• 15.07.2015 10:48

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Gary Anderson: Die Regeländerungen gehen nicht weit genug

Technikexperte Gary Anderson meint, dass die Regeländerungen in der Formel 1 nicht weit genug gehen und dem Sport nur oberflächlich weiterhelfen

(Motorsport-Total.com) - Ich sage schon seit langem: Die Regel "der Fahrer muss das Auto alleine und ohne Hilfe fahren" wird nicht in dem Maß umgesetzt, wie es sein sollte. Die jüngste Direktive, die zum Großen Preis von Belgien im August greifen und die Startprozedur wieder gänzlich in die Hände des Fahrers geben wird, ist nur eines von vielen Beispielen, wie sich die Verantwortlichen mit diesem Problem beschäftigen.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Fahrer im Fahrzeug: Gewünscht sind weniger Eingriffe von außen Zoom

Allerdings handelt es sich hierbei um eine sehr wichtige Baustelle der Formel 1. Wir haben es in Silverstone gesehen: Wenn du es am Start nicht zu einhundert Prozent triffst, kann das schwerwiegende Konsequenzen haben.

Der Fahrer lernt normalerweise beim Verlassen der Garage ganz automatisch, wo der Schleifpunkt der Kupplung liegt. Das bleibt auch unter den modifizierten Regeln so. Die neuen technischen Vorgaben sagen nämlich: Nach diesem Moment dürfen am Schleifpunkt keine Veränderungen mehr vorgenommen werden.

Im Augenblick ist es noch so: Der Fahrer bewegt das Auto bis ans Ende der Boxengasse und absolviert dort einen weiteren Probestart. Dabei sammelt er erneut Eindrücke zum Schleifpunkt der Kupplung. Auf der folgenden Runde diskutiert der Pilot dann mit seinem Ingenieur, wie dieser Startversuch verlaufen ist. Unter Umständen kehrt der Fahrer anschließend in die Boxengasse zurück und der Prozess beginnt von Neuem.

Im Hinterfeld absolvieren die Fahrer einen weiteren Probestart und stellen ihr Auto dann in die Startaufstellung. Dort kann der Elektronikingenieur bei Bedarf die Startparameter noch einmal verändern oder im Detail analysieren, wie der Probestart gelaufen ist. Ausgehend davon kann er den Fahrer beraten, wie er beim Rennstart am besten vorzugehen hat.

Kimi Räikkönen

Im Training wird das Losfahren auch direkt vor der jeweiligen Box geübt Zoom

Auch unter den neuen Regeln können Fahrer und Ingenieur über alles sprechen, was sie wollen. Wenn man also den Funkverkehr zu den Themen Probestart und Gripniveau während der Installationsrunden vor dem Rennstart unterbindet, ist das nur eine kleine Veränderung im Vergleich zu dem, was derzeit passiert.

Weil das Setup der Kupplung nun aber nicht mehr in dem Umfang angepasst werden kann wie bisher, muss der Ingenieur den Fahrer detaillierter über das Vorgehen unterrichten. Das dürfte interessant werden. Denn meine Erfahrung ist: Manche Piloten tun sich schwer damit, Gewohnheiten abzulegen, die sie sich über viele Jahre hinweg angeeignet haben.

Dass diese Neuregelung erstmals in Spa-Francorchamps zum Tragen kommt, ist ebenfalls interessant. Denn der Start dort ist einer der schwierigsten in der Formel-1-Saison 2015, weil die Fahrzeuge an einem leichten Anstieg losfahren.

Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Rennen weniger vorhersehbare Starts erleben werden. Doch in der Formel 1 dauert es nie lange, bis sich die Fahrer und die Teams an neue Regeln gewöhnt haben.


Fotos: Großer Preis von Großbritannien


Ich denke nicht, dass die FIA mit dieser Regeländerung weit genug gegangen ist. Aber immerhin öffnet diese Maßnahme die Türe für weitere Änderungen an der Regel, wonach ein Fahrer das Auto alleine und ohne Hilfe fahren soll. Es ist also ein erster Schritt.

