• 19.10.2006 13:10

  • von Inga Stracke

Inga on Tour: Samba, Sonne und Caipirinha

'F1Total.com'-Reporterin Inga Stracke verabschiedet sich von Michael Schumacher und freut sich auf Samba, Sonne und Caipirinha in Brasilien

(Motorsport-Total.com) - Hallo, liebe Formel-1-Fans! Jetzt steht er also an, der letzte Saison-Grand-Prix und vor allem: der letzte Grand Prix von Michael Schumacher - eigentlich müsste ich wirklich mal ausrechnen, wie viele Stunden ich in den letzten Jahren damit verbracht habe, auf ihn respektive seine Ausführungen über sich und seinen Dienstwagen zu warten. Jeden Freitag nach dem Training, jeden Samstag nach der Qualifikation, jeden Sonntag nach dem Rennen. 1994 und 1995 vor Benetton, seit 1996 vor Ferrari, bei Sonne und Regen, und das soll jetzt alles enden? Was mache ich dann nur?

Titel-Bild zur News: Fans von Rubens Barrichello

Die brasilianischen Fans sind bekannt für ihr überschäumendes Temperament

Spaß beiseite, es ist natürlich super schade, dass er geht, aber ich baue fest auf unsere anderen deutschen Piloten - ist ja nicht so, dass wir nicht genügend hätten: Ralf Schumacher, Nick Heidfeld und sein BMW Sauber F1 Team Testkollege Sebastian Vettel, auf den ich große Hoffnungen setze, Nico Rosberg, der hoffentlich nächstes Jahr mit einem besseren und vor allem zuverlässigeren Wagen sein Talent zeigen kann, sowie die Testpiloten Markus Winkelhock und Adrian Sutil.#w1#

Erdbebenschock beim Zwischenstopp auf Hawaii

Michael Schumacher und Inga Stracke

Ein letztes Mal interviewt Inga Stracke Michael Schumacher für 'F1Total.com' Zoom

Apropos Sutil: Ich hoffe, er hat das Hawaii-Erdbeben genauso gut überstanden wie ich! Es war ja eigentlich ein perfekter Zwischenstopp auf dem Weg von Japan nach São Paulo, die Tage im Paradies zu verbringen. Doch als Sonntagfrüh die Erde bebte, hatte ich ganz schön Angst; es schien wie eine Ewigkeit und alles wackelte und schepperte. Regale fielen um, das Haus ruckelte vor und zurück, und dann natürlich gleich die Angst vor einem Tsunami. Der blieb aber Gott sei Dank aus. Da werde in São Paulo sicherlich einige Erlebnisse austauschen können, denn die Idee zum Zwischenstopp hatten viele - auch einige Teams und Journalisten.

Kommen wir aber wieder zum Thema der Woche: Brasilien. Samba und Sonne - Brasilien ist das Land der guten Laune, aber São Paulo ist nicht jedermanns Sache, und im Laufe der Jahre hörte ich an der Strecke von Teamleuten und Kollegen nicht immer die besten Geschichten! Da war zum Beispiel die Spinne, die aus der Klimaanlage kroch und sich bei einem Mechaniker im Hals festbiss - er war am nächsten Morgen bereits wieder in der Box, aber mit einem dicken Verband am Hals -, da wurden Computer aus Fünf-Sterne-Hotels vom Schreibtisch aus dem Zimmer geklaut. Dazu gibt es jedes Jahr jede Menge hübsche sambatanzende Brasilianerinnen (Ein guter Bekannter von mir ist inzwischen nicht nur verheiratet, sondern auch stolzer Vater, und alles begann in São Paulo. Damals "arbeitete" sie noch...) und natürlich das Nationalgetränk, Caipirinha: Zucker, Limonensaft, Eis und jede Menge Pitu beziehungsweise Cachaca, brasilianischer Zuckerrohrschnaps. Salut!

Noch immer wohnen einige Piloten und Teams im Hotel 'Transamerica'. Früher ist hier fast die gesamte Piloten- und Teamchefriege abgestiegen. Es ist das der Rennstrecke nächste Hotel und bietet exzellenten Komfort. Der Swimmingpool ist immer gut besucht, im Fitnesscenter trainieren die Piloten auf dem Laufband, draußen spielen sie Golf oder Tennis - in den Tagen, bevor der Ernst losgeht, ist im 'Transamerica' eine entspannte Atmosphäre!

Frühstück im Fahrerhotel 'Transamerica'

Hotel Transamericana

So sieht die Lobby des Fahrerhotels 'Transamericana' in São Paulo aus Zoom

Im achten Stock des VIP-Turms gibt es eine eigene Rezeption, eine Lounge und einen eigenen Frühstücksraum. Dort kann es schon mal passieren, dass Konkurrenten an Nebentischen speisen. Weil die Fans natürlich wissen, dass die Piloten hier wohnen, stehen sie vor dem Eingang Schlange. Deshalb hat das 'Transamerica' an den Grand-Prix-Wochenenden immer einen besonderen Sicherheitsservice, der nicht nur das gesamte Hotel bewacht, sondern auch gezielt den Aufzug zum VIP-Trakt.

Auf dem Weg zum Kurs kommt man an einigen Favelas vorbei. In den vergangenen Jahren wurden diese kurz vor dem Grand Prix teilweise immer aufgeräumt, doch wer die Augen nicht zumacht, sieht sie trotzdem. Eine Kollegin hat dies so bewegt, dass sie eine Stiftung für brasilianische Straßenkinder ins Leben gerufen hat. Respekt und Anerkennung!

