• 22.02.2009 17:12

  • von Dieter Rencken

Massa: "Sehe Michael als großen Bruder"

Felipe Massa im Interview: Über sein Verhältnis zu Michael Schumacher, die neue Formel 1 und den Vergleich zwischen PlayStation und Simulator

(Motorsport-Total.com) - Eigentlich müsste Felipe Massa nach der unglaublich dramatischen WM-Niederlage 2008 ein gebrochener Mann sein, doch anscheinend hat der Ferrari-Pilot die Ereignisse von São Paulo gut verkraftet. Zumindest wirkte er bei einem Treffen mit 'Motorsport-Total.com' am Wochenende keineswegs verbittert, sondern voller Tatendrang und überaus gut gelaunt.

Titel-Bild zur News: Dieter Rencken und Felipe Massa, Kyalami

Felipe Massa im Gespräch mit unserem Redakteur Dieter Rencken

Massa kam auf Einladung von Ferrari-Partner Shell nach Kyalami, um der A1GP-Serie, die von Ferrari mit Motoren beliefert wird, einen Besuch abzustatten. Der 27-Jährige schüttelte zahlreiche Hände, posierte für Erinnerungsfotos mit fast allen Teams und drehte nebenbei eine Runde mit dem Safety-Car, einem Ferrari 599 GTB Fiorano, wie er ihn auch selbst in der Garage stehen hat. Nach der begleitenden Pressekonferenz nahm er sich Zeit, um in aller Ruhe unsere Fragen zu beantworten.#w1#

Zufrieden mit den Testfahrten

Frage: "Felipe, du kommst gerade vom Test in Bahrain. Wie ist es dort gelaufen?"
Felipe Massa: "Nicht schlecht. Es ging vor allem darum, das neue Auto und das neue Reglement verstehen zu lernen. Wir haben gute Fortschritte gemacht, viele Kilometer zurückgelegt. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, das Auto zu verbessern. Ich hoffe, dass wir gleich beim ersten Rennen konkurrenzfähig sein werden. Wir haben jetzt noch zwei wichtige Tests, einen in Jerez und einen weiteren in Barcelona."

"Ich habe Michael immer mehr als großen Bruder und weniger als Gegner gesehen." Felipe Massa

Frage: "Michael Schumacher hatte den Ruf, sehr egoistisch zu sein - Rubens Barrichello kann ein Lied davon singen. Du hattest und hast aber ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Worauf führst du das zurück?"
Massa: "Ich bin mit all meinen Teamkollegen und mit allen, mit denen ich zusammenarbeite, immer fair umgegangen. Das gilt vor allem für Michael. Natürlich war er auf der Strecke mein Gegner, den ich schlagen wollte, aber er war noch viel mehr. Ich habe Michael immer mehr als großen Bruder und weniger als Gegner gesehen."

"Ich wusste 2006 sehr früh in der Saison, dass er aufhören wird. Das hätte er mir nicht sagen müssen, aber er war so freundlich und hat es getan. Schon als ich noch Ferrari-Testfahrer war, hat er sich gut um mich gekümmert. Das alles hat mir gezeigt, dass ich bei Ferrari eine Zukunft habe, also tat ich alles, um Michael zum WM-Titel zu verhelfen. Auch heute haben wir ein sehr enges Verhältnis. Michael und ich, wir sind wie eine Familie. Wir telefonieren zwar nicht jeden Tag, aber mindestens einmal im Monat unterhalten wir uns in Ruhe."

Frage: "Worüber unterhaltet ihr euch dann?"
Massa: "In letzter Zeit viel über sein Motorradfahren, denn er nimmt das ziemlich ernst (grinst; Anm. d. Red.)."

Frage: "Ist es wirklich so, dass er dich als jüngeren Bruder sieht und du ihn als älteren Bruder?"
Massa: "Also, ich habe natürlich meinen eigenen Bruder und meine eigene Familie, aber das Feeling mit Michael ist ziemlich ähnlich."

WM-Niederlage längst verdaut

Frage: "Wie hast du dich am Morgen nach der knappen WM-Niederlage beim Brasilien-Grand-Prix gefühlt?"
Massa: "Am nächsten Morgen habe ich überhaupt nichts gefühlt, denn da habe ich geschlafen - ich bin spät aufgestanden. Natürlich war mein erster Gedanke nach dem Aufwachen, was in jenem Rennen passiert ist. Ich bin aber kein Typ, der so etwas lange nachtrauert, denn wenn man das tut, endet man als frustriertes Mauerblümchen. Stattdessen sehe ich es als Lebenserfahrung."

