mit knapp unter 80 km/h durchfahren wird. Der letzte Sektor beginnt zwischen T11 und T12 und besteht nur aus einer wirklichen Kurve (T12 mit 110 km/h) und dem Bergaufbeschleunigen aus dieser Kurve heraus durch eine Vielzahl von Knicken, die mit Vollgas durchfahren werden können, bis man wieder an die Linie der Zeitnahme kommt."

"Wenn man das Auto für Interlagos abstimmt, dann muss man die gesamte Rundenzeit so ausbalancieren, dass man auf der Hauptgeraden ausreichend Geschwindigkeit hat, um andere Autos überholen zu können und auch die eigene Position zu verteidigen. Generell haben wir das Ziel, eine Maximalgeschwindigkeit von rund 320 km/h am Ende der Geraden zu erreichen. Wenn wir uns jedoch dazu entscheiden, diesen Top-Speed anzupassen, dann erlaubt es uns die Sektor-Sensibilität, die Auswirkung zu berechnen, die dies auf die gesamte Rundenzeit haben wird. Dies kann illustriert werden, indem man sich zwei extreme Einstellungen anschaut."

Was kostet mehr oder weniger Abtrieb?

"Wenn wir zum Beispiel unsere Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden um 5 bis 8 km/h reduzieren, indem wir mehr Abtrieb verwenden, dann zeigen die Simulationen, dass wir nur ein paar Tausendstelsekunden auf die Rundenzeit verlieren würden. Die Art und Weise, wie dieser Verlust abgeleitet wird, ist sehr interessant. Diese Veränderung würde in Sektor 1 0,06 Sekunden und 0,15 Sekunden in Sektor 3 auf Grund der zwei Geraden kosten, aber man würde durch die vielen Kurven 0,2 Sekunden in Sektor 2 gutmachen."

"Im anderen Extrem würden wir 0,25 Sekunden auf eine ganze Runde gesehen verlieren, wenn wir den Abtrieb reduzieren, um die Geschwindigkeit auf der Geraden um 10 km/h zu erhöhen. Wir würden 0,005 Sekunden in Sektor eins verlieren, 0,15 Sekunden in Sektor 3 gutmachen aber sehr bedeutende 0,4 Sekunden in Sektor 2 verlieren."

Was bringen 5 Prozent mehr Haftung?

"Von einer Einstellung für weniger Abtrieb profitiert die Rundenzeit in Sektor 1 und Sektor 3 (die geringe Anzahl an Kurven in diesen Sektoren bedeutet, dass der Zeitverlust in den Kurven proportional geringer ist) aber dafür zahlt man in Sektor 2 einen hohen Preis. Die Anpassung der Abtriebslevel dreht sich immer darum, Gewinne und Verluste auszubalancieren, weil damit der unvermeidlich höhere Luftwiderstand verbunden ist."

"Wenn wir die gegensätzliche Natur dieser Strecken-Sektoren untersuchen ist es logisch, dass uns eine erhöhte Haftung im zweiten Sektor am meisten bringen würde, da es hier die meisten Kurven gibt. Eine theoretisch um 5 Prozent höhere Haftung (was viel mehr ist, als man sie findet, wenn man zwischen zwei Rennreifen hin- und herwechselt) würde die Gesamtrundenzeit um 1,25 Sekunden reduzieren, wobei 60 Prozent der Zeitenverbesserung (0,75 Sekunden) aus dem zweiten Sektor kommen. Der Vorteil wäre hier drei Mal so hoch wie im ersten und zweiten Sektor (jeweils 0,25 Sekunden)."

Wie viel schneller ist man mit 45 PS Mehrleistung?

"Im Gegensatz dazu würde eine erhöhte Motorleistung im ersten und dritten Sektor mehr bringen. Eine Mehrleistung von 5 Prozent (rund 45 PS), würde im ersten und dritten Sektor 0,2 Sekunden bringen und lediglich etwas über 0,1 Sekunden im zweiten Sektor."

"Warum sind diese Zahlen also für einen Ingenieur im Verlauf eines Rennwochenendes nützlich? Hauptsächlich bilden sie die Basis für den Vergleich der Leistung bei den Autos des Teams und dem Wettbewerb im Verlauf des Rennwochenendes. Wir wissen ungefähr, wo wir in Bezug auf unsere Leistung im Vergleich zu unseren Gegnern stehen und können aus diesem Grund jede Unterschiede in Sachen Geschwindigkeiten und Rundenzeiten auswerten, indem wir diese Zahlen verwenden."

"Wenn wir zum Beispiel in Sektor 2 sehr schnell sind, nicht jedoch in Sektor 1 und Sektor 3, weil wir sehr geringe Geschwindigkeiten auf den Geraden haben, dann fahren wir mit zu viel Abtrieb. Wenn wir diese Geschwindigkeiten jedoch vergleichen und in Bezug auf die Gesamtzeit extrem schnell sind, dann wäre dies ein Hinweis darauf, dass wir mit weniger Sprit fahren als die Konkurrenz. Die Datenbank der Sektoren-Sensibilität stellt den Renningenieuren Referenzpunkte zur Verfügung, die sie brauchen, um gute Entscheidungen zu treffen, wenn sie nach dem konkurrenzfähigsten und fahrbarsten Setup suchen."

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