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  • 01.05.2014 08:56

  • von Ian Harrison (Haymarket)

Senna: Die Geschichte aus der Sicht des Teammanagers

Ian Harrison war vor 20 Jahren Teammanager bei Williams und erlebte in Imola ein Formel-1-Wochenende, das ihn bis heute emotional packt

(Motorsport-Total.com) - "Ayrton Senna wechselt zu Williams..."
Ich muss zugeben, obwohl ich zu der Zeit Teammanager war, habe ich eine Art Beklemmung verspürt, als ich diese Nachricht zum ersten Mal hörte. Ich war ziemlich eingeschüchtert, denn es war immerhin Ayrton Senna... nicht gerade ein unbekannter Name.

Titel-Bild zur News: Ayrton Senna, Ian Harrison

Ian Harrison hätte Ayrton Senna gerne besser kennengelernt Zoom

Wir dachten es würde kompliziert werden, mit ihm zu arbeiten - alle Top-Fahrer sind anstrengend, aber wir würden uns schon daran gewöhnen. Wir hatten schon mit Nigel Mansell und Alain Prost gearbeitet, aber keiner wusste so recht, wie es mit Ayrton werden würde. Trotzdem blieben wir professionell und wussten, was wir taten.

Ich traf ihn erstmals im Winter in der Williams-Fabrik, das muss Anfang 1994 gewesen sein. Er kam für fünf Minuten vorbei und war sehr ruhig und höflich. Das hat mich von Anfang an an ihm fasziniert. Er war sehr gelassen. Er war direkt und sachlich. Man merkte, dass er zunächst versuchte, die Situation bei uns abzuwägen, denn bei uns ging es anders zu als bei McLaren, wo er die letzten sechs Jahre verbracht hatte. McLaren hatte das Team um ihn herum geformt, und diesen Prozess musste er mit uns von neuem starten. Wir waren aber fest entschlossen, ihn so gut es ging willkommen zu heißen.

Mit Senna arbeiten

Es war noch eine ziemlich frische Zusammenarbeit, als es zum ersten Rennen ging, und nach dem ersten Freien Training schauten wir uns die Zeiten im Nachbesprechungsraum an. Ayrtons Renningenieur, David Brown, sagte so etwas wie: "Der verdammte Senna muss es immer bringen, nicht wahr?", und sprach damit niemanden direkt an. Ayrton, der neben ihm saß, schaute ihn fragend an. David wurde rot wie eine Tomate. "Entschuldige Kumpel, Macht der Gewohnheit", sagte er. Es herrschte eine gute Atmosphäre in diesem Raum.

Obwohl der Saisonstart nicht gerade glatt verlief, verfiel Ayrton selbst nicht in Panik. Er blieb ruhig und war entschlossen, dem Team zu helfen und jedem Problem, das wir mit dem Auto hatten, auf den Grund zu gehen. Er blieb konzentriert, arbeitete mit dem Team zusammen und wies uns die richtige Richtung. Er war darauf eingestellt, zu arbeiten - hart zu arbeiten. Er rastete nicht aus, wenn einmal etwas schief ging.

Nachdem er sich in Interlagos beim Verfolgen von Schumacher von der Strecke gedreht hatte, kam er in die Garage, wo ich mich mit David Brown aufhielt. Er entschuldigte sich für seinen Ausritt und sagte, dass das nicht wieder vorkommen würde. Ich denke, das fasst ziemlich gut zusammen, was diesen Kerl ausmachte.

Wo lag das Problem beim Williams FW16?

Für Williams zu arbeiten bedeutete trotzdem ständigen Druck; erst recht nach zwei Ausfällen in den ersten zwei Rennen der Saison 1994. Eine Abwarten-und-Tee-trinken-Einstellung gab es nicht. Wir mussten die Wende schaffen und haben alles gegeben. Es war klar, dass etwas mit der Geschwindigkeit des Autos nicht stimmte, und die Ingenieure versuchten herauszufinden, woran das lag. Es war die Aufgabe unserer Genies Adrian Newey und Patrick Head, dem Problem Herr zu werden, und sie entdeckten, dass etwas fehlte und dass es irgendein aerodynamisches Problem sein musste. Wir waren alle sehr frustriert und fragten uns, warum das Auto nicht schneller war, denn auf dem Papier sollte es das eigentlich sein.

