• 21.07.2015 14:59

  • von Roman Wittemeier

1986: Ein Ungarn-Grand-Prix für die Ewigkeit

Der spektakuläre Ungarn-Deal von Bernie Ecclestone: Beim Formel-1-Schritt hinter den "Eisernen Vorhang" wird die Grand-Prix-Szene 1986 begeistert empfangen

(Motorsport-Total.com) - In unserer Serie "Grands Prix für die Ewigkeit" blicken wir heute mal weniger auf die sportlichen Ereignisse auf einer Formel-1-Strecke, sondern auf einen historischen Schritt der Szene mit intensivem politischem Hintergrund. Mit dem Grand Prix von Ungarn 1986 war Strippenzieher Bernie Ecclestone ein gewaltiger Deal ungeahnten Ausmaßes gelungen. Die Formel 1 gastierte erstmals hinter dem damals noch "Eisernen Vorhang" - heiße Rennen in den letzten Jahren des Kalten Krieges sollten folgen.

Titel-Bild zur News: Ungarn Flagge Gridgirl

Seit 1986 gastiert die Formel 1 regelmäßig nahe der ungarischen Hauptstadt Budapest Zoom

Die Begeisterung für Motorsport war im damaligen Ostblock immer schon groß gewesen, die Möglichkeiten jedoch begrenzt. Ungarn, das seit langer Zeit aus Sicht vieler DDR-Bürger als "Tor zum Westen" gesehen wurde, wagte einen bahnbrechenden Schritt: Neubau einer Rennstrecke nach Formel-1-Vorgaben mit dem klaren Ziel, die Königsklasse zu empfangen. In den Verhandlungen mit den örtlichen Verantwortlichen fand Bernie Ecclestone endlich das, wonach er schon lange gesucht hatte.

Ecclestone gelang es, inmitten des Kalten Krieges der Formel 1 auch in Osteuropa ein Zuhause zu geben. Er war wohl einer der Erfinder der Globalisierung, bevor dieser Begriff überhaupt eine Definition erhielt. Seine Idee, hinter dem "Eisernen Vorhang" einen Grand Prix zu veranstalten, stammt aus den frühen 1980er-Jahren. Ursprünglich wollte der Formel-1-Zampano ein Rennen in Moskau, dem Herzen der damaligen kommunistischen Welt - die Verhandlungen mit dem Sowjetregime scheiterten jedoch.

Ecclestone gab jedoch nicht klein bei und konzentrierte seine Suche auf andere osteuropäische Großstädte. Im Sommer 1983 besuchte er die ungarische Hauptstadt Budapest und fand für seine Idee Unterstützung beim Magyar-Autoklub und der ungarischen Staatsregierung. Das damalige Kadar-Regime gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Anstelle der ursprünglichen Idee eines Straßenrennens in Budapest wurde beschlossen, in der hügeligen Region um die Ortschaft Mogyorod eine neue Anlage zu bauen.

In neun Monaten von Null auf Formel 1

Im Oktober 1985 begannen die Bauarbeiten am Hungaroring. Der Staat hatte die Finanzierung des - nach heutigen Maßstäben vergleichsweise günstigen - Acht-Millionen-Euro-Projektes abgesegnet. Die Pläne des Architekten Istvan Papp wurden auf einem ausgewählten Gelände rund 20 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Budapest in die Realität umgesetzt. In nur neun Monaten wurde der Hungaroring fertiggestellt, sodass dem ersten Formel-1-Rennen am 10. August 1986 nichts mehr im Wege stand - oder doch?

Bei einigen Teams und Fahrern gab es vor dem zweiten Grand Prix von Ungarn - 1936 hatte es bereits ein solches Rennen in Budapest gegeben - einige Bedenken und Sorgen. Wie verläuft die Einreise in den Ostblock? Wie lange werden Fahrzeuge und Material vom ungarischen Zoll geprüft und festgehalten? Sind Zigarettenwerbung und Gridgirls hinter dem "Eisernen Vorhang" überhaupt erlaubt? Alle Bedenken wurden in Gesprächen zwischen Ecclestone und den örtlichen Machern auf dem kurzen Dienstweg ausgeräumt.

