powered by Motorsport.com
  • 23.02.2010 19:22

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

US-F1-Interview: Unser Problem ist Anderson

In einem brisanten Exklusivinterview erhebt ein US-F1-Mitarbeiter schwere Vorwürfe - Teamchef Ken Anderson nimmt dazu Stellung

(Motorsport-Total.com) - Seit 'Motorsport-Total.com' vor etwas mehr als einem Jahr enthüllt hat, dass Ken Anderson und Peter Windsor in den USA ein neues Formel-1-Team auf die Beine stellen wollen, ist viel passiert. In den vergangenen Wochen und Monaten wurden die Zweifel an dem Projekt immer größer - und nun scheint es kaum noch Hoffnung auf Rettung zu geben.

Titel-Bild zur News: US-F1-Logo

So langsam lichten sich die Nebelschwaden um das neue US-F1-Team

Mehrere Informanten berichteten offenherzig von den Zuständen in Charlotte, wollten aber selten zitiert und unter keinen Umständen namentlich genannt werden. Nun bricht einer der desillusionierten US-F1-Mitarbeiter sein Schweigen und gibt im Interview mit 'Motorsport-Total.com' vor allem Anderson die Schuld an der derzeitigen Misere. Name und Hintergrund des Informanten sind uns bekannt, aufgrund der Brisanz seiner Aussagen möchte er aber vorerst anonym bleiben.#w1#

Vorspiegelung falscher Tatsachen?

Frage: "Du bist sehr offen, was die Situation von US F1 in Charlotte angeht, und du hast bestimmt deine Gründe dafür, jetzt mit der Story an die Öffentlichkeit zu gehen, die du für die Wahrheit hältst. Möchtest du uns deine Motive darlegen?"
Antwort: "Aus welchen Gründen auch immer haben sich die Medien auf Peter Windsor und Chad Hurley eingeschossen, dabei sollten sie sich auf Ken Anderson konzentrieren. Hätte man 2003 nach dem Scheitern des Falcon-IRL-Projekts eine Finanzprüfung durchgeführt, dann wären wir heute nicht hier."

"US F1 bricht auseinander, weil Ken nicht dazu in der Lage ist, ein solches Projekt zu managen. Es tut weh, das ansehen zu müssen. Als wir engagiert wurden, hat man uns gesagt, dass die Budgets für die ersten drei Jahre gesichert sind. Diesbezüglich gab es keinerlei Unklarheiten. Ken sagte dies unseren Vorgesetzten, die es wiederum uns sagten, als wir an Bord kamen. Geld sollte also in den ersten drei Jahren kein Problem sein. Das war nicht wahr, um etwas festzuhalten, was inzwischen ohnehin offensichtlich ist. Aber die Finanzierung ist nur das zweitgrößte Problem..."

US-F1-Fabrik in Charlotte

US-F1-Fabrik in Charlotte: Ist das schon der Grabstein des Formel-1-Traums? Zoom

Frage: "Was ist das größte?"
Antwort: "Unsere Gehälter vom 15. Januar wurden zu spät überwiesen. Ich bekam mein Geld um den 20. Dadurch wurden auf einmal Fragen gestellt. Auf einmal traten die Probleme der Firma ans Tageslicht, etwa dass man uns über das langfristige Budget angelogen hatte. Man muss es so sehen: Selbst wenn man einmal völlig außer Acht lässt, dass wir angelogen wurden, werden Sponsoren ohnehin kein Geld investieren, solange die Weiterentwicklung des Autos stockt. Im Moment arbeiten noch ungefähr 60 Leute in Charlotte, ungefähr zehn sind schon gegangen. Wir hören, dass Sponsorengelder auftauchen könnten, wenn Ken Anderson geht."

Frage: "Wann wurden diese Probleme der Belegschaft bewusst?"
Antwort: "Anfang Dezember. Wir erwarteten einen großen Schub in der Produktion, aber der passierte nicht. Wir alle haben ja Erfahrung in verschiedenen Bereichen des Rennwagenbaus und wir alle wissen, welche Zeitpläne dafür eingehalten werden sollten. Als klar wurde, dass das Designbüro nicht in der erwarteten Frequenz Zeichnungen herausgibt, war uns klar, dass wir Probleme haben."

Unnötige Zeitverluste

"Alle Ingenieursentscheidungen mussten von Anderson abgesegnet werden. Das war der Flaschenhals. Die Formen für das Monocoque waren Anfang Dezember fertig, aber dann dauerte es fast einen Monat, bis der Laminierungsplan für die Außenhaut freigegeben wurde. Gut, für den war nicht Anderson selbst verantwortlich, aber er stellte jede Entscheidung in Frage ('Warum macht ihr das so kompliziert?'). In diesem besonderen Fall zogen diese Dinge das ganze System hinunter, obwohl das Designbüro ohnehin schon unterbesetzt ist. Die Abteilungsleiter hatten höhere Mitarbeiterzahlen gefordert, wurden von Anderson aber routinemäßig abgewiesen."

"Anderson leitete dabei die Firma, denn Windsor war nur selten in der Fabrik. Bereits im Oktober war der Produktionsleiter verunsichert, aber er wurde beruhigt: 'Ken hat einen Plan.' Die Ironie ist, dass erstaunlich wenig geplant oder dokumentiert ist - es gibt keine Produktionspläne, generell kaum einzuhaltende Fristen. Ken beantwortet auch keine E-Mails zu Ingenieurs- und Designfragen, denn das würde nachprüfbare Spuren hinterlassen."