Es war nicht so, dass das Auto überhaupt keine Geschwindigkeit hatte - Ayrton hatte den Wagen bei den ersten beiden Rennen zweimal auf die Pole-Position gesetzt - aber es wurde problematisch, wenn die Ampeln auf grün schalteten. Es schien, dass es uns an Renngeschwindigkeit fehlte, und Ayrton schied aus den beiden Eröffnungsrennen der Saison aus.


Fotostrecke: Senna und Williams: Die Geschichte

Uns gelang lediglich eine Podiumsplatzierung mit Damon Hill, aber Williams war nicht die Art von Team, das in Panik verfallen würde. Wir sind alles gründlich und methodisch durchgegangen und haben für das Rennen in Italien ein paar Erneuerungen an das Auto angebracht. Als wir in Imola ankamen, war jeder von uns scharf darauf zu sehen, welches Ergebnis das bringen würde.

Der Unfall von Ratzenberger

Das Qualifying am Freitag verlief gut für uns. Senna schaffte die Runde in 1:24.5 Minuten und war damit eine halbe Sekunde schneller als der Benetton von Michael Schumacher. Damon war Siebter. Abgesehen von einem Dreher von Damon kann ich mich an kein großes Drama für unser Team erinnern, aber das war nicht überall der Fall. Rubens Barrichello schoss in der Variante Bassa dramatisch ab, was ihn sofort außer Gefecht setzte. Es war ein schwerer Unfall, aber er überlebte und die Dinge nahmen ihren normalen Verlauf.

Dann kam das Qualifying am Samstag und der Unfall von Roland Ratzenberger. Es geschah 20 Minuten nachdem die Trainingssitzung begonnen hatte, und Ayrton war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht raus gefahren. Damon hatte ein paar Runden absolviert und war Zweitschnellster in dem Moment, was für den vierten Platz in der Startaufstellung ausreichte. Es wurden rote Flaggen geschwenkt und es machte die Nachricht die Runde, dass Rolands Unfall nicht unbedeutend war.

Ayrton wollte herausfinden, was bei Ratzenbergers Unfall vorgefallen war, und er ging danach auch zum Medical-Center. Man mag denken, dass das eine ungewöhnliche Reaktion war, aber er war so ein mitfühlender Typ. Ich glaube auch nicht, dass seine Aktion, sich zu dem Unfall-Platz fahren zu lassen, in irgendeiner Weise unpassend war, immerhin ist das Motorsport. Er war der Top-Fahrer. Seine ganze Leidenschaft galt dem Rennfahren und der Formel 1.

Der Mensch Senna

Er hatte großes Interesse am Sport und an jeden, der damit etwas zu tun hatte. Er war ein Teil davon, und das war seine Art, es zu zeigen. Ayrton war mit allem immer offen, und er war nicht einer dieser Kerle, die mit ihrer Meinung hinterm Berg halten, was ich für großartig halte. Ich denke, sich die Unfallstelle anzusehen und dann ins Medical-Center zu gehen, war seine Art und Weise, mit der Sache umzugehen. Er machte sich viele Gedanken um Sicherheit und die menschliche Komponente. Das ließ ihn nicht los.

Was mir an seiner Reaktion jedoch am meisten auffiel war, dass wir ihn gar nicht wirklich kannten - wir kannten ihn eigentlich überhaupt nicht. Die Beziehung entwickelte sich gerade erst. Gerade erst fing er an, einfach zu mir zu kommen und zu fragen, wenn er etwas wollte. Ich erinnere mich, dass Frank Williams mich noch vor Imola gefragt hatte, wie es denn mit Ayrton lief, und ich erzählte ihm, dass der Kerl okay sei, aber ich mir wünschen würde, dass er mehr mit mir reden würde. Dafür war ich schließlich da.

Während dieser frühen Phase der Saison kam sein Manager zu uns, wenn es etwas gab, das Ayrton wollte, aber ich wusste, dass wir eine persönliche Beziehung aufbauen mussten, wenn es ordentlich funktionieren sollte. Frank muss ihn sich zur Brust genommen haben, denn während des Wochenendes in Imola war er anders. Er fragte mich "Können wir das haben?" und "Können wir das machen?" Es ging auf einmal.

