• 08.08.2008 10:20

  • von Klaus Graf

Graf-Kolumne: "NASCAR muss aufpassen"

NASCAR-Experte Klaus Graf beschreibt in seiner neuen Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' was sich hinter den Kulissen derzeit zusammenbraut

Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com',

Titel-Bild zur News: Klaus Graf

NASCAR-Experte Klaus Graf fuhr vor einem Jahr noch einen BAM-Dodge

NASCAR hat nun zehn richtig tolle Jahre hinter sich, aber wenn man sich all das vor Augen führt, was sich da gerade an Rahmenerscheinungen auftürmt, dann steht die NASCAR-Führung bald vor einem ziemlich großen Haufen an Problemen. Auf den ersten Blick mag man das vielleicht gar nicht erkennen, doch hinter den Kulissen gibt es eine ganze Menge an Fragezeichen.

Die schwache US-Konjunktur ist nur eines dieser Probleme, auch das Car of Tomorrow hat einige deutliche Konsequenzen sportlicher Art. Und dass die US-Hersteller nicht gerade gut dastehen, ist nun wahrlich kein allzu großes Geheimnis. In den kommenden Jahren sind also echte Führungsqualitäten gefragt, und da bin ich sehr gespannt, was alles passieren wird.#w1#

Beim CoT geht es im Prinzip schon los: Die Vorbereitung in der Fabrik ist so extrem wichtig geworden und die eigentlichen Stars - die Fahrer - sind durch dieses neue Sportgerät in ihrer Freiheit ziemlich blockiert. Denn das Funktionsfenster des alten Autos war einfach viel breiter, der Fahrer konnte da vieles kompensieren. Da gab es erheblich mehr Spielraum für verschiedene Fahrstile und Abstimmungen, man hatte einfach mehr Luft, um zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Und genau diese Luft fehlt beim CoT. Wenn man nicht diesen berühmten und ganz engen "Sweet-Spot" trifft, in dem das CoT funktioniert, dann geht - um es einfach auszudrücken - gar nichts. Dann kann man ins Auto setzen wen man will, ob der Fahrer dann Jimmie Johnson, Tony Stewart oder zum Beispiel auch Juan Pablo Montoya heißt - unterm Strich spielt das überhaupt keine Rolle mehr.

Die Großen unter sich

Darin liegt gleich ein weiteres Problem vergraben, denn die Superstars der Szene sind samt ihren Technikern in ihren Organisationen sehr verwurzelt. Teams wie Hendrick, Roush oder Gibbs arbeiten dermaßen strukturiert und verfügen über so viel Manpower und Ressourcen, dass sich über diese Detailarbeit im Feld die Spreu vom Weizen trennt.

Jeff Gordon Jimmie Johnson

Jeff Gordon und Jimmie Johnson - die großen Teams stehen geschlossen vorne Zoom

Man muss sich nur einmal die Gesamtwertung ansehen: Im diesjährigen Chase sind Hendrick, Gibbs, Roush und Childress je dreimal vertreten. Der einzige, der im Konzert der Großen mithalten kann, ist Kasey Kahne. Und über eines bin ich mir auch ganz sicher: Roger Penske wird sich bereits fragen, wie das alles möglich sein kann. Ganassi hat finanzielle Probleme, dort gehen die Ressourcen aus, denn man ist dort mit Montoya beinahe schon ein Ein-Mann-Team.

Die Probleme etwa von BAM Racing sind da nur ein winzig kleines Spiegelbild der Realität, denn man muss sich nur einmal vor Augen führen, welche riesigen Probleme zum Beispiel ein Traditionsteam wie Petty gerade hat, und DEI geht es auch nicht viel besser. In der heutigen NASCAR braucht man mit einem Ein-Wagen-Team nicht mehr antreten, das kann man komplett vergessen. Die Schere geht also immer weiter auseinander und diese Situation ist sehr gefährlich.

Im Gegensatz dazu stehen die Sponsoren beim neuen Stewart-Haas-Team Schlange. Da muss man sich auch einmal die Frage stellen, ob die TV-Berichterstattungen einen guten Job machen? Ist dieses Chase-System wirklich so gut, wie alle gedacht haben? Denn mittlerweile - und das weiß ich - verlangen die Sponsoren Garantien dafür, dass die Autos in den Chase kommen.

Man muss nur einmal die überregionale 'USA Today' aufschlagen und man wird feststellen, dass man außer den zwölf Chase-Autos kein anderes Team mehr sieht. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch früher ging es ums Geld verdienen, aber unter dem Strich ging es um das Racing. Damit will ich sagen, dass die Balance gestimmt hat, aber nun muss man gewaltig aufpassen, dass die ganze Angelegenheit nicht aus dem Gleichgewicht gerät.

Was machen die Hersteller?