Brasilien ist stolz auf seine Formel-1-Geschichte! Der erste Brasilien-Grand-Prix fand 1973 in Interlagos statt, 1978 wurde erstmals in Rio de Janeiro gefahren, zwölf Jahre später wurde der neue Interlagos-Kurs in São Paulo eingeweiht. Drei Brasilianer haben zusammen nicht weniger als acht Weltmeisterschaften gewonnen: Ayrton Senna triumphierte dreimal, ebenso Nelson Piquet. Emerson Fittipaldi wurde zweimal Formel-1-Champion.

Nach dem tragischen Tod Sennas 1994 ging das Formel-1-Interesse in Brasilien zurück. Auf Rubens Barichello lastete ein riesiger Druck, an dem er fast zerbrach, den er jedoch mit viel Willenskraft und Nationalstolz gemeistert hat. Mit ihm sind auch wieder mehr brasilianische Flaggen auf die Tribünen in Interlagos zurückgekehrt. Mit Barichello und Felipe Massa bestreiten dieses Jahr zwei Brasilianer ihren Heim-Grand-Prix. Viele Kolumbianer sind enttäuscht: Sie hatten ihre Tickets schon gekauft, als Juan-Pablo Montoya bei McLaren-Mercedes ausgestellt wurde.

"Emmo" Fittipaldi und sein Copersucar-Debakel

Armenviertel in São Paulo

Auch das ist Brasilien: Armenviertel unweit von der Rennstrecke entfernt... Zoom

Das einzige brasilianische Formel-1-Team der Geschichte existierte von 1975 bis 1979, es hieß Copersucar, benannt nach einem brasilianischem Zuckerhersteller. Emerson Fittipaldi verließ McLaren, um sich dem in São Paulo ansässigen Team anzuschließen, schließlich wurde es von seinem Bruder Wilson geleitet. Im Nachhinein erklärte "Emmo": "Ich habe die schlimmsten Jahre meines Lebens in diesen fürchterlichen gelben Autos verbracht. Das war der größte Fehler meines Lebens!"

Die Strecke in Interlagos ("zwischen den Seen") wurde bereits 1940 von Privatiers gebaut, benannt ist sie nach Carlos Pace, der 1975 hier seinen einzigen Grand Prix gewann, bevor er zwei Jahre später bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam.

Wir haben hier schon viele verrückte Rennen erlebt, zum Beispiel 2003, als Giancarlo Fisichella das Rennen gewann, dies aber erst später festgestellt wurde und er seinen Siegerpokal zwei Wochen später von Kimi Räikkönen sozusagen rücküberreicht bekam. Im gleichen Jahr hatten Juan-Pablo Montoya, Michael Schumacher und Jenson Button unsanfte Berührung mit einem Rennsponsor: gleich drei Styroportafeln krachten im Training auf die Strecke. Ich glaube, 2003 war auch das Jahr, in dem der Raum für die Pressekonferenz überflutet war (auch die Verkabelung war höchst abenteuerlich) und auch im Pressezentrum das Dach nicht dicht war - bei sintflutartigen Regenfällen dachten wir kurzzeitig, wir müssten von einem Speedbootrennen statt eines Grand Prix berichten.

Interlagos ist eine echte Buckelpiste

Verkabelung im Pressezentrum in Interlagos

Unkonventionelle Verkabelung der Computer im Pressezentrum in Interlagos Zoom

Zur Strecke: Die Kurven sind überwiegend langsam bis mittelschnell. Um auf den langen Geraden schnell zu sein, muss die Fahrzeugbalance in den Kurven davor stimmen. Die Geraden verlangen niedrigen Luftwiderstand und damit geringen Abtrieb, um so die für Überholmanöver notwendigen hohen Spitzengeschwindigkeiten zu erreichen. Hingegen fordert das Infield gute Bodenhaftung und Traktion, also hohen Anpressdruck. Interlagos ist als Buckelpiste bekannt, deshalb ist es ebenso wichtig, dass das Fahrzeug von der mechanischen Seite mittels guter Feder-, Stabilisatoren- und Dämpfereinstellung optimal abgestimmt ist. Die ausgesprochen lange Boxenstraße in Kombination mit der allgemeinen Tendenz zu frühen ersten Boxenstopps macht die Strategie für dieses Rennen besonders interessant.

Übrigens: Im Jahre 2002 war Fußballstar Pelé so begeistert, dass er glatt vergaß, die Zielflagge zu schwenken...

So, ich freue mich auf Samba, Sonne (hoffentlich) und Caipirinha - und packe die Koffer zum letzten Mal in diesem Jahr, in der Hoffnung auch gut anzukommen, denn mein Ticket, das ich im März mit der brasilianischen Fluglinie 'Varig' gebucht hatte, wurde leider vor einem Monat annulliert - die 'Varig' fliegt einfach nicht mehr! Dank den supernetten Damen des 'Lufthansa'-Ticketservice in München - sie haben mich auf eine andere Flugvariante umgebucht, allerdings mit zahlreichem Umsteigen. Insgesamt bin ich 22 Stunden unterwegs, um nach São Paulo zu kommen...

Bis dann also, Eure Inga Stracke von der Strecke!

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