• 07.05.2011 19:32

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

McLaren verzockt sich: Keine Reifen gespart

Im Gegensatz zu Schanghai startet McLaren diesmal mit Reifen-Handicap gegenüber Red Bull, das Team gibt die Hoffnung auf den Sieg aber nicht auf

(Motorsport-Total.com) - In Schanghai war Lewis Hamilton schlauer als alle anderen, indem er im Qualifying möglichst wenige Runden fuhr und somit im Rennen einen zusätzlichen Satz frischer Pirelli-Options (weichere Gummimischung) zur Verfügung hatte. Auch sonst sparte der McLaren-Pilot Reifen, was ihn tags darauf tatsächlich in die Position brachte, kurz vor Schluss die Führung zu übernehmen und zu gewinnen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton möchte morgen wieder seine "Racecraft" unter Beweis stellen

Heute in Istanbul kam es genau andersrum: Während die Red-Bull-Piloten Sebastian Vettel und Mark Webber nach nur einem Run in Q3 seelenruhig ausstiegen und der Konkurrenz dabei zuschauten, wie sie sich an ihren Zeiten die Zähne ausbiss, gingen Hamilton und Jenson Button noch ein zweites Mal auf die Strecke - in der Hoffnung, die erste Reihe angreifen zu können. Doch die anvisierte Steigerung blieb aus, die Startplätze vier und sechs einzementiert.

"Im Motorsport ist es halt so, dass man im Nachhinein häufig klüger ist. Ich hoffe, dass sich das morgen nicht groß auswirken wird", ärgert sich Teamchef Martin Whitmarsh über den verschenkten Reifensatz, der nun drei Runden mehr auf dem Buckel hat als notwendig. Das Rausfahren sei aber nicht aus einem Fehler heraus entstanden, sondern: "Es ist im Qualifying sehr eng zugegangen, also haben wir uns bewusst so entschieden."

Geopferter Reifensatz kein Handicap?

"Das Qualifying war so eng, dass es aus unserer Sicht richtig war, in Q3 zwei Sätze zu fahren", findet Button. "Es ist nicht aufgegangen, denn es geht halt nicht jedes Mal auf, aber zu dem Zeitpunkt war die Entscheidung richtig, denn wir dachten, dass wir ein paar Plätze gutmachen könnten. Wir haben einen Satz frischer Options weniger, aber ich glaube, dass die Strategie morgen eine größere Rolle spielen wird als dieser eine Reifensatz."

Hamilton nimmt die Sache weniger locker: "Im Nachhinein betrachtet hätte es auch eine schnelle Runde getan", meint er achselzuckend, begründet aber: "Mercedes und Ferrari haben an Tempo zugelegt. Die sind uns ganz schön auf die Pelle gerückt. Da war es mir lieber, auf Nummer sicher zu gehen. Manchmal funktioniert es halt, manchmal nicht. Natürlich wollen wir in Zukunft immer einen Satz sparen, aber das hängt auch von unserer Pace ab."

Etwas anderes bereitet ihm viel größere Sorgen: "Dass wir auf der schmutzigen Seite der Startaufstellung stehen", so Hamilton. "Der Unterschied zwischen sauberer und schmutziger Seite ist hier ziemlich groß. Daher ist das Wichtigste, keine Plätze an Fernando und Petrow zu verlieren. Wenn wir unsere Position halten können, dann sollten wir dazu in der Lage sein, Rosberg anzugreifen. Unser Longrun-Tempo müsste besser sein als ihres."

¿pbvin|512|3653||0|1pb¿Button nickt zustimmend: "Kein perfekter Tag, aber unser Auto ist auf den Longruns gut. Wenn ich mir einige der Teams um uns herum anschaue, dann bezweifle ich, ob die auf den Longruns auch so konkurrenzfähig sind. Ich bin mir nicht sicher, aber das ist mein Gefühl. Daher traue ich uns auch vom vierten und sechsten Platz noch ein gutes Ergebnis zu", analysiert er und fügt an: "Die Balance war heute okay, aber ich fand einfach nicht genug Grip."

Dass der MP4-26 auf den Bodenwellen vor Kurve zwölf von allen Autos am meisten durchgeschüttelt wird, scheint das geringste Problem zu sein. Hamilton winkt ab: "Ich glaube nicht, dass wir dort verwundbar sind. Wir haben einiges verändert, um das Problem zu lösen. Es ist besser geworden, aber es ist noch nicht weg, aber wir umfahren es einfach. Die Linie, die wir dort fahren müssen, ist unweigerlich ein bisschen anders, aber das kostet nicht allzu viel."

Nicht arrogant, sondern selbstsicher

Dass es sich Red Bull leisten konnte, am Ende gar nicht mehr rauszufahren, obwohl McLaren alles daran setzte, die Pole-Position doch noch zu attackieren, wirkt fast verhöhnend. "Sie sind einfach zu schnell - es fällt ihm ja ganz leicht, diese Runden zu fahren", sagt Hamilton über Vettel, der nur noch drei weitere erste Startplätze benötigt, um Ayrton Sennas Rekord von acht Pole-Positions hintereinander einzustellen.

"Wenn du so einen Vorteil hast, kannst du selbstsicher sein", sagt Button über die Red-Bull-Taktik. "Ich würde es nicht arrogant nennen, sondern Vertrauen ins Auto und Vertrauen, dass sie auf ihrer Runde das Beste herausgeholt haben. Da dachten sie sich dann, dass sie - genau wie Lewis beim letzten Rennen - einen Satz sparen können. Für Lewis ist das aufgegangen, aber es war beim letzten Rennen sicher nicht nur der eine Satz, der entschieden hat."

"Wir können dieses Rennen immer noch gewinnen." Martin Whitmarsh

Auch Teamchef Whitmarsh hat den Grand Prix der Türkei noch lange nicht aufgegeben: "Wir können dieses Rennen immer noch gewinnen, wenn wir es auf die Reihe bekommen und andere nicht", glaubt er. "Uns ist klar, dass Red Bull im Moment sehr stark ist und dass wir dieses Wochenende nicht den Schritt gemacht haben, den wir gerne gemacht hätten. Das macht uns aber nur noch entschlossener, es in zwei Wochen zu schaffen."

Für Barcelona soll nämlich ein großes Update kommen, wohingegen man sich für Istanbul darauf konzentriert hat, die bisher verfügbaren Teile feinzutunen. Hinzu kommt, dass eine neue Komponente am Donnerstag auf dem Prüfstand kaputt gegangen ist. Das Regentraining am Freitag hat bei der Weiterentwicklung ebenfalls nicht geholfen. "Daher haben wir nicht die Leistung gebracht, die wir uns vorgenommen hatten", gibt Whitmarsh zu.

Hamilton weiß, dass McLaren in Barcelona zulegen muss, kann der heutigen Situation aber auch etwas Gutes abgewinnen: "Obwohl wir dieses Wochenende keinen Schritt nach vorne gemacht haben, ist der Abstand noch ähnlich wie beim letzten Rennen, zumindest im Qualifying", sagt er im Hinblick auf Red Bull. "Nur die anderen haben aufgeholt, aber wir haben für die Zukunft hoffentlich einige gute Neuerungen."