• 25.03.2017 21:03

  • von Thomas Riedel (SPONSORS)

Gastbeitrag: Die Formel 1 braucht eine Soap!

Warum nicht eine TV-Soap entwickeln? Ein Plädoyer für neue Formate in der Formel 1 von Thomas Riedel, dem "Kommunikations-Chef" der Königsklasse...

Titel-Bild zur News: Thomas Riedel, Riedel Communications

Thomas Riedel kann sich völlig neue Formate in der Formel 1 gut vorstellen

(Motorsport-Total.com) - Eine Sache werde ich in letzter Zeit oft gefragt: "Was wird aus der Formel 1?" Schon seit einigen Jahren höre ich immer wieder, dass das Format seine beste Zeit hinter sich habe. Zuschauerzahlen, aber auch stagnierende bis sinkende Sponsoreneinnahmen der Teams lassen diesen Schluss zu. Erschwerend hinzu kommt offenbar ein Generationenkonflikt: Ich habe zwölf Nichten und Neffen im Alter von drei bis 23 Jahren, und es ist schon bemerkenswert, dass sich keiner von ihnen für Motorsport interessiert. Ausgerechnet jetzt muss der Formel-1-Zirkus auch noch ohne Bernie Ecclestone klarkommen.

Seit Anfang der 90er-Jahre bin ich als technischer Dienstleister und Lieferant in der Formel 1 tätig - für Organisatoren, Teams und Broadcaster. Als Unternehmen sind wir zudem bei zahlreichen weiteren Veranstaltungen, Events und Sportformaten aktiv - unter anderem bei der Oscar-Verleihung, bei Olympischen Spielen, beim Superbowl der NFL, bei der Fußball-WM, auf der ATP-World-Tour oder im eSport bei League of Legends.

Grundsätzlich: Ich kann die derzeitigen Stimmen zu einem negativen Trend in der Formel 1 einerseits durchaus nachvollziehen. Ich denke aber auch, dass sich die gesamte Entwicklung als solche auf einem sehr hohen Niveau abspielt und das Format deshalb noch immer ein erhebliches Potenzial hat. Anders wäre es sicher auch nicht zu erklären, dass es dem neuen Besitzer Liberty Media acht Milliarden US-Dollar wert war, die Königsklasse zu erwerben.

Ecclestone-Abgang eine Zäsur für die Formel 1

Aber: Ein hoher Einsatz allein garantiert keinesfalls Gewinn! Man denke nur an die Veränderung in der Management-Struktur, sie markiert eine Zäsur: Weg von einem Mann, der das Geschäft als Regent nach Methoden geführt hat, die man sonst eher von einem Familienunternehmen erwarten würde; vermutlich hin zu einer Struktur, nach der Konzerne organisiert werden. Bernie Ecclestone hat allein mit seiner Autorität vieles erreicht, was vermutlich in alleiniger Betrachtung der Vertragslage unmöglich ausgesehen hätte - seine Worte hatten großes Gewicht. Genau eben diese Veränderung ist die größte Gefahr für das Geschäft.

Die wesentlichen Player in der Formel?1 sind die FIA, die FOM sowie Teams und Broadcaster. Sie alle haben ein gemeinsames Interesse an einer erfolgreichen Entwicklung des Rennserien-Formats, bei dem insgesamt über drei Milliarden US-Dollar umgesetzt werden - ein ausgesprochen starkes Argument für ein Vorgehen mit vereinten Kräften. Gemeinsame Interessen jedoch enden rasch, wenn es um die eigenen Ziele geht.

Bernie Ecclestone, Christian Horner

Der vollzogene Machtwechsel in der Formel 1 stellt eine Zäsur dar Zoom

Die Teams sind schon per Definition Wettbewerber untereinander. Das gilt nicht nur im Sport auf der Rennstrecke, sondern auch im Business. Der Wettbewerb dreht sich um die besten Fahrer und Mitarbeiter, aber auch darum, wer es schafft, die besten Investoren und Sponsoren zu gewinnen. Zweifellos haben auch die anderen Akteure in diesem Gefüge reichlich gegensätzliche Interessen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es im Kern letztlich darum geht, wer welches Stück des Kuchens abbekommt.

Ein kleineres Stück von einem größeren Kuchen?

Die große Gefahr besteht darin, sich bei diesem Wettbewerb zu sehr um die Verteilung des Kuchens zu kümmern, als vielmehr darum, wie der Kuchen gebacken wird. Wenn sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fortsetzt, wird der Gesamtumsatz in der Formel 1 weiter sinken und sich der Wettbewerb um den Profit in diesem Geschäft dadurch vergrößern. Und bevor sich alles in diese Richtung weiterentwickelt, sind jetzt gemeinsame Überlegungen gefragt, wie man das Gesamtinteresse an der Formel 1 wieder steigern könnte. Nur durch spektakuläre, noch schnellere Boliden mit breiteren Reifen jedenfalls nicht.

Ich stelle mir schon lange die Frage, was die Formel 1 im Kern ausmacht. Sport? Entertainment? Die typische Antwort auf diese Frage ist in der Branche: beides. Dieser Antwort schließe auch ich mich sofort an. Umso erstaunlicher erscheint es mir vor diesem Hintergrund, dass viele von der Serie durchgeführte Veränderungen wie die Neuerungen im Reglement keinen sichtbaren Nutzen für den Sport oder das Entertainment haben.

