• 15.10.2014 17:17

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Anderson: Wie man das Überholproblem lösen kann

Technikexperte Gary Anderson meint, dass DRS nicht die Lösung, sondern ein Symptom des Überholproblems in der Formel 1 ist, und hat einen Plan in der Tasche

(Motorsport-Total.com) - DRS erleichtert das Vorbeiziehen an einem anderen Auto, aber generell hat es in vielerlei Hinsicht negative Auswirkungen auf das Überholen in der Formel 1. Man muss sich nur in die Lage eines Fahrers versetzen. Man liegt hinter einem anderen Auto und ist schneller: Das einzige, was man jetzt tun muss, ist, beim DRS-Messpunkt aufzuschließen. Und wenn man nahe genug ist, kann man das Manöver durchziehen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Nico Hülkenberg

Durch die heikle Aerodynamik sind echte Überholmanöver in der Formel 1 schwierig Zoom

Die klassische Methode wäre es, auf Fehler zu warten - und den kleinsten Fehler des Vordermannes zu nutzen, um ihn zu attackieren. Oder man hetzt ihn in einen Fehler. DRS verhindert das aber. Der Fahrer ist nicht mehr immer in der Lage, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Stattdessen wartet er auf die DRS-Zone, um es sich einfacher zu machen. Bei einem Grand Prix wird also viel überholt, aber es gibt nicht so viele echte Überholmanöver, wie wir sie eigentlich sehen wollen.

DIE PROBLEME

DRS an sich ist nicht das Problem. Man muss nur die unglaublich komplexen Frontflügel der Autos betrachten. Alle Oberflächen dieser Flügel - die Zusatzflügelchen, die Leitbleche und die Endplatten - sind am absoluten Limit designt. Die Oberflächenströmung liegt also bei 99,9 Prozent des Möglichen. Wenn aber auch nur die geringsten Turbulenzen auftauchen, dann verliert der Frontflügel enorm an Wirkung und das Auto Abtrieb an der Vorderachse.

Und da der Frontflügel den Luftstrom für das gesamte Auto beeinflusst, verliert man auch beim restlichen Auto Abtrieb. Das summiert sich dann zu einem Verlust von wahrscheinlich 20 bis 25 Prozent Abtrieb beim gesamten Auto - mit einem Schwerpunkt an der Vorderachse. Dadurch ist es so schwierig, einem anderen Auto mit geringem Abstand in den Kurven - vor allem, wenn sie schnell sind - zu folgen, um dann auf der Geraden den Windschatten zu nutzen und in der Bremszone vorbeizugehen.

Mercedes-Frontflügel

Die Frontflügel moderner Formel-1-Boliden sind äußerst komplex Zoom

Alles liegt daran, dass die Aerodynamik zu ausgefeilt ist. Alle nutzen CFD (Computer Fluid Dynamics) und Windkanäle, um Aerodynamik-Pakete zu entwickeln, die extrem effektiv und effizient, aber nicht robust genug sind, um auch zu funktionieren, wenn der Luftstrom gestört wird. Durch diese Turbulenzen kommt es dann zu Grenzschichtablösungen.

Bremswirkung verhindert Überholmanöver

Wenn man sich den Frontflügel eines 25 Jahre alten Boliden ansieht, dann fällt auf, dass er viel simpler ist. Man muss kein Aerodynamikexperte sein, um zu erkennen, warum die aktuellen Frontflügel viel empfindlicher sind.

Der zweite Faktor ist das Bremsverhalten der aktuellen Autos, das auf den enormen Abtrieb zurückzuführen ist. Man bremst 100 Meter vor der Kurve und verzögert von 300 auf 50 km/h, wofür man gerade mal 1,25 Sekunden benötigt. Sagen wir mal, unser Auto liegt eine Autolänge hinter einem Konkurrenten, was für die Formel 1 verdammt nahe ist. Die Autos sind 4,5 Meter lang, wir müssen also neun Meter gutmachen, ehe wir mit dem anderen auf gleicher Höhe sind.

Romain Grosjean, Pastor Maldonado, Bremsscheibe

Die rasche Verzögerung eines Formel-1-Autos macht das Überholen schwierig Zoom

Man kann nicht einfach um zehn Prozent später bremsen - und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass einem der andere den Gefallen machen wird und um zehn Prozent früher bremst. Deswegen muss man jetzt auf der Geraden auf gleicher Höhe sein, um den anderen dann in der Kurve auszubremsen.

Pirelli-Reifen suboptimal

DRS ist daher ein großer Vorteil, denn es ermöglicht es dir, dich bis zum Beginn der Bremszone neben den anderen zu setzen oder sogar schon vorbei zu sein. Es ist aber nicht möglich, einfach den Windschatten zu nutzen und das Manöver in der Bremszone durchzuführen.

