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Ferrari-Krise: Fry rechnet nicht mit Podestplätzen

Technikdirektor Pat Fry geht nach dem Abschluss der Wintertestfahrten nicht davon aus, dass Ferrari beim Auftakt in Melbourne ein Wort um das Podium mitsprechen kann

(Motorsport-Total.com) - Der neue Ferrari F2012 ist bislang das Sorgenkind der Wintertestfahrten. Fernando Alonso fuhr am letzten Testtag in Barcelona zwar die zweitschnellste Zeit, doch sie kam bei einer Qualifyingsimulation zustande. Bei Rennsimulationen waren die Zeiten sehr unkonstant und im Vergleich zur Konkurrenz langsam, auch wenn man in die Testergebnisse nie zu viel hineinlesen sollte. Ferrari hatte sich beim neuen Auto auf die roten Fahnen geschrieben, aggressiv zu entwickeln. Im Vergleich zu allen anderen Teams setzt man an der Vorderachse auf eine Zugstrebenlösung.

Titel-Bild zur News: Pat Fry

Pat Fry wurde verpfichtet, um die Scuderia wieder an die Spitze zu führen

Nach den Wintertests blieb der Eindruck, dass Ferrari das neue Auto noch nicht restlos versteht, denn beinahe täglich wurden Aerodynamiktests mit aufgesprühter Farbe durchgeführt. Zudem kommt, dass der F2012 am Limit unberechenbar zu fahren scheint. Am Heck fehlt es an Traktion, weshalb die Fahrer am Kurvenausgang stark zu kämpfen haben, wie in Barcelona und Jerez deutlich zu erkennen war. Zudem scheint der Bolide nur in einem bestimmten Arbeitsfenster zu funktionieren, was zum Teil die starken Schwankungen in den Rundenzeiten erklären könnte.

Wie sehr der Hut brennt, zeigte die Maßnahme, dass Ferrari seinen Fahrern Alonso und Felipe Massa einen Maulkorb verpasste. Das hat die Scuderia in der Formel-1-Geschichte noch nie getan. Dennoch ließ sich der zweifache Weltmeister aus Spanien am Rande eines Fußballspiels zwischen dem FC Barcelona und Sporting Gijon eine Aussage entlocken: "Das neue Auto hat Eigenschaften, die wir nur schwer begreifen. Wir sind nicht dort, wo wir sein wollen. Wir müssen noch hart arbeiten."

Etwas drastischer formuliert es Technikdirektor Pat Fry, der eigentlich für den großen Aufschwung der Roten sorgen soll. "Ob wir in Melbourne um das Podium kämpfen können? Im Moment würde ich sagen: Nein. Wir sind enttäuscht über das Performance-Level, das wir bei den Tests gesehen haben", nimmt der Brite gegenüber 'Autosport' kein Blatt vor den Mund. "Ich glaube, es liegt noch viel Arbeit vor uns. Die Entscheidung, die wir vergangene Woche beim Auspuff getroffen haben, hat uns bei der Entwicklung ein paar Schritte zurückgeworfen."


Fotos: Ferrari, Testfahrten in Barcelona


Alleine diese Aussage zeigt, wie es um die Mannschaft aus Italien bestellt ist. Red Bull führte beim letzten Test ebenfalls einen neuen Auspuff ein. Abgesehen von Getriebeproblemen gab es aber keine Schwierigkeiten mit dem Auspuffsystem. Dabei hatte das springende Pferd eindeutig das Ziel vorgegeben, in diesem Jahr den roten Bullen vom Thron zu stoßen. Wie weit hat die Änderung des Auspuffs Ferrari zurückgeworfen? "Das ist schwierig zu sagen", antwortet Fry.

"Bei Testfahrten kann man die Benzinmenge der andren Autos nur raten. Deshalb werden wir erst in Melbourne die genaue Antwort erhalten, ob wir sehr enttäuscht oder nur wenig enttäuscht sein müssen - und wie weit wir wirklich zurückliegen, beziehungsweise wie viel Boden wir gutmachen müssen." Ein Mann, der seinen Teil zur Ferrari-Geschichte beigetragen hat, glaubt nicht an Erfolge der Mannschaft aus Maranello.

Lauda hat Ferrari nicht auf der Rechnung

Niki Lauda war bis zur Ära Michael Schumacher der erfolgreichste Ferrari-Fahrer. Er hat sein Ex-Team momentan nicht auf der Rechnung. "Die sind hinten, überhaupt keine Diskussion. Das Auto war relativ unstabil, rutscht einmal vorne, einmal hinten. Die Italiener sind auch nicht sehr begeistert von ihrem Auto. Ich glaube, dass der Unterschied zu den drei Topteams zwei, drei Zehntel sein könnten", schätzt der Österreicher im 'ORF'.

