• 05.02.2017 08:09

  • von Dominik Sharaf

Alain Prost: Wie Didier Pironis Unfall sein Leben rettete

Der Horrorcrash des Landesmanns in Hockenheim und "Computer" Lauda ließen ihn vorsichtig werden - Dass die Fans ihn nicht liebten, juckte ihn damals mehr als heute

(Motorsport-Total.com) - Es gab in der Formel-1-Geschichte einen Weltmeister, der wie kein zweiter Pilot für Kalkül, Kaltschnäuzigkeit und emtionale Distanz stand: Alain Prost. Seinem Naturell entsprach die Einstellung aber nur bedingt. Ihn zu dem gemacht, wofür ihn Millionen von Fans frenetisch bewundert oder abgrundtief gehasst haben, haben den "Professor" der 7. August 1982 und die Qualifikation zum Deutschland-Grand-Prix in Hockenheim. Es war der Tag, an dem Didier Pironis Karriere endete.

Titel-Bild zur News: Didier Pironi

Ein Trümmerhaufen: Das Wrack von Didier Pironis Ferrari nach dem Unfall 1982 Zoom

Rückblende: Prost bestreitet sein drittes Jahr in der Königsklasse für Renault und gilt als möglicher Weltmeister, als er auf der Highspeed-Bahn im Badischen im strömenden Regen nach Ende des Qualifyings nur noch zurück an die Box fahren will. Er ist heilfroh, dass alles heil geblieben ist. Denn die Bedingungen sind extrem schlecht. Der Ground-Effekt der Autos sorgt dafür sorgt, dass das Wasser unter den Boliden so stark aufgepeitscht wird, dass sich am Heck dichter Nebel bildet.

Und ganz plötzlich: "Boom!" Der Ferrari von Pironi schießt fast ungebremst in sein Heck und wird meterhoch in die Luft geschleudert. Die Waldgerade ist ein Trümmerfeld und sein französischer Landsmann schwer verletzt. Rennarzt Sid Watkins erklärt ihm noch an der Unfallstelle, beide Beine amputieren zu müssen, wogegen sich der bei Bewusstsein befindliche Pironi heftig wehrt. Tragisch: Die Pole-Position hat der Ferrari-Pilot schon im Sack gehabt. Er führte noch Reifentests durch.

Prost nach dem Crash: Gezeitenwende in 15 Minuten

Während Pironi um sein Leben kämpft, hat Prost es mit den eigenen Dämonen zu tun. Er will sich nicht für seine Rennkarriere an den Teufel verkaufen, aber auch nicht von der Angst auffresssen lassen. Das verklickert er seinem Renault-Rennleiter, als er an die Box zurückkehrt, wie er heute dem FIA-Magazin 'AUTO' schildert: "Ich sagte Gerard Larrousse: 'Wenn du willst, dass ich weitermache, willst du auch, dass ich schnell wieder im Auto sitze. Gib mir 15 Minuten'", erinnert sich Prost.

Prost sitzt eben diese Viertelstunde lang alleine in seinem Motorhome. Er redet selbst auf sich ein. Er sagt sich: "Kein Problem!" und "Du bist im Recht!" Aber er fasst auch einen Entschluss, der seine Karriere prägen sollte. "Danach habe ich entschieden, dass ich bei Regen und schlechter Sicht immer so fahren würde, wie ich es will", so Prost. Er behauptet rückblickend, immer das getan zu haben, was vernünftig gewesen wäre. Gewiss ist er sich dessen nicht immer. In diesem Punkt schon.

Alain Prost, Didier Pironi

Alain Prost und Didier Pironi vor dem Unfall: Die Franzosen verstanden sich gut Zoom

Es ist eine Gezeitenwende. Denn Prost war vor dem Pironi-Unfall alles andere als ein Taschenrechner mit Sturzhelm. In seiner ersten Formel-1-Saison crashte er auf der brandgefährlichen Bahn in Watkins Glen in einem Training so schwer wie sonst nicht mehr in seiner Laufbahn. "Ich lag danach zwei Wochen zu Hause im Bett. Ohne Licht. Ich konnte mich nicht bewegen." Das war keine Lehre für einen von fast krankhaftem Ehrgeiz, Verbissenheit und unbändigem Willen getriebenen Mann.

Die Fans liebten die Draufgänger, nicht den "Professor"

Denn Prost war nie ein Wunderkind. Er war einer, der sich seine Karriere im Motorsport erarbeitet hat. Nicht nur sprichwörtlich, im wahrsten Sinne des Wortes. "Ich war nahe dran, Profifußballer zu werden, aber eines Tages sind mein Bruder und ich auf die Kartbahn gegagnen", erzählt er. "Es interssierte mich nicht die Bohne, ich wollte gar nicht hin." Doch es war sein Ding. Der 17-jährige Prost arbeitete 18 Monaten lang wie ein Verrückter, übernahm Gelegenheitsjobs, kümmerte sich um Hausauflösungen und sparte sich jeden Centime vom Munde ab, bis er 700 Franc (damals umgerechnet rund 100 Euro) übrig hatte, um sich von seinem eigenen Geld sein erstes Kart zu kaufen.

