Vom Krankenhaus zum Sieg: Keselowski gewinnt Marathon
Brad Keselowski holte sich mit gebrochenem linken Knöchel den Sieg in Pocono vor Kyle Busch - 100-minütige Unterbrechung aufgrund von Regenfällen
(Motorsport-Total.com) - Brad Keselowski (Penske-Dodge) hat das scheinbar Unmögliche geschafft und nur vier Tage nach seinem schweren Testunfall das Good Sam RV Insurance 500 auf dem Pocono Raceway gewonnen. Der Penske-Pilot war am Mittwoch bei Testfahrten auf dem Straßenkurs von Road Atlanta nach einem Bremsdefekt mit Tempo 160 in die Streckenbegrenzung eingeschlagen und infolgedessen in Pocono mit gebrochenem linken Knöchel unterwegs.

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Penske-Pilot Brad Keselowski zeigte in Pocono einen wahren Husarenritt
Dieses massive Handicap schien den Linksbremser über die Renndistanz von 500 Meilen (!) aber weder beim Bremsen noch beim Kuppeln zu beeinträchtigen. Das Rennen musste zu allem Überfluss nach 124 der 200 geplanten Runden aufgrund von Regenfällen für eine Stunde und 40 Minuten unterbrochen werden. Keselowski stand den über fünftstündigen NASCAR-Marathon trotzdem durch und konnte in den Schlussrunden alle Angriffe von Kyle Busch (Gibbs-Toyota) abwehren.
Das entscheidende Manöver gelang Keselowski beim finalen Restart unter tatkräftiger Mithilfe von Jimmie Johnson. Der Hendrick-Pilot eröffnete aus der zweiten Reihe kommend ganz innen eine dritte Spur. Der zu diesem Zeitpunkt führende Kyle Busch zog im Bemühen, den Angriff Johnsons abzuwehren, ebenfalls nach innen, woraufhin Keselowski auf der Außenspur freie Fahrt hatte, die Spitzenposition übernehmen und bis ins Ziel verteidigen konnte.
In der Victory Lane wollte der siegreiche Penske-Pilot von einer Heldentat allerdings nicht viel wissen. "Ich habe heute nicht den Unterschied gemacht, sondern die Jungs in meinem Team", sagte Keselowski in Bezug auf die Entscheidung der Penske-Crew rund um Crewchief Paul Wolfe, in der letzten Gelbphase des Rennens draußen zu bleiben.
"Ich hoffe, ich kann mich mit einem Platz im Chase bei ihnen revanchieren", so Keselowski weiter. Nach seinem zweiten Saisonsieg hat der Penske-Pilot nun sehr gute Karten, eine der beiden Wildcards für die NASCAR-Playoffs abzugreifen. Teamchef Roger Penske konnte den Husarenritt seines Fahrers übrigens nicht vor Ort bejubeln. Der "Captain" weilte zur selben Zeit in Mid-Ohio, um dort die Geschicke seiner IndyCar-Truppe zu leiten.
Hitzige Stimmung nach der Zieldurchfahrt

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Hinter Sieger Brad Keselowski ging es in Pocono hitzig zu... Zoom
Keselowskis "Erzfeind" Kyle Busch, mit dem sich "Bad Brad" in der Vergangenheit schon die eine oder andere Auseinandersetzung geliefert hatte, kam nach 200 Umläufen als Zweiter ins Ziel. Ausgangs Turn 3 der letzen Runde versuchte der Gibbs-Pilot einen letzten Verzweiflungsangriff. Nach einem spektakulären Slide in Richtung Boxenmauer musste er sich bei Überfahrt der Ziellinie jedoch knapp geschlagen geben.
"Unter Berücksichtigung aller Umstände war es ein guter Tag für uns", sagte Kyle Busch im Ziel. Für den Gibbs-Piloten hatte das Rennen denkbar schlecht begonnen. In der 13. Runde verlor er den Toyota Camry auf Platz sechs liegend ausgangs Turn 3 und drehte sich in die Boxengasse. Nach einem Rundum-Service der Crew ging es vom Ende des Feldes weiter. Nach einem Viertel der Renndistanz wurde er bereits wieder auf dem zweiten Platz notiert, wo er nach 500 Meilen auch im Ziel zu finden war. "Ich hätte mir gewünscht, durch einen weiteren Sieg meine Ausgangsposition für den Chase zu verbessern, aber Platz zwei ist okay", hielt Kyle Busch fest.
Spannend wurde es im Kampf um den dritten Platz. Penske-Pilot Kurt Busch (3.) und NASCAR-Dauerchampion Jimmie Johnson (Hendrick-Chevrolet; 4.) gerieten zunächst auf und unmittelbar danach auch neben der Strecke aneinander. Johnson zeigte sich über das Manöver von Busch - mit dem dieser sich in der Schlussrunde nach intensivem Lackaustausch Platz drei schnappte - wenig erfreut und stellte ihn in der Boxengasse zur Rede.
"Ausgangs der Kurve ist er einfach über mich drüber gefahren", lautete der Vorwurf von Johnson. "Ich hatte im Verlauf des Rennens zigmal die Gelegenheit, ihn abzuräumen, habe es aber nicht getan", so der Hendrick-Pilot weiter. Kurt Busch sah den Zwischenfall freilich anders. "Wir sind am Schluss hart gegeneinander gefahren, aber ich habe mich dabei so sauber verhalten wie es nur irgendwie ging. Dass er daraufhin auf mich losgehen wollte, kann ich nicht nachvollziehen."
Johnson musste sich letztlich mit Platz vier zufrieden geben. Seine Hendrick-Teamkollegen Jeff Gordon (6.) und Dale Earnhardt Jr. (9.) landeten ebenfalls in den Top 10. Gordon blieb in der letzten Gelbphase ebenso auf der Strecke wie Keselowski, Johnson und die Busch-Brüder. Im Gegensatz dazu nutzte Earnhardt die letzte Unterbrechung der Renn-Action für seinen finalen Stopp, konnte von den zwei frischen Reifen aber nicht profitieren, da es beim Stopp Probleme mit einer der Radmuttern gab. Platz neun bedeutete für den NASCAR-Publikumsliebling dennoch die erste Top-10-Platzierung seit dem Juni-Rennen an gleicher Stelle.
Joey Logano stand kurz vor seinem zweiten Sieg

