Hinter den Kulissen: Was passiert in der Race Control der Formel 1?

Die Race Control der Formel 1 ist der geheimste und zugleich wichtigste Raum im Fahrerlager: Was geht dort vor sich und wer trifft die relevanten Entscheidungen?

(Motorsport-Total.com) - Die Race Control ist der geheimste und zugleich wichtigste Raum im Fahrerlager der Formel 1. Nachdem der damalige Rennleiter Michael Masi in der Saison 2021 beschlossen hatte, seine Mitteilungen an die TV-Zuschauer zu senden, kehrte die Rennleitung ab 2022 wieder zu ihrem alten, eher geheimnisvollen Handeln zurück - und niemand weiß, was sich hinter den Türen abspielt. Bis jetzt!

Titel-Bild zur News: FIA Race Control beim Miami GP 2024

Die Race Control der Formel 1: Hier kommt sonst niemand rein! Zoom

Mit freundlicher Genehmigung von Rolex, dem offiziellen Partner der Formel 1, erhielt Motorsport.com, eine Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, beim Grand Prix von Miami exklusiven Zugang zur Race Control.

Hinter einer unscheinbaren Tür verbirgt sich das Herz des Rennwochenendes: Ein großer, fensterloser Raum, in dem über 30 Personen an drei Tischreihen sitzen.

Diejenigen, die im vorderen Teil des Raumes sitzen, sind lokale Mitarbeiter, die von ACCUS, der amerikanischen Motorsportkommission der FIA, eingeteilt wurden und die gleiche Aufgabe auch auf dem Circuit of the Americas in Austin oder beim Rennen in Las Vegas übernehmen werden.

FIA-Mitarbeiter haben den besten Blick

Das Erste, was auffällt, ist, dass es, abgesehen von einigen kurzen Gesprächen über Kopfhörer, sehr ruhig ist - niemand spricht viel direkt mit seinem Sitznachbarn. Das Zweite ist die hohe Anzahl von Frauen im Raum, vermutlich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis.

Die FIA-Mitarbeiter sitzen im hinteren Teil des Raumes, mit einem erhöhten Blick auf alle Personen vor ihnen und auf die riesige Videowand, die sich fast über die gesamte Vorderseite der Race Control erstreckt.

"Sie sitzen am weitesten hinten und haben den besten Blick auf das, was alle anderen sehen, sodass sie alle Informationen im Blick haben", sagt Roman De Lauw, der FIA-Kommunikationsbeauftragte für die Formel 1, der uns erklärt, wer wo sitzt und welche Aufgaben übernimmt.

Niels Wittich (links) ist Renndirektor der Formel 1

Niels Wittich (links) ist Renndirektor der Formel 1 Zoom

Die schicken blauen Schreibtische, an denen sie sitzen und die mit elektrischen Kommunikationsgeräten vollgestopft sind, werden zu jedem Rennen zusammen mit anderen FIA-Geräten wie beispielsweise den Waagen und den Safety-Cars transportiert. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Systeme bei jedem Rennen die gleichen sind. Jeder Tisch verfügt über eine Vielzahl von Knöpfen und eine Reihe von Videobildschirmen.

Jede Situation aus allen Perspektiven

Ganz am Ende der Reihe sitzt der Videoanalyst, in der Mitte der Renndirektor Niels Wittich, daneben der lokale Rennleiter (in Miami ist es Paul Waiter) und seine Stellvertreter. Sie alle stehen in direktem Kontakt, sodass alle Zwischenfälle schnell überprüft und Maßnahmen - wie die Übergabe an die Sportkommissare oder die Entscheidung über das Safety-Car - getroffen werden können.

Der FIA-Kommunikationsbeauftragte erklärt: "Wenn der Rennleiter nach etwas fragt, das er nicht live auf dem Bildschirm gesehen hat, wenn er eine Wiederholung oder eine Onboard-Aufnahme sehen will, oder wenn er wissen will, ob irgendwo auf der Strecke ein Trümmerteil liegt, dann fragt er den Videoanalysten, der es findet und ihm vorspielt."

