• 05.03.2023 11:46

  • von Roland Hildebrandt

150 Jahre NSU: Vom Fahrrad bis zum Wankelmotor

Den Ro 80 kennen viele, aber auch Prinz, Quickly und Max machten die Marke NSU zur Legende: Wir blicken zurück auf 150 Jahre

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Die Traditionsmarke NSU hat Geburtstag: 1873 gründeten Christian Schmidt und Heinrich Stoll in Riedlingen die "Mechanische Werkstätte Schmidt & Stoll" zur Herstellung von Strickmaschinen, aus der sich die NSU Motorenwerke AG und später der heutige Audi-Standort Neckarsulm entwickelten.

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150 Jahre NSU Zoom

Schon vom Namen her ist NSU eng mit Neckarsulm verbunden, leitet sich doch der Firmenname von der Stadt an Neckar und Sulm ab. NSU zeigt eindrucksvoll die Entwicklung der Mobilität: vom Fahrrad über das Motorrad bis hin zum Automobil. Wir werfen einen Blick zurück.

1873 als Manufaktur für Strickmaschinen in Riedlingen/Donau von Christian Schmidt und Heinrich Stoll gegründet, zog das Unternehmen 1880 nach Neckarsulm, wo es 1884 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. 1886 erwischte man den richtigen Zeitpunkt: Das Fahrrad wurde immer populärer und auch NSU produzierte und verkaufte fortan immer mehr Fahrräder. Seit 1900 wurden erstmals auch Motorräder hergestellt. Jetzt fuhr das neue Markenzeichen "N.S.U." (aus NeckarSUlm) um die Welt.

1906 stellte man den ersten "Original Neckarsulmer Motorwagen" der Öffentlichkeit vor - ein kleines Automobil der Mittelklasse mit einem wassergekühlten Vierzylinder-Motor. 1909 fertigten dann schon 1.000 Mitarbeiter 450 Motorwagen. Bereits 1914 schrieb der Neckarsulmer Autobauer das erste Mal mit einer Leichtbaukonstruktion Automobilgeschichte: Man baute den Mittelklasse-Typ 8/24 PS mit Aluminiumkarosserie.

Trotz erstem Weltkrieg und anschließender Geldentwertung im Hyperinflationsjahr 1923 ging es NSU damals wirtschaftlich zunächst weiterhin gut. 1923 fertigten 4.070 Beschäftigte alle zwei Stunden ein Automobil, alle 20 Minuten ein Motorrad und alle fünf Minuten ein Fahrrad. 1924 investierte man aus Platzgründen in ein neues Werk für den Automobilbau in Heilbronn. Zwei Jahre später war der Umsatz jedoch erstmals rückläufig. Geldprobleme waren die Folge.


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1929 war NSU gezwungen, den Automobilbau einzustellen und das fast neue Werk in Heilbronn an Fiat zu verkaufen; Fiat ließ dort bis 1966 Autos unter dem Namen NSU-Fiat herstellen. Später, als NSU den Automobilbau wieder aufnahm, sorgte das für Gerichtsprozesse, das Resultat waren der Fiat Jagst und Fiat Neckar.

Ende 1936 einer der größten Zweiradhersteller Deutschlands

In Neckarsulm konzentrierte man sich fortan auf die Zweiradproduktion, übernahm 1929 den größeren Teil der Wanderer-Motorradsparte und gründete 1932 eine Verkaufsgemeinschaft mit der Marke D-Rad der Deutschen Werke in Berlin. Neben BMW und DKW war NSU in den 1930er Jahren eine der bedeutendsten deutschen Motorradmarken und nach der Übernahme der Opel-Fahrradfertigung Ende 1936 einer der größten Zweiradhersteller Deutschlands.

Motorräder von NSU

Motorräder von NSU Zoom

1933/34 entstanden bei NSU drei Prototypen eines von Ferdinand Porsche konstruierten Fahrzeugs mit luftgekühltem 1,5-Liter-Boxermotor im Heck. In seiner Grundkonzeption entsprach dieser Wagen bereits dem späteren VW Käfer. Die Serienproduktion blieb jedoch aus, weil die notwendigen Geldmittel fehlten. Bei Kriegsende im Mai 1945 lagen weite Teile der Neckarsulmer Werkanlagen in Trümmern, auch weil das NSU Kettenkrad HK 101 die Wehrmacht mobil gemacht hatte.

Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte mit den begehrten NSU-Fahrrädern und dem in die Zeit passenden Kleinkraftrad NSU Quick mit 98 ccm. Schon bald gesellten sich ein 125er- und ein 250er-Modell hinzu. Später folgten die NSU Fox, die NSU Lux, die NSU Max oder die NSU Konsul mit 500 ccm Hubraum. Mit einer Jahresproduktion von fast 300.000 motorisierten Zweirädern (Mopeds, Motorräder und Roller) waren die Neckarsulmer 1955 die Nummer Eins in der internationalen Motorradbranche: größtes Zweiradwerk der Welt.

Mit dem "Prinz" läuft die Pkw-Produktion wieder an

Bei allen Erfolgen der NSU-Motorräder, mit denen das Unternehmen damals durch den Gewinn von fünf Motorrad-Weltmeisterschaften von 1953 bis 1955 und zahlreichen Geschwindigkeitsweltrekorden Weltruhm erlangte, musste die Unternehmensführung ab Mitte der 1950er Jahre auf die nachlassende Motorradnachfrage reagieren. Mit zunehmendem Wohlstand wollten die Kunden nicht mehr auf dem Zweirad frieren respektive dort ihre Familie draufquetschen. Für NSU war es deshalb an der Zeit, wieder Automobile zu fertigen.

Produktion des NSU Prinz

Produktion des NSU Prinz Zoom

Mit dem Kleinwagen "Prinz" gelang NSU 1958 die Wiederaufnahme des Automobilbaus. Ursprünglich als Kabinenroller gedacht, entstand ein clever konstruierter Wagen mit anfangs 20, später 23 PS aus zwei Zylindern. Doch damit nicht genug: Bereits seit Anfang der 1950er Jahre hatte NSU in Zusammenarbeit mit Felix Wankel an einem völlig neuen Motorenkonzept gearbeitet. 1957 zündete dann zum ersten Mal ein Drehkolbenmotor der Bauart Wankel auf einem NSU-Prüfstand.

Kurz darauf wurde das Prinzip zum Kreiskolbenmotor umgewandelt. Felix Wankel zürnte: "Sie haben aus meinem Rennpferd einen Ackergaul gemacht!" Die trockene Antwort von NSU-Chef von Heydekampf: "Ach, hätten wir doch nur schon den Ackergaul ..."

Ro 80 sorgt mit Wankel und Design für Aufsehen

1963 stellte das Neckarsulmer Unternehmen den "NSU Wankel Spider" auf der IAA in Frankfurt vor und schrieb damit Automobilgeschichte: das erste serienmäßig produzierte Wankel-Automobil der Welt, das durch einen Einscheiben-Kreiskolbenmotor angetrieben wurde. Mit 497 ccm Kammervolumen und 50 PS.

NSU Ro 80

NSU Ro 80 Zoom

Im Herbst 1967 folgte die nächste Sensation. Wieder im Rahmen der IAA in Frankfurt präsentierten die Neckarsulmer den NSU Ro 80 und begeisterten die automobile Welt. Das Fahrzeug wurde mit einem Zweischeiben-NSU-/Wankel-Kreiskolbenmotor (115 PS) angetrieben und sorgte unter anderem auch durch sein revolutionäres Design für Aufsehen. Später wurde der NSU Ro 80 zum "Auto des Jahres" 1968 gewählt - als erstes deutsches Automobil.

Doch der Ro 80 hatte auch mit Kinderkrankheiten zu kämpfen, insbesondere was den Wankelmotor betraf. Zudem verschlang seine Entwicklung und parallel die des kleineren K 70 mit konventionellem Motor viel Geld. Am Prinz und dessen Ablegern bis hin zum scharfen TTS war nicht viel zu verdienen, zudem musste langfristig auch hier ein Nachfolger her. NSU baute zu wenige Autos, um im Konzert der Großen mithalten zu können, die Kapitaldecke war stets dünn. Der Konzernleitung war klar: Bis Anfang der 1970er würde das noch gut gehen, sofern der K 70 ein Erfolg ist.

