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Kolumne: Tourenwagensport im Tal der Tränen (4/4): Lösung Elektro?

Sind die neuen Antriebe eine neue Hoffnung für den Tourenwagensport? - Zwei Rennserien versuchen, Tourenwagen neu zu denken - Ergebnis offen

Titel-Bild zur News: Elektro-Tourenwagenrennen mit sechs Autos: Der ETCR versucht ein neues Konzept

Elektro-Tourenwagenrennen mit sechs Autos: Der ETCR versucht ein neues Konzept Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der engen Rad-an-Rad-Duelle,

manchmal ist es schlicht Künstlerpech. Natürlich ist der vierte Teil dieser Kolumne bereits geschrieben fertig gewesen, als der Erste veröffentlicht wurde. Und just genau in diesen Zeitraum zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung fiel die Meldung, dass der Elektro-Tourenwagencup (ETCR) seinen Promoter Discovery Sports Events verloren hat - sehr zum Frust der FIA.

Das hat die Veröffentlichung ein wenig hinausgezögert. Letztlich aber haben wir uns entschieden, die Kolumne wie ursprünglich geplant hier angehängt zu veröffentlichen, da die Gründe für den Ausstieg des Promoters hier offensichtlich werden. Also zum letzten Teil über das Schicksal des Tourenwagensports:

Probleme aufzuzeigen, wie in den ersten drei Teilen, ist eine Sache. Sie zu lösen ist ein viel größeres Problem. Um es kurz zu machen: Auch ich habe kein Patentrezept. Sonst hätte ich sicher schon einen hochdotierten Job ganz woanders.

Aber immerhin gibt es Ansätze, den Tourenwagensport zu retten. Ein kleiner Silberstreif am Horizont. Ob sie allerdings dem Publikum gefällt, bleibt abzuwarten. Das Zauberwort heißt: neue Antriebe.

Blicken wir zurück: Seit der Jahrtausendwende fehlte dem Tourenwagensport ein weltweit einheitliches Reglement. Gleichzeitig stürzten sich die Automobilhersteller auf faszinierende Sportwagen, weil man damit auch die SUV-Käufer begeistern konnte. Mittlerweile haben SUVs die Mittel- und Kompaktklasse als Verkaufsschlager abgelöst.

Elektroautos könnten der Ausweg aus dem Tourenwagen-Dilemma sein. Während SUVs für die Rennstrecke nach wie vor ungeeignet sind, sind auch Supersportwagen nicht das geeignete Mittel, um Menschen für den Elektroantrieb im Motorsport zu begeistern. Der letzte Verbrennungsmotor wird wohl in einem Sportwagen stecken.

Das Problem zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die von der FIA seit Jahren verfolgte Elektro-GT-Serie bis heute nicht fährt. So bleiben nur die klassischen Limousinen und Kompaktwagen, um die neue Technik zu zeigen. Und dass es sich dabei nicht um Zukunftsmusik handelt, beweist der Elektro-Tourenwagen-Weltcup (ETCR).

Electric GT Championship

Die Electric GT ist seit Jahren ein Phantom Zoom

Mit bis zu 680 PS, ultrakurzen und brutal harten Rennen nach Rallycross-Vorbild und bekannten Namen wie Mattias Ekström, Bruno Spengler, Nick Catsburg oder Norbert Michelisz stimmen zumindest einmal die Zutaten. Doch es bleibt das alte Dilemma: Elektro-Motorsport stößt bei der motorsportlichen Kernzielgruppe bislang auf wenig Gegenliebe.

So war der ETCR in der Regel eine Rahmenserie, die als Anhängsel von Verbrenner-Serien wie dem WTCR oder dem ADAC GT Masters fuhr. Bei Veranstaltungen, bei denen der ETCR die Hauptveranstaltung war, konnte man die Zuschauer auf den Tribünen an zwei Händen abzählen.

Deshalb setzte der ETCR von Anfang an auf spektakuläre Bilder, um die Generation TikTok und Youtube zu erreichen. Doch auch hier ist der Blick auf die Zahlen ernüchternd.

Das erfolgreichste Video auf dem (nach dem Ausstieg des Promoters nicht mehr zu erreichenden) Youtube-Kanal des ETCR ist mit 88.000 Aufrufen der offizielle Trailer für die erste Ausgabe der Rennserie 2021, der im November 2020 erstellt wurde.

Das erfolgreichste Rennvideo mit 29.000 Aufrufen ist der allererste Auftritt der neuen Rennserie in Vallelunga im Juni 2021. Danach haben nur noch einer Dreher- und Unfallvideo die 10.000er-Marke geknackt.


Das Rennformat des FIA ETCR erklärt

Das verheißt nichts Gutes, denn es bedeutet, dass die Fans dem neuen Produkt zu Beginn eine Chance gegeben und ihm gleich wieder den Rücken gekehrt haben. Die Livestreams der Saison 2022 lockten zwischen wenigen Hundert und 5.000 Zuschauer vor die Youtube-Bildschirme.

Zum Vergleich: Der Le Mans Cup, die dritte Liga des ACO hinter der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) und der Europäischen Le-Mans-Serie (ELMS), hatte Qualifyings mit mehr Zuschauern als jene 5.000 beim erfolgreichsten ETCR-Rennen 2022 - und das außerhalb des "Road to Le Mans"-Rennens.

Klappt es im hohen Norden?

Vielleicht ist es nicht die richtige Zeit, ein neues Produkt mit unbekanntem Namen zu etablieren? Dann gibt es im hohen Norden eine neue Chance: Die bekannte Skandinavische Tourenwagen-Meisterschaft (STCC) startet 2023 mit Elektroautos neu durch. Zunächst mit einem auf zwölf Fahrzeuge begrenzten Starterfeld (2024 sollen es 18 sein), darunter ein TikTok-Star.

Dabei handelt es sich um 550 PS starke Fahrzeuge der Marken Tesla, Volkswagen ID und BMW i. Dies in Kombination mit den liberalen Nordländern, die der Elektromobilität generell aufgeschlossener gegenüberstehen als der Rest Europas, soll in Verbindung mit dem etablierten Namen STCC und den oben genannten Zugpferden zur Erfolgsformel werden.

Die STCC steht 2023 als Elektro-Tourenwagenserie wieder auf

Die STCC steht 2023 als Elektro-Tourenwagenserie wieder auf Zoom

Doch schon werden wieder die gleichen Fehler gemacht wie in der Vergangenheit: Das STCC-Reglement hat nichts mit dem des ETCR zu tun. Wieder versucht jeder für sich den Stein der Weisen zu finden. Die Fahrzeuge sind nicht kompatibel. So bleibt die STCC vorerst eine Insel wie so viele Tourenwagenserien seit der Jahrtausendwende.

Aber immerhin gibt es eine Perspektive für den Tourenwagensport. Und wenn es irgendwie einen Weg geben sollte, die motorsportliche Kernzielgruppe für den Elektroantrieb zu begeistern, wäre das für die langfristige Zukunft des Sports sicher nicht schlecht.

Euer


Gerald Dirnbeck