Samstagsrennen

FIA und FOM haben es bisher stets vermieden, das Wochenendformat der Formel 1 zu verändern. Der Grund: Es würde die traditionellen Abläufe der Rennserie durcheinander bringen. Ich bin aber froh darüber, dass dieses Thema nun ernsthaft aufgegriffen wird, um die Show zu verbessern. Die große Frage ist aber: Was genau muss sich tun? Vor ein paar Wochen habe ich vorgestellt, was ich machen würde. Es gibt aber immer andere Meinungen und scheinbar liegen auch Alternativen vor.

Ein Vorschlag lautet, das Qualifying zu einem Qualifikationsrennen zu machen. Ich frage mich aber: Was würde man damit erreichen? Würde man überhaupt etwas erreichen? Ja, der Samstagnachmittag wäre ein bisschen spannender.

Ich kenne keine Details zu dieser Idee, würde jedoch vermuten: Wer dieses Samstagsrennen gewinnt, startet am Sonntag von der Pole-Position in den Grand Prix. Was also würde sich ändern? Vermutlich nicht sehr viel. Die schnellste Kombination aus Fahrer und Team würde wahrscheinlich vorn stehen. Alles Weitere wäre nicht viel anders als das, was wir schon haben.

Start zum Grand Prix von China 2015 in Schanghai

Zwei Formel-1-Rennen pro Wochenende? Das ist ein denkbares Szenario... Zoom

Ein weiterer Vorschlag ist ein Rennen mit den dritten Fahrern eines Teams. Angenommen, alle aktuellen Teams treten auch in der Formel-1-Saison 2016 an und Haas stößt neu dazu, dann bestünde ein solches Rennen aus elf Fahrzeugen. Damit hätte ein aufstrebendes Talent in einem Topteam die Chance, sich zu beweisen. Die kleineren Teams wiederum würden sicherlich einen Bezahlfahrer ins Auto setzen. Daran ist ja nichts verkehrt. Doch die Topteams mit den besseren Fahrern würden wohl ständig den Sieg davontragen.

Man könnte sagen: Der Sieger oder die drei Bestplatzierten dürfen auch am Sonntag am Rennen teilnehmen. Nur: Was würde dann mit den Punkten passieren, die sie vielleicht einfahren? Diese Zähler würden dann den kleineren Teams weggenommen. Vielleicht haben die Verantwortlichen vergessen, dass es bei der Ausweitung der Punkteränge auf die Positionen eins bis zehn darum ging, auch den kleineren Teams eine Chance auf Punkte zu ermöglichen, damit sie ihren Sponsoren auch mal Zählbares vorzeigen können.

Ich kann mich noch gut an die Formel-1-Zeit erinnern, als du eine großartige Saison hinlegen und jedes Rennen als Siebter beschließen konntest, am Ende aber ohne Punkte geblieben bist. Es würde die Fans verwirren, wenn die Top-3-Fahrer des neuen Rennens im Grand Prix zwar in die Top 10 vordringen, aber keine Punkte holen würden. Die Statistikfreunde unter uns würden nur mit den Köpfen schütteln.


Kimi Räikkönen zapft selbst

Der Ferrari-Pilot hat sich in Goodwood zu einem kleinen Sketch hinreißen lassen und spricht über seine derzeitige Situation Weitere Formel-1-Videos

Ich denke weiterhin, mein Vorschlag könnte funktionieren. Er lautet: Am Samstag wird ein Sprintrennen absolviert. Die Startaufstellung dafür würde anhand der schnellsten Runden aus dem vorherigen Rennen erfolgen. Das Sprintrennen wiederum wäre maßgeblich für die Startaufstellung im Grand Prix.

