• 05.11.2014 09:09

  • von Dominik Sharaf

Rennvorschau Sao Paulo: Vorspiel ohne Höhepunkt

Die WM-Entscheidung kann in Brasilien nicht fallen, trotzdem versprechen Wetterkapriolen, eine Zuverlässigkeitsprobe und Überholmöglichkeiten Spannung

(Motorsport-Total.com) - Beim Brasilien-Grand-Prix am kommenden Wochenende steht viel auf dem Spiel, allerdings nicht der WM-Titel: Wegen der doppelten Punkte beim Saisonfinale von Abu Dhabi wird der in der Gesamtwertung führende Lewis Hamilton sein Erfolgsmärchen von 2008 nicht wiederholen können. Trotzdem steht das Rennen in Sao Paulo (Verfolgen Sie die komplette Action live im Ticker!) ganz im Zeichen des Kampfes um die Krone zwischen ihm und seinem Teamkollegen Nico Rosberg.

Titel-Bild zur News: Samba-Tänzerinnen

Samba-Tänzerinnen in Sao Paulo: Und wer macht auf der Strecke die beste Figur?

Der Schauplatz des Geschehens ist einer der Gegensätze: Das Autodromo Carlos Pace, benannt nach dem in Sao Paulo geborenen und vor seinem Formel-1-Durchbruch bei einem Flugzeug-Absturz tödlich verunglückten Rennfahrer, liegt inmitten der Favelas des 13 Kilometer von der Metropole entfernten Vorortes Interlagos. Armenviertel mit baufälligen Fassaden sorgen für eine eigenartige Kulisse und für ein Sicherheitsproblem. Die Kriminalitätsrate ist so hoch wie an keinem anderen Schauplatz der Saison.

McLaren-Pilot Jenson Button wäre vor einigen Jahren beinahe Opfer einer Entführung geworden, wie sie die Fußballstars in Südamerika besonders fürchten. Eine Gänsehaut haben auf 795 Metern über Normalnull auch die Motoreningenieure: Der Leistungsverlust ist spürbar, die drückende Luftfeuchte tut in Sachen Zuverlässigkeit ihr Übriges hinzu. Außerdem präsentiert die 4,309 Kilometer lange Bahn mit ihren Bodenwellen einen Faktor, der eine hohe Ausfallrate in der Vergangenheit immer begünstigt hat.

Typisch Interlagos: Regen, Buckelpiste, Muskelkater

Dieses fast schon traditionelle Problem sollte in den vergangenen Monaten mit dem ersten Teil einer insgesamt 52 Millionen Euro teuren Sanierung gelöst werden: die Asphaltdecke ist nagelneu. Auch den angestaubten Holztribünen, die unter der Last ekstatischer Fans auch schonmal wackeln, geht es an den Kragen. Deutlich machtloser sind die Organisatoren, was das Wetter in den Tropen betrifft. Interlagos ist bekannt für schwüle Hitze, schnelle Umschwünge, spontane Regengüsse und monsunartige Niederschläge.

Erste Prognosen sagen für das Wochenende Temperaturen von bis zu 29 Grad Celsius und teils heftige Gewitter am Freitag und Samstag voraus, die Zeiten der Sessions könnten aber unberührt bleiben. Am Sonntag soll es auch während des Rennens regnen und die Temperatur deutlich abfallen. Eine zusätzliche Hürde präsentieren den Piloten die Herausforderungen eines Linkskurses, der die Nackenmuskulatur im Zusammenspiel mit der unebenen Oberfläche auf ungewöhnliche Art strapaziert.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Brasilien

Besonders deutlich wird das auf der langen Start- und Zielgeraden, die eigentlich gar keine ist: In den zwei Hochgeschwindigkeits-Knicks kippt der Helm insbesondere gegen Rennende nach außen, weil die G-Kräfte selbst die stärksten Muskeln ermüdet haben. Auch die übrigen Kurven der Berg- und Talbahn haben es in sich, zumal der Kompromiss zwischen wenig Abtrieb für viel Topspeed und viel Flügel für viel Grip so knifflig ist wie auf kaum einem anderen Kurs. Schließlich ist Überholen in Brasilien möglich.

"4,309 Kilometer Bukelpiste." Das ist eine Runde in Interlagos

Mercedes-Piloten warten auf Interlagos-Erfolg

Die erste Kurve in das legendäre "Senna-S", dessen Bremspunkt aufgrund eines Gefälles und einem leichten Einknicken schon vor dem Anbremsen schwierig zu finden ist, war häufig Schauplatz spektakulärer Überholmanöver und ambitionierten Versuchen dazu, die teils spektakulär scheiterten. In der anschließenden zweiten DRS-Zone gibt es außerdem immer eine Kontergelegenheit. Im gewundenen Infield sind Angriffe dagegen möglich, allerdings trennt sich dort insbesondere bei Nässe die Spreu vom Weizen.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

In Brasilien droht Regen, aber gibt es erneut ein Solo für Silber Zoom

Im aktuellen Fahrerfeld befinden sich vier frühere Interlagos-Sieger: Sebastian Vettel gewann "zwischen den Seen" zweimal, auch Felipe Massa triumphierte vor den Toren seiner Heimatstadt schon doppelt Erinnerungen an den bittersten Triumph seiner Karriere. Das Quartett komplettieren Kimi Räikkönen, der sich in Südamerika die WM-Krone aufsetzte und Jenson Button, der 2012 gewann. Die Chancen, dass die Liste erweitert wird, stehen gut, schließlich scheint auch im Herbst der Saison 2014 kein Weg an den Silberpfeilen vorbeizuführen.