1969: Fusion von Audi und NSU

Am 10. März 1969 wurde ein Vertrag zur Fusion der NSU Motorenwerke AG und der Ingolstädter Auto Union GmbH unter dem Dach des Volkswagen-Konzerns unterzeichnet. Rückwirkend zum 1. Januar 1969 entstand damit die AUDI NSU AUTO UNION AG mit Sitz in Neckarsulm, an der die Volkswagenwerk AG eine Mehrheitsbeteiligung besaß. Wohlgemerkt: Nicht Audi übernahm NSU. Nein, beide Unternehmen fusionierten.

VW brachte den K 70 schließlich 1970 mit eigenem Logo auf den Markt, auch um die Kundschaft an Wasserkühlung und Frontantrieb zu gewöhnen. Die eigentliche Premiere des NSU K 70 auf dem Genfer Salon 1969 wurde unmittelbar vorher abgeblasen. Doch die Presse drängelte das Auto förmlich in die Produktion, nicht wissend, dass es nicht fertig entwickelt war. Auf den eigentlich auch vorgesehenen Kombi verzichtete VW, um dem 412 Variant nicht die Kundschaft zu klauen. Immerhin: Bis 1975 entstanden über 211.000 K 70.

Die Modellpalette des neuen Unter­nehmens war durch eine große Vielfalt geprägt, auch in technischer Hinsicht: neben dem NSU Prinz und dem NSU Ro 80 wurden am Standort Neckarsulm fortan auch der Audi 100 gebaut. Die beiden NSU-Modelle allerdings sollten in den 1970er Jahren auslaufen: der Prinz 1973 nach 15 Jahren und der Ro 80 1977 nach zehn Jahren. Am 1. Januar 1985 schließlich wurde die AUDI NSU AUTO UNION AG in AUDI AG umbenannt und der Sitz der Gesellschaft von Neckarsulm nach Ingolstadt verlegt. Seither tragen Unternehmen und Produkte den gleichen Namen.

Ehemalige NSU-Fabrik in Neckarsulm

Ehemalige NSU-Fabrik in Neckarsulm Zoom

Um 1975 geriet der Standort Neckarsulm in die Krise, die Fertigung des Porsche 924 rettete die Arbeitsplätze. Neben dem Flaggschiff Audi A8, dem Supersportwagen Audi R8 sowie weiteren Modellen der B-, C- und D-Baureihe werden in Neckarsulm heute die sportlichen RS-Modelle entwickelt und gefertigt.

Nicht von ungefähr, denn hier sitzt die Audi Sport GmbH, die auf die 1983 gegründete quattro GmbH zurückgeht und 2023 deshalb ihr 40-Jähriges feiert. Seit Ende 2020 wird außerdem das erste vollelektrische Audi-Modell an einem deutschen Standort in Neckarsulm produziert: der Audi e-tron GT quattro.

"Fixe Fahrer fahren Fox", "Kluge Köpfe kaufen Konsul" oder "Nicht mehr laufen - Quickly kaufen!" - viele Werbesprüche von NSU sind legendär. In seinem Buch "Fahre Prinz und du bist König. Geschichten aus der NSU-Geschichte" erzählt der ehemalige Werbeleiter von NSU, Arthur Westrup, wie er in den 1950er Jahren mit wenig Geld auskommen musste.

Werbeslogan "Vorsprung durch Technik" entstand bei NSU

Umso kreativer gingen sein Team und er ans Werk: Neben den flotten Sprüchen ließen sich die Marketing-Experten besondere Aktionen einfallen. So erschien auf der Rückseite der BILD-Zeitung jeden Montag eine Anzeige speziell für die NSU Quickly. Dabei wurden mitunter auch aktuelle Themen aufgegriffen. Eine Werbeanzeige nach einem Länderspiel Deutschland-England lautete: "Man sieht die Spieler aus Berlin geschlagen wieder heimwärts ziehen. Und alle Stürmer seufzen matt: Wohl dem, der eine Quickly hat!".

Werbeslogan

Werbeslogan "Vorsprung durch Technik" Zoom

Ein weiterer großer Wurf in der Werbung gelang dann im Jahr 1971: "Ro 80. Vorsprung durch Technik." stand in großen Lettern auf dem Werbeplakat für den NSU Ro 80. So entstand in der Werbeabteilung bei NSU der berühmte Audi-Markenclaim, der sich Menschen weltweit einprägen sollte: "Vorsprung durch Technik".