"Der Rennleiter und seine Assistenten sind diejenigen, die die Strecke in- und auswendig kennen."

Während sich der Renndirektor um die sportliche Seite kümmert und das Rennen gemäß dem FIA-Reglement durchführt, ist der Rennleiter für die physischen Abläufe auf der Strecke verantwortlich. "Der Rennleiter und seine Assistenten sind diejenigen, die die Strecke in- und auswendig kennen. Sie waren dabei, als die Strecke gebaut wurde, also wissen sie, welche Ausfahrten es gibt, wo sich die Streckenposten befinden und so weiter."

"Im Grunde ist der Rennleiter in Kontakt mit den Leuten, die hier am Schreibtisch sitzen, und den Sportwarten, und sie sind diejenigen, die die Anweisungen geben, was auf der Strecke zu tun ist."

"Alle stehen in direktem Kontakt miteinander"

Auf der anderen Seite des Rennleiters sitzt die Dame, die direkt mit dem Safety-Car zu tun hat, die Kommandos für den Einsatz gibt - und auch den Fahrer über den Stand der Dinge informiert. "Das Safety-Car ist Eigentum der FIA, und wir stehen in direktem Kontakt mit dem Fahrer, sodass wir diesen Teil direkt übernehmen", erklärt De Lauw.

Neben dem Videoanalysten arbeitet der Verantwortliche für das Nachrichtensystem der Rennleitung mit dem Standardnachrichtensystem, das die Teams (über Seite drei der Zeitnahmemonitore) über alle Aktionen oder Überprüfungen informiert.


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Daneben gibt es den Sportdirektor und die Analysten der Rennleitung, deren Aufgabe es ist, in direktem Kontakt mit den Teams zu stehen. "Sie stehen alle in direktem Kontakt miteinander, um Dinge zu besprechen. Die beiden anderen Personen sind diejenigen, die sich um die Teams und ihre Anfragen kümmern", ergänzt De Lauw.

"Wenn also ein Team eine Beschwerde einreicht, wie man es in der TV-Übertragung manchmal hören kann: 'Wir glauben, dass unser Fahrer in dieser Kurve von einem anderen Fahrer getroffen wurde - könntest du dir das mal ansehen' oder 'Wir wurden im Qualifying behindert'. Der Rennleiter erhält diese Meldungen über den Analysten, während der Videoanalyst den Moment finden, ihn herausschneiden und ihm zeigen kann."

Formel 1 Race Control: Jeder Handgriff ist festgelegt

Wir werfen einen Blick auf den Schreibtisch des Rennleiters, ohne zu nah heranzugehen, um niemanden zu stören. "Der Bildschirm des Videoanalysten ist hier nachgebildet, sodass der Rennleiter, wenn er etwas braucht, es direkt sehen kann", erklärt De Lauw. "Er kann live sehen, was der Mann macht, das ist sehr praktisch."

Nachdem wir einen Blick auf das komplexe Meldesystem geworfen haben, das den Status der Strecke mit allen Flaggen anzeigt - zum Beispiel Gelb für einen Unfall -, schauen wir dem Rennleiter über die Schulter, während sich die Autos am Ende der Boxengasse aufstellen.

Der Race Control gibt auch Anweisungen an die Marshalls

Der Race Control gibt auch Anweisungen an die Marshalls Zoom

"Wir stellen uns einfach an die Seite, um sie nicht zu stören", schlägt De Lauw vor. "Sie werden gesehen haben, dass sie über Funk mit jedem in Kontakt treten können, mit dem sie wollen. Und sie haben alle iPads, um sicherzustellen, dass sie auch das Live-Timing und zusätzliche Bildschirme sehen können, wenn sie etwas im Reglement nachschlagen müssen."

Alle Anweisungen des Rennleiters, also gelbe oder doppelt gelbe Flaggen, das (virtuelle) Safety-Car oder Unterbrechungen durch rote Flaggen, werden auf diese Weise erteilt und vom Rennleiter über seine Mitarbeiter, die mit den Sportwaten in Kontakt stehen, umgesetzt.

