• 10.01.2023 10:54

  • von Roland Hildebrandt

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005): Klassiker der Zukunft?

Vor 25 Jahren zeigte Mercedes eine neue S-Klasse, die Baureihe 220 sollte leichter wirken als der wuchtige Vorgänger - Zum Erfolg wurde vor allem der Diesel

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Unsere geschätzten Leser haben bestimmt schon einmal die Rubrik "Kennen Sie den noch?" studiert. Dort stellen wir Autos von früher vor, die inzwischen fast vergessen sind. Doch was ist mit den Modellen, die durchaus noch zahlreich im Straßenverkehr umherfahren? Jene Typen, die jeder kennt, die schon deutlich über 20 Jahre, teilweise aber auch viel weniger auf dem Buckel haben.

Titel-Bild zur News:

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005) Zoom

Werden sie einmal Oldtimer? Das birgt Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Einige dieser Modelle wollen wir in unserer Reihe "Klassiker der Zukunft?" vorstellen.

1998: Deutschland will moderner und schlanker werden. Passend dazu gibt es vor 25 Jahren zwei wichtige Wachablösungen. Auf Bundeskanzler Helmut Kohl folgt der dynamischer auftretende Gerhard Schröder, fast zeitgleich löst die elegantere S-Klasse der Baureihe W 220 ihren wuchtigen Vorgänger W 140 ab, in dem Kohl oft saß. Schröder wird später zwar lieber Audi A8 und VW Phaeton fahren, aber das ist eine andere Geschichte.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005) Zoom

Auf dem Pariser Automobilsalon im September 1998 wird der Öffentlichkeit die neue S-Klasse Limousine vorgestellt, die nach siebeneinhalb Jahren die Nachfolge der Typenreihe W 140 antreten. Im direkten Vergleich wirkt sie fast zierlich: Die Designer schaffen es, Raum und Auftritt in einer deutlich filigraneren Karosserie unterzubringen.Optisch erinnert die Formgebung etwas an die Vieraugen-E-Klasse (W 210), während die Heckpartie zwei Jahre später bei der neuen C-Klasse (W 203) aufgegriffen wird. Gemeinsam haben alle die später aufkommenden Rostprobleme und eine gewisse Beliebigkeit.

Wie dem auch sei: Die neue S-Klassse punktet mit mehr als 30 technischen Neuerungen, darunter die automatische Abstandregelung Distronic, das Navigationssystem mit integriertem Stauwarner und die Zylinderabschaltung im V8-Motor des Typ S 500. Noch wichtiger sind teilweise gut 300 Kilogramm weniger Gewicht, eine bessere Aerodynamik und eine um rund sieben Zentimeter geschrumpfte Außenlänge.

Zum Start des Modellprogramms der Baureihe W 220 gibt es zwei Karosserie- und drei Motorvarianten. Die Kunden können zwischen der Limousine mit kurzem Radstand (2.965 Millimeter) und dem Modell mit einem um 120 Millimeter verlängerten Radstand (3.085 Millimeter) wählen. Für beide Karosserien sind drei Motorvarianten verfügbar.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Der W 220 in der Designentwicklung Zoom

Im Typ S 320 arbeitet ein 3,2-Liter-V6-Motor mit 165 kW (224 PS) Leistung. Im Typ S 430 geht ein V8 zu Werke, der 205 kW (279 PS) entwickelt. Der V8 im vorläufigen Spitzenmodell S 500 bietet 225 kW (306 PS). In allen Aggregaten sorgen Dreiventil-Technik und Doppelzündung für eine optimale Verbrennung. Die Doppelzündung ermöglicht eine Steigerung der in den Motor zurück geführten Abgasmenge, was sich positiv auf die Schadstoffemissionen auswirkt.

Eine neu entwickelte automatische Zylinderabschaltung verwandelt den Achtzylinder des Typ S 500 zeitweise in einen Vierzylinder. Durch die bedarfsorientierte Abschaltung im so genannten Teillastbereich vermindert sich der NEFZ-Kraftstoffverbrauch (Neuer Europäischer Fahrzyklus) des Typ S 500 durchschnittlich um bis zu 7 Prozent. Je nach Fahrweise lassen sich mit Hilfe der Zylinderabschaltung sogar noch größere Einspar-Effekte erzielen: bei Konstantfahrt mit 120 km/h vermindert sich der Benzinverbrauch um etwa 13 Prozent und bei konstant 90 km/h sogar um rund 15 Prozent.

