• 12.09.2013 19:23

  • von Pete Fink

NASCAR-Kolumne: Die Büchse der Pandora

Das Skandal-Rennen von Richmond und seine Konsequenzen - Pete Fink macht in seiner neuen NASCAR-Kolumne einen kleinen Ausflug ins alte Griechenland

(Motorsport-Total.com) - Die Büchse der Pandora ist ein Begriff aus der griechischen Mythologie. Sie enthielt alle bis dato unbekannten Übel für die Menschheit, also Dinge wie Arbeit, Krankheit oder auch der Tod. Göttervater Zeus höchstpersönlich hatte befohlen, dass diese Büchse auf immer und ewig ungeöffnet bleiben solle, doch die neugierige Pandora, die erste Frau, konnte nicht widerstehen - und seitdem müssen wir alle arbeiten. So oder so ähnlich erzählen es sich die alten Griechen. Doch was bitte schön hat das alles mit der NASCAR zu tun?

Titel-Bild zur News: Clint Bowyer

So ging das ganze Schlamassel los: Clint Bowyer dreht sich in Richmond Zoom

Natürlich geht es um den Skandal von Richmond. Besser gesagt darum, wie die Regelhüter in Charlotte und Daytona darauf reagierten. Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft, auch wenn es sich dabei um einen recht unmotivierten Dreher von Clint Bowyer handelt, der wiederum zufällig dabei hilft, seinen Waltrip-Teamkollegen Martin Truex Jr. in den diesjährigen NASCAR-Chase zu hieven. Dachte man jedenfalls.

Doch Bowyers Schauspiel - und seine unbeholfenen Erklärungsversuche danach - hatten ein Nachspiel. Das Problem dabei: Solange es Bowyer nicht selbst zugibt, kann man ihm trotz aller Offensichtlichkeit nichts nachweisen. Anders liegt der Fall bei den späteren Boxenbesuchen von Brian Vickers und wieder Bowyer. Dabei war der Funkverkehr zu eindeutig: Da gingen zwei Waltrip-Teamkollegen ohne Not zum Service, was Truex zwei Positionen und damit zwei wichtige Punkte einbrachte.

Diese rein strategische Maßnahme konnte NASCAR bestrafen und sie taten es in aller Härte. Die folgenden Punktabzüge führten dazu, dass nun nicht Truex im Chase steht, sondern Ryan Newman (Stewart/Haas-Chevrolet), eines der beiden Opfer der Waltrip-Aktionen. Für Bösewicht Bowyer hat das Ganze übrigens keine Auswirkungen, was vor allem die Jeff Gordon-Fans auf die Palme bringt, denn der alte Bowyer-Rivale Gordon wäre der nächste Chase-Nachrücker geworden.

Überholen mit Absicht?

Pete Fink Kolumne

Pete Fink über die neue Regelauslegung alter NASCAR-Sitten Zoom

Oder kommt es dazu noch? Dies könnte sich nun aus dem Fall Joey Logano und David Gilliland ergeben, der sich offenbar auf Anweisung vom Logano-Team überholen ließ. Der Grund ist der Gleiche: Eine Position pro Logano ist gleich einem wichtigen Punkt im Kampf um den Chase. Und wenn das kleine Front-Row-Team Gilliands in Zukunft vielleicht den einen oder anderen Revanche-Gefallen des großen Ford-Bruders Penske mitnehmen kann, dann ist das alles kein Problem.

Doch da geht es schon los: Sollte Logano straffrei ausgehen, die Waltrip-Truppe aber nicht, dann dürfte es berechtigte Fragen hageln. Sollte Logano aber bestraft werden, dann wird das in den vergangenen Jahrzehnten völlig legitime und auch gewünschte NASCAR-Prozedere vom "Give and Take" ad absurdum geführt. Mehr noch: Dann müsste streng genommen jedes Überholmanöver auf Absicht untersucht werden.

Davon gibt es alleine in Talladega mehrere hundert pro Rennen und trotz aller Statistikverliebtheit der Amerikaner dürfte das eine Nummer zu groß sein. Aber genau das meine ich, wenn ich die Frage stelle, ob sich NASCAR mit diesem Urteil samt Begründung einen Gefallen getan hat. Denn so steht es zu erwarten, dass die Regelhüter ab sofort eine Menge Arbeit bekommen werden. Das ahnt auch Jimmie Johnson schon, der in dieser Woche einen Vorschlag aufs Tapet brachte: Bei Unklarheiten oder Verdachtsmomenten eine Rote Flagge zeigen, das Feld anhalten und die TV-Bilder sichten. Bei aller Liebe: Dann wird Pandoras Box noch einmal um ein paar Hausnummern größer.

Auch Kyle Busch kennt solche Situationen. Vor genau einem Jahr in Richmond übte bereits sein Gibbs-Teamkollege Denny Hamlin einen ganz ähnlichen Trick und fuhr unvermittelt zum Service, was Kyle Busch eine Position und einen Punkt im damaligen Fernduell mit Jeff Gordon einbrachte. Die ganze Angelegenheit ging nur deswegen unter, weil es nichts nutzte: Gordon kam mit drei Punkten Vorsprung auf Kyle Busch in den Chase.

Die Hoffnung bleibt ...

Martin Truex Jun., Clint Bowyer, Kasey Kahne, Jimmie Johnson, Kurt Busch, Kevin Harvick, Greg Biffle, Dale Earnhardt Jun., Matt Kenseth, Carl Edwards, Kyle Busch, Joey Logano

Die zwölf Chase-Teilnehmer 2013 - zumindest Stand Richmond ... Zoom

Die Vickers-/Bowyer-Taktik ist also nicht neu. Auch das Gentlemens Agreement Logano/Gilliland ist ein uralter NASCAR-Hut. Nur hat sich plötzlich die Rechtsinterpretation geändert und ob das ein kluger Schachzug war, bleibt abzuwarten. Oder ist die Büchse der Pandora vielleicht schon viel größer als viele denken? Denn streng genommen ist der Chase die Ursache für den Richmond-Skandal.

Gemäß der Faustregel: Wer nicht im Chase steht, der findet in den letzten zehn Saisonrennen nicht statt. Das mögen weder Piloten, noch Teams und Sponsoren. Also gibt es Druck. Viel Druck. Den Druck auf Biegen und Brechen in die Playoffs zu fahren, koste es, was es wolle. Dass dabei alle Tricks ausgepackt werden, die zur Verfügung stehen, dürfte selbsterklärend sein. Nur erwischen lassen darf man sich bloß nicht.

Denn dann steht man, wie nun Michael Waltrip, über Nacht am Pranger und ist in Erklärungsnöten. Zu allem Überfluss distanzieren sich dann auch noch die Sponsoren und kündigen an, ihr Engagement zu überdenken. NASCAR war schon immer eine Grauzone oder - anders herum gedacht - ein Ritt auf der Rasierklinge. In vielen Bereichen, nicht nur auf der Strecke. Das hat Richmond so deutlich gemacht wie nie zuvor.

Doch ein positives Element hat die Sage von Pandoras Box ebenfalls: Darin verborgen waren nicht nur alle Übel für die Menschheit, sondern auch die Hoffnung. Leider hat Pandora ihre Büchse damals zu schnell geschlossen, sodass die Hoffnung nicht mehr entweichen konnte. Die steckt da also noch drin und daher dürfen wir alle hoffen, dass dies auch die NASCAR-Oberen wissen.

Mit den besten V8-Grüßen
Euer
Pete Fink