• 14.03.2014 10:25

  • von Dieter Rencken

Watson: "Ein Fahrer mit Hirn wird vorne sein"

Ex-Formel-1-Pilot John Watson im Interview: Seine Eindrücke von den neuen Antrieben, die Farbe des Geldes und die Chancen für Alonso, Button und Rosberg

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 bietet vor dem ersten Rennen der Saison 2014 viel Spannung. Vor dem Grand Prix in Melbourne hat man zwar gewisse Eindrücke aus den Testfahrten bekommen können, aber erst das Rennen am Sonntag wird offenbaren, wie die Hackordnung im neuen Zeitalter der Königsklasse aussieht. Mit großer Vorfreude blickt auch Ex-Formel-1-Pilot John Watson auf den Saisonstart in Australien. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' beschreibt der Brite, was er von der Szene im Jahr 2014 erwartet.

Titel-Bild zur News: John Watson Niki Lauda

John Watson und Niki Lauda waren früher erbitterte Rivalen auf der Rennbahn Zoom

Frage: "John, wie siehst du als ehemaliger Grand-Prix-Sieger die neue Technologie in der Formel 1?"
John Watson: "Ich finde, einem Fortschritt sollte man jederzeit aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir kommen jetzt von einer Generation Fahrzeuge - eher so Planierraupen auf Gummirädern - mit einem vergleichsweise harmlosen Antrieb und recht wenig Dampf zu den neuen Autos mit Turbomotoren, die fast das doppelte Drehmoment bieten. Die Leistung dürfte ähnlich sein, aber die Leistungsentfaltung ganz anders."

"Wenn man die Veränderungen der Aerodynamilk und die härteren Reifen zum deutlich gestiegenen Drehmoment hinzunimmt, dann kann ich mir vorstellen, dass einige junge Burschen ganz schön in Schwierigkeiten kommen könnten. Das liegt daran, dass sie nie mit wirklich viel Drehmoment umgehen mussten. Wenn diese Jungs beispielsweise in der Formel Nippon unterwegs waren, dann haben sie dort ein Formel-3.000-ähnliches Auto gehabt und Reifen, die regelrecht kleben. Jetzt kommen sie in eine neue Welt."

"Qualität wird sich am Ende immer durchsetzen. Jene aber, die in diesem Jahr neu in der Formel 1 sind und womöglich nicht gerade in einem Topteam fahren, dürften es schwer haben. Einige der erfahrenen Leute, die vielleicht eher mit Leidenschaft als mit Köpfchen fahren, könnten auch ihre Probleme bekommen."

Frage: "Magst du den Ansatz, dass man in der Formel 1 nun Technologie einsetzt, die relevant in der Serienentwicklung sein soll?"
Watson: "Es konnte nicht immer so weitergehen. Es ist allerdings so, dass der weitere Weg manchmal von politischen Minderheiten diktiert wird. Wir müssen das akzeptieren. Es ist nun einmal so, dass die Menge an fossilen Brennstoffen auf unserer Erde begrenzt ist. Diese Tatsache darf man nicht ignorieren. Wir müssen diese Vorräte möglichst gut schonen, müssen neue Technologien erfinden und einsetzen. Die blinde Verschwendung muss aufhören."

"Es ist insgesamt ein Spagat, den man schaffen muss. Auf der einen Seite musst du neue technische Wege gehen, auf der anderen Seite die Kernelemente der Formel 1 bewahren. Ich persönlich denke, dass die Fahrzeuge unbedingt wie echte Formel-1-Autos klingen müssen und nicht wie ein getriebenes Kamel."

Die alten McLaren-Duelle

Frage: "Damals in den 1980er-Jahren, als du selbst aktiv warst, hörten sich die Autos aber ähnlich an wie jetzt. Allerdings gab es damals tollen Rennsport, wenn man nur mal an die Duelle zwischen Senna und Prost denkt. Der Klang der Motoren spielte dabei keine große Rolle..."
Watson: "Ja, das stimmt. Wir hatten damals herrliche Kämpfe auf der Strecke - vor allem bei McLaren zwischen zwei der besten Fahrer aller Zeiten."

"Was wir damals aber auch gesehen haben, war eine absolute Dominanz von McLaren. Williams war in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre vorn, dann McLaren, dann folgten die Phasen von Ferrari, Benetton, nochmal McLaren und anderen. Zuletzt war es Red Bull, die dominiert haben. Diese Dominanz hing immer von aerodynamischen Entwicklungen ab, nie vom Motor. Enzo Ferrari würde sich aufregen, wenn er das erleben würde. Für ihn war immer der Motor das Kernelement, alles andere war für ihn nur das Beiwerk."

