• 18.09.2007 16:19

Kristen: "Motorsport gehört zur Geschichte von Porsche"

Porsche-Sportchef Hartmut Kristen über die Aktivitäten von Porsche im Motorsport und die weiteren Programmplanungen

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "BMW und Mercedes fahren in der Formel 1, Audi ist in der DTM und Le Mans erfolgreich und VW bei der Rallye Dakar im Einsatz. Porsche betreibt Automobilsport in der American Le Mans Serie und hat eigene Markenpokale. Ist Porsche nur noch eine Randnotiz?"
Hartmut Kristen: "Wir haben ganz sicher nicht das Gefühl, dass unser Engagement im Motorsport nicht entsprechend gewürdigt wird und wir im Vergleich mit anderen deutschen Herstellern hinten anstehen. Gerade in der American Le Mans Serie ist in den vergangenen 18 Monaten sehr viel passiert. Was sicher noch ausgebaut werden kann, ist die Berichterstattung über diese Art von Motorsport in Europa. Der Aufmerksamkeitswert der DTM ist außerhalb von Deutschland auch begrenzt. Und mit der Formel 1 kann man ohnehin nicht konkurrieren, das ist die Nummer 1 auf der Welt."

Titel-Bild zur News: Hartmut Kristen

Hartmut Kristen sieht Porsche nicht in der Formel 1

Frage: "Wie sieht das Motorsport-Programm der Zukunft im Hause Porsche aus?"
Kristen: "Für uns ist es mittelfristig wichtig, dass wir die Struktur, die wir im Motorsport heute haben, in jeden Fall auch so weiterführen. Das heißt, es geht für uns jetzt nicht primär darum, absoluten Spitzensport zu betreiben, sondern eine gesunde Struktur zu haben. Das fängt an im Bereich der Fahrtrainings für die Kunden, geht über den Klubsport und die Markenpokale auf nationaler Ebene bis hin zum Porsche-Mobil1-Supercup sowie nationalem und internationalem GT-Sport.#w1#

Frage: "Warum ist eine Rückkehr in die Formel 1 für Porsche absolut kein Thema?"
Kristen: "Porsche ist der kleinste unabhängige Hersteller. Die Frage für uns ist daher: Kann ein finanzielles Engagement, wie es in der Formel 1 erforderlich ist, wieder genug Geld einspielen, wie es vielleicht bei vergleichbaren Projekten der Fall wäre? Und zu diesem Ergebnis sind wir bisher nicht gekommen, dass es vergleichbar sein kann."

Porsche RS Spyder

Das Projekt in der ALMS ist für Porsche ein Vorzeigeobjekt Zoom

Frage: "Muss sich Porsche überhaupt im Motorsport engagieren?"
Kristen: "Automobilsport, in dieser Art und Weise, wie wir ihn auch heute betreiben, zusammen mit privaten Teams und Kunden, ist einfach etwas, was zur Geschichte von Porsche gehört. Zudem ist es ein wichtiges Element, immer wieder die Verbindung zwischen Motorsport und Straßenfahrzeugen herzustellen."

Frage: "Toyota gibt in der Formel 1 angeblich 400 Millionen Euro pro Saison aus - und fährt seit sechs Jahren hinterher. Ist das ein warnendes Beispiel für Sie?"
Kristen: "Da kenne ich die Zahlen nicht. Ich kann nur sagen, das würde für Porsche sicher nicht sinnvoll sein. Was die Motivation für Toyota oder irgendeinen anderen Hersteller ist, in der Formel 1 zu fahren, ist reine Spekulationen. Das können nur diese Teams selbst beantworten."

Frage: "Was ist für einen renommierten Hersteller die Triebfeder, Motorsport zu betreiben?"
Kristen: "Motorsport prägt sicher das Marken-Image, vor allem, wenn man erfolgreich ist. Das Schlimmste auf Dauer gesehen, was einem passieren kann, ist sicherlich, wenn man in einem Bereich aktiv ist und dabei nie Erfolg hat. Das ist nämlich auch ein eindeutiges Signal, das ich nach außen sende."

Frage: "Verkauft ein Hersteller durch Motorsport mehr Autos?"
Kristen: "Das ist für jeden Autobauer eine wichtige Frage. Aber nehmen wir mal das Beispiel Toyota und die Zahl 400 Millionen in der Formel 1. Porsche verkauft im Jahr ungefähr 100.000 Autos. Dann ist das schlicht und einfach der zehnfache Faktor, als wenn ein Konzern eine Million Autos verkauft, den man pro Auto umrechnen muss. Dann kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass dies nicht unbedingt der günstigste Weg ist, um Marketing zu betreiben. Immer vorausgesetzt, dass man es selber vernünftig finanzieren will, und 400 Millionen kann man sicher nicht über Sponsoren aufbringen."

"Irgendwann muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Ressourcen limitiert sind" Hartmut Kristen

Frage: "Wie groß sind die finanziellen Zwänge bei Porsche?"
Kristen: "Naja, finanzielle Zwänge würde ich das nicht gerade nennen. Es gibt natürlich zu jedem Projekt, das wir vom Vorstand genehmigen lassen, ein entsprechendes Budget. Aber warum sollte da der Motorsport anders behandelt werden als andere Bereiche in einem Unternehmen? Dass man immer Ideen hat, was man alles anders machen könnte, steht natürlich auch außer Frage. Nur irgendwann muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Ressourcen limitiert sind - nicht nur finanziell, sondern auch auf der Mitarbeiterseite. Wenn der Nutzen Richtung null geht, ist das Geld sicher nicht sehr gut angelegt. Geld ist nicht das Einzige, was Erfolg im Motorsport garantiert. Denn sonst würden wir in verschiedenen Rennserien Kosten-Eskalationen erleben, die wir alle nicht haben wollen. Deshalb würde mich persönlich ein deutlich größeres Budget bei Porsche ganz sicher nicht ruhiger schlafen lassen."