Ein Beispiel für diesen Vorgang sehen wir, als die Uhr auf den Beginn des Freien Trainings zusteuert und der Assistent des Rennleiters damit beschäftigt ist, in sein Headset zu sprechen und eine Reihe von Knöpfen zu drücken.

"Er spricht mit den Marshalls und vergewissert sich, dass sie alle in Position sind, bevor das Training beginnt", erklärt De Lauw. "Wenn wir zum Beispiel ein Fahrzeug bergen, das auf der Strecke liegen geblieben ist, und wir einen Kran schicken müssen, oder wenn wir Streckenposten auf die Strecke schicken, um Trümmerteile aufzusammeln, dann sind diese Leute diejenigen, die mit den Sportwarten auf der Strecke in Kontakt stehen."

Sicherheit der Fahrer steht im Fokus

In einer anderen Reihe von Schreibtischen sitzen die medizinischen Experten der FIA, die Zugang zu allen Daten haben, die von den biometrischen Handschuhen der Fahrer gesendet werden, die ihre Herzfrequenz überwachen, oder von den Beschleunigungsmessern, die die G-Kräfte der Aufschläge messen und sich in den Ohrstöpseln der Fahrer befinden.

"Jedes Mal, wenn es einen starken Aufprall gibt, wird automatisch ein Alarm auf dem Bildschirm ausgelöst."

"Jedes Mal, wenn es einen starken Aufprall gibt, wird automatisch ein Alarm auf dem Bildschirm ausgelöst", erläutert De Lauw. "Er weiß dann sofort, wie stark der Aufprall war und wo er sich auf der Strecke befindet."

"Wir haben zwar einen Beschleunigungsmesser im Auto, aber ein Sensor im Helm ist noch besser, wenn es um Messungen für medizinische Zwecke geht. Die Messungen sind manchmal anders, weil der Körper auch einen Teil des Aufpralls absorbiert, im Gegensatz zum Auto, das sehr steif ist und nicht viel absorbiert."

Auf diese Weise kann das Ärzteteam die Rennleitung alarmieren, wenn es bei einem Fahrer einen Notfall gibt und ob das Safety-Car und das Medical-Car eingesetzt werden müssen.

Er fügt hinzu: "Wenn das Medical Car eingesetzt werden muss, haben wir auf einigen Strecken Abkürzungen, die sie nehmen können, um schneller vor Ort zu sein, und die medizinischen Teams wissen auch, wo alle Krankenwagen auf der Strecke verteilt sind."


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"Wir haben auch Rettungsteams auf der Strecke, falls ein Fahrer in seinem Auto eingeklemmt ist und sich nicht selbst befreien kann. Es gibt Teams, die den Fahrer aus dem Auto befreien können, und sie können das Halo aufschneiden, wenn es nötig ist."

Jeder Millimeter der Strecke im Blick

Hier wird nicht nur der Gesundheitszustand der Fahrer überwacht, sondern auch der Zustand des Hybridsystems jedes Autos, falls ein mechanischer Defekt auftritt und die Marshalls das Auto bergen müssen.

"Einer von ihnen hat es immer auf seinem Bildschirm, aber wir haben auch jemanden von unserem technischen Team dabei, denn es gibt Fälle, in denen zum Beispiel die ERS-Leuchte nicht mehr sichtbar ist, wenn das Auto komplett ausfällt."

Auf zahlreichen Bildschirm ist jeder Millimeter im Blick

Auf zahlreichen Bildschirm ist jeder Millimeter im Blick Zoom

Eine weitere Reihe von Schreibtischen beschäftigt sich mit dem Timing von Ereignissen, um sicherzustellen, dass die Sitzung wie geplant abläuft oder, falls sie sich verzögert, jeder Bescheid weiß und entsprechend handelt.