Das sei "am Anfang des Jahres schon relativ viel", findet der 63-jährige TV-Experte - möglicherweise sogar zu viel für einen Ausnahmefahrer wie Alonso: "Ferrari hat mit Alonso einen Topmann, aber wenn das Auto zwei, drei Zehntel hinten ist, kann er auch nichts machen. Und mit Massa hat er einen nicht so starken Teamkollegen, daher wird er nicht gepusht."

Fernando Alonso

Fernando Alonso hat den neuen Ferrari F2012 noch nicht im Detail verstanden Zoom

Fry sieht im Auspuff das größte Steigerungspotenzial

In Maranello werden bis Melbourne die Lichter nicht ausgehen. "Wir müssen das generelle Level des aerodynamischen Anpressdrucks verbessern. Uns ist aber bewusst, dass das Entwicklungstempo aller Teams mehr oder weniger gleich ist", weiß Fry, wie schwierig es während einer Saison ist, entscheidenden Boden gutzumachen. "Wir haben für Melbourne noch einige Updates. Prinzipiell adaptieren wir das Auto wieder für jene Auspuffkonfiguration, die wir zumindest in den ersten vier Rennen fahren werden."

Die Nutzung der Auspuffgase wurde von der FIA stark beschnitten. Dennoch sind sich alle Techniker im Fahrerlager einig, dass man immer noch einen aerodynamischen Vorteil aus den Auspuffgasen schöpfen kann. Wie immer muss sich auch dieses Detail in das Gesamtkonzept eines Autos perfekt integrieren. Für Fry war der Auspuff ein viel diskutiertes Thema während der Testfahrten. "Wir haben die vergangenen beiden Wochen an der aktuellen Konfiguration gearbeitet."

Felipe Massa

Ferrari experimentierte in Barcelona mit der Konfiguration des Auspuffs Zoom

"Wir konnten etwas Performance finden, doch ohne Zweifel ist die erste Version die beste, sie bietet die meisten Vorteile. Ich glaube, wir können mindestens 25 Prozent des Abtriebs aus dem Vorjahr zurückgewinnen. Selbst wenn wir abschätzen müssen, was uns das beim Spritverbrauch und bei der Stabilität am Kurveneingang kostet. Im Moment haben wir damit immer noch Probleme, aber es ist der offensichtlichste Weg, um zu versuchen die Performance und den aerodynamischen Abtrieb zu verbessern. Wir werden genau wie alle anderen daran weiterarbeiten."

Es stellt sich die Frage, ob sich Ferrari beim Auspuff verrennt und andere Aspekte des Autos aus dem Blick verliert, zumal man im Vorjahr den angeströmten Diffusor auch nicht restlos im Griff hatter. Auch wenn zu jedem neuen Rennen neue Teile gebracht werden - mit Ausnahme des Auspuffs, wie Fry bestätigt hat - könnte es ein schwieriger Saisonauftakt für Ferrari werden, denn die nächsten großen Ausbaustufen sind erst für die Testfahrten in Mugello geplant. Diese finden vom 1. bis 3. Mai statt.

"Ich erwarte vom ganzen Team eine Reaktion und den Willen zu beweisen, wer wir sind." Stefano Domenicalil

"Der Mugello-Test wird nützlich sein, um neue Teile zu probieren, denn während eines Rennwochenendes ist es immer schwierig, große Entwicklungen einzuführen", so Fry. Was hält er von der in Barcelona vorgestellten Auspufflösung von Red Bull? "Das ist eine Frage für Charlie Whiting", antwortet der Technikdirektor knapp.

Domenicali besorgt

Die Scuderia überprüfte am Montag in Maranello die Resultate der Tests in Barcelona. Neben Alonso zeigt sich auch Teamchef Stefano Domenicali besorgt. "Wir sind mit den Testergebnissen nicht zufrieden, sie entsprechen nicht unseren Zielen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Meisterschaft erst beginnt", sagt Domenicali. "Ich erwarte vom ganzen Team eine Reaktion und den Willen zu beweisen, wer wir sind".

Trotz der nicht besonders positiven Eindrücke war der F2012 auf eine Runde konkurrenzfähiger als über die Distanz. Dennoch hat sich über den Winter angedeutet, dass das gesamte Feld enger zusammengerückt ist. Das könnte für eine spannende Qualifikation sorgen. "Ich glaube, wir können ein anderes Szenario erwarten, weil die Performance-Unterschiede kleiner sind", schätzt Fry. "Vielleicht kann man jetzt nicht mehr sicher sein, dass man Q1 mit einer konservativen Runde auf harten Reifen übersteht. Das gleiche könnte bei Q2 sein. Die Antwort darauf werden wir in Australien bekommen."