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Die Fahrzeuge standen über eineinhalb Stunden lang zugedeckt in der Pitlane Zoom
Als das Rennen nach 124 Runden aufgrund von Regenfällen mit der Roten Flagge unterbrochen werden musste, sah es so aus, als hätte Gibbs-Youngster Joey Logano seinen zweiten Sprint-Cup-Sieg in der Tasche. Zum Zeitpunkt des Abbruchs lag der über weite Strecken um Platz fünf fahrende Toyota-Pilot dank eines cleveren Schachzugs von Crewchief Greg Zipadelli plötzlich in Führung.
Denn der zu diesem Zeitpunkt führende Denny Hamlin entschied sich genau wie seine Verfolger Kyle Busch, Jimmie Johnson und Carl Edwards für vier neue Reifen, schließlich war gerade die Hälfte der geplanten Renndistanz zurückgelegt. "Zippy" hingegen spekulierte auf Abbruch und entschied sich am Auto von Logano für nur zwei neue Reifen. Der Gibbs-Youngster kam somit als Führender aus der Boxengasse.
Da das Rennen nach der langen Unterbrechung doch noch einmal freigegeben wurde und letztlich über die volle Distanz ging, sah Logano seine Felle zunehmend davon schwimmen. Zu allem Überfluss musste er elf Runden vor der Karierten Flagge aufgrund eines Reifenschadens unter Grün an die Box kommen und wurde im Ziel nur auf Platz 26 notiert.
Pech hatte einmal mehr auch Pocono-Spezialist Hamlin: Der amtierende Vizechampion hatte das Rennen in der Anfangsphase über weite Strecken im Griff, kam nach einem verpatzten letzten Boxenstopp, bei dem der Mechaniker am rechten Hinterrad eine Radmutter fallen ließ, aber nur als 15. ins Ziel.
Edwards bleibt Tabellenführer - Montoya fällt endgültig ab
Tabellenführer Carl Edwards hielt sich die meiste Zeit des Rennens in den Top 5 auf, musste sich letztlich aber mit Platz sieben begnügen. Genau wie Earnhardt und Hamlin nutzte auch Edwards die letzte Gelbphase zum Abholen zweier neuer Reifen. Als Zehnter nahm er den finalen Restart unter die Räder, konnte in den Schlussrunden aber nur noch drei Positionen gutmachen. Dennoch verteidigte Edwards nach 21 Saisonläufen die Führung in der Gesamtwertung gegenüber Jimmie Johnson.

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Red-Bull-Pilot Kasey Kahne geriet mit Juan Pablo Montoya aneinander Zoom
Unterdessen musste Juan Pablo Montoya (32.) einen weiteren herben Dämpfer in Bezug auf eine mögliche Chase-Qualifikation hinnehmen. Der Kolumbianer war auf dem als "Tricky Triangle" bekannten 2,5-Meilen-Trioval im US-Bundesstaat Pennsylvania in der Vergangenheit regelmäßig gut zurechtgekommen. Diesmal allerdings war für ihn nichts zu holen. 20 Runden vor Schluss sorgte Montoya durch eine Kollision mit Red-Bull-Pilot Kasey Kahne (28.) für die fünfte und letzte Gelbphase im Rennen, die im Kampf um den Sieg die Vorentscheidung bringen sollte.
Kahne versuchte ausgangs Turn 1 mit mehr Schwung außen an Montoya vorbeizugehen. Der Kolumbianer rechnete an dieser Stelle ganz offensichtlich nicht mit einem Angriff und zog seinerseits nach oben. Da Kahne zu diesem Zeitpunkt bereits neben ihm war, ließ sich der Kontakt nicht mehr vermeiden. Der Red-Bull-Toyota mit der Startnummer 4 drehte den Earnhardt/Ganassi-Chevrolet von Montoya um, woraufhin Kahne ebenfalls den Wagen aus der Kontrolle verlor. Nach einem Besuch in der Boxengasse, der für Montoya mit einer längeren Reparatur des rechten vorderen Kotflügels verbunden war, mussten beide das Rennen abhaken.
Am kommenden Wochenende wartet in Watkins Glen der zweite und letzte Straßenkurs der Saison auf die Sprint-Cup-Meute. Vorjahressieger Montoya würde angesichts der derzeitigen Lage eine Wiederholung seines Triumphs allerdings nur bedingt weiterhelfen. Inzwischen liegen nicht weniger als drei Piloten (Paul Menard, Brad Keselowski, David Ragen) mit mindestens einem Saisonsieg zwischen Platz elf und 20 und somit vor dem Kolumbianer. Keselowski hat dank seines zweiten Sieges Stand heute die besten Karten auf eine der beiden Wildcards.