Mitleid mit Simtek

Ich erinnere mich, dass Charlie Moody, der zu dieser Zeit Teamchef bei Simtek war, nach Ratzenbergers Unfall zu Adrian kam. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Wir saßen unter unserem Sonnenschutz, und ich denke, er brauchte einfach jemanden zum Reden. Ich erinnere mich, wie ich danach zurück in die Garage ging und dachte: "Mein Gott, was muss der arme Kerl durchmachen."

Am zweiten Teil des Qualifyings - nach der roten Flagge - haben wir nicht teilgenommen. Während Damon von der zweiten Startreihe ins Rennen gehen würde, verbesserte Schumacher seine Zeit, aber es reichte nicht aus, um Ayrton die PolePosition streitig zu machen.

" Ich erinnere mich, wie ich danach zurück in die Garage ging und dachte: Mein Gott, was muss der arme Kerl durchmachen.." Ian Harrison über Charlie Moody

Wir hatten am diesen Samstag durch den Unfall alle einen Schock erlitten, aber das Williams-Team war eine professionelle Mannschaft, die konzertiert blieb und mit ihrer Arbeit fortfuhr. Das war nun einmal die Einstellung des Teams - es gab noch immer ein Rennen, auf das man sich vorzubereiten hatte. Die Formel 1 war damals viel unkomplizierter, und es ist recht lustig, wenn man sich daran erinnert, wie wir uns zu der Zeit vorbereitet haben. Unser Sonntagmorgen-Programm hatte nichts mit modernem Motorsport zu tun. Es war ein bisschen wie: "Los geht's Leute, lasst uns Rennen fahren!"

Die Rennvorbereitung

Damon, Ayrton und ich gingen in die Fahrerbesprechung bei der Rennleitung und dann in die Besprechung mit den Ingenieuren. Die Ingenieursarbeit war das Herz von Williams; es machte das Team zu dem, was es war. Ich bin noch einmal die Regeln durchgegangen - nur die belanglosen Sachen wie "achtet auf den Boxengasseneingang", "fahrt nicht über diese oder jene Linie" und so etwas. Auch das war damals einfacher, denn es gab nicht annähernd so viele Regeln wie heute in der Formel 1. Dann kam das Warm-Up und wieder war Ayrton Erster und Damon Zweiter. Es lief hervorragend.

In der Vorbereitung auf das Rennen haben wir noch Boxenstopps geübt, weil es das erste Jahr war, in dem man nachtanken durfte. Während die Jungs dabei waren, saßen die Ingenieure David Brown und John Russell und ich zusammen und arbeiteten die letzten Berechnungen für den Benzinverbrauch aus.

Das war nicht wie heute, dass man einen Knopf am Computer drücken kann, und der macht das dann für einen. Wir mussten uns den Benzinverbrauch vom Qualifying und vom Warm-Up anschauen und bedenken, welche anderen Faktoren in Imola eine Rolle spielen könnten. Wir überlegten, ob die Jungs zu irgendeinem Zeitpunkt mehr Gas geben müssten, wie das Wetter werden würde und solche Dinge. Auch Ayrton und Damon wurden in die Entscheidungen mit einbezogen, und wir kamen zu dem Schluss, dass alle glücklich damit waren.

Nichts dem Zufall überlassen

Ich druckte diese kleinen Karten aus, auf denen ich notiert hatte, in welchen Runden sich die Boxenstoppfenster befanden und ging herum, um sie jedem Mitglied der Boxencrew auszuhändigen. Auf den Karten stand außerdem, welche Benzinmenge Ayrton und Damon in ihren Autos haben wollten. Schließlich hatten wir vor dem Rennen noch eine Strategie-Besprechung, damit auch wirklich jeder wusste, was geplant war.

Dabei muss man sich immer ein gewisses Maß an Flexibilität offenhalten, für den Fall, dass im Rennen irgendetwas passiert oder sich irgendetwas ändert, aber das war alles abgestimmt. Alles, an was ich mich erinnern kann, ist, dass es vor dem Rennen ziemlich hektisch zuging. Renntage waren immer etwas unübersichtlich, und beim Start war ich normalerweise immer sehr gehetzt, weil ich bis zur letzten Minute gearbeitet hatte.