Hilfreich ist dabei, dass jeder Millimeter der Strecke auf dem Großbildschirm zu sehen ist. Zusätzlich zu den Fernsehbildern, die zu Hause über die Mattscheibe flimmern, sind mindestens 25 CCTV-Kameras zu finden, die die Strecke überwachen.

Diese sind in Fünferreihen angeordnet, sodass man aus vielen Blickwinkeln sehen kann, wie Kevin Magnussens Haas im ersten Training zum Miami-GP für seine Installationsrunde aus der Box fährt. Auch die Zeitnahme-Bildschirme sind hier ständig zu sehen.

Rennstewards in einem separaten Raum

"In der Vergangenheit hatten wir viele kleine Bildschirme", sagt De Lauw. "Jetzt haben wir eher einen großen Bildschirm, der in kleine Bildschirme unterteilt ist, auf denen alles zu sehen ist."

"Und wenn man etwas Bestimmtes braucht, fragt der Rennleiter: 'Ich möchte diese Kurve und diesen Winkel sehen' oder 'Ich möchte die Fahrer in Kurve sieben sehen, um nach Trümmerteilen zu schauen'. Und dann haben wir Zugriff auf alle Onboard-Kameras der Fahrer und die Hubschrauberkamera, die alle auf den FIA-Schreibtischen zur Verfügung stehen."


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Als wir die Rennleitung verlassen, zeigt De Lauw auf den Raum der Rennkommissare auf der anderen Seite des Flurs, in den Fahrerkommissar Vitantonio Liuzzi nach Beginn der Sitzung verschwunden ist - offenbar ein kleinerer Raum, aber mit dem gleichen Zugang zu allen Videobildschirmen.

Hier sitzt Liuzzi neben Nish Shetty, dem FIA-Chefsteward an diesem Wochenende, Andrew Mallalieu (Präsident des Verbandes von Barbados) und Dennis Dean (Nationaler Steward). In diesem Raum werden die Entscheidungen getroffen, wenn die Rennleitung einen Zwischenfall auf der Strecke gemeldet hat.

"Der Videoanalyst nimmt den Vorfall auf und schickt ihn an die Stewards", erklärt De Lauw. "Das sind alle Kameraperspektiven, einschließlich der Onboard-Kamera und vielleicht sogar des Hubschraubers, sowie die Telemetrie der Autos und die Funksprüche der Teams."

"Die Stewards können sich alles ansehen und entscheiden, ob sie eine Strafe verhängen oder nicht, oder ob sie nach der Sitzung mit den Fahrern oder dem Team sprechen."

Die Rennleitung behält die Kontrolle

Jetzt, wo das erste Training auf Hochtouren läuft, ist es Zeit, die FIA-Boxengarage zu besichtigen, wo die Waage steht, auf der alle F1-Autos kontrolliert werden. Eine zweite Waage steht in der Boxengasse, die bei Live-Sessions verwendet wird.

Bernd Mayländer steht in Kontakt mit der Rennleitung

Bernd Mayländer steht in Kontakt mit der Rennleitung Zoom

Nebenan befindet sich die Garage für die Safety-Cars und Medical-Cars, und Bernd Mayländer ist wie immer gut gelaunt ist. Er erzählt, dass er bei einem früheren Rennwochenende in der Rennleitung war, als sich im freien Training ein schwerer Unfall ereignet hat - das ist seine Auszeit, denn das Safety-Car wird nach der Streckenkontrolle am Freitag nicht mehr gebraucht.

"Es war ein großer Unfall, sehr spektakulär", erinnert er sich. "Dem Fahrer ging es gut, aber es war einer dieser großen Unfälle, bei denen man zuerst denkt: Ist er okay?' Die Reaktion der Rennleitung war erstaunlich - sehr ruhig, keine Aufregung, jeder hat nur seinen Job gemacht und auf die Situation reagiert."

"Das war sehr beeindruckend, so professionell", lobt Mayländer. Und genau darum geht es bei der Rennleitung: die Kontrolle zu behalten und dafür zu sorgen, dass alles nach den Regeln abläuft.

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