Frage: "Porsche ist mit dem Cayenne bei der Transsyberia Rallye am Start. Wäre dies ein Projekt, das Zukunft hat?"
Kristen: "Das ist denkbar, doch derzeit betreiben wir dieses Projekt auf einem anderen Niveau, als unsere Kundensportaktivitäten auf der Rundstrecke. Mit den bei Rallye gesammelten Erfahrungen müssen wir uns überlegen, wie man so etwas weiterentwickeln könnte. Wenn man mit einem Auto wie dem Cayenne sportliche Ambitionen hegt, ist es naheliegend, dass man nicht unbedingt an die Rundstrecke denkt, sondern an die Fähigkeiten, die in so einem Gelände-Fahrzeug stecken. Und eine derartige Rallye ist sicher attraktiv, diese Fähigkeiten unter Beweis zu stellen."

Frage: "Wäre die berühmte Rallye Dakar eine Herausforderung für Porsche?"
Kristen: "Man muss sich da zuerst mit den Rahmenbedingungen vertraut machen. Die Fahrzeuge, die bei der Rallye Dakar für den Gesamtsieg in Frage kommen, haben mit Straßenautos sehr wenig zu tun. Das sind alles reinrassige Prototypen. Zweitens ist das ein zeitlich begrenzter Event. Und da muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob es das wert ist. Da muss ich ehrlich sagen: Das würde mit der Kapazität, die wir haben, nicht funktionieren. So ein Projekt ist im Rahmen unseres Budgets sicher nicht möglich."
Frage: "Wie wichtig war Michael Schumacher nicht nur für den Sport, sondern auch für die deutsche Automobilindustrie?"
Kristen: "Ich hoffe sehr, dass der Name Michael Schumacher eine nachhaltigere Wirkung hat als der Name Boris Becker im Tennissport. Nach der Ära Boris Becker ist es mit dem Tennissport in Deutschland bergab gegangen. Das positive Element an Figuren wie Schumacher für den Motorsport sehe ich darin, dass es keine Marke, sondern eine Person ist. Wenn es mittelfristig aber nur dazu führt, dass viele junge Leute in den Motorsport einsteigen wollen, um möglichst viel Geld zu verdienen, dann glaube ich, dass es viele Enttäuschungen geben wird."

Michael Schumacher

Kristen sieht durch Schumachers Rücktritt keine geschwächte Formel 1 Zoom

Frage: "Wird das Interesse an der Formel 1 hierzulande ohne das Zugpferd Michael Schumacher nachlassen?"
Kristen: "Ich denke, dass die Formel 1 in der Zeit nach Michael Schumacher gut über die Runden kommt. Ich sehe in seinem Rücktritt auch eine Chance. Denn sein Erfolg hat die Möglichkeiten, die der Motorsport bietet, zumindest in Deutschland eingeschränkt. Durch Schumacher war das Interesse bei uns extrem auf die Formel 1 fokussiert. Das bindet natürlich Sponsorengelder, Medieninteresse, und, und, und. Um eine größere Vielfalt für den Motorsport zu garantieren, war sein Rücktritt sicher nicht von Nachteil."
Frage: "Sie weinen Schumacher also keine Träne nach?"
Kristen: "Die Formel 1 wird es weiter geben. Auch in Brasilien hat das Interesse nach dem Tod Ayrton Sennas kurz nachgelassen oder in England. Und da haben wir derzeit einen Boom, ausgelöst durch Lewis Hamilton."

Frage: "In Deutschland findet nur noch ein Formel-1-Rennen statt. Für Sie eine logische Entwicklung?"
Kristen: "Die Anzahl der Rennen, die in einem Jahr durchgeführt werden können, ist begrenzt. Warum ausgerechnet in Deutschland zwei WM-Läufe stattfinden müssen, darüber kann man natürlich diskutieren. Mit der steigenden Zahl von Rennen außerhalb Europas ist das für mich durchaus eine nachvollziehbare Entscheidung."

Frage: "Ist die Formel 1 zu teuer geworden?"
Kristen: "Ich weiß nicht, ob die Formel 1 für einzelne Veranstalter auf Dauer noch finanzierbar ist. Vielleicht macht das auch Budgets frei für andere Motorsport-Aktivitäten."

Frage: "Der Automobil-Weltverband FIA träumt von einer grünen Formel 1. Umwelt und Motorsport: Passt das überhaupt zusammen?"
Kristen: "Von grünem Motorsport zu reden, halte ich für etwas übertrieben. Allerdings sind ökologische Herausforderungen für den Motorsport meiner Meinung nach genauso legitim wie jede andere Aufgabenstellung, die man dem Motorsport im technischen Bereich gibt. Verbrauchs- und Emissionsreduzierung sind Themen, die im Automobilbereich heute eine wichtige Rolle spielen. Aus diesen Gründen ist es naheliegend, diese Themen in einer entsprechend angepassten Art und Weise auch in den Motorsport zu bringen. In der American Le Mans Serie fahren die Porsche RS Spyder und GT3 RSR bereits mit Kraftstoff, dem zehn Prozent Ethanol beigemischt sind."

Frage: "Automobilsport ist also mehr als Show und Unterhaltung?"
Kristen: "Motorsport an sich kann kein Selbstzweck sein. Er kann dazu dienen, Prozesse schneller zu verstehen und begreifbar zu machen, gewisse technische Entwicklungen zu beschleunigen und dieses Know-how wieder in die Serienproduktion zurückzugeben."