Dieser Umstand ließe sich natürlich damit erklären, dass außerhalb des Formel-1-Geschehens Stehende einfach zu wenig vom Fach sind und daher die Zusammenhänge nicht gänzlich verstehen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um Fehlentwicklungen handelt, die für eine positive Weiterentwicklung des Formats schlichtweg kontraproduktiv sind. Ich neige dazu, die einfache und logische Darstellung zu wählen.

Um das Interesse an etwas zu erhöhen, muss einfach mehr passieren! Es braucht Spannung, Emotionen und überraschende Wendungen. Ein Beispiel: Die Dominanz des Mercedes-Rennstalls der vergangenen Jahre und das undurchsichtige Reglement - der Fan weiß im Laufe eines Formel-1-Rennens häufig nicht, wer überhaupt in Führung liegt - haben das Seherlebnis der Königsklasse nicht unbedingt verbessert.

Jungspunde bringen frischen Wind in die Szene

Ideal wären auch mehr charismatische Darsteller, in diesem Fall: Rennfahrer a la Max Verstappen. Das junge niederländische Talent ist unbedarft und nicht so konventionell wie viele der gestandenen Rennfahrer. Wenn es aufgrund der Entwicklung des Sports schwierig ist, stärker ausgeprägte Persönlichkeiten in die Rennwagen zu setzen, sollten sich die Rennställe überlegen, wie sie interessante Darsteller zumindest in den Nebenrollen besetzen.

Ein weiterer kritischer Begriff bei der Betrachtung der Formel 1 hinsichtlich ihrer Attraktivität ist Hightech. Sie gehört zweifelsohne zur DNA der Formel 1. Und nicht falsch verstehen: Überall dort, wo Technik dazu dient, diesen gefährlichen Sport sicherer zu machen, ist das eine gute Entwicklung. Aber vor allem die Ingenieure neigen auf der anderen Seite dazu, Hightech zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Die Verantwortlichen der Königsklasse sollten sich genau ansehen, ob der Einsatz von Technik für den Zuschauer nicht eher die dramaturgische Wirkung eines Schlafmittels hat. Hier sollten ein spannender Wettbewerb und ein unterhaltsames Gesamterlebnis im Vordergrund stehen.

McLaren-Heckflügel

Allzu hochgestochene Technik hat der Formel 1 nicht immer gut getan Zoom

Technik kann viel helfen, aber leider auch das Gegenteil bewirken. Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren haben zum einen die Performance der Autos gedrosselt und die Sicherheit der Piloten erhöht. Sie haben zum anderen aber durch zahlreiche, für Außenstehende nicht immer einfach nachzuvollziehende Reglementierungen das Selbstverständnis der Formel 1 nicht unbedingt gefördert: ein Autorennen zu sein, bei dem der Schnellste gewinnt.

Seifenoper im TV als Ergänzung zu den Rennen?

Ich wünsche mir den Freiraum für neue Formate innerhalb der Formel 1. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: 20 Rennen finden in der Saison wie gewohnt alle 14 Tage als Sportevent statt. In der Woche zwischen den Rennen entsteht ein neues Format. Hier geht es nicht um Sport - und es ist nicht live: eine fiktive Soap. Die Handlung dafür ist für mein Beispiel von sekundärer Bedeutung. Wichtig ist, dass die Soap in der Formel 1 spielt und die Rennen als Drehorte dienen.

Das gesamte Live-Event der Formel 1 würde so zum "Backdrop" für das neue Format werden. Die Stars der Königsklasse wären die Statisten in der Soap. Für das neue Format interessieren sich sehr wahrscheinlich zunächst weniger die Fans der Formel 1, sondern ein anderes, vermutlich deutlich jüngeres Publikum. Der Sendekanal ist vielleicht auch nicht derselbe Anbieter, der die Formel-1-Rennen überträgt, sondern beispielsweise ein Online-TV-Sender. Nach einiger Zeit könnten Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen: Die Stars der Soap werden zu Celebrities in der Formel-1-Welt, während die uns bekannten Fahrer, Manager, Teams etc. mehr und mehr auch Teil dieser Soap werden.

Spinnen wir dieses Szenario positiv weiter, werden die Fans der Soap irgendwann zu Fans der Formel 1, die auch die Rennen verfolgen. Die Formel-1-Anhänger könnten sich wiederum im besten Fall an dem neuen, erfrischenden Soap-Format erfreuen. Die gesamte Fanbase der Rennserie kann sich auf diesem Weg signifikant vergrößern und es entsteht ein Sub-Format mit unzähligen neuen Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung.


Fotostrecke: Die zehn spektakulärsten F1-Deals

Ist das aufgezeigte Szenario realitätsfern? Ich sage nein. Und es kommt noch besser: Es könnte nämlich nicht nur für die Formel 1, sondern auch für andere Motorsportserien interessant sein.

Thomas Riedel, "Kommunikations-Chef" der Formel 1

Zur Person: Thomas Riedel (49) gründete noch vor dem Abitur in Wuppertal im Jahr 1987 die Firma Riedel Communications, die zukunftsorientierte Echtzeitnetzwerke für Video, Audio, Daten und Kommunikation in Rundfunk-, Event-, Theater- und Industrie-Anwendungen entwickelt, fertigt und vertreibt. Riedel Communications hat seinen Hauptsitz in Wuppertal und beschäftigt an 19 Standorten in Europa, Australien, Asien und den USA über 450 Mitarbeiter.

Hinweis der Redaktion: Dieser Gastbeitrag wurde ursprünglich vom Sportbusiness-Magazin 'SPONSORS' veröffentlicht. Die Publikation auf unserem Portal findet mit freundlicher Genehmigung von 'SPONSORS' statt.