"Heutzutage haben wir nun eine Kombination von neuen Technologien beim Antrieb, hochgestochener Aerodynamik und einer ausgereiften Kinematik, die unendlich Grip bieten soll. Hoffentlich wird uns das tolle Rennen bieten. Ich erwarte das nicht unbedingt hier in Melbourne, allerdings kann es lustig werden, wenn es am Sonntag nass sein sollte. Was wir aber ganz sicher erleben werden, ist ein Entwicklungswettkampf der besten vier Teams."

"Diese Teams, die das entsprechende Budget haben, werden die Entwicklung wie verrückt vorantreiben. Wo ist denn die Budgetobergrenze, die wir in der Formel 1 haben wollten? Das ist wohl ganz in Vergessenheit geraten. Die vier Teams mit ihrem vielen Geld werden die Probleme schnell überwinden. Die anderen müssen versuchen, da irgendwie mitzuhalten. Es wird aber eine Lücke entstehen. Diese engen Abstände, die wir in den vergangenen Jahren immer gesehen haben, wird es nicht mehr geben."

Das liebe Thema Geld...

Frage: "Sollten wir denn in der Formel 1 diese Budgetobergrenze haben?"
Watson: "Wenn man eine solche Begrenzung nicht hat, dann hängen die großen Teams die mittleren und kleinen ab. Das Mittelfeld und das Ende des Feldes wird dann niemals konkurrenzfähig sein können. Und wenn das der Fall ist, dann werden die kleineren Teams auch niemals die nötigen Finanzmittel auftreiben können, um mal vorne anzugreifen."

"Neben den Topteams sind es heutzutage die Motorenhersteller, von denen alles abhängt. Zwar kommt Honda im kommenden Jahr hinzu, aber wenn sich einer der bisherigen Hersteller - aus welchem Grund auch immer - zurückzieht, dann sieht es düster aus. Nicht sofort, aber in zwei oder drei Jahren. Alle sind abhängig vom Wohl und Wehe dieser Hersteller - so sehr, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Und genau dies ist ein Kernproblem der aktuellen Formel 1. Wenn einem Hersteller plötzlich etwas anderes besser passt, dann ist er weg. Vielleicht sponsert er dann Polo - da gibt es ja auch Pferdestärken..."

Frage: "Oder sie gehen in die WEC, wo jetzt schon immerhin Audi, Porsche und Toyota sind - 2015 kommt wahrscheinlich noch Nissan hinzu..."
Watson: "Ja. Allerdings spielt die WEC in der öffentlichen Wahrnehmung keine allzu große Rolle. Le Mans sticht da natürlich erheblich heraus, aber es ist eben das Kronjuwel der WEC. Das Rennen in Le Mans ist absolut einzigartig. Leider passen die Anlagen in Le Mans nicht mehr, die sind nicht mehr zeitgemäß. Das passt nicht zu den modernen Autos, die dort fahren. Aber es stimmt schon: Audi ist dort, Porsche und Toyota ebenso, Nissan soll kommen und man sagt sich, dass auch Ferrari Interesse hat."


Fotos: Großer Preis von Australien


"Die Formel 1 hat im Gegensatz dazu hochmoderne, wunderschön gebaute Anlagen und Strecken, die alle Sicherheitsvorgaben erfüllen. Die WEC hat außerdem das Problem, dass dort die ultraschnellen LMP1-Autos und die GT-Fahrzeuge gleichzeitig auf den Strecken unterwegs sind. Das ist auf manchen Strecken und in manchen Abschnitten ein echtes Problem. Wenn diese Autos sich beispielsweise in den Porsche-Kurven in Le Mans begegnen, dann ist das brandgefährlich."

Melbourne soll Nachtrennen werden

Frage: "Ein ähnliches Szenario kann es aber nun auch in der Formel 1 geben. Wenn einer am Ende viel Sprit sparen muss und ein anderer noch mit Volldampf unterwegs ist, dann gibt es ebenfalls große Geschwindigkeitsunterschiede..."
Watson: "Ja, das kann passieren. Ich hoffe sehr, dass die Piloten entsprechend darauf vorbereitet werden. Sie müssen wissen, dass in den letzten zehn Runden eines Rennens plötzlich mal jemand über die Strecke schleicht. Wenn ein Auto noch weit weg scheint, dann dauert es eben nicht unbedingt fünf Sekunden, bis ich aufgeschlossen habe, sondern das kann schon einen Wimpernschlag später der Fall sein. Man muss jederzeit wachsam sein. Ich gehe davon aus, dass die erfahrenen und besten Fahrer damit kein Problem haben werden."