Gary Anderson

Ex-Jordan-Technikchef Gary Anderson gilt als kritischer Beobachter der Formel 1 Zoom

Der dritte Faktor sind die aktuellen Pirelli-Reifen. Durch ihre Charakteristik passiert es schnell, dass man sich verbremst, oder durchdrehende Räder hat. Daher muss man auf der Bremse sehr vorsichtig sein, um sich nicht zu verbremsen. Der Grund, warum das Überholen in der Formel 1 so schwierig ist, ergibt sich aus der Summe dieser Probleme. Doch was kann man nun tun?

DIE LÖSUNG

Es wäre kein Problem, einfach andere Reifen einzusetzen. Wenn die Formel 1 so ähnliche Reifen wie bis 2010 in der Bridgestone-Ära verwenden würde, dann wäre das Problem mit den ständigen Verbremsern gelöst. Es wäre nicht notwendig, schlechtere Bremsen einzuführen, denn man würde viel mehr erreichen, wenn man einfach den Abtrieb reduziert.

Schon lange wäre es die offensichtliche Lösung für dieses Problem, den Einfluss der Aerodynamik loszuwerden. Wenn man eine Gruppe fähiger Techniker zusammenbringen würde, dann wären sie in der Lage, alleine an einem Nachmittag 50 Prozent des aerodynamischen Abtriebs zu beseitigen. Wenn das einmal erledigt ist und man dann das Gefühl hat, dass die Reifen sogar noch mehr Grip benötigen, dann müsste man sie nur breiter machen.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Die aktuellen Pirelli-Reifen fordern bei den Piloten Verbremser heraus Zoom

Die Konstruktion der Reifen müsste nicht mehr so steif wie bisher sein, weil die Belastungen durch den Abtrieb geringer wären - das Verhältnis dieser zwei Faktoren wäre also viel homogener. Dadurch wäre die Gefahr viel geringer, sich zu verbremsen und dabei die Reifen zu beschädigen, wodurch Überholmanöver auf der Bremse viel wahrscheinlicher wären.

Frontflügel müssen einfacher werden

Durch den vergrößerten mechanischen Grip sollte auch das Tempo in der Kurve bei niedriger Geschwindigkeit höher sein. Da das Auto bei hoher Geschwindigkeit etwas langsamer wäre, würde sich das nicht negativ auf die Sicherheit auswirken. Wenn man dann mehr Grip haben will, dann könnte man das über den Ground-Effect beim Unterboden tun. Das wäre aber nur notwendig, wenn der zusätzliche Grip durch die Reifen nicht verfügbar wäre.

Wäre ich am Schreiben des Regelwerks beteiligt, dann wäre das einmal die Basis, die dann natürlich noch verfeinert werden müsste. Ein weniger komplexer Frontflügel würde zum Einsatz kommen - vielleicht mit nur drei oder vier erlaubten Elementen. Diese aufgeräumten Flügel wären weniger empfindlich und würden auch toll aussehen, so wie das bei Red Bull und Ferrari in Monza der Fall war.

Daniel Ricciardo, Frontflügel

Ganz nach Andersons Geschmack: Der simple Monza-Frontflügel von Red Bull Zoom

Man könnte den Unterboden ändern und den Diffusorknick deutlich nach vorne verschieben und an den Außenseiten des Unterbodens eine Stufe von 25 Millimeter Höhe anbringen, um den Unterboden seitlich zu versiegeln. Ich würde nicht so weit gehen und die Schürzen wieder einführen, denn dann hätten wir deutlich zu viel Grip.

Warum wird nichts getan?

Die grundsätzlichen Eckpfeiler dieses Reglementpakets wären schnell beisammen, dann wäre es eine Frage der Ausarbeitung. Alle sprechen über das Überholen, aber nie wird etwas getan. Das finde ich frustrierend. Wir brauchen also eine Arbeitsgruppe, die sich nach jedem Rennen zusammensetzt, die Ereignisse und das TV-Produkt analysiert und versteht, was die Fans brauchen - und dann Maßnahmen setzt, um dafür zu sorgen, dass das Endprodukt noch besser wird.

Die Arbeitsgruppe "Überholen" und ihre Erkenntnisse vor fünf Jahren hat nicht funktioniert. Davor gab es den CDG-Flügel, der selbstverständlich nie das Licht der Welt erblickt hat. Wie lange wird noch über dieses Problem diskutiert, ehe endlich die logischen Schritte eingeleitet werden und die Aerodynamik beschnitten wird? Wie ist es möglich, dass so viele intelligente Menschen Scheuklappen vor den Augen haben?