Die automatische Zylinderabschaltung wird aktiv, wenn der V8-Motor nur einen Teil seiner Leistung und seines Drehmoments zur Verfügung stellen muss - beispielsweise im Stadtverkehr, auf Landstraßen oder bei konstanter Autobahnfahrt im mittleren Geschwindigkeitsbereich.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005) Zoom

Auf dem Genfer Automobilsalon 1999 feiert das zugehörige Coupé CL Weltpremiere, ebenso der zunächst 360 PS starke S 55 AMG (ab 2002 dank Kompressor 500 PS). Auf der IAA in Frankfurt 1999 gesellen sich die Zwölfzylinder-Limousine vom Typ S 600 sowie die beiden Sechs- und Achtzylinder-Dieselversionen S 320 CDI und S 400 CDI hinzu. Die übrigen Motoren sind überarbeitet worden.

Der Typ S 600 ist ausschließlich in der Variante mit langem Radstand erhältlich. Das neu entwickelte V12-Aggregat, wie es der CL bereits hat, das serienmäßig mit technischen Innovationen wie automatischer Zylinderabschaltung, phasenversetzter Doppelzündung, Dreiventil-Technik und Wechselspannungs-Zündanlage ausgestattet ist, leistet 270 kW (367 PS) und stellt bei 4100 U/min ein maximales Drehmoment von 530 Newtonmetern bereit. Damit beschleunigt der Typ S 600 in 6,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht eine elektronisch begrenzte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h.

Im Typ S 320 CDI arbeitet ein Sechszylinder-Triebwerk mit Diesel-Direkteinspritzung, VNT-Turbolader (Variable Nozzle Turbine, variable Turbinengeometrie) und Vierventil-Technik. Es leistet 145 kW (197 PS) und entwickelt ab 1800/min ein maximales Drehmoment von 470 Newtonmetern. Im neuen europäischen Fahrzyklus verbraucht die Sechszylinder-Limousine nur 8 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer, was mit einer Tankfüllung (88 Liter) eine Reichweite von knapp 1.100 Kilometern ermöglicht.


Fotostrecke: Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Zum Diesel-Boss avanciert der Biturbo-V8 im S 400 CDI. Aus einem Hubraum von 3996 Kubikzentimetern entwickelt der Motor eine Leistung von 175 kW (238 PS), zwischen 1800 und 2600/min ist das maximale Drehmoment abrufbereit: beachtliche 560 Newtonmeter.

Alle Motorvarianten der Baureihe W 220 sind serienmäßig mit einem Fünfgang-Automatikgetriebe ausgestattet, das sich unter anderem durch zwei Fahrprogramme, schlupfgesteuerte Wandlerüberbrückung und eine moderne Leichtbau-Konstruktion auszeichnet. Die Bedienung der Fünfgang-Automatik ist durch eine so genannte Tipp-Schaltung weiter entwickelt: So lassen sich in Stellung "D" die Fahrstufen 4 bis 1 durch leichtes Antippen des Wählhebels nach links oder rechts einlegen.

Trotz leichterer Karosserie gelingt es, den Insassenschutz noch weiter zu optimieren. Serienmäßige Window-Airbags, die von der A-Säule bis zur C-Säule reichen, Sidebags in allen Türen und aufwändige Maßnahmen im Bereich der Karosseriestruktur verringern das Verletzungsrisiko beim Seitenaufprall.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Im Schaubild zeigt sich die Komplexität des W 220 Zoom

Heute tückisch, damals ein dickes Plus beim Komfort war der serienmäßigen Einsatz einer elektronisch geregelten Luftfederung an Vorder- und Hinterachse. Jene AIRMATIC, die Luftfederung und Adaptives Dämpfungs-System ADS kombiniert, passt die Einstellung der Stoßdämpfer vollautomatisch dem Fahrbahnzustand, der Beladung und der Fahrweise an.

Das Elektronische Stabilitäts-Programm ESP gehört ebenfalls zur Serienausstattung der S-Klasse. Mit der automatischen Abstandsregelung DISTRONIC, die es ab Frühjahr 1999 gibt, den aktiv belüfteten Komfort-Sitzen und der neuartigen Multikonturlehne mit automatischer Massage-Funktion wird das Autofahren in der S-Klasse noch stressfreier und entspannter.

Ein neuartiges Cockpit Management and Data System - kurz: COMAND - fasst die Funktionen von Autoradio, CD- und Kassettenspieler, Soundsystem, Telefon, Navigationssystem, TV-Empfänger (lieferbar ab Frühjahr 1999) und das Zeitsignal der Uhr zusammen. Überdies lassen sich in der neuen S-Klasse mittels Tastendruck am Lenkrad zahlreiche individuelle Einstellungen programmieren und Reisedaten abrufen.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005) Zoom

Sie erscheinen auf dem übersichtlichen Zentraldisplay im Kombiinstrument. COMAND gehört ab dem Modelljahrgang 2002 zur Serienausstattung aller Modelle der S-Klasse, im Topmodell S 600 ist es serienmäßig mit dem Navigationssystem gekoppelt.

