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  • 08.06.2014 21:49

  • von Christian Nimmervoll & Fabian Hust

Fünfkampf um den Sieg: Mercedes patzt, Ricciardo gewinnt

Punktsieg für Rosberg, Grand-Prix-Sieg für Ricciardo und viele Schutzengel für Massa im Rennen in Montreal - Technische Probleme beenden Mercedes-Serie

(Motorsport-Total.com) - Die Serie von Mercedes ist unterbrochen, die Formel 1 hat einen neuen Sieger: Daniel Ricciardo (Red Bull) gewann heute in Montreal den Grand Prix von Kanada vor Nico Rosberg (Mercedes) und Sebastian Vettel (Red Bull). Im siebten Rennen stand damit zum ersten Mal kein Silberpfeil-Pilot ganz oben auf dem Treppchen. Lewis Hamilton (Mercedes) musste sogar seinen zweiten Ausfall der Saison 2014 verzeichnen und ist damit der große Verlierer des Tages.

"Ich kann es gar nicht fassen, das ist einfach lächerlich", kämpft Premierensieger Ricciardo, eine allseits beliebte Paddock-Frohnatur, mit seinen Emotionen. Dass die Mercedes-Siegesserie enden würde, deutete sich schon früh an. Bereits gegen Halbzeit bauten die Rundenzeiten sowohl des führenden Rosberg als auch von Hamilton plötzlich um zwei bis drei Sekunden ab, nachdem sie bis dahin in gewohnter Manier dominiert hatten. Nach 45 Runden war bei Hamilton dann Schluss.

"Wenn das ERS nicht mehr funktioniert, müssen die Bremsen hinten mehr Arbeit verrichten, und das führt zur Überlastung", erklärt Formel-1-Experte Marc Surer den Ausfall von Hamilton. Für den Briten doppelt bitter: Erstens, weil er in der Fahrer-WM nun wieder 22 Punkte Rückstand hat, zweitens, weil er schon einmal an Rosberg vorbei war und das Rennen anführte - die Führung aber freiwillig wieder aufgab, weil er die Schikane abgekürzt hatte.

Rosberg besser als Hamilton gestartet

Auch davor schon ging es zwischen Rosberg und Hamilton heiß her. Am Start zum Beispiel, als Hamilton besser wegkam, Rosberg aber später bremste, im Senna-S rausgetragen wurde und seinen Teamkollegen so ein bisschen abdrängte. Das nutzte Vettel, um sich zumindest kurzzeitig an die zweite Stelle zu setzen. Als Rosberg schon Hamilton im Nacken hatte und selbst die Schikane abkürzte, kam er nach einer Untersuchung mit einer Verwarnung davon.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Nico Rosberg kam am Start schlechter Weg, blieb aber vor Lewis Hamilton Zoom

Auch in der Phase der ersten Boxenstopps zeigte sich, wie sehr am Limit die beiden Silberpfeil-Piloten derzeit gegeneinander fahren, denn Rosberg wäre unmittelbar nach dem Reifenwechsel bei Kurve 4 beinahe in die Betonmauer gerutscht. Nur weil er als Führender eine Runde früher von Supersoft auf Soft wechseln konnte als Hamilton, hatte er auch nach dieser Situation noch zwei Sekunden Vorsprung. Diese schmolzen aber rasch zusammen - bis Hamilton ausfiel.

"Ich hatte einen guten Fight mit Lewis, es war echt eng", sagt Rosberg. "Aber soweit ist alles aufgegangen - bis zum zweiten Boxenstopp. Dann hatten wir leider ein Problem vorne links, und so ist Lewis dann vorbei. Aber zu dem Zeitpunkt hatten wir schon viele PS verloren, dadurch war es sehr schwierig, weil wir so langsam auf den Geraden waren. Es war so komisch, dass wir beide gleichzeitig das Problem bekommen haben. Keine Ahnung, wie man sich das erklären kann."

MGU-K kostet Mercedes 160 PS

Niki Lauda versucht es: "Es ist an beiden Autos im gleichen Moment die Elektronik durch Übertemperatur ausgefallen." Genauer gesagt die MGU-K, was 160 PS Leistung kostet. Aber warum gaben bei Hamilton die Bremsen den Geist auf, bei Rosberg aber nicht? "Wenn man direkt hinter jemandem ist, entwickelt sich mehr Hitze", seufzt Hamilton. "Er hatte vorne die ganze Zeit freie Fahrt. Da konnte ich nicht viel machen. Als ich vorne war, kochte schon alles."

Die Schlussphase dann dramatisch, als Rosberg, Sergio Perez (Force India), Ricciardo, Vettel und Felipe Massa (Williams) innerhalb von 1,8 Sekunden lagen. Rosberg fehlte im letzten Sektor die nötige Leistung, konnte aber im ersten Sektor gegen den mit Bremsproblemen kämpfenden Perez jeweils genug Vorsprung aufbauen. Als Perez dann aber von Ricciardo überholt wurde, war der Führende mit dem hinkenden Mercedes nur noch Kanonenfutter.

