• 28.09.2024 11:07

  • von Jason Vogel

Volkswagen EA 128 (1963/65): Phaetons Opa mit 911-Herz

Das Luxusmodell von Volkswagen sollte mit Mercedes-Benz und Chevrolet Corvair konkurrieren, aber auf dem Weg dorthin ging etwas schief

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Wer die Sammlung der Stiftung AutoMuseum Volkswagen besucht, stößt auf eine geheimnisvolle viertürige Limousine mit geraden, kantigen Linien und vier runden Scheinwerfern. Der erste Eindruck ist, dass es sich um einen Tatra 613 handelt, ein Luxusmodell mit Heckmotor, das zwischen 1974 und 1996 in der Tschechoslowakei hergestellt wurde.

Titel-Bild zur News: Volkswagen EA 128 (Jason Vogel Bilder) (10)

Collage Peugeot E-3008 und E-5008 Zoom

Aber halt... Die Silhouette ist etwas anders und die Räder sind die gleichen wie die des ersten Porsche 911 alias 901! Was könnte das sein?

Ein Nummernschild identifiziert das mysteriöse Auto: Es handelt sich um den Prototyp EA 128, der in den 1960er-Jahren als großer Volkswagen geplant wurde. Quasi eine Art geistiger Vorläufer des Phaeton. Das Modell wurde in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt, ging aber nie in Serie. Wir erzählen Ihnen hier ein wenig über seine Geschichte.

In den 1960er-Jahren führte Deutschland Zollschranken ein, um den heimischen Markt von importierten Modellen abzuschotten. Der VW Käfer wurde weiterhin fleißig in Serie produziert, aber Marken wie Ford und Opel dominierten mit dem Taunus 17M P3 beziehungsweise dem Rekord P2 die höheren Segmente. Zudem wuchsen mit dem Wohlstand auch die Ansprüche der Käfer-Kunden.

Volkswagen reagierte, indem man 1961 mit der Typ 3-Familie sein Debüt auf dem Mittelklassemarkt gab. Diese Modelle hießen einfach VW 1500, später VW 1600, und wurden in drei Konfigurationen angeboten. Zunächst kam eine kleine Limousine auf den Markt (heute besser bekannt unter dem Namen, den sie in den Vereinigten Staaten erhielt: "Notchback").

Es folgten der Variant und schließlich der Fastback TL, der für Touren-Limousine stand. Diese Modelle gab es jedoch nur mit zweitüriger Karosserie (nicht zu verwechseln mit ihren Namensvettern, die Jahre später in Brasilien hergestellt wurden...).

Deutsche, die vermögend genug waren, um sich ein nobleres Auto leisten zu können, kauften eine Mercedes "Heckflosse" der Baureihe W110 oder einen neu eingeführten BMW 1500 "Neue Klasse".

In den USA hingegen...

Zur gleichen Zeit erlebte der praktische VW Käfer in den Vereinigten Staaten einen für Importfahrzeuge beispiellosen Boom. Allein im Jahr 1960 wurden dort 117.000 Käfer verkauft (diese Zahl sollte sich bis 1968 erhöhen, als 399.674 der Krabbler im Land verkauft wurden).

Um mit Volkswagen konkurrieren zu können, begannen die US-Hersteller mit der Entwicklung von Kompaktmodellen. Oder besser gesagt, was sie im Vergleich zum Yankee-Automobilstandard als "kompakt" betrachteten. 1960 brachte Ford den Falcon auf den Markt, ohne Heckflossen, zurückhaltend mit Chrom und "nur" 4,59 Meter lang.

Technisch gesehen war er ein herkömmliches Auto, aber 15 Prozent kleiner als seine größeren Brüder. Der noch kleinere "Cardinal" wurde praktisch fertig nach Köln abgeschoben, wo er ab 1962 als Taunus 12M erfolgreich gegen den Käfer kämpfte.


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General Motors hingegen ging im Kampf gegen VW deutlich radikaler vor und präsentierte ein Auto mit luftgekühltem Boxermotor im Heck: den Chevrolet Corvair, entwickelt vom Team um Ed Cole (Vater des legendären Chevrolet Small-Block-V8-Motors und späterer GM-Boss).

Wie der VW Käfer verfügte der Corvair über Einzelradaufhängung an allen vier Rädern, wobei die Hinterräder Pendelachsen hatten. Sein Design war klar und typisch europäisch, zunächst als Coupé und Limousine. Allein in seinem ersten vollen Jahr (1960) wurden 250.000 Exemplare dieses ungewöhnlichen Chevrolet verkauft.

Obwohl der Corvair "eine Antwort auf Volkswagen" war, war er in jeder Hinsicht viel größer als der VW Käfer. Sein 2,3-Liter-Sechszylinder-Motor leistete je nach Ausführung 81 oder 96 PS. Obwohl er als Turbo-Air 6 bezeichnet wurde, war dieser Motor ein Saugmotor - 1962 erhielt er jedoch eine Version mit Turbolader, die die Leistung auf 152 PS steigerte.

Die Prototypen des VW EA 128 in den Ausführungen Limousine und Variant (Foto Stiftung Auto Museum Volkswagen)

Außerdem waren die meistverkauften Corvair viertürige Limousinen mit einer Länge von 4,57 Meter und einem Radstand von 2,74 Meter (im Vergleich zu den 4,07 Meter und 2,40 Meter des VW Käfers). 1961 erhielt der Corvair auch die Lakewood-Version, einen viertürigen Kombi, sehr zum Gefallen des US-Marktes.