Hamilton: Revolutionär konservativ

Als Sieger der vergangenen fünf Rennen reist Hamilton als haushoher Favorit an, kann sich trotz 24 Punkten Vorsprung in der WM jedoch nicht die zweite Krone seiner Karriere sichern. Bei einem eigenen Sieg, einem gleichzeitigen Ausfall Rosbergs und 50 in Abu Dhabi noch zu vergebenden Zählern wäre alles offen. Der Brite ist jedoch in der Lage, aus eigener Kraft Champion zu werden: Ihm genügen zwei zweite Plätze hinter dem Teamkollegen, das Defensivfahren wird er trotzdem nicht für sich entdecken.

Dabei ritt Hamilton jüngst nicht Dauerattacke wie zu Beginn seiner Karriere: "Im Jahresverlauf muss man Risiken ausbalancieren und ich glaube, ich habe bisher nicht zu viele auf mich genommen. Ich tat, was getan werden musste, auf die sicherste Art", sagt er. Für konservative Strategie spricht: Rosberg, der seit sieben Rennwochenenden auf einen Sieg wartet und die Erlösung mehrfach selbst wegwarf, wäre bei einem Brasilien-Erfolg mit Hamilton-Ausfall nur einen Punkt vorne.

Lewis Hamilton

Hamilton kann aus eigener Kraft Weltmeister werden, Rosberg nicht Zoom

In Abu Dhabi hieße das: Hamilton reicht jedes Punktresultat vor dem zweiten Silberpfeil, um die Korken der Rosenlimonade knallen zu lassen. Mercedes wünscht sich für seine beiden Stars ein zuverlässiges Auto, um nicht die Defekthexe über die Verteilung der Meriten bestimmen zu lassen: "Sie sind beide mental stark", sagt Sportchef Toto Wolff gegenüber 'Sky Sports F1'. "Jetzt müssen wir zwei Autos hinstellen, die nicht nur schnell, sondern auch standfest sind, damit wir nicht die WM entscheiden."

Williams & Red Bull in Lauerstellung

Die größte Konkurrenz machen den Stuttgartern nach den Erkenntnissen des US-Grand-Prix erneut Williams und Red Bull, jedoch scheint der Abstand insbesondere im Qualifying nach zwischenzeitlicher Verkürzung wieder so groß wie zu Saisonbeginn - in Austin lagen pro Runde eine Sekunde und mehr zwischen den Formel-1-Welten. Für das Team aus Grove spricht: Massa genießt in Sao Paulo Heimvorteil, Valtteri Bottas ist weiter auf dem aufsteigenden Ast und der Mercedes-Antrieb immer ein Ass.

Außerdem steuert Williams auf Rang drei in der Konstrukteurs-WM zu: Zwar verhindern auch in dieser Frage die doppelten Zähler von Abu Dhabi fast jede Entscheidung, der Vorsprung auf Ferrari ist mit 42 Punkten aber beträchtlich groß. Red Bull muss auf den Joker Reifenverschleiß hoffen. Pluspunkt: Pirelli kam der Christian-Horner-Truppe nach scharfer Piloten-Kritik mit dem Umschwenken hin zu der offensiveren Wahl der Mischungen Soft und Medium (statt Medium und Hart) entgegen.

Sebastian Vettel, Valtteri Bottas

Sebastian Vettel und Valtteri Bottas könnten sich den nächsten Fight liefern Zoom

Das Thema Zuverlässigkeit könnte für Vettel ein erfreuliches werden: In Austin trat der Deutsche den Gang nach Canossa an, wechselte alle Komponenten des Antriebsstrangs und startete aus der Boxengasse, dafür hat er ausschließlich Neuware unter dem Chassis. In Anbetracht der immer hohen Ausfallquote in Brasilien ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die Gunst der Stunde spricht jedoch für Youngster Daniel Ricciardo, der sich in Texas aus dem Titelrennen auch rechnerisch verabschiedete.

Hülkenberg an historischem Ort, Sutil unter Druck

Der Australier überholt in diesen Tagen wie kein zweiter Pilot in der Formel 1. "Wir wollen die Saison mit einem Höhepunkt beenden", unterstreicht Horner. Mögliche Opfer der Bullen sind die Ferrari von Fernando Alonso und Kimi Räikkönen: Während der Spanier zumindest sporadisch das Tempo für sich entdeckt hat, kämpft der finnische Stoiker weiter mit mysteriösen Reifenproblemen. Hinzu kommt, dass die Charakteristik der Bahn dem eher schwachbrüstigen Maranello-Antrieb nicht in die Karten spielt.

Da wittert eher McLaren dank Mercedes-Power seine Chance, jedoch beklagen auch Jenson Button und Kevin Magnussen unerklärliche Abnutzung der Pneus. Die Gelegenheit für Force India und Nico Hülkenberg? Interlagos liegt dem Emmericher, der im Debütjahr 2010 bei halbnassen Bedingungen für eine sensationelle Pole-Position sorgte und 2012 Siegchancen besaß. Allerdings ist das Vijay-Mallya-Team längst nicht mehr in der Form des Saisonbeginn und schwächelt derzeit in allen Belangen.


Force-India-Piloten sprechen über Sao Paulo

Nico Hülkenberg und Sergio Perez stellen sich vor dem Brasilien-Grand-Prix einigen Teamfragen Weitere Formel-1-Videos

Ganz andere Sorgen hat Adrian Sutil: Nach der Verpflichtung Marcus Ericssons bei Sauber muss sich der Bayer möglicherweise für ein neues Cockpit empfehlen, sollte in der Tat ein zweiter Paydriver (Lieblings-Schwiegersohn Giedo van der Garde klopft an die Tür) benötigt werden. Auffallen ist einfacher geworden, schließlich werden nach dem finanzbedingten Aus für Caterham und Marussia in Sao Paulo erneut nur 18 Autos am Start sein und das Qualifying in modifiziertem Modus ausgetragen werden.