Ich erinnere mich, dass das ganze Fahrerlager zur der Zeit auf Schumachers Benetton und dessen Elektronik fixiert war. Es gab jede Menge Gerüchte um die Traktionskontrolle. Selbst Ayrton war davon überzeugt, dass da irgendwas an Michaels Auto war. Ich weiß das noch, weil ich ihn nach seinem Unfall in der ersten Kurve von Aida in Japan abgeholt hatte und wir gemeinsam zurück zur Boxengasse gelaufen sind. Senna drohte noch immer eine Sperre wegen seines Streits mit Eddie Irvine nach dem Rennen in Suzuka im vorangegangenen Jahr, deswegen dachte ich, es wäre besser, wenn ich ihn nach dem Unfall in Aida aufsuche, um sicherzustellen, dass sich nicht nochmal so etwas ergab.

Der Startunfall

Als ich ihn erreichte, lief er gerade zurück und war ganz ruhig. Wir hielten für zwei Minuten, um aus dem Infield heraus zuzuschauen. Ayrton sagte mir, dass ihm etwas an Michaels Auto seltsam vorkam. Ob er damit Recht hatte oder nicht, weiß ich nicht, aber Ayrton war sich absolut sicher. Am Morgen des Rennens rief ich Richard West, den PR-Manager von Williams zu mir und beauftragte ihn damit, mit einer Videokamera auf das Dach der Garage zu steigen und Schumachers Start aufzuzeichnen, um zu sehen, ob er Bremsspuren auf dem Asphalt hinterlässt.

An diesem Wochenende war jeder sehr konzentriert. Ratzenbergers Unfall hatte schon einen dunklen Schatten über das Fahrerlager geworfen, und beim Start gab es wieder einen heftigen Zwischenfall. JJ Lehto, der sich als Fünfter qualifiziert hatte, würgte seinen Wagen auf der Start-und-Ziel-Geraden ab, und Pedro Lamys Lotus rauschte ihm hinten rein. Es flogen Teile auf die Tribüne, Menschen wurden verletzt und der Müll verteilte sich überall. Ich drehte mich zu jemand in der Garage um und sagte, dass sich das ganze Wochenende zu einer Art römischem Wagenrennen entwickelte. Die ganze Zeit ging es nur "Wham! Bam!" und überall passiert etwas.

Ich war an diesem Tag der Lollipop-Mann, wie immer. In einer Top-Crew, wie wir sie bei Williams hatten, hat schließlich jeder seine Aufgabe, und dieser spezielle Job gehörte zu meinen. Es machte mir nichts aus - ich tat es gerne. Ich war der Letzte, der dies auf diese altmodische Weise tat, und das bedeutete, dass ich dafür verantwortlich war, mein Auto wieder für das Rennen freizugeben - damals noch ohne Boxengassen-Geschwindigkeits-Begrenzung, was mir sehr recht war.

Der Unfall aus der Sicht der Williams-Garage

John Russell, Patrick Head, David Brown und Adrian Newey saßen derweil an der Boxenmauer. Was hätte ich da oben denn schon ausrichten können, außer auf das Offensichtliche aufmerksam zu machen? Sie waren zu der Zeit die Top-Leute in ihrem Bereich, also kümmerte ich mich um die Boxengassen-Seite. So konnte ich sicherstellen, dass das Benzin in Ordnung war, dass alles bereit stand, und dass die Boxenstopps ordentlich verliefen. Frank beschwerte sich immer, dass unsere Boxenstopps zu langsam waren, deswegen verwendete ich viel Konzentration darauf, diesen Bereich des Teams zu verbessern. Das war wichtig; nicht auf einem Level, wie es heute der Fall ist, aber dennoch wesentlich.

Nach dem Unfall am Start kam das Safety-Car raus. Es gehörte damals erst seit zwölf Monaten zum Regelwerk und war bis dahin erst zweimal zum Einsatz gekommen. Das ganze Szenario war also für jeden noch ziemlich neu und wirbelte die ganzen Benzinverbrauchs-Berechnungen durcheinander. Wir mussten schnell reagieren und konnten nicht lange überlegen, denn das Rennen wurde nach fünf Runden wieder freigegeben. Ich war in der Garage und schaute auf den TV-Bildschirmen zu. Senna behauptete seine Führung vor Schumacher eine weitere Runde, bis er in Runde sieben zur Tamburello kam.

