• 28.07.2013 20:40

  • von Dieter Rencken

Wolff: "Dann hat es Lewis umgesetzt..."

Mercedes-Sportchef Toto Wolff spricht über den Sieg in Ungarn und die neue Reifensituation in der Formel 1 - Ist Silber nun sogar ein Anwärter auf den Titel?

(Motorsport-Total.com) - Aller Bedenken zum Trotz hat es geklappt: Lewis Hamilton fuhr in Budapest nicht nur auf die Pole-Position, sondern hat sich auch noch den Rennsieg geholt. Entsprechend zufrieden zeigt sich Mercedes-Sportchef Toto Wolff mit dem Rennwochenende in Ungarn. In seiner Medienrunde spricht Wolff auch darüber, warum es Mercedes gelungen ist, die Reifen optimal zu behandeln. Und er schildert seine Sicht der Dinge zur nun leicht veränderten Situation in der Gesamtwertung.

Titel-Bild zur News: Toto Wolff

Stolzer Sportchef: Toto Wolff ist sehr zufrieden mit dem Abschneiden in Ungarn Zoom

Frage: "Toto, wie wertest du den Erfolg für Lewis Hamilton persönlich? Und wie geht Nico Rosberg damit um?"
Toto Wolff: "Lewis ist ein Spitzenmann. Die Jungs sind nicht so, dass sie sich schnell aus dem Konzept bringen lassen. Der Sieg ist gewissermaßen die Nahrung der Fahrer. Das treibt sie an."

"Umso mehr wird er sich freuen. Genau so wenig wie ihn vielleicht ein Sieg von Nico aus dem Konzept gebracht hätte, genau so ist Nico jetzt guter Dinge und froh, dass das Auto gut funktioniert. Das ist dieser Spirit, den wir spüren. Auch in dem Briefing, das wir gerade hatten. Es geht vorwärts, auch unter den beiden Fahrern. Ich sehe da also keine große Veränderung."

Frage: "Gibt es schon Erkenntnisse, was mit Nico Rosberg im Rennen passiert ist?"
Wolff: "Der Teufel steckt im Detail. Es sieht aber so aus, dass wir ein Motorproblem gehabt haben. Wir müssen jedoch erst noch genau identifizieren, was es war. Ich glaube, das ist eine einmalig auftretende Sache. Wo der Motor bei der Laufleistung stand, weiß ich gar nicht. Das müsste ich nachschauen."

Frage: "Warum hattet ihr keine Probleme mit den Reifen?"
Wolff: "Der Reifen ist neu. Wir haben eine neue Konstruktion, die erstmals an einem Rennwochenende zum Einsatz gekommen ist. Beim Young-Driver-Test hatte man sie das erste Mal an die Autos geschraubt. Und dieser Reifen kommt uns entgegen. Ein zusätzlicher Faktor ist vielleicht:"

"Wir hatten drei zusätzliche Tage Zeit, um nachzudenken (Mercedes war für den Young-Driver-Test gesperrt; Anm. d. Red.). Von Freitag an haben wir sehr stark an den Longruns gearbeitet. Das hat uns bei unserer Leistung über eine Runde etwas geschadet, obwohl wir ja dennoch die Pole-Position erzielt haben. Das kam uns aber am Sonntag entgegen. Die Ingenieure haben meiner Meinung nach sehr gut die Hitze und die Temperaturen antizipiert. Das hat Lewis dann umgesetzt."

Alles eine Frage der richtigen Temperatur...

Frage: "Die Vorderreifen sind bei den modifizierten Pneus nicht ganz so stark. Hat das vielleicht dabei geholfen, die Balance, die in der Vergangenheit bei Mercedes nicht immer gut war, ins Positive zu wenden?"
Wolff: "Ich weiß nicht, ob das die technische Erklärung ist. Ich denke, wir müssen erst noch analysieren, was in diesen Reifen drinsteckt und wie sie ihre Leistung entfalten."

Frage: "Wie hat man sich die Temperatur der Reifen und die Auswirkungen davon vorzustellen?"
Wolff: "Es gibt zwei wichtige Temperaturwerte. Das eine ist die Temperatur der Oberfläche, das andere die Temperatur im Inneren des Reifens. Es ist ziemlich schwierig, die Kombination richtig hinzukriegen."

"Du kannst niedrigere Temperaturen auf der Oberfläche und höhere im Inneren haben. Das ergibt Probleme oder es ergibt keine Probleme. Das Gleiche gilt für die umgekehrte Situation. Das ist der Schlüssel. Wir haben heute wieder hohe Temperaturen auf den Reifen gesehen. Der Effekt auf die reine Rundenzeit scheint aber geringer zu sein."