Freie Reifenwahl

Wenn die Fahrer ihre Reifenmischungen frei wählen sollen, dann muss Pirelli die Abstände zwischen den einzelnen Sorten vergrößern. Derzeit heißt es oft, im Qualifying würden die jeweiligen Mischungen um 0,8 Sekunden pro Runde auseinanderliegen. Meist ist es aber gar nicht so viel. Wenn ein Auto auf beiden Reifen gut ausbalanciert ist und die Temperaturen für beide Sorten ideal ist, dann beträgt der Unterschied zwischen den beiden Reifenmischungen oft nicht mehr als eine halbe Sekunde.

Wenn du von einer härteren Mischung auf eine weichere wechselst, wird das Auto im Normalfall eher untersteuern. Wenn ein Auto also auf dem härteren Reifen untersteuert, wird sich das mit einer weicheren Mischung nur noch verstärken. Hat das Auto auf der härteren Mischung hingegen eine Tendenz zum Übersteuern, dürfte es mit der weicheren Sorte gut ausbalanciert sein. Es kommt also auf die Autobalance an, wie das Ergebnis ausfällt.

Pirelli

Ob eine freie Reifenwahl die Show auf der Strecke verbessert, wird bezweifelt Zoom

Über ein Rennwochenende kann sich die Streckentemperatur gewaltig verändern. Es wäre schwierig für jedes Team, einen Monat vor dem Grand Prix eine Wetterprognose zu erstellen, damit Pirelli die entsprechenden Reifen produzieren und an die Strecke bringen kann.

Wenn es sich dabei also um einen ernsthaften Vorschlag handelt und die Teams die Möglichkeit erhalten, die Reifenmischung ihrer Wahl zu kriegen, dann nehme ich an, die Regel, wonach im Rennen beide zur Verfügung stehenden Pneumischungen zu verwenden sind, wird über Bord geworfen. Aus Sicherheitsgründen würde man Pirelli aber zugestehen müssen, dass sie für jede Strecke die maximale Rundenanzahl für die jeweilige Reifenmischung vorgeben dürften.

Spielen wir das einmal exemplarisch durch, damit klar wird, was ich meine: Mit der härtesten Mischung kann die Renndistanz ohne Boxenstopp absolviert werden. Mit den Medium-Reifen schafft man das Rennen zu 80 Prozent, mit den Soft-Reifen zu 60 Prozent und mit den Supersoft-Reifen zu 40 Prozent.

Das bedeutet: Die Rundenzeiten wären ziemlich unterschiedlich, bis die weicheren Reifen allmählich den Geist aufgeben. Jede Reifensorte würde dem jeweiligen Fahrzeug ein anderes Boxenstopp-Fenster aufzwingen. Aber die Frage dabei ist: Würde sich dadurch das Racing verbessern? Ich glaube nicht. Ich denke, es würde vielmehr noch mehr Verwirrung stiften und damit genau das Gegenteil dessen bewirken, was die Regeländerung eigentlich tun sollte.


Fotos: Red-Bull-Showrun in Mexiko


Strafenkatalog und Motorenlärm

Immerhin eine sinnvolle Entscheidung hat die Strategiegruppe bei ihrer letzten Sitzung getroffen. Doch wenn schon Startplatzstrafen ausgesprochen werden, dann muss das im Qualifying am Ende jeder Teilsession erfolgen.

Das würde bedeuten: Du liegst nach der ersten Einheit auf Position 14 und wirst um drei Positionen zurückversetzt. Du würdest sofort auf Platz 17 landen und wärst damit raus aus dem Geschehen. So würde der Fahrer von Platz 16 um einen Rang nach vorn rutschen und könnte an Q2 teilnehmen. Und wer weiß schon, was passiert, wenn sich das Wetter dreht? Dann könnte plötzlich ein Sauber auf der Pole-Position stehen!