Heinrich Nordhoff, der gottgleiche Präsident der Volkswagenwerk AG, musste etwas tun. Und so wurde das Projekt "Volkswagen Entwicklungsauftrag 128" (VW EA 128) geboren.

911er-Motor ... in Stufenheck und Kombi!

"Entwicklungsauftrag" ist das Kürzel für die Projekte der deutschen Marke. Im Falle des EA 128 vergab VW den Auftrag an die eng befreundete Firma Porsche (die auf der IAA 1963 den 901 vorstellte, jenen Sportwagen, der für immer als 911 bekannt werden sollte).

Die mechanische Konstruktion des EA 128 folgte den gleichen festgemeißelten Vorgaben wie Porsche und Volkswagen zu dieser Zeit: Ein luftgekühlter Heckmotor war das unverrückbare Dogma.

Das Aggregat war ein noch nie dagewesener luftgekühlter 2-Liter-Sechszylinder-Boxermotor - derselbe, der auch im 901/911 zum Einsatz kommen sollte. In der großen Limousine war die Leistung jedoch von 130 PS auf 90 PS zugunsten eines höheren Drehmoments bei niedrigen Drehzahlen reduziert worden.

Ein Fünfgang-Schaltgetriebe und eine Drehstabfederung vervollständigten das Paket, mit dem das Modell eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h erreichte.

Mit einer Länge von 4,70 Meter und einem Gewicht von rund 1.200 Kilogramm hatte der Volkswagen ähnliche Abmessungen wie der Mercedes-Benz W110. Außerdem war er 13 cm länger und 150 kg schwerer als die Corvair-Limousine. Es wurde auch ein Prototyp eines Kombis gebaut, der ebenfalls in Wolfsburg erhalten ist.

Wäre der EA 128 in das Programm aufgenommen worden, wäre er der erste viertürige VW gewesen. (Letzlich wurde das erst 1968 der unglückliche 411.) Seine klare, geradlinige Formgebung war für die frühen 1960er-Jahre sehr modern.

Von der Taille aufwärts nahm der Prototyp Merkmale des 1968 eingeführten Mercedes-Benz "Strich-Acht" (W114/W115) von Paul Bracq vorweg. Die glatte Frontpartie mit vier Scheinwerfern war ein Vorgeschmack auf den späteren brasilianischen Variant und TL (die übrigens von einem anderen deutschen Prototyp, dem EA 97, abstammten).

Auch am Heck war die Linienführung des EA 128 eher schlicht, mit Öffnungen in der Motorhaube für die Luftzufuhr. Die Blinker waren an den Kotflügeln angebracht. Die Sealed-Beam-Scheinwerfer signalisieren die Absicht, das Modell in die Vereinigten Staaten zu exportieren. Die Räder und Radkappen entsprachen denen der letzten Porsche 356 und der ersten 911er.

Um nicht erkannt zu werden, trägt die Prototyp-Limousine kein VW-Logo auf der Außenseite, sondern nur auf dem Lenkrad (das das gleiche ist wie beim Porsche 911). Die Bedienelemente für Blinker und Scheibenwischer, die Knöpfe am Armaturenbrett und sogar die Fenstergriffe entsprechen denen des ersten 911, ebenso wie der unverwechselbare Kilometerzähler und der Tachometer, allerdings mit einigen Unterschieden bei den Instrumentenskalen.

Die Polsterung war aufwendig, mit karamellfarbenem Leder. Bei unserem Besuch im Museum Anfang des Jahres konnten wir die Türen öffnen, in den einteiligen Sitzen Platz nehmen und den großzügigen Raum der sechssitzigen Kabine mit flachem Boden ohne den für luftgetriebene VWs charakteristischen Mitteltunnel spüren.

Der Gesamtkilometerzähler der Limousine zeigte 1.467 Kilometer an, und das ist wahrscheinlich auch heute noch so, denn der Wagen wurde seit vielen Jahren nicht mehr auf die Sraße gelassen. Die halb abgesenkte Vorderradaufhängung und eine Delle in der Stoßstange sind Hinweise darauf, dass der Prototyp es nicht leicht hatte.

Neue Prioritäten

Schließlich gab Volkswagen die Produktion des Modells auf, wahrscheinlich weil es zu teuer gewesen wäre. Außerdem veröffentlichte der Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader 1965 das Buch "Unsafe at any speed", das dem Corvair einen schlechten Ruf als instabiles Auto einbrachte und den Absatz des Chevrolet mit Heckmotor in den USA einbrechen ließ.

Ebenfalls 1965 übernahm der VW-Konzern die Marke Audi samt der Auto Union von Mercedes-Benz und brachte die Mittelklasselimousine F103 mit wassergekühltem Frontmotor, Frontantrieb und zwei- oder viertüriger Ausführung sowie einen Variant auf den Markt.

Schon 1966 bekam Nordhoff einen ersten Prototyp des F104 zu sehen, der später als Audi 100 ein voller Erfolg wurde. Die Prototypen des EA 128 hatten ihre Bedeutung verloren, und eine neue Ära war angebrochen.

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