Wir sahen die TV-Bilder...Eigentlich waren die einzigen Live-Bilder, die ich sah, die, wie das Auto hinter einer Mauer verschwand. Ich konnte es nicht richtig erkennen, weil die Einstellung aus der Tosa heraus filmte. Ich konnte den Einschlag nicht erkennen, aber ich sah die Teile herumfliegen und den ganzen Rest davon. Dann gab es eine andere Kamera-Einstellung von dem Unfall und ich dachte sofort "Das war heftig". Es hat an dieser Stelle schon zuvor große Unfälle gegeben, wie Nelson Piquet 1987 oder Gerhard Berger 1989. Diese Fahrer haben alle überlebt.

"Dann gab es eine andere Kamera-Einstellung von dem Unfall und ich dachte sofort Das war heftig." Ian Harrison

Großes Durcheinander

Ich erinnere mich, wie ich etwa zehn Sekunden lang zusah und dann nur anfing zu sagen: "Beweg dich, Beweg dich!" Wir sahen, wie Ayrton im Auto zuckte, und diese eine Bewegung, es gab also Hoffnung. Zunächst. Dann war da nichts mehr. Es hörte einfach auf. Es wurde offensichtlich, dass es da ein Problem gab, aber keiner wusste, wie ernst es war.

Das Rennen wurde angehalten, und ich begab mich zur Rennleitung. Ich musste die halbe Boxengasse entlanglaufen, weil sich unsere Garage, dadurch, dass wir Weltmeister waren und deshalb die größte Garage bekamen, in der Mitte befand. Als ich so lief, fing ich an zu registrieren, dass es nicht besonders gut aussah, und einer der Leute von Arrows, glaube ich, klopfte mir ermunternd auf den Rücken, als ich an ihm vorbeilief. Ich nahm es in dem Moment nicht so wahr, aber das machte mich nachdenklich. Ich begann zu realisieren, dass es sehr ernst aussehen könnte.

Ich kam im Büro der Verantwortlichen an, und es bot sich mir ein Bild von kontrollierter Panik. Den Verantwortlichen war klar, dass da etwas Großes vor sich ging. Es wurde viel in gebrochenem Italienisch geredet, und die Leute sprachen in einer unheimlichen Geschwindigkeit. Es war definitiv nicht so organisiert, wie es heute ist. In Imola war alles ein bisschen anders. Nichts gegen die Leute da, aber da war ein schwerer Unfall und es herrschte ein riesen Tumult.

Keine Antworten

Ich war per Funk mit dem Team verbunden, denn Damon war in Position und wartete auf den Neustart, und die Crew musste wissen, was los war. Nach ein paar Minuten kam Bernie Ecclestone zur Rennleitung und fing an zu organisieren. Er sprach mit jedem und klärte die Situation. Er wurde zum Anlaufpunkt dieser Angelegenheit. Als es im Raum immer voller wurde, drehte er sich zu mir um und sagte: "Was machst du hier?" Ich erzählte ihm, dass ich hergekommen bin um zu sehen, was mit meinem Fahrer passiert, und er drehte sich nur wieder um und machte weiter. Er hatte hier zu organisieren und dachte wahrscheinlich nur "Na gut", denn er antwortete mir nicht. Er ließ mich bleiben, was in Ordnung war.

Es trafen ein paar unbestätigte Meldungen ein, dass Ayrton eine gebrochene Schulter hätte und bewusstlos wäre, irgend so etwas. Es kam von jemand aus dem Kontroll-Turm, der Englisch sprechen konnte. Als ich das hörte, beschloss ich, zum Team zurückzukehren, denn ich musste Frank darüber unterrichten, was da vor sich ging. Ich sagte ihm, dass Ayrton grundsätzlich okay war, obwohl ich das nur aus zweiter Hand erfahren hatte.

In der Zwischenzeit sahen sich Patrick und Adrian die Daten an, um herauszufinden, was geschehen war, da es inzwischen Bilder gab, die zeigten, wie sich die Lenksäule im Seitenkasten von Ayrtons Auto befand. Sie schauten sich die Informationen genau an und gaben an Damon weiter, dass es nichts Fundamentales gibt, was auch an seinem Auto fehlerhaft sein könnte.

Die traurige Erkenntnis

Schließlich kam Ayrtons Auto zurück in die Garage. Die Verantwortlichen hatten es beschlagnahmt, aber irgendjemand, ich weiß nicht wer es war, bestand darauf, dass wir die Daten von dem Auto bräuchten, oder wenigstens das, was wir davon noch bekommen konnten, da es auf der einen Seite völlig zerstört war. Wir konnten einige Informationen bekommen, nicht viel, wie ich mitbekam, aber es reicht wohl aus, und Damon entschied, im zweiten Teil des Rennens anzutreten - eine mutige Entscheidung.