Mercedes Motor

Die aktuellen Formel-1-Motoren wissen nicht mit lautem Sound zu überzeugen Zoom

Beim Motorensound hoffe ich, man setzt nicht auf irgendwelche Spielereien. In Silverstone bin ich um die Strecke gelaufen und fand: So schlecht war der Lärm gar nicht. Man hat im Vergleich zur Formel-1-Saison 2014 definitiv Fortschritte gemacht. Um es noch besser zu machen, müsste man die Teams dazu zwingen, beim Gangwechsel mehr Drehzahl freizugeben. Das würde ganz einfach gelingen: Man müsste einfach das Messgerät zur Überwachung der Benzin-Durchflussmenge aus dem Auto nehmen.

Ein zusätzlicher Antriebsstrang für neue Hersteller

Es ist immer schwer zu sagen, ob ein neuer Hersteller von mehr Vorbereitungszeit profitiert oder nicht über genug Erfahrung verfügt, um das Beste daraus zu machen. Ein zusätzlicher Antriebsstrang ist nur notwendig, wenn die Zuverlässigkeit ein Problem ist. Er hilft nicht dabei, wenn die Leistung nicht da ist. Es muss vielmehr etwas getan werden, um die unterschiedlichen Motorleistungen anzugleichen.

Ich sage nicht, dass man Mercedes die Hände auf den Rücken binden soll. Tatsächlich muss man sie zu ihrer tollen Arbeit beglückwünschen. Aber die Formel 1 sollte keine Motorenformel sein. Es sollte in erster Linie um den Fahrer und erst in zweiter Instanz um das Team gehen.

Die FIA lässt Honda einen zusätzlichen Motor verwenden. Sollte daher das neue Haas-Team auch zusätzliche Zeit im Windkanal erhalten? Sie sind schließlich ein neuer Rennstall und könnten diese Zeit vielleicht gut brauchen.

Fernando Alonso

Wer sein Auto liebt... - bei McLaren-Honda läuft es im Premierenjahr nicht rund Zoom

Ich glaube nicht, dass es so funktionieren würde. Ich würde vielmehr ein Token-System etablieren, um Motorherstellern mit Problemen bei der Entwicklung zu helfen. Dergleichen könnte einfach für die jeweilige Zeit im Windkanal adaptiert werden: Punkte und Punktunterschiede könnten vorgeben, wie viel Zeit ein Team im Windkanal verbringen darf.

Schnellere und aggressivere Fahrzeuge

Ich bin schon lange ein Teil der Formel 1. Und schnelle Autos haben schon immer schnell ausgesehen. Derzeit sind die Rundenzeiten zu Rennbeginn etwa fünf Sekunden langsamer als im Qualifying. Um das anhand der fahrenden Autos auf der Strecke zu erkennen, brauchst du aber schon gute Augen.

Ja, die Fahrzeuge sehen schwerer aus und wirken schwerfälliger. Doch alle bewegen sich da auf dem gleichen Niveau, was es wieder unscheinbar macht. Man sollte die Autos nicht einfach mit größeren oder breiteren Reifen aggressiver aussehen lassen. Es sollte nicht nur um den optischen Eindruck gehen. Antrieb dafür sollte sein, besseres Racing zu haben.


Fotos: Großer Preis von Österreich


Heimlich, still und leise: Doch kein Nachtanken...

Ich fände es klasse, wenn die Formel 1 das Nachtanken wieder zulassen würde. Allerdings müsste es dann anders gehandhabt werden. Vielleicht sollte jeder Fahrer seine eigene 25-Liter-Tankkanne haben und den Tank in Eigenregie befüllen müssen. So würde man viel Geld sparen. Und wenn ein Auto nicht wunschgemäß funktioniert, könnte der Fahrer in Auspuffnähe "aus Versehen" etwas Benzin verschütten und die Kiste zum Brennen bringen. Wenn die Regeln so aussehen würden: Wie viele McLarens wären wohl in diesem Jahr schon in Rauch aufgegangen?

Spaß beiseite: Die Ära des Nachtankens ist vorbei. Man muss nicht immer wieder die Vergangenheit neu aufleben lassen. Was wir wollen, ist: Die Fahrer sollen auf der Strecke gegeneinander kämpfen.