• 17.04.2014 15:27

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

"Brake-by-Wire": Raumschiff Enterprise auf Fußdruck

Viele Piloten klagen, viele Fans rätseln: Toro-Rosso-Technikchef James Key erklärt, wie das elektronische Bremspedal funktioniert und warum es nötig ist

(Motorsport-Total.com) - Manchmal ist Formel 1 Science-Fiction, nur noch verrückter. Ein Beispiel für diese These ist das neue "Brake-by-Wire"-System. Das elektronische Bremspedal ist eine logische Folge des Beginns der Hybrid-Ära in der Königsklasse. Schließlich haben die komplizierten Antriebsstränge der Generation 2014 es nötig gemacht, das konventionelle System abzuschaffen. "Im vergangenen Jahr mussten wir uns nur mit KERS deutlich weniger um Energierückgewinnung kümmern", erinnert sich James Key.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Um zu verzögern, ist mittlerweile viel Computertechnik nötig Zoom

Der Technikchef von Toro Rosso spricht gegenüber 'Motorsport-Total.com' von Zeiten mit einem klassischen Motor, nicht mit einem Antriebsstrang, in dem er eine von sechs Komponenten ist. "Es gab bei KERS keine Verbindung zum Abruf des Drehmoments durch den Fahrer", so Key. "Jetzt ist die Situation eine andere. Einerseits ist die Energierückgewinnung viel komplizierter, zweitens gibt es jetzt nicht mehr nur einen Motor und KERS. Es gibt alles, alles ist integriert und arbeitet zusammen." Unter anderem das Drehmoments beim Beschleunigen und eben beim Bremsen.

Dieses will gemessen werden, damit Systeme wie die MGU-K die Batterien entsprechend aufladen können. "Das elektronische Bremspedal ist nötig, weil beim Bremsen Drehmoment abgerufen wird, von der Motorbremse und auf der Hinterachse", stellt Key klar. "Es gibt ein Kontrollsystem, das die Bremse mit all den anderen Dingen harmonieren lässt. Es endet bei einem Teil, das sich am besten als Drehmoment-Vermittler bezeichnen lässt, der irgendwo in der Software steckt." So kompliziert ist das Ganze allerdings nur auf der Hinterachse. Vorne wird noch konventionell gearbeitet - fast.

Kombination aus Motor- und Haftbremse

Denn die Bremse an der Vorderachse, die hydraulisch gesteuert wird, ist identisch zu der aus dem vergangenen Jahr. Es war sogar möglich, Teile direkt zu übernehmen. Auch das Pedal selbst im Fußraum ist identisch. "Der Pilot fühlt genau das Gleiche. Denn es ist die Hardware, die ihm das Gefühl gibt", sagt Key. Im Optimalfall bekommt der Fahrer gar nicht mit, was um ihn herum passiert. "Dann wird es komplizierter." Sobald Vettel und Co. das Bein durchdrücken, explodiert das High-Tech-Feuerwerk. Das System wird über den Abruf von Drehmoment "informiert".

Eine elektronische Steuerung der Bremsbalance regelt, welche Systeme angefunkt werden und in welche Batterie die Energie nun fließt. Es geht um einen nahtlosen Übergang zwischen der reinen Motor- und der reinen Haftbremse, meistens sogar eine Kombination aus beidem. "Deswegen braucht man es", macht Key klar, wo des Pudels Kern liegt. An der Hinterachse geht es außerdem darum, wie viel Energie zurückgewonnen werden soll - das Reglement macht hier Auflagen. Weil der Abruf von Drehmoment fix ist, wird die Energie von der Software quasi auf die Systeme aufgeteilt.


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Was übrig bleibt ist die Kraft, die beim Bremsen noch "sinnlos" verpufft. Im Rennen will man eine neutrale und stetige Aufladung, im Qualifying aber nicht. Die Teams können nicht in der Box "volltanken", sondern müssen es auf der Strecke tun, etwa um eine schnelle Runde nach dem Aufwärmen vorzubereiten. Der Pilot ist in der Lage, mittels Knöpfen am Lenkrad die Aufladung zu steuern. Es gibt interessante Nebeneffekte: Wenn aus niedrigeren Geschwindigkeitsbereichen heraus abgebremst wird, wird weniger hydraulisch verzögert - weil prozentual gesehen ein größerer Teil an Energie zurück in die Speicher fließt. Auch ist "Brake-by-Wire" weniger kühlungsintensiv.