Ich kehrte zum Büro der Verantwortlichen zurück, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was von da an im Rennen passierte. Ich verbrachte die meiste Zeit bei der Rennleitung und versuchte herauszufinden, was da vor sich ging. Ich wusste bis dahin nur, dass Ayrton offensichtlich von einem Helikopter weggeflogen wurde, aber jeder hoffte noch auf das Beste. Wir dachten, er wäre vielleicht ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen worden, aber mehr nicht.

Nachdem ich noch eine Weile bei der Rennleitung verbrachte, wurde ich in einen kleinen Nebenraum gebeten, wo ein italienischer Anwalt auf mich wartete, der sehr gut Englisch sprach. Er klärte mich über die Situation auf. Ayrton war im Krankenhaus gestorben.

Viel Papierkram

In Italien betrachteten sie es als Straßenverkehrs-Unfall, und plötzlich war ich von Gesetzes Wegen her die verantwortliche Person. Ich musste eine Menge Papiere unterschreiben. Der Anwalt war sehr gut und ging alles mit mir durch. Es war der Wahnsinn. Ich musste meinen Ausweis holen, den sie mir dann abgenommen haben. Irgendwann gaben sie ihn mir zurück und meinten, wir wären dann durch. Die Leute an der Strecke waren in Ordnung, aber das ganze Prozedere dauerte eine Weile.

Als ich zur Garage zurückkam, war das Team schon weg, und nur die Packer verstauten noch die Sachen. Ich ging dann rüber zu Karl-Heinz Zimmermann, Ecclestones österreichischem Caterer, da er sich in der Nähe aufhielt und wir recht gut befreundet waren.

Er war noch beschäftigt, wirkte sehr durcheinander, genoss aber einen Schnaps bei der Arbeit. Er ist ein echter Kerl. Er sagte mir ständig: "Komm schon Ian, du musst einen trinken." Ich erinnere mich aber, wie ich zu ihm sagte, dass ich nicht konnte, weil die Jungs immer noch packten und ich da sein musste, um sie zu unterstützen. Ich musste sichergehen, dass es ihnen gut ging, und ich denke, ich war auf Autopilot.

"Er sagte mir ständig: "Komm schon Ian, du musst einen trinken."." Ian Harrison über Karl-Heinz Zimmermann

Verlängerter Aufenthalt

Wir übernachteten in Faenza, und die Menschen in dem Hotel waren super. Ich schaffte es, die übriggebliebene Crew für die Nacht noch in einem Hotel in Imola unterzubringen, damit sie nicht noch zum Flughafen mussten. Das war keine leichte Aufgabe in der Zeit, bevor es ordentliche Handys und Internetzugang gab, aber wir hatten unsere Flüge nun einmal verpasst. Wir müssen so zu sechst gewesen sein und gingen noch auf eine Pizza aus.

Als ich ins Hotel zurückkehrte, traf ich noch Ann Bradshaw, die damalige Pressesprecherin von Williams. Sie kam vom Flughafen und erzählte mir, dass sie dort einen Nebenraum für das Team organisiert habe, um der Presse aus dem Weg zu gehen, und damit die Jungs ohne Probleme nach Großbritannien zurückkehren konnten.

Früh am nächsten Morgen bekam ich einen Anruf von einem der Anwälte, der mir sagte, dass er mich abholen würde, um mich zur Leichenhalle zu fahren. Ich bin mir bis heute nicht sicher, warum sie mich dafür brauchten, aber ich tat, was sie sagten. Als ich dort ankam, waren Sennas Manager Julian Jakobi und ein Mann von Sennas Sponsor Varig Airlines vor Ort. Die Leute in der Leichenhalle fragten, ob ich Senna sehen möchte, aber ich lehnte ab... Ich klärte alles mit Julian, nahm ein Taxi zum Flughafen und stieg endlich in das Flugzeug nach Hause.