Der "große Bruder" UDSSR (Sowjetunion) schaute sich die Ereignisse in Ungarn genauso kritisch und intensiv an wie die Weltöffentlichkeit. Am 8. August 1986 öffnete der Hungaroring seine Tore für die Fans, die den ersten Trainings der Formel 1 auf der brandneuen Strecke beiwohnen wollten. Großes Staunen allerorten: Die Besucher strömten in ungeahnten Massen zum Hungaroring. An den beiden Trainingstagen zählte man 180.000 Zuschauer, am Renntag platzte die Anlage mit 200.000 Fans aus allen Nähten.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Ungarn

Der Formel-1-Boom hatte plötzlich den Ostblock erreicht. Auch wenn sich viele Ungarn einen Besuch des Rennens in der Heimat kaum leisten konnten, so war der Ansturm dennoch unfassbar. Aus der DDR, aus Polen und aus der damaligen Tschechoslowakei pilgerten tausende Motorsportbegeisterte nach Budapest. Viele Österreicher nutzen die geografische Nähe, um ein Formel-1-Rennen live zu erleben, unzählige Finnen stellten ihre emotionale und sprachliche Nähe zu Ungarn beim Besuch des Rennens dar.

DDR-Fans kommen: Zwischen Brabham und Balaton

Der damals neue, gut vier Kilometer lange Grand-Prix-Kurs, bot schon damals wegen seines engen Layouts kaum sportliche Höhepunkte, aber dennoch kamen die insgesamt rund 380.000 Fans voll auf ihre Kosten. Von den umliegenden Naturtribünen war der Kurs von jedem Standort fast komplett einsehbar - die perfekte Bühne für Sport und Völkerverständigung gleichermaßen. Der Grand Prix von Ungarn wurde sofort zum regelmäßigen Pilgerort. Erst Brabham-BMW, dann Balaton - so das Motto vieler DDR-Fans.

Sportlich bekamen die Zuschauer beim Debüt 1986 etwas weniger geboten als eigentlich erwartet. Die FIA hatte das Rennen ursprünglich auf 77 Runden angesetzt, aber man hatte sich verschätzt. Wegen der langsamen Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem kurvigen Kurs war bereits nach 76 Umläufen die maximale Fahrzeit von zwei Stunden erreicht. Man beendete den Grand Prix also eine Runde früher als geplant.

Nigel Mansell Ayrton Senna Ungarn 1986

Lieferten sich 1986 vor 200.000 Fans tolle Duelle: Mansell (li.) und Senna (re.) Zoom

Als Sieger setzte Nelson Piquet nach einem langen Duell gegen Ayrton Senna (2./Lotus) seine wenig erfolgreiche Aufholjagd auf Williams-Honda-Teamkollege Nigel Mansell (3.) zwar fort, aber aufgrund der damaligen Streichergebnisse war am Ende des Jahres wieder Alain Prost (McLaren) der König der Formel 1. Der große Gewinner des Grand Prix von Ungarn war ohnehin ein anderer: Bernie Ecclestone, der mit seinem Coup das Tor nicht nur nach Osteuropa, sondern letztlich zur gesamten Welt aufgestoßen hatte.

Ohne den damals umstrittenen Schritt hinter den "Eisernen Vorhang", ohne den Mut der ungarischen Regierung und die Entschlossenheit der örtlichen Veranstalter wäre die Formel 1 wohl noch heute eine Show der westlichen Welt. Über Rennen in Russland, Aserbaidschan, China oder auch im arabischen Raum wäre ohne den Schlüssel Ungarn kaum gesprochen worden. Mit dem Ungarn-Grand-Prix 1986 hat sich die Formel 1 gegen politische Befindlichkeiten durchgesetzt - so, wie es im Sport generell geschehen sollte.