"Man muss den Fahrer denken lassen, er hätte ein hydraulisches System." James Key

Ein sinnvoller Ausdruck

Der Begriff ist angelehnt an den Ausdruck "Fly-by-Wire", der aus der Luftfahrt stammt. Im Unterschied zur klassischen Steuerung durch Stahlseile, Schubstangen ode Hydraulik, wurden ab Mitte des vergangenen Jahrhundert Sensoren an den Steuerelementen wie dem Knüppel oder der Pedalerie genutzt, um die Eingaben des Piloten zu übertragen. Einzug in die Formel 1 erhielt der Ausdruck durch McLaren-Patron Ron Dennis, der in den Neunzigerjahren angesichts komplizierter Elektronik von "Drive-by-Wire" sprach. "Das ist doch eine natürliche Bezeichnung", meint Key über die neue "Brake"-Variante. "Sinnvoll, weil 'Drive-by-Wire' die genaue Entsprechung ist."

Immer wieder beklagen Fahrer Probleme mit dem System. Insbesondere bei den Tests war von einem "harten" Pedal die Rede, was das Dosieren der Bremsenergie erschwerte. Kimi Räikkönen hat bei Ferrari noch immer Schwierigkeiten. "Das ist der größte Trick", erklärt Key, wenn es darum geht, die Sache dem Piloten schmackhaft zu machen. "Man muss ihn daran denken lassen, dass er ein hydraulisches System hat." Doch wie macht man Weltmeistern etwas vor? "Es gibt bestimmte Steifigkeitswerte, mit denen sich das Pedal einstellen lässt. Dann fühlt es sich wie gewünscht an."


Fotos: Großer Preis von China, Pre-Events


Der Fahrer soll fühlen, was er erwartet. Das ist auch deshalb wichtig, damit der Pilot den Verschleiß der Reifen und der Bremse selbst einschätzen kann. Denn die MGU-K reagiert nie wie eine echte Scheibe, allen voran verzögert. Erwünscht ist aber ein unmittelbares Feedback. "Daher kommen die Probleme", betont der Toro-Rosso-Technikchef, der sich mit "Brake-by-Wire" ausführlich beschäftigt. Schließlich ist es für ein Motorenkunden-Team wie die Truppe aus Faenza der vielleicht wichtigste Bereich in der Saison 2014, der noch komplett in der eigenen Fabrik abgehandelt wird.

Noch eine große Baustelle

Key glaubt, dass im Vorfeld der großen Regelnovelle effiziente Informationspolitik betrieben wurde und die FIA, die die einheitliche Steuerungselektronik über Zulieferer McLaren Electronic Systems (MES) bereitgestellt, ausführlich über die Rahmenbedingungen informierte. "Darüber haben wir diskutiert und es klargestellt. Es war Grundlage für unser Design", so der Brite. "Es hat mit dem Antriebsstrang zu tun, aber so schwierig war das gar nicht." Mit einer Ausnahme: Wenn ein Hybridsystem wie die MGU-K einmal versagt und eine Fehlermeldung produziert.

James Key

Toro-Rosso-Technikchef Key: Er weiß, wie man richtig bremst Zoom

Eigentlich springt dann der gewohnte Hydraulik-Kreislauf ohne Verzögerung ein. Ein Wunsch der FIA, um genügend Sicherheit zu gewährleisten, allerdings mussten die Teams diese Vorgabe erst technisch umsetzen. Eine weitere Hürde war die Tatsache, dass neben unterschiedlichen Motoren- auch mehrere Hersteller von Bremskomponenten in der Formel 1 aktiv sind. Dazu sind die Asphaltdecken der einzelnen Strecken unterschiedlich beschaffen. "Es ist schon ein Wunder, dass es nicht viel mehr Drama gab", bemerkt Key. "Trotzdem ist das Ganze noch eine Baustelle."

Überzeugt vom System ist Reifenzulieferer Pirelli: "Wir haben an dem Problem der Bremsplatten gearbeitet - und es gab einige Möglichkeiten, sich welche einzufahren", erinnert sich Paul Hermbery an Schwierigkeiten im Januar. Der Sportchef sieht sich bestätigt. schließlich war das Problem etwa in Bahrain trotz viel Qualm kaum noch wahrnehmbar: "Das ist in den ersten Rennen bei den vielen Verbremsern klar geworden. Wir beobachten das die ganze Zeit." Hembery ist froh, die Sache mit der Wahl der Mischungen für einen Grand Prix in den Griff bekommen zu haben.