Endlich zu Hause

In Heathrow angekommen, war keiner da. Normalerweise wird man dort abgeholt, aber das war nicht der Fall, also musste ich ein Taxi von Heathrow nach Didcot nehmen. Das war unheimlich teuer. Ich stieg ein, und der Fahrer war ein typischer Londoner Taxi-Typ. Er sah meine Teamkleidung und registrierte, dass ich von Williams war. Er sagte: "Na Kumpel, was für ein scheiß Wochenende." Ich antwortete ganz automatisch: "Ja, ja, das war es", worauf er mir sagte, dass er eine aktuelle Tageszeitung im Taxi hätte, wenn ich die gerne lesen würde. Also saß ich da auf dem Weg in die Fabrik und las die Zeitungberichte. Ich dachte die ganze Zeit nur, wie traurig diese ganze Situation war - so unheimlich traurig.

Als ich an der Fabrik in der Basil Hill Road in Didcot ankam, war ich überwältigt. Es war etwa vier Uhr nachmittags und dort waren um die 200 Leute. Die Vordertore waren mit Blumen bedeckt. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ich musste sogar aus dem Taxi aussteigen, um die Blumen zur Seite zu räumen, damit der Sicherheitsangestellte das Tor öffnen konnte, um mich herein zu lassen. Glücklicherweise erkannte mich keiner.

In der Fabrik fand ich niemanden außer Patrick Head vor. Normalerweise wären alle schon damit beschäftigt, sich auf das nächste Rennen vorzubereiten, aber der Ort war wie leer gefegt. Obwohl ich immer noch auf Autopilot lief, haute mich diese verlassene Fabrik um.

Es war ein wenig seltsam. Bis dahin hatte ich nur meinen Job gemacht, aber ich begann allmählich aus dem Modus zu erwachen. Patrick fragte mich, wie es gelaufen sei, nachdem das Team abgereist war, und ich erzählte ihm, dass alles geklärt sei. Als ich dann endlich nach Hause kam und meine Frau und meine Kinder mich an der Tür erwarteten, brach ich schließlich zusammen. Es gab kein Halten mehr.

Am nächsten Tag begann die Arbeit um 8:30 Uhr. Unser Anwalt Peter Goodman kam vorbei und nahm Aussagen von jedem auf über das, an was wir uns vom Wochenende erinnern konnten. Die Firma bot allen Mitarbeitern therapeutische Beratung an, aber kein einziger machte davon Gebrauch. Das Ersatzauto und Damons Wagen kamen am Dienstag an, und ab Mittwoch war jeder wieder dabei, und wir fuhren damit fort, uns auf das nächste Rennen vorzubereiten.


Fotostrecke: Ayrton Senna: Die Karriere einer Legende

Donnerstagnacht führte das Team einige Tests mit der Ausrüstung von Williams durch und versuchte, den Unfall von Ayrton anhand der Daten, die sie von seinem Auto gesammelt hatten, nachzustellen. Sie versuchten, einen mechanischen Fehler zu simulieren, konnten aber nach meinem Verständnis kein ähnliches Ergebnis erzielen.

The Show must go on

Ich bin überzeugt davon, dass es passiert ist, weil es eines der ersten Male war, dass das Safety-Car zum Einsatz kam; der Reifendruck war niedrig, die Autos mussten langsam fahren, und sie waren voller Benzin. Wenn man sich die Onboard-Aufnahmen von Schumachers Benetton ansieht, erkennt man, dass das Auto nach dem Neustart ziemlich stark durchhing. Es war wahrscheinlich eine Kombination all dieser Dinge, die den Unfall auslösten. Ich bin kein Ingenieur, aber ich denke, das Auto hing durch und Ayrton verlor die Kontrolle über die Vorderachse.

Nach Imola ging es nach Monaco, wo wir nur mit einem Auto antraten. Keiner, wirklich keine einziger, wollte da sein. Von allen Rennen, die du nach dem, was passiert war, fahren musst, musste es ausgerechnet das verdammte Monaco sein - das logistisch schwierigste Rennen des Kalenders. Das Team musste jeden Morgen zehn Tonnen an Ausrüstung zur Garage schleppen und abends zehn Tonnen wieder zurück - was für eine fürchterliche Arbeit.

Am Freitag krachte Karl Wendlinger hart in die Streckenbegrenzung und verletzte sich dabei schwer. Das Williams-Team aß an diesem Abend gemeinsam mit dem Leuten von Sauber - und das taten wir aus Überzeugung. Wir saßen auf deren Terrasse, unterhielten sie und versuchten sie zu unterstützen, wegen dem, was wir zwei Wochen zuvor hatten durchmachen müssen. So war Williams, und so waren die Menschen, die für Williams gearbeitet haben. Es war eine nette Geste.