NSU kann auch auf eine lange und erfolgreiche Geschichte im Motorsport zurückblicken - vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. An dieser Stelle eine kleine Auswahl: Mit dem 500er NSU Rennmotorrad gewann der englische Rennfahrer Tom Bullus 1930 den "Großen Preis von Deutschland für Motorräder" auf dem Nürburgring.

Nachdem Bullus mit der NSU 500 SSR zahlreiche weitere Rennen und den Großen Preis der Nationen in Monza als Gesamtsieger in Rekordzeit gewonnen hatte, war im Hinblick auf sein Motorrad von der erfolgreichsten deutschen Rennmaschine die Rede. Zwischen 1931 und 1937 wurde NSU elfmal Deutscher Meister und fünfmal Schweizer Meister. Die "Bullus", wie Fans die NSU 500 SSR Rennmaschine nannten, gab es auch als Straßensportmaschine - allerdings weniger leistungsstark.

In den 1950er Jahren verkündete NSU wieder: "Siege am laufenden Band". 1950 wurden sowohl Heiner Fleischmann (auf einer NSU 500 ccm Kompressor-Rennmaschine) als auch Hermann Böhm mit Karl Fuchs im Seitenwagen in einer 600 ccm Maschine ihrer Klasse Deutsche Meister. Ab der Saison 1951 waren Kompressoren im Motorradsport nicht mehr zugelassen.

Die NSU-Kompressormaschinen lebten jedoch weiter: Mit im Windkanal optimierten Stromlinienverkleidungen und verlängerten Fahrgestellen wurde Wilhelm Herz 1951 und 1956 mit 290 km/h beziehungsweise 339 km/h jeweils schnellster Mann der Welt auf einem Zweirad. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Walen und Delphinen sollten die NSU-Rennmaschinen bald "Rennfox Typ Delphin" und "Rennmax Typ Blauwal" heißen - und sie gewannen fast alles, was damals im Motorradsport zu gewinnen war.

Auch im Motorsport war NSU erfolgreich

Legendär auch die Siege von NSU bei der Tourist Trophy (TT) 1954: Das Werkteam auf der Isle of Man bildeten neben Werner Haas noch H. P. Müller, Hans Baltisberger und Rupert Hollaus. Das Rennen, das als das gefährlichste Motorradrennen der Welt gilt, beendete Hollaus in der 125er-Klasse als Sieger. In der Klasse bis 250 ccm belegten Haas, Hollaus, Armstrong und Müller die Plätze 1 bis 4.

Auch auf vier Rädern fuhr NSU immer wieder Siege ein - ein paar Highlights aus mehreren Jahrzehnten: 1926 holten vier NSU-Kompressor-Rennwagen des Typs 6/60PS auf der Berliner AVUS einen Vierfach-Sieg beim "Großen Preis von Deutschland für Sportwagen". In den 1960er und 1970er Jahren stellten dann der NSU Prinz, der NSU Wankel Spider und der NSU TT im Tourenwagensport ihr technisches Können unter Beweis.

Und ein Kleiner kam dabei immer wieder ganz groß raus: der NSU Prinz TT. Mit diesem Modell wurden insgesamt 29 nationale Meisterschaften in Europa und Nordamerika gewonnen, in Deutschland krönte sich Willi Bergmeister (er hieß wirklich so!) 1974 zum Deutschen Bergmeister.

Zum 150-Jährigen holt Audi Tradition viele NSU-Highlights aus der historischen Fahrzeugsammlung. Zudem entsteht aktuell die Sonderausstellung "Innovation, Wagemut und Transformation", ein Kooperationsprojekt von Audi Tradition und dem Deutschen Zweirad- und NSU-Museum Neckarsulm. Die Ausstellung ist ab 14. Juni zu sehen im Audi Forum Neckarsulm und im Deutschen Zweirad- und NSU-Museum Neckarsulm.

Mehr aus der Audi-Historie:

Unterwegs im Audi 80 L (1974): Die Straßen von Kottingwörth
Zeitreise: Unterwegs im Audi Sport quattro von 1984

Wer es lieber gedruckt mag, der kann natürlich noch tiefer eintauchen in die ebenso bewegte wie vielseitige Geschichte der Traditionsmarke: etwa im Buch von Klaus Arth "NSU-Automobile. Typen - Technik - Modelle" aus der Edition Audi Tradition, erschienen im Delius-Klasing-Verlag, oder in "Die NSU-Story" von Peter Schneider im Motorbuch-Verlag.

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