Frage: "Nach der Qualifikation klang Lewis aber noch nicht wirklich überzeugt. Ist das eine unterschiedliche Wahrnehmung?"
Wolff: "Nein, das ist keine unterschiedliche Wahrnehmung. Wir haben ja erst am Freitag begonnen, mit dem Reifen zu arbeiten. Das heißt: Uns haben schlichtweg die Erfahrungswerte gefehlt."

"Was wir von einigen der vergangenen Rennwochenenden mitgenommen haben, war, dass die Leistung im Qualifying sehr gut war. Das, was wir in den Longruns an Daten gesammelt haben, hat sich an den Sonntagen aber nicht bewahrheitet. Vielleicht hat das ein klein wenig mitgeschwungen bei der Aussage, dass wir erst sehen müssen, was am Sonntag passiert."

"Wie triffst du dieses Temperaturfenster?" Toto Wolff

Frage: "Du hast es schon angesprochen: Wie anders war der Reifenabbau bei Nico Rosberg, der ständig Straßenverkehr hatte?"
Wolff: "Was man generell sagen kann: Ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist. Im Qualifying haben viele Autos Probleme damit gehabt, ihre Reifen auf Temperatur zu bringen. Zum Beispiel hat man das bei Kimi gesehen, wie er brutal in die Schikane einlenkt, um die Vorderreifen aufzuwärmen."

"Das ist jetzt ein Thema dieses Reifens. Wie triffst du dieses Temperaturfenster? Was wir jetzt gesehen haben: Die Temperaturen waren bei beiden Autos ähnlich. Da gab es keine großen Unterschiede. Die Wahrnehmung der beiden war nur ein klein wenig anders. Und vermutlich hat der Straßenverkehr dabei eine Rolle gespielt."

Der "Sweet Spot"

Frage: "Kannst du erklären, inwiefern der Reifen dem Auto entgegenkommt?"
Wolff: "Es ein unheimlich komplexes Gebilde. Es geht um den Aufbau des Reifens, um die Konstruktion des Reifens, um die Mischung des Reifens. Das alles hängt wiederum mit den Temperaturen, die der Reifen generiert, zusammen."

"Um es ganz schwierig zu machen: Es geht um die Temperaturen im Inneren, die Core-Temperaturen, die ein Reifen generiert. Dann haben wir die Temperaturen, die der Reifen auf der Oberfläche generiert. Und dann noch die Temperaturen auf den Flanken. Wir haben jetzt den dritten neuen Reifen in Folge. Und dieser Reifen verhält sich wieder anders als der Reifen davor. Es geht, einfach gesagt, um die Temperatur. Und darum, den 'Sweet Spot', das optimale Temperaturfenster zu finden. Alle Teams arbeiten daran, dieses Fenster zu finden und richtig zu treffen. Das ist das Kernthema."

"Es könnte in Spa wieder ganz anders sein." Toto Wolff

Frage: "Würdest du sagen, ihr habt hier bei diesen Bedingungen den 'Sweet Spot' gefunden, was aber in Spa schon wieder ganz anders sein könnte?"
Wolff: "Ja, absolut. Wir haben es auch im Briefing lange diskutiert, weil auch die Wahrnehmung der Fahrer anders war. Bei Nico wissen wir es nicht, denn er ist im Verkehr gefahren. Lewis hatte freie Bahn. Deshalb gingen die Aussagen ein bisschen auseinander."

"Und ja: Es könnte in Spa, bei anderen Temperaturen, auf einem anderen Belag, bei anderen Streckencharakteristiken wieder ganz anders sein. Dann findet man den 'Sweet Spot' wieder oder eben nicht. Das zieht sich durch die gesamte Saison, obwohl die Reifen anders waren. Ein Team hat es mal getroffen, ein anderes hat es nicht getroffen."

Frage: "Hattet ihr bei der Strategie einen Plan B oder war die Taktik von Anfang an auf drei Stopps ausgelegt, nicht mehr?"
Wolff: "Nein. Aufgrund der Daten vom Freitag und aufgrund der hohen Temperaturen war uns klar, dass die meisten Teams zwei bis drei Stopps einlegen würden. Für uns stand fest: Wir würden eine Dreistopp-Strategie anstreben. Manche der Teams, die zunächst zwei Stopps machen wollten, mussten umplanen und haben ihre Strategie so etwas beeinträchtigt."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Ungarn


Frage: "Es waren also stets drei Stopps geplant?"
Wolff: "Ja."

Frage: "Weißt du, ob der Reifen, wie er hier zum Einsatz gekommen ist, schon bei den Mercedes-Reifentests in Barcelona dabei war?"
Wolff: "Wir wissen nicht, was wir in Barcelona getestet haben. Deshalb kann ich die Frage nicht beantworten."