Die Wende in Barcelona

Die ganze Atmosphäre vor Ort war gedrückt. Ich erinnere mich, wie sich die Leute bei der Fahrerbesprechung über den Start und die erste Kurve unterhielten und darüber, wie wahrscheinlich dort ein Unfall sei. Ich tickte ein wenig aus und sagte, wir sollten das Rennen hinter dem Safety-Car starten, weil sie sich Sorgen um mögliche Vorfälle in der St. Devote machten. Ich erinnere mich, dass Gerhard Berger das ablehnte, und wir starteten eine heiße Diskussion. Rückblickend denke ich, das waren die Emotionen, die da mit uns durchgingen.

Damon schied in der ersten Runde mit einer gebrochenen Vorderradaufhängung aus, nachdem er mit Mika Häkkinens McLaren kollidiert war. Die Mechaniker machten sich sofort ans Abbauen, und ich saß im Motorhome bei einem Bier mit Patrick und den Ingenieuren. Wir sahen uns das Rennen an. Ich erinnere mich, wie Patrick sich umdrehte und sagte: "Verdammt noch mal, sind die Dinger laut." Keiner von uns wollte da sein. Wir mussten ein hartes Wochenende durchstehen, und dass Damon so früh ausgeschieden war, war kein Weltuntergang.

Als wir nach Barcelona kamen, dem fünften Rennen der Saison, kehrten wir in alter Stärke zurück mit David Coulthard, der das zweite Auto fuhr. Es war ein unglaubliches Rennen, und Damon gewann. Schumacher steckte die meiste Zeit im fünften Gang fest, und selbst so konnte der Kerl zeigen, was er draufhatte - das hat uns aber nicht interessiert. Wir hatten gewonnen. Williams war als erstes ins Ziel gekommen, und es war das Rennen, was den Stein wieder ins Rollen brachte. Danach wurden wir wieder konkurrenzfähig. Es war ein unheimlich wichtiges Ergebnis für uns.

Überwältigende Emotionen

Ich bekam sogar ein Video von Renault, das von der anderen Seite der Boxenmauer aufgenommen wurde. Es zeigt eine Aufnahme von mir, Adrian Newey, John Russell und David Brown und den Moment, als Damon über die Ziellinie fährt. Man erkennt, wie Adrian und ich ausflippen, obwohl ich zugeben muss, dass sich Adrian um einiges schneller wieder fasste, als ich. Ich musste dann mit Damon aufs Podium, um die Trophäe für den Konstrukteur abzuholen. Das war eines der großen Privilegien als Teammanager von Williams, dass man dort mit hoch durfte. Ich ließ meine Ray Bans auf, weil ich völlig fertig aussah. Ich wollte nicht, dass die Leute mir ansahen, in welchem Zustand ich war.

Ich fühlte nur, dass wir zurück waren und das Auto besser war. Es fühlte sich an wie das Licht am Ende eines schrecklichen Tunnels. Nachdem ich aufs Podium gestiegen war und die Trophäe erhalten hatte, kehrte ich zum Team zurück, rannte direkt hinter die Garage und heulte mir die Augen aus. Es ging soweit, dass ein paar von den Jungs meinten, ich sollte mich langsam mal zusammenreißen, aber ich konnte nichts dagegen tun.

"Es fühlte sich an wie das Licht am Ende eines schrecklichen Tunnels." Ian Harrison

Es ist seltsam, wie mich die Emotionen wieder ergreifen, wenn ich einen Unfall in der Formel 1 sehe. Es lässt mich tatsächlich immer wieder zusammenzucken und erinnert mich jedes Mal an das Wochenende in Imola. Wir hatten gerade erst begonnen, Ayrton zu verstehen, bekamen gerade erst eine Idee davon, wie hart er arbeitete und wie zielstrebig er war. Ich bin absolut davon überzeugt, dass er 1994 Weltmeister hätte werde können, wenn er nicht ums Leben gekommen wäre.

Wie ich schon sagte, es war einfach nur so unheimlich traurig. Und wissen Sie, was ich am meisten bereue? Wir hatten nicht einmal die Zeit, Ayrton Senna wirklich kennenzulernen.