Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Toprak Razgatlioglu
Toprak Razgatlioglu macht bei der Superbike-WM in Magny-Cours einen seiner seltenen Fehler: Hätte der WM-Leader seine Dominanz bedachter nutzen sollen?
Liebe Freunde der Superbike-WM,
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Toprak Razgatlioglu war nach dem Sturz am Freitagnachmittag nur noch Zuschauer Zoom
etwas mehr als 50.000 Zuschauer verfolgten am vergangenen Wochenende in Magny-Cours das achte WSBK-Event der Saison 2024 und wurden gut unterhalten. Alle Klassen boten spannende Rennen und einige Überraschungen.
Allerdings rückte das sportliche Geschehen auf Grund einiger schwerer Stürze mehrfach in den Hintergrund. Die größte Schrecksekunde erlebten wir bereits am Freitagnachmittag, als WM-Leader Toprak Razgatlioglu bei hohem Tempo die Kontrolle über seine BMW M1000RR verlor und daraufhin im Krankenhaus landete. Es war das abrupte Ende einer beeindruckenden Erfolgsserie.
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Toprak Razgatlioglu kam mit großem Selbstvertrauen nach Frankreich Zoom
Seit März befand sich Razgatlioglu auf einem regelrechten Höhenflug, der mit den Siegen in Barcelona begann und bis zur ersten gezeiteten Runde im zweiten Magny-Cours-Training anhielt. Mit seinem schier grenzenlosen Selbstvertrauen spielte Razgatlioglu monatelang mit seinen Gegnern.
Doch am Freitagnachmittag um 15:12 Uhr hielt das WSBK-Paddock für einen Moment den Atem an, als die BMW mit der Startnummer 54 vom Kurs abkam.
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Der Sturz von Toprak Razgatlioglu setzte das WSBK-Paddock unter Schock Zoom
Schon allein auf Grund der Schmerzen, die Razgatlioglu nach seinem Horrorsturz haben muss, qualifiziert er sich für die Hauptrolle in unserer traditionellen Montags-Kolumne. Zudem muss sich der türkische Ausnahmekönner die Frage gefallen lassen, ob das gezeigte Risiko am Freitag wirklich notwendig war.
Warum so viel Risiko in einem bedeutungslosen Training?
Denn bereits vor dem WSBK-Gastspiel in Frankreich war allen klar, dass die drei Siege in Magny-Cours nur über Razgatlioglu gehen werden. Ehrlich gesagt stellte sich eher die Frage, wer denn wohl das Rennen um Platz zwei für sich entscheiden wird. Beim Trainingsauftakt am Freitagmorgen (zum FT1-Bericht) fuhr der WM-Leader in seiner eigenen Welt. Selbst mit gebrauchten Reifen fuhr er Kreise um seine Gegner.
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Toprak Razgatlioglu mit Crewchief Phil Marron Zoom
Razgatlioglu bezeichnet Magny-Cours als seine absolute Lieblingsstrecke. Okay, wenn man ihm im Laufe einer Saison genau zuhört, dann realisiert man, dass er mehrere Lieblingsstrecken hat. Aber der Circuit de Nevers ist definitiv ein Kurs, der Razgatlioglus Stärken betont, wie die Statistik ganz klar belegt.
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Toprak Razgatlioglu fuhr im FT1 spielerisch zur Bestzeit Zoom
Offensichtlich war Razgatlioglus Selbstvertrauen so groß, dass er bereits bei seiner ersten gezeiteten Runde im FT2 nach einer neuen Tages-Bestzeit greifen wollte. Die Zeiten der ersten Sektoren deuteten auf eine klare Bestzeit hin, bis das Vorderrad beim Anbremsen in Kurve 14 schlagartig den Grip verlor.
Weltmeister Alvaro Bautista kritisierte Razgatlioglus Risikobereitschaft und erklärte am Samstag, dass es ein klarer Fehler war, im Training derart viel zu riskieren (zur Reaktion des Titelverteidigers). Und damit hatte der Spanier nicht ganz unrecht, wie ich finde.