Frage: "Hoffst du darauf, dass es hier am Sonntag ein Gewitter geben könnte?"
Watson: "Nein, ich wünsche mir, dass es trocken bleibt. Ich finde, Australien sollte immer ein Trockenrennen sein. Es ist der Saisonauftakt und da sollte alles sonnig erscheinen. Ich finde, Melbourne und der Albert Park sind beste Aushängeschilder für die Formel 1. Es ist ein Event der alten Schule, nicht nur wegen des Streckenlayouts. Hier sind immer Fans, hier ist immer Betrieb. Es sieht einfach aufregend aus. Auf anderen Strecken ist oftmals so viel Platz, da gibt es einen ganz anderen Eindruck am TV und auch vor Ort."

"Melbourne ist für mich der perfekte Schauplatz, um eine Saison zu eröffnen." John Watson

"Melbourne ist für mich der perfekte Schauplatz, um eine Saison zu eröffnen. Allerdings würde ich mir in Melbourne etwas wünschen, was natürlich mit den etwas ungewöhnlichen Sendezeiten in Europa und den fast unmöglichen Sendezeiten in Nordamerika zu tun hat: Wenn Singapur doch ein solch erfolgreiches Nachtrennen gestalten kann, dann muss das hier auch möglich sein. Dieses Rennen in Australien könnte ein fantastischer Event sein, wenn man in die Dunkelheit hineinfahren würde. Das wäre etwas, worüber die Veranstalter in Melbourne nachdenken sollten. Wir haben in Singapur erlebt, wie großartig so etwas aussehen kann."

Die Favoriten der Saison

Frage: "Du begegnest hier im Fahrerlager auch Niki Lauda. Wie war damals eure Fehde?"
Watson: "Naja, ich fand es gut, ihn damals als Teamkollegen zu haben. Klar, er war nicht der leichteste Teamkollege, den man sich vorstellen konnte. Aber als Mensch mochte ich ihn immer gern, also die Person Niki und seinen Charakter: no bullshit! So ist Niki. Er ist auch ein Starrkopf. Das hat ihm manchmal geholfen, aber war eben manchmal auch eher eine Schwäche als eine Stärke."

Frage: "Bist du erstaunt, dass er nun ein Team leitet, das als Titelfavorit gilt?"
Watson: "Es freut mich für ihn. Ich hoffe, dass Mercedes ein tolles Jahr erlebt. Es sieht im Moment so aus, als seien sie das überlegene Team. Aber gesichert ist das natürlich nicht. Sie haben zwei Fahrer, die beide durchaus die Meisterschaft gewinnen könnten, die also dazu fähig sind - wahrscheinlich aber auf verschiedene Arten. Hier in Melbourne werden wir zumindest mal einen Hinweis darauf bekommen, wie es dieses Jahr laufen wird."

Frage: "Wer ist dein Titelfavorit? Auf wen tippst du?"
Watson: "Es wird ein Fahrer mit Hirn sein und keiner, der nur einen schweren Gasfuß hat. Drei Fahrer habe ich da auf meiner Liste ganz oben: Alonso, Button und Rosberg. Im Saisonverlauf wird sich der Vorteil dieser drei vielleicht etwas relativieren, weil alle anderen hinzulernen. Aber grundsätzlich sehe ich diese drei Jungs vorne, aufgrund ihrer Art und ihres Fahrstils. Es geht eben nicht nur darum, Vollgas zu fahren, sondern vor allem darum, klug am schnellsten ins Ziel zu manövrieren."


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Australien

Frage: "Aber auch Vettel zählt doch zu den Fahrern mit viel Hirnschmalz..."
Watson: "Ja, gar keine Frage. Aber die haben im Team derzeit ein erhebliches Problem mit dem Auto. Vielleicht bekommen sie das schnell in den Griff, aber der Rückstand in Sachen Erfahrung und Entwicklung ist erst einmal groß. Wenn sie hier durchkommen, dann kann es sein, dass es ihr bestes Ergebnis des Jahres sein wird. Wenn sie Punkte holen, dann wäre das doch okay. Ich schreibe Vettel nicht ab. Eigentlich muss man ihn immer auf der Pole-Position auf den Titel sehen, aber die Umstände sind eben nicht mehr so positiv wie in den zurückliegenden vier Jahren."