• 04.11.2012 19:53

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Rosberg & Karthikeyan: "Hätte böse enden können"

Experten analysieren: Wie gefährlich die Kollision zwischen Narain Karthikeyan und Nico Rosberg wirklich war und warum Cockpit-Sicherheit wieder ein Thema ist

(Motorsport-Total.com) - In der achten Runde des Grand Prix von Abu Dhabi kam es heute zu einer gewaltigen Schrecksekunde, als Nico Rosberg von hinten auf Narain Karthikeyan auffuhr, den Kopf des Inders beinahe streifte und wie eine Rakete vom Boden abhob, mit hoher Geschwindigkeit in die Reifenstapel krachte. Aber wie durch ein Wunder blieben beide unverletzt.

Titel-Bild zur News: Pedro de la Rosa vor Nico Rosberg

Das Heck eines HRT wurde Nico Rosberg heute in Abu Dhabi zum Verhängnis Zoom

"Mir geht es gut", bestätigt Karthikeyan, und auch Rosberg kann Entwarnung geben: "Alles super. Es fühlte sich im Auto nicht so heftig an, wie es von außen vielleicht ausgesehen hat." Ausgesehen hat es für 'Sky'-Experte Marc Surer nämlich übel: "Das ist der Horror überhaupt, was im Formel 1 passieren kann, wenn man aufsteigt - dann ist man wirklich nur noch Passagier. Man ist zwar Pilot, aber man kann nicht lenken. Zum Glück gibt es hier große Auslaufzonen, sonst hätte das ganz böse enden können!"

"Die Kurve geht voll, bremsen tut man hinter dieser Kurve. Das war völlig überraschend, wie eine Schikane auf der Autobahn. Das ist sowas von gefährlich, auch in der Formel 1", atmet der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer auf. "Rosberg konnte überhaupt nichts machen und wurde völlig überrascht. Wenn ein Formel 1 bremst, ist das eine Verzögerung von über 4g. Der bleibt vom Gefühl her plötzlich vor einem stehen. Das war eine gefährliche Situation."

Rosberg sah nur noch in den Himmel

"Dort ist es fast noch die Gerade, man fährt dort locker noch Vollgas", nickt Rosberg zustimmend. "Das konnte ich natürlich nicht ahnen. Ich bin ihm voll hinten draufgefahren. Es war ein Schreckmoment. Ich sah blauen Himmel und hoffte, dass ich nicht irgendwo kopfüber lande. Es ist aber recht gut gegangen." Nachdem ihm Karthikeyan erklärt hatte, was geschehen war, konnten die beiden schon wieder lachen - und wurden gemeinsam von einem Scooter-Gespann zurück an die Box gebracht.


FIA-Test mit Cockpit-Kuppel

Karthikeyan hat "in Kurve 16 die Hydraulik verloren. Der Druck fiel komplett auf null ab und das Lenkrad steckte fest. Ich konnte nicht mehr lenken, also musste ich vom Gas gehen, um einen großen Abflug zu verhindern", schildert er die Situation aus seiner Sicht. "Nico war über mir, ich konnte ihn sehen. Das war furchteinflößend. Ich konnte den Unterboden seines Autos ganz genau sehen, so eng war es!" Die Schuld lässt er sich aber nicht unterjubeln: "Er war halt direkt dahinter. Pech für Nico."

Schutzengel waren gnädig

"Nico hatte keine Chance, dem irgendwie auszuweichen", analysiert 'RTL'-Experte Niki Lauda. "Unglaublich, wie er drüber war, Gott sei Dank nichts passiert - Nico auch nicht. Da hat wieder wer mitgeholfen von oben." Surer nimmt Karthikeyan aber in Schutz: "Wenn er nicht mehr lenken kann, steigt er natürlich auf die Bremse, bevor er selbst geradeaus fährt. Beides normale Situationen, die zum Glück gut ausgegangen sind."

Nico Rosberg, Narain Karthikeyan

Mit zwei Scootern wurden die beiden Unfallopfer an die Box zurückgebracht Zoom

"Keiner der beiden konnte die Situation verhindern", stimmt der ehemalige Formel-1-Pilot Anthony Davidson zu. "Kurve 15 geht voll. Es sieht so aus, als komme Öl aus dem Heck des HRT. Als sie in die Kurve einlenken, wird der HRT plötzlich langsamer - völlig unerwartet für Rosberg, der keinen Platz mehr hat." Der Ölspray am Heckflügel, das auf den TV-Bildern zu sehen war, stellte sich im Nachhinein als Hydrauliköl heraus.

Weil der Mercedes von Rosberg nur knapp am Kopf von Karthikeyan vorbeisegelte, erhält die Diskussion um geschlossene Cockpits wieder neue Nahrung. "Wir haben es ja schon in Spa gesehen, mit Romain und dem ganzen Chaos", erinnert Experte Johnny Herbert. "Es ist sehr schwierig, genau zu wissen, was getan werden muss, denn geschlossene Cockpits könnten sehr nützlich sein, aber es gibt auch Nachteile."

Davidson sieht keine Alternative

"Zum Glück ist wieder nichts passiert", ergänzt Davidson. "Ich gehe davon aus, dass über das Thema gesprochen wird, aber unterm Strich haben wir einmal mehr gesehen, dass es sicher war. Ich befürchte nur, dass das eines Tages nicht mehr der Fall sein wird - und dann ist es zu spät. Nur sehe ich einfach keine Alternative. Es ist eine Formel mit offenen Cockpits und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das bald ändern wird."


Fotos: Nico Rosberg, Großer Preis von Abu Dhabi, Sonntag


Damon Hill macht indes einen neuen Vorschlag: "Man könnte die Fahrer fragen, was sie davon halten, und sie wären wahrscheinlich bereit, das Risiko weiterhin auf sich zu nehmen. Aber es gibt noch ein größeres Thema, nämlich die Verantwortung des Sports gegenüber den Leuten, die daran teilnehmen", sagt er und verrät: "Paddy Lowe, der in der zuständigen Kommission sitzt, sagt, dass es unausweichlich ist, dass irgendetwas gemacht werden muss."