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Alvaro Bautista fragte sich, warum Toprak Razgatlioglu im FT2 derart viel riskierte Zoom
Razgatlioglu surfte nach seinen Seriensiegen auf einer Welle voller Zuversicht. Es wirkte, als ob dem türkischen Ausnahmekönner alles gelingt. Dass sich Bautista am Sonntag selbst verletzte, sorgte für einige zynische Reaktionen.
Auch Bautista war ungeduldig, nur hatte er von Startplatz 16 eine große Aufholjagd vor sich. Die Natur der Sprintrennen provoziert Stürze, wie den von Bautista. Durch den Rippenbruch platzte der Traum von der Titelverteidigung endgültig.
Viele Fahrer verletzt: Ist Magny-Cours sicher genug?
Dass mit Toprak Razgatlioglu, Jonathan Rea und Alvaro Bautista das "Titanic Trio" verletzungsbedingt ausfiel, das von 2015 bis 2023 alle WM-Titel sicherstellen konnte, war ein merkwürdiger Umstand. Am Wochenende wurde viel über die Sicherheit der ehemaligen Formel-1-Strecke unweit von Nevers gesprochen.
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Toprak Razgatlioglu hatte großes Glück, dass er nach dem Sturz wieder aufstehen konnte Zoom
Nach Razgatlioglus Sturz am Freitag wurde die Mauer in Kurve 15 mit einer zusätzlichen Lage Airfences verkleidet. Klar, darauf hätte man eher kommen können. Doch wo anfangen und wo aufhören? Absolute Sicherheit ist eine Illusion. Es wird allerdings erwartet, dass es für die kommenden Jahre weitere Anpassungen geben wird.
Eine clevere Alternative für die Mauer gibt es allerdings noch nicht. Denn ohne die Mauer wäre die Situation noch kritischer (was die Fahrer dazu sagen). Gestürzte Motorräder könnten auf die Strecke rutschen und andere Fahrer treffen.
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Sturzreiches Samstags-Rennen: Nur acht Fahrer kam ohne Sturz ins Ziel Zoom
Allen Beteiligten dürfte am Freitagnachmittag bewusst geworden sein, dass die Superbike-WM haarscharf an einer großen Katastrophe vorbei geschrammt ist. Und am Samstag ging es wild weiter. Im ersten Rennen kamen von den 22 gestarteten Fahrern lediglich zwölf ins Ziel. Vier von ihnen stürzten im Laufe des Rennens.
WM-Vorsprung schmilzt: Benötigt Razgatlioglu Schützenhilfe?
Das chaotische Rennen am Samstag verfolgte Razgatlioglu aus der BMW-Box und begrüßte Teamkollege Michael van der Mark nach seinem Sieg im Parc Ferme. Ein tolles Zeichen für den Teamgeist im BMW-Werksteam. Für Razgatlioglu könnte Van der Mark noch wichtig werden, sofern der Niederländer schnell genug ist, um den Rivalen Punkte wegzunehmen.
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Michael van der Mark wurde von Toprak Razgatlioglu im Parc Ferme begrüßt Zoom
Denn in der Meisterschaft ist Razgatlioglus Polster von 92 auf 55 Punkte geschmolzen. Manager Kenan Sofuoglu erklärte in der für ihn typischen Art und Weise, dass sein Schützling in Cremona wieder zu 100 Prozent fit sein wird (was der Türke gesagt hat). Das wäre aus sportlicher Sicht natürlich wünschenswert, aber es gibt einige Zweifel.
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Toprak Razgatlioglu liegt nur noch 55 Punkte vor Rookie Nicolo Bulega Zoom
An dieser Stelle sollte Marc Marquez als warnendes Beispiel dienen und aufzeigen, wie man ein Comeback nach einer Verletzung nicht gestalten sollte. Manchmal lohnt der Blick auf das große Ganze, auch wenn der Rennsport für Razgatlioglu und sein Team der zentrale Lebensinhalt ist.
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Warnendes Beispiel: Marc Marquez zahlte für seine Ungeduld einen hohen Preis Zoom
Das bringt mich zur Eingangsthematik zurück. Hätte Razgatlioglu seine dominante Form bedachter nutzen sollen? Teilt mir eure Meinung auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!
Sportliche Grüße,
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