"Diese Dinge haben immer einen Grund." Felipe Massa

"Manchmal erlebt man etwas, womit man nicht gerechnet hätte, aber diese Dinge haben immer einen Grund. Lewis hat den Titel 2007 auch knapp verpasst, aber 2008 ist er Weltmeister geworden. Vielleicht hätte er den Titel 2007 eigentlich mehr verdient gehabt, aber so ist es nun mal."

Frage: "Hat dich diese Erfahrung stärker gemacht?"
Massa: "Ich glaube schon. Man muss sich an so etwas jedenfalls aufraffen und darf nicht nach Entschuldigungen suchen. Wenn wir gewinnen, gewinnen wir, wenn wir verlieren, verlieren wir, wenn wir einen Fehler machen, machen wir einen Fehler. That's it. Die Weltmeisterschaft war großartig und wurde erst in der letzten Kurve entschieden. Beinahe hätte ich gewonnen, aber beinahe ist nicht genug. Trotzdem war das der Beweis, dass wir die ganze Saison hindurch sehr stark waren."

Frage: "Wie viele Fernseher hast du beim Anschauen der Rennwiederholung kaputt gemacht?"
Massa: "Ich keinen, aber Präsident Montezemolo hat seinen sicher zerschmettert (grinst; Anm. d. Red.)!"

Frage: "Du wärst der erste Fahrer seit Alberto Ascari in den 1950er-Jahren gewesen, der zu Hause den WM-Titel geholt hätte. Dieses Jahr findet das letzte Rennen in Abu Dhabi statt. Was wirst du unternehmen, um trotzdem in Brasilien Weltmeister zu werden? Lewis Hamilton hat diese Chance nicht, du schon..."
Massa: "Ich werde natürlich alles versuchen, um schon beim vorletzten Rennen Weltmeister zu werden (lacht; Anm. d. Red.)!"

Vertrauen in den Teamchef

Frage: "Bei Kimi Räikkönens WM-Titel 2007 war Ferrari zumindest gefühlt noch ein Jean-Todt-Team, 2008 war es bereits ein Stefano-Domenicali-Team. Glaubst du, dass ihr 2009 unter Stefano Domenicali noch stärker sein werdet?"
Massa: "Ich glaube schon. Es ist natürlich der Plan, immer besser zu werden. Stefano ist ein harter Arbeiter, aber auch ein netter Kerl. Er ist ein ganz anderer Charakter als Jean Todt, aber er hat bewiesen, dass er diesem Job gewachsen ist. In seinem ersten Jahr war er gleich sehr erfolgreich. Hoffentlich werden wir nächstes Jahr noch erfolgreicher sein! Ich habe ein hervorragendes Verhältnis zu Stefano. Ich unterstütze ihn in allem, was er macht."

¿pbvin|512|1182||1pb¿Frage: "Es gibt beim neuen Auto viele Veränderungen. Wie fühlt es sich an? Ist es ganz anders als erwartet?"
Massa: "Es hat sich viel geändert, klar. Am Anfang musste man sich daran gewöhnen, aber nach ein paar Runden war es okay. Inzwischen fühle ich mich am Steuer recht wohl und ich habe mich an die neuen Regeln gewöhnt, daher glaube ich nicht, dass es beim ersten Rennen einen allzu großen Unterschied machen wird."

Frage: "Beim Testen in Bahrain gab es bei Kimi Räikkönen eine Schrecksekunde mit KERS. Hattest du auch Probleme?"
Massa: "Ja, auch ich hatte ein kleines Problem, aber kein so schlimmes, dass man das System hätte wegwerfen müssen. Es war einfach ein kleiner Defekt, mit dem wir nicht gerechnet hätten. KERS hat ein Leck in einem anderen Bereich verursacht. Aber wie gesagt: Das war keine große Sache."

Frage: "Habt ihr irgendwelche Sicherheitsprobleme?"
Massa: "Das könnte man meinen, aber nein, es läuft alles sehr gut."

Keine Angst vor KERS

Frage: "Trefft ihr Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass du nicht Auto und Boden zum gleichen Zeitpunkt berühren kannst?"
Massa: "Nein. Der Fahrer ist im Cockpit am sichersten. Wenn wir einmal ein Problem haben, was bisher nicht der Fall war, dann muss man halt so herausspringen, dass man Auto und Boden nicht gleichzeitig berührt."

