• 24.08.2010 19:09

Hinter den Kulissen: Ein typischer Freitag bei Renault

Das Renault-Team gibt Einblicke in die Arbeit am Freitag eines Grand Prix - Die Arbeit dauert meist bis spät in die Nacht

(Motorsport-Total.com) - Auch wenn bei Renault am Abend des ersten Trainingstages oft von einem "normalen Freitag" ohne besondere Vorkommnisse gesprochen wird- der Auftakt zum Grand Prix-Wochenende verläuft alles andere als gemütlich. Der Freitag ist hektisch, auf die Minute durchgeplant und extrem arbeitsreich. Ein anspruchsvolles Programm muss in nur drei Stunden vollständig abgearbeitet werden: der Vergleich der beiden Reifensorten, das Sammeln und Auswerten der zahllosen Telemetriedaten, die Abstimmungsarbeit der Fahrer und Ingenieure. Aber wie läuft so ein "normaler Freitag" in der Box des Renault F1 Teams genau ab?

Titel-Bild zur News: Robert Kubica

Am Freitag wird das Verhalten der beiden Reifenmischungen genau getestet

Um die beschriebenen Aufgaben in der knappen Zeit zu bewältigen, arbeiten Robert Kubica und Vitaly Petrov meist eng zusammen. Jeder übernimmt einen bestimmten Teil des Trainings-Pensums, damit die Techniker möglichst viele Informationen in möglichst kurzer Zeit erhalten. Daneben gibt es natürlich auch Bereiche, die jeder Fahrer für sich ausprobieren muss - etwa das Verhalten und das Gefühl für die Reifen.#w1#

In den beiden Freitagssessions sind die beide Renault R30 mehrfach mit unterschiedlichen Spritmengen unterwegs. Gewöhnlich werden die Piloten zunächst mit einem leicht betankten Auto auf die Strecke geschickt, damit sich Set-up-Änderungen deutlicher auswirken und die Fahrer das Verhalten der Boliden einfacher bewerten können. Bei den folgenden Ausfahrten mit schwererer Spritlast werden Reifen- und Bremsenverschleiß sowie das Renntempo ermittelt. Auf dieser Basis planen die Ingenieure die Strategie beider Fahrer, wobei natürlich auch schon die möglichen Qualifying-Positionen mit einbezogen werden.

Ganz "nebenbei" bietet der Freitag auch die einzige Chance, neue Entwicklungsteile in der Praxis auszuprobieren. Ein Beispiel: Renault testete neue Getriebekomponenten an drei aufeinander folgenden Grand Prix-Freitagen, bevor sie erstmals in Qualifying und Rennen eingesetzt wurden. In Spa-Francorchamps liegt das Hauptaugenmerk natürlich auf dem neuen F-Duct. Erst auf der Strecke wird sich zeigen, ob der viel diskutierte Luftschacht die in Computer und Windkanal erzielten Verbesserungen auch auf die Straße bringt.

Renault-Ingenieur

Die Renault-Ingenieure überwachen jedes Detail der Autos und der Konkurrenz Zoom

Die wohl größte Herausforderung der ersten beiden Trainings besteht darin, die beiden Reifentypen mit ihren unterschiedlichen Laufflächenmischungen miteinander zu vergleichen. Umso mehr, da die Menge der verfügbaren Slicks streng limitiert ist. Für das 1. Freie Training steht lediglich ein Satz der härteren Reifen bereit, der auch nur in dieser einen Session eingesetzt werden darf.

Im 2. Freien Training erhalten die Piloten je einen Satz der weicheren und härteren Variante. Das bedeutet: In jeder Session steht den Fahrern höchstens ein Satz der jeweiligen Gummimischung zur Verfügung - eine Runde auf frischen Reifen hat also echten Seltenheitswert.

Der Freitag in Spa-Francorchamps

Für die anspruchsvolle Strecke von Spa-Francorchamps hat Alleinausrüster Bridgestone aus der vierstufigen Palette die härteste und die weiche (nicht superweiche) Mischung mitgebracht. Diese Wahl berücksichtigt den traditionell hohen Verschleiß und die ultraschnellen Kurven der "Ardennen-Achterbahn". Interessante zusätzliche Herausforderung: Da es in dem belgischen Mittelgebirge auch im Spätsommer häufig kühl ist, könnte es problematisch werden, die härteren Reifen auf ihre optimale Arbeitstemperatur zu bringen.

Das Set-up-Programm wird in Spa voraussichtlich im Experimentieren mit verschiedenen Abtriebsniveaus bestehen. Der erste und letzte Sektor der Runde werden von langen Vollgaspassagen bestimmt, in denen es auf hohe Endgeschwindigkeit ankommt. Im Mittelteil verlangen die vielen Hochgeschwindigkeitskurven wie etwa "Pouhon" dagegen nach viel Abtrieb. Das Renault-Team wird daher unterschiedliche Konfigurationen vergleichen, um zu sehen, welche für die Rundenzeit und die Renntaktik die größten Vorteile bietet.

Vitaly Petrov

Vitaly Petrov wird zum ersten Mal in Spa mit einem Formel-1-Boliden fahren Zoom

Und wie steht es mit der größten aller Kurven, der legendären "Eau Rouge"? Dieser Links-Rechts-Knick durch die Senke des gleichnamigen Bachs stellt heutzutage nicht mehr die ultimative Herausforderung dar, als die sie früher gefürchtet war. Ganz einfach deshalb, weil die heutigen Autos so viel Grip aufbauen. Das heißt nicht, dass die Piloten es am Freitagmorgen an Respekt vor dieser Passage mangeln lassen - aber nach ein paar Aufwärmrunden wird jeder diese einmalige Kombination voll nehmen.

Auch nach dem Abschluss der beiden Freitagssessions geht die Arbeit weiter: Vor dem Samstagstraining darf praktisch alles an den Autos verändert werden. Nicht selten arbeiten die Mechaniker bis in die Nacht oder gar bis zum frühen Morgen, um die Boliden komplett zu zerlegen und wieder aufzubauen. Üblicherweise wechseln sie Motoren und Getriebe, ersetzen die Kühler und einige Aufhängungselemente. Und natürlich nehmen sie auch schon jene Abstimmungsänderungen vor, auf die sich Fahrer und Ingenieure im Debriefing für den Start ins samstägliche Abschlusstraining und Qualifying geeinigt haben.

Die letzte und vielleicht schwierigste Aufgabe am Freitag besteht darin, die Zeitentabellen richtig zu deuten und die eigene Performance richtig einzuschätzen. Wer weiß, dass die Rundenzeiten mit viel oder wenig Benzin an Bord um bis zu vier Sekunden abweichen können, kann sich die Rechenaufgaben der Ingenieure vorstellen. Am hilfreichsten für die Bewertung der eigenen Stärke ist der Vergleich der kurzen und längeren Ausfahrten der Gegner. Aber dank ihrer Erfahrung haben sie am Ende des ersten Trainingstages ein ziemlich klares Bild der Hackordnung gewonnen.