Doch der Pironi-Crash machte aus ihm einen anderen Menschen. Keinen Rosberg und erst recht keinen Senna. "Die Leute haben immer Keke oder Ayrton gemocht", schmunzelt Prost auf die beiden Draufgänger angesprochen. "Sie waren Fahrer, die ihr natürliches Talent in ihrem Fahrstil mehr zum Ausdruck gebracht haben - eher, als dass sie mal nachgedacht hätten." Er meint es nicht abwertend. Für Prost ist Husarentum eine andere Herangehenweise an die Formel 1. Aber nicht seine.


Fotostrecke: Die Formel-1-Karriere des Alain Prost

Dass die Fans ihn deshalb nie so recht ins Herz geschlossen haben, juckte ihn zu seinen aktiven Zeiten mehr als danach. "Früher hat mich das mehr interessiert. Heute amüsiert es mich." Dazu hat die gemeinsame Zeit mit Niki Lauda bei McLaren beigetragen. Es ist kein Zufall, dass es viele Paralleln zwischen dem damals zweimaligen Weltmeister aus Österreich und Prost - damals ein ungekrönter Jüngling - gibt. "Niki hat man einen 'Computer' genannt, als er im Auto saß", erklärt Prost bewundernd. "Warum auch nicht? Auch so kann man schnell sein, was die Leute vergessen."

Wieso die Besonnenheit manchmal zur Bürde wurde

Er führt seine Rivalität mit Senna als Präzendenzfall an: "Ayrton mag im Qualifying eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein, aber das hat er sich erarbeitet. Ich habe mich in das Rennsetup verbissen. Ich war im Rennen nie viel langsamer als er." Wenn es aber damals um den schnellsten Mann der Welt ging, redeten die meisten vom Brasilianer. Das wurmte Prost. Doch es brachte ihn an sein Ziel und führte ihn zu vier WM-Titeln. Noch wichtiger: Es brachte ihn lebendig durch die Karriere.

Einmal tat Prost sich noch weh. Nicht bei einem Unfall, sondern als er hart über einen Randstein fuhr und sich am Volant des archaischen Formel-1-Renners ohne Servolenkung das Handgelenk brach. "Mir wurde klar, dass ich vorsichtig sein musste", bemerkt er. Die Bilder des Pironi-Unfalls wurden zum Film in seinem Kopf. Er startete, wenn Prost Gefahr roch. "Wenn ich einen Frontflügel verloren habe oder die Aufhängung gebrochen ist, so wusste ich, dass ich Glück brauchen würde."

Auf Fortuna wollte er sich aber nicht verlassen. Wenn es heftig regnete, ging er kein Risiko mehr ein. Der Monaco-Grand-Prix von 1984 - als Prost bei Nässe in Führung liegend den Rennabbruch forderte und dem jungen Senna seine Siegchance raubte - erscheint in anderem Licht. "Warum ein großes Risiko eingehen, wenn man es nicht kontrollieren kann?", fragt Prost und räumt ein, dass seine Vorsicht auch eine Schwäche war. Dann, wenn es einfacher gewesen wäre, nicht nachzudenken, sondern das Gaspedal auf das Bodenblech zu drücken und ein großes Herz zu beweisen. So wie 1985 in Estoril, als Senna doch noch sein Regen-Märchen feierte und er vor der Strecke kreiselte. Oder 1991 in Imola, als es schüttete und sein Ferrari hilflos durch die Auslaufzone rutschte.

Alain Prost, Gilles Villeneuve

Tragische Ironie: Gilles Villeneuve sagte Prost, er könne sich nicht wehtun Zoom

Gibt ihm die Geschichte letztlich doch recht? Prost erwähnt seinen Kumpel Gilles Villeneuve, der 1982 in Zolder den Tod fand, weil er seinen Erzrivalen Pironi unbedingt demütigen wollte: "Ich erinnere mich daran, dass er mir gesagt hat - es ist kaum zu glauben -, dass man sich in der Formel 1 nicht wehtun könne. Er glaubte daran, weil er viele schwere Unfälle, aber nie Schmerzen hatte."

Ähnlich tragische Ironie schwang auch bei Pironis Tod mit. In einem Powerboat, mit dem er sich die Zeit vertrieb, weil ein Formel-1-Comeback nicht mehr möglich war. Und natürlich Senna, der bei seinem letzten Rennen in San Marino 1994 in dem Auto saß, in dem Prost im Vorjahr den WM-Titel geholt hatte. "Ich habe eine Woche vor dem Unfall mit ihm telefoniert und ich sagte Ayrton: 'Es wäre lustig, wenn ich eines Tages ein Team hätte und du mein Fahrer wärst.' Wir haben darüber gelacht."