"Ich denke, wir hatten vielleicht drei Tage mehr Zeit, um nachzudenken." Toto Wolff

Frage: "Es ist aber ja schon interessant, dass ausgerechnet das Team gewinnt, das in Silverstone gar nicht dabei war..."
Wolff: "Nun (lacht; Anm. d. Red.). Ich denke, wir hatten vielleicht drei Tage mehr Zeit, um nachzudenken."

Frage: "Also bringen die Testfahrten gar nichts..."
Wolff: "Sie stellen gute Fragen. Ich glaube, Testfahrten bringen schon etwas, aber der Reifen ist neu und Silverstone ist anders als Ungarn. Auch die Temperaturen waren anders."

Frage: "Hat das Team die Daten der anderen Rennställe bekommen?"
Wolff: "Nun... Ich habe die Daten nicht gesehen. Es war aber ein offener Test. Die Reifentests waren zugänglich. Deshalb haben die Ingenieure gesehen, was die Ergebnisse waren."

Frage: "Ist man aufgrund des Sieges nun hoffnungsvoller oder hat sich dadurch nichts verändert?"
Wolff: "Die Hoffnung ist manchmal auch trügerisch. Und sie hilft uns auch nicht. Was wir gesehen haben: Ein vermeintlich sehr schwieriges Wochenende, mit den neuen Reifen und der Arbeit, die wir gemacht haben, hat sich als ein gutes Wochenende erwiesen. Das ist auf jeden Fall die schöne und gute Nachricht, die wir hier mitnehmen."

Frage: "Lewis Hamilton spricht von einem Wendepunkt. Kann man das so sagen oder eher noch nicht?"
Wolff: "Dieses Wochenende war gut und wir sind auf einem Aufwärtstrend. Es geht hier aber darum, die Leistung zu konsolidieren und diese Ergebnisse nachhaltig am Samstag und Sonntag zu erzielen. Unter diesem Gesichtspunkt würde ich die zweite Saisonhälfte sehen."

"Auf dem Boden bleiben, die Ergebnisse analysieren, konsolidieren, nachhaltig performen." Toto Wolff

Frage: "Wie siehst du nun die Situation in der Gesamtwertung? Lewis Hamilton meinte, mit dem Einzeltitel könnte es schwierig werden, aber der Konstrukteurstitel sei drin..."
Wolff: "Ich glaube, wie müssen auf dem Boden bleiben. Wenn wir vor einem halben Jahr gesprochen und gesagt hätten, dieses Thema diskutieren wir dann im Juli, hätten alle geglaubt, wir sind nicht ganz richtig. Insofern: Auf dem Boden bleiben, die Ergebnisse analysieren, konsolidieren, nachhaltig performen. Das würde ich mir als Motto für die zweite Saisonhälfte wünschen."

Frage: "Lewis Hamilton hat jetzt 40 Punkte mehr als Nico Rosberg. Lässt sich dadurch eine Tendenz zum Nummer-eins- und Nummer-zwei-Fahrer ablesen?
Wolff: "Überhaupt nicht."

Frage: "Wie lautet dein Eindruck zu Lewis Hamilton in den vergangenen Wochen? Wirkt er fokussierter?"
Wolff: "Meine Meinung ist, dass er von Anfang an fokussiert war. Und wenn man Silverstone hernimmt, mit dem Reifenschaden: Das war ein Rennen, das er hätte nach Hause fahren können. Nein, der Fokus ist immer da. Beide Fahrer sind so professionell, dass sie 24 Stunden am Tag an nichts Anderes denken als das Rennfahren. Ein Sieg ist ein Sieg. Und so ein Wochenende zu verlassen, ist prima."

Frage: "Der Hund von Lewis Hamilton soll an diesem Wochenende nicht hier sein. Steckt da was dahinter?"
Wolff: "Bitte sprich nicht darüber (lacht; Anm. d. Red.)

"Wir haben noch eine Woche Vollgas in England." Toto Wolff

Frage: "Wie entspannt geht es jetzt in die Sommerferien?"
Wolff: "Die beginnen für uns erst in einer Woche. Wir haben noch eine Woche Vollgas in England. Dann freue ich mich auf Moskau mit der DTM mit meinem Kollegen Wolfgang Schattling. Das ist mein Urlaub (lacht; Anm. d. Red.). Und dann am Sonntagabend geht es irgendwohin, wo mein Handy hoffentlich nicht funktioniert."

Frage: "Was heißt, 'eine Woche Vollgas'?"
Wolff: "Wir haben eine Woche Arbeit in Brackley. Und da ist business as usual, würde ich sagen."

Frage: "Das gilt ja sicher für alle Teams..."
Wolff: "Nun, ich glaube, es gibt auch Teams, die schon morgen in ihre Sommerpause starten. Zwei der drei Wochen muss man pausieren. Das kann man aber flexibel gestalten."