"KERS bringt mehr Leistung, also mag ich das System." Felipe Massa

Frage: "Wenn du die Wahl hättest, würdest du dann lieber mit oder ohne KERS fahren?"
Massa: "Der Fahrer will immer mehr Leistung. KERS bringt mehr Leistung, also mag ich das System."

Frage: "Was sagst du zu den neuen Slicks? Gibt es Probleme mit dem Aufwärmen des Gummis?"
Massa: "Wir hatten in Bahrain drei verschiedene Mischungen. Zwei davon haben sehr gut funktioniert, während eine ein zu hohes Betriebstemperaturfenster hatte. Diese Mischung auf Temperatur zu bekommen, war schwierig. Wir müssen einfach die Strecken und die Bedingungen genau kennen, dann werden wir hoffentlich keine Probleme bekommen."

Frage: "Hast du den verstellbaren Frontflügel schon getestet?"
Massa: "Ja. Ich komme gut damit zurecht."

Frage: "Ihr habt nun einen Knopf für den Frontflügel, einen Knopf für KERS - das muss einem doch vorkommen wie eine PlayStation, oder?"
Massa: "Ja, aber ich spiele viel auf der PlayStation, also ist das kein Problem (lacht; Anm. d. Red.)!"

Frage: "Welche Spiele spielst du auf der PlayStation?"
Massa: "Alle! Ich spiele Formel 1, Gran Turismo 5 und viel Fußball!"

Simulator in Turin

Frage: "Ihr habt in Maranello einen Simulator, nicht wahr?"
Massa: "Jein. Wir haben einen, das stimmt, aber nicht in Maranello, sondern bei FIAT in Turin. Der ist natürlich viel fortschrittlicher als die PlayStation, aber hinsichtlich der Grafik ist der Unterschied nicht so groß. Ich muss sagen, dass die PlayStation viel Spaß macht!"

"Der KERS-Knopf ist einfach zu bedienen." Felipe Massa

Frage: "KERS, Slicks oder die neue Aerodynamik, was ist die größte Veränderung für dich als Fahrer?"
Massa: "Die Aerodynamik. Den KERS-Knopf kannst du beim Herausbeschleunigen aus der Kurve drücken oder am Ende der Geraden, ganz egal. Das ist einfach zu bedienen. Die Slicks bringen einfach mehr Grip, vor allem wenn sie neu sind."

"Der verstellbare Frontflügel ist nicht so einfach zu kapieren, aber nach ein paar Tagen automatisiert sich das auch. Aerodynamisch gesehen haben wir viel weniger Grip. Wir rutschen viel mehr. Das macht unser Leben schwieriger, darauf muss man sich einstellen. Aber beim Test in Bahrain war ich mit dem Auto sehr zufrieden - es war schon besser als in Mugello, auch stabiler."

Frage: "Dieses Jahr gibt es nur 17 Rennen und viel weniger Tests. Was unternimmst du, um die Rennschärfe nicht zu verlieren?"
Massa: "Natürlich muss man sich viel mehr auf die Fitness konzentrieren, um immer fit zu sein, wenn man im Auto sitzt. Selbst bei den Tests fahren wir mehr als 100 Runden am Tag. Außerdem muss man versuchen, den Kontakt zum Team zu halten, denn wenn weniger getestet wird, sieht man die Ingenieure weniger oft. Ich glaube, die Nähe zum Team ist in dieser Saison aus Fahrersicht fast noch wichtiger. Aber die Situation ist für alle gleich. Wir alle müssen uns an die neuen Regeln gewöhnen, speziell wegen der Wirtschaftskrise. Das ist im Interesse des Motorsports."

Frage: "Wirst du mehr als früher auf die Kartbahn gehen?"
Massa: "Ja. Ich liebe das Kartfahren und ich werde noch mehr als früher trainieren."

Frage: "Gibt es bei Ferrari eine interne Nummer eins?"
Massa: "Nein. Ferrari hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass beide Fahrer gleich behandelt werden. Kimi ist 2007 Weltmeister geworden, aber im Vorjahr habe ich um den WM-Titel gekämpft. Jetzt haben wir wieder die gleiche Ausgangsposition - und das ist auch richtig so."