Ein anderer Fakt ist auch, dass die Toyota-Triebwerke ganz einfach Granaten sind. Der Unterschied ist ja ganz einfach der, dass Toyota einen Block konstruiert hat, der zwar auf dem NASCAR-Reglement basiert, aber dessen Konstruktion wiederum ist nun einmal keine 40 Jahre alt wie die der Konkurrenz. Das betrifft zum Beispiel Fragen wie die gesamte Materialanordnung. Klar: Chevy hat auch einen neuen Block gebaut, aber die US-Hersteller wollen nun natürlich wieder eine Ausgeglichenheit in der Motorentechnik erreichen.

J.J. Yeley Kyle Busch

Kyle Busch und Tony Stewart - Toyota mischt derzeit die NASCAR auf Zoom

Dazu kommt die große Frage, wo sich der gesamte Automobilsektor in Zukunft hinbewegen wird. General Motors hat im abgelaufenen Quartal 15 Milliarden US-Dollar Verlust gemacht und das ist natürlich schon ein Wort. Da läuft im Moment einiges schief und das kann ja nicht so weitergehen. Wenn sich die drei US-Hersteller nun dazu entschließen sollten, dass man NASCAR gegenüber gemeinsamen Druck ausübt, dann bekommt NASCAR auch aus dieser Ecke ein richtiges Problem.

Toyota hat seinen NASCAR-Einstieg damals rein aus Marketinggründen heraus unternommen, denn man hat die schiere Größe der Serie gesehen. Auch ein deutscher Hersteller in der NASCAR wäre in der Theorie schon machbar, wenn man in den USA auch die notwendigen Stückzahlen im Massensegment produzieren und verkaufen kann. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass die deutschen Hersteller mit der NASCAR-Philosophie nichts anfangen können.

Umgekehrt hat NASCAR sicher nichts dagegen, wenn europäische Stars in die Serie kommen würden, aber Fakt ist nun einmal auch, dass solche Leute wie Jacques Villeneuve oder Dario Franchitti derzeit nicht fahren. Ich bin mir ganz sicher, dass zum Beispiel die Franchitti-Aktion vielen in der NASCAR ein großer Dorn im Auge war, denn dadurch hat mit David Stremme ein amerikanischer Fahrer seinen Job bei Ganassi verloren.

Aber grundsätzlich gilt: Wenn man mit einem vernünftigen Konzept in die NASCAR kommt, wenn man vielleicht auch den einen oder anderen neuen Sponsor oder Partner mit im Gepäck hat, dann macht NASCAR sicherlich alles für dich.

Zuletzt sind einige prominente Formelpiloten in die NASCAR gewechselt, aber sollte zum Beispiel Casey Mears 2009 wieder IndyCar fahren, dann wäre das ein erstes Zeichen dafür, dass sich da ein völlig neuer Trend abzeichnet. Natürlich sind die IndyCars noch weit entfernt von der NASCAR, aber auch dort bläst man zur Aufholjagd - und das nicht ohne Erfolg. Es gibt einige neue Sponsoren und der neue Kalender deutet ganz klar auf eine zukünftige 50/50-Teilung zwischen Ovalen und Rundstrecken hin. Und man darf auch nicht vergessen, dass etwa Danica Patrick oder Marco Andretti in den USA große Namen sind.

Spannende Saison 2008

Doch neben allen Gefahrenpotenzialen gibt es auch viele positive Aspekte, denn vom rein sportlichen her sehen wir gerade eine spannende und sehr abwechslungsreiche Saison 2008 mit vielen verschiedenen Siegern.

Carl Edwards Jack Roush

Carl Edwards und Jack Roush - für Klaus Graf nach wie vor die Favoriten Zoom

Toll fand ich zum Beispiel die NASCAR-Reaktion, das Nationwide-Rennen in Montréal auf Regenreifen fahren zu lassen. Das war sicher eine Supersache, denn ansonsten hätte es vermutlich in Kanada gar kein Rennen gegeben. Da hat man ganz sicher aus der Not eine Tugend machen können.

Auch Red Bull und Brian Vickers möchte ich herausstellen. Was Vickers in dieser Saison macht, finde ich ganz stark und das zeigt natürlich auch seine fahrerische Qualität. Und es ist auch ein Zeichen dafür, dass bei Red Bull nun die Ernte eingefahren wird, die man früher ausgesät hat.

Mein heimlicher Liebling ist ja "Junior" und ich freue mich, dass er zumindest einmal sicher im Chase sein wird. Ob es auch zum Titel reicht, da bin ich skeptisch. Zu Beginn des Jahres habe ich auf Carl Edwards getippt und bleibe auch dabei. Klar ist Kyle Busch extrem stark, aber wenn es in den Chase geht, dann darf man Jack Roush nie unterschätzen.

Ich kann nur hoffen, dass man bei NASCAR die Zeichen der Zeit richtig deutet und sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruht. Noch herrscht an der Oberfläche einigermaßene Ruhe, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn ein Sturm los brechen sollte, dieser kein Sturm im kleinen Wasserglas ist.

Herzliche Grüße

Klaus Graf