US-F1-Designshop

Der US-F1-Designshop in Charlotte ist personell stark unterbesetzt Zoom

Frage: "Du sprichst sehr negativ über Ken Anderson. Was sagst du zu Peter Windsor?"
Antwort: "Ohne Auto stellten sich keine Sponsorengelder ein. Das lag aber nicht an Windsors Bemühungen. Er war naiv und glaubte Kens Versprechen, dass alles im Zeitplan ist, und er war noch naiver, weil er das Gegenteil nicht selbst erkannte."

"Ich weiß, dass er einige Male auf informeller Basis über die Fortschritte informiert wurde, aber es dauerte bis zu einem Fabrikstreffen Ende Januar oder Anfang Februar, bis er erkannte, dass wir bis zum Hals in Problemen stecken. Bei dem Treffen stellte Windsor den Angestellten die Frage, wer von ihnen glaubt, dass wir es nicht nach Bahrain schaffen werden. Ich denke, Windsor meinte das rhetorisch, aber praktisch 100 Prozent der Belegschaft hoben die Hände. Er war sichtlich schockiert."

Entscheidend: Hurleys Besuch im Januar

Frage: "Aber Chad Hurley muss das doch irgendwann gemerkt haben. Wie sieht seine Rolle bei der ganzen Sache aus?"
Antwort: "Chad Hurley besuchte die Fabrik am 15. Januar. Er ging durch die Fabrik, aber Anderson folgte ihm wie ein Schatten. So konnten die Abteilungsleiter auf Hurleys unangenehme Fragen nicht antworten, dass es nur langsam vorangeht - Andersons Beisein verhinderte das. Aber dann tat Hurley etwas Unerwartetes."

"Er ging noch einmal in die Fabrik zurück, diesmal ohne Anderson, und traf sich zu Einzelgesprächen mit den Abteilungsleitern. Da wurde ihm der ganze Schlamassel bewusst und er brach mit Anderson. Hurley weiß also genau, warum das Auto nicht fertig ist und wo die Flaschenhälse aufgetreten sind. Ich frage mich, warum Hurley mit diesem Wissen Ken noch nicht entlassen hat. Das hat wohl mit Verträgen zu tun, aber mehr möchte ich dazu nicht sagen."

Chad Hurley

US-F1-Hauptinvestor Chad Hurley kam dem Schlamassel im Januar auf die Spur Zoom

Frage: "Wie geht es nun weiter?"
Antwort: "Wir spüren, dass Hurley und sein Berater Parris Mullins an uns denken, und glauben auch nicht, dass uns Hurley im Stich lassen wird, obwohl die Medien spekulieren, dass er zu Campos abhauen könnte. Bei diesem ganzen Gerede über US F1 wird vergessen, dass mehr als 60 Menschen, die für diese Chance durch das ganze Land gereist sind, in den vergangenen beiden Monaten enorm leiden mussten."

"Andererseits ist das Team dadurch wirklich zusammengewachsen. Wir alle stehen hinter diesem Projekt. Nur einige wenige sind gegangen, weil sie nicht wissen, ob sie diesen Freitag bezahlt werden. So eine Leidenschaft habe ich noch nie erlebt. Die USA können ein Formel-1-Team stellen, sogar ziemlich leicht, wie ich meine. Es ist nur unser Pech, dass wir in ein Projekt mit Ken Anderson involviert sind..."

Stellungnahme von Anderson

Natürlich sind wir vor Veröffentlichung dieses Interviews direkt mit Anderson und Windsor in Kontakt getreten und haben ihnen Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Während sich Windsor zwar umgehend bei uns meldete, aber nur festhielt, er könne derzeit keinen Kommentar abgeben, ohne die Rettungsgespräche zu gefährden, nahm Anderson unser Angebot wahr und gab folgende Stellungnahme ab:

"Im Moment ist noch ziemlich unklar, was die Zukunft für US F1 bereithält. Es gibt nicht wirklich etwas zu sagen, weil sich die Situation täglich verändert. Die Story, die der Angestellte erzählt, ist sicherlich schief und einseitig. Es gibt auch Widersprüche."

Ken Anderson

In Bedrängnis: Gegen Ken Anderson werden schwere Vorwürfe erhoben Zoom

"Alle, die bei uns einen Vertrag unterschrieben haben, wussten genau, worauf sie sich einlassen, wenn wir in Bahrain zwei Autos an den Start bringen wollen. Angesichts des späten Starts wegen der FIA/FOTA-Situation von 2009 habe ich alle aufgefordert, das Auto einfach, robust und zuverlässig zu gestalten."

"Die Aussage, dass die Chassisformen einen Monat lang herumlagen, bis der Laminierungsplan fertig war, sind genau die Dinge, die uns schmerzen. Sehr komplex und zeitraubend. Ich habe in der Tat gefragt, warum das so kompliziert sein muss, wenn es doch gar nicht notwendig ist. Ich möchte hier aber nicht Punkt für Punkt abkommentieren, denn jeder ist befugt, seine eigene Meinung zu haben."