Ricciardo: Schwierigkeiten mit dem Topspeed

"Wir haben in den letzten Runden bemerkt, dass Hamilton ein Problem hatte und Rosberg auf den Geraden langsam war", berichtet Ricciardo. "An Perez vorbeizukommen war schwierig, weil das Auto auf den Geraden wirklich schnell war. Da war ich in den Kurven immer zu weit weg. In der letzten Schikane war ich dann dran und ich habe ein sauberes Manöver in Kurve 1 gefahren. Dann war ich nahe an Nico dran und in der richtigen Position, um das DRS zu nutzen."

Felipe Massa, Sergio Perez

Sebastian Vettel hatte bei der Kollision Massa vs. Perez Riesenglück Zoom

Doch auch wenn die ersten beiden Positionen vergeben waren, war das Rennen damit noch nicht beendet. Denn zuerst schnappte sich Vettel in der vorletzten Runde Perez, und als dann auch noch Massa nach Start und Ziel am Mexikaner vorbeigehen wollte, kam es zu einem spektakulären Crash. Ein Riesenglück erstens, dass dabei niemand verletzt wurde - und zweitens hätten die beiden Südamerikaner um ein Haar Vettel mit ins Verderben gerissen!

Schuldfrage? "Ich hatte das Gefühl, dass Perez ein bisschen rübergezogen ist, aber ein bisschen zu spät, als Massa schon angesetzt hatte. Ich würde sagen, eher die Schuld von Perez", findet Experte Surer. Durch den Crash rückte Jenson Button (McLaren) auf den vierten Platz auf, vor Nico Hülkenberg (Force India), Fernando Alonso (Ferrari) und Valtteri Bottas (Williams). Letzterer war bis zu einem Fahrfehler wenige Runden vor Schluss noch vor Massa gelegen.


Fotostrecke: GP Kanada, Highlights 2014

Hohe Temperaturen, hohe Ausfallsrate

Jean-Eric Vergne (Toro Rosso), Kevin Magnussen (McLaren) und Kimi Räikkönen (Ferrari) landeten in den Top 10; Perez und Massa wurden letztendlich als Elfter und Zwölfter gewertet. Auch die beiden Sauber-Piloten sahen noch die Zielflagge. Aber gleich acht Autos schieden bei schwierigen Bedingungen aus - schwierig deshalb, weil das Thermometer 28 Grad anzeigte, so hohe Temperaturen wie davor das gesamte Wochenende nicht.

Die ersten beiden Opfer des kanadischen Nachmittags waren die beiden Marussia-Fahrer: Max Chilton verlor beim Anbremsen von Kurve 4 sein Auto außer Kontrolle, rutschte ausgerechnet in seinen Teamkollegen hinein. Um die Wrackteile und das auslaufende Öl beseitigen zu können, musste das Safety-Car auf die Strecke. Kurz nach dem Restart in der achten Runde schnappte sich Hamilton relativ mühelos den gut gestarteten Vettel.

Vettel fairer Verlierer gegen Ricciardo

Der war am Ende aber auch mit dem dritten Platz zufrieden - und brillierte als Sportsmann, als er Ricciardo mit Umarmung zum ersten Sieg gratulierte. "Ich hing lange hinter den Force India, zuerst hinter Hülkenberg, dann hinter Perez. Wir hatten zu wenig Leistung auf den Geraden, um sie zu überholen", so Vettel. "Daniels erster Sieg in diesem Jahr, in der neuen Motoren-Ära, das ist natürlich toll. Aber es gibt immer noch genug Arbeit. Mercedes ist noch weit vor uns."

Daniel Ricciardo, Sebastian Vettel

Fairer Sportsmann: Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo nach Rennende Zoom

Enttäuschend die Performance von Ferrari: Alonso benötigte im ersten Stint schon die Hilfe der Boxencrew, um am Toro Rosso von Vergne vorbeizukommen, und Räikkönen lag nach seinem merkwürdig aussehenden Dreher (ein Abziehbild seines Fahrfehlers im Training an gleicher Stelle, der Spitzkehre) nur noch an 15. Position. Massa wäre auch weiter vorne gewesen, wenn nicht seine Boxencrew beim ersten Stopp gepatzt hätte.

In der Fahrer-WM hat Rosberg nun 140 Punkte und führt vor Hamilton (118), Ricciardo (79), Alonso (69), Vettel (60) und Hülkenberg (57). Bei den Konstrukteuren behauptet Mercedes die Spitze mit 258 Zählern vor Red Bull (139), Ferrari (87) und Force India (77). Weiter geht's in zwei Wochen mit dem Heim-Grand-Prix von Red Bull in Österreich. Gefahren wird auf dem ehemaligen A1-Ring in Spielberg, inzwischen in Red-Bull-Ring umbenannt.