Mit der Modellpflege der Baureihe W 220 im Herbst 2002 ist für die Benzinermodelle mit sechs und acht Zylindern der elektronisch gesteuerte Allradantrieb 4MATIC lieferbar. Angeboten wird außerdem das bereits im Coupé CL verwendete aktive Federungssystem Active Body Control ABC (Serie im Typ S 600), das die Dämpfung der Karosserie sekundenschnell der aktuellen Fahrsituation anpasst.

Auf diese Weise reduziert das System die Aufbaubewegungen deutlich, sodass die Zwölfzylinder-Limousine Kurven mit stark verminderter Seitenneigung umrundet und bei schnellen Ausweichmanövern ein deutlich höheres Sicherheitsniveau bietet als Automobile mit konventioneller Fahrwerkstechnik.

Neu im Programm ist der Mercedes-Benz S 600, der alles bisher Gewesene in den Schatten stellt und die Konkurrenz düpiert: Der S 600 bekommt einen Biturbo-V12 mit 500 PS (368 kW) Leistung sowie ein Drehmoment von 800 Newtonmeter. Absoluter W-220-King ist ab März 2004 der S 65 AMG L mit 612 PS und 1.000 Nm, der in 4,4 Sekunden auf Tempo 100 rast.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

An den Rückleuchten ist das Facelift gut erkennbar Zoom

Dezente Design-Modifikationen kennzeichnen die S-Klasse des Modelljahrgangs 2003 auch optisch. Dazu trägt zum Beispiel der vordere Stoßfänger bei, dessen neu geformter unterer Lufteinlass die Karosserie optisch breiter erscheinen lässt. Auch die Kühlermaske wurde überarbeitet: Die Designer haben sie in der Höhe vergrößert und steiler als bisher angeordnet.

Wichtigstes Merkmal der stilistischen Modellpflege sind die schwungvoll gezeichneten Scheinwerfer mit moderner Klarglas-Optik, am Heck erhalten die Leuchten eine geänderte Grafik. Neu sind zudem die Blinker im Außenspiegel.

S-Klasse im Fahrbericht:

Zeitreise: Unterwegs im Mercedes 300 SE (W126)
Mercedes S-Klasse W223 (2021) im Test: Grillt die Technik-Benchmark 7er und A8?

Als Nonplusultra der modernen Sitztechnik gilt der neuartige fahrdynamische Multikontursitz. Er ist mit mehreren Luftkammern ausgestattet, die sich je nach Situation automatisch füllen oder leeren, sodass Fahrer und Beifahrer in Kurven eine perfekte Seitenführung haben. Die elektropneumatische Steuerung übernimmt ein Computer im Sitz.

Er verarbeitet binnen Sekundenbruchteilen Daten wie Lenkwinkel, Querbeschleunigung und Fahrgeschwindigkeit, um den Fülldruck und das Volumen der Luftkammern situationsgerecht zu variieren. So pumpt das System beispielsweise in einer Linkskurve die Luftkammern in der rechten Lehnenseite stärker auf und erhöht auf diese Weise den Seitenhalt der Passagiere.

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005)

Mercedes S-Klasse (W 220, 1998-2005) Zoom

Im Herbst 2001 wird die Pullman-Variante der Baureihe W 220 auf den Markt gebracht. Ihr Radstand ist im Vergleich zur üblichen Langversion um einen Meter verlängert. Das zusätzliche Platzangebot kommt den Fondpassagieren zugute, dort befindet sich eine Vis-à-vis-Sitzanlage. Der Pullman ist mit dem 5,0-Liter-Achtzylindermotor (225 kW/306 PS) oder mit dem V12-Aggregat (270 kW/367 PS) lieferbar. Basis des Fahrzeugs ist eine verstärkte Rohbau-Karosserie und ein modifiziertes Fahrwerk.

Die Produktion der Baureihe W 220 läuft Ende 2005 aus. Sie macht der Baureihe W 221 Platz. Bis Dezember 2005 entstehen im Werk Sindelfingen insgesamt 484.683 Limousinen der Baureihe W 220. Der erfolgreichste Typ dieser Generation ist der Typ S 500 lang mit 108.823 gebauten Exemplaren.