powered by Motorsport.com
  • 18.12.2010 15:25

  • von Pete Fink

Die große NASCAR-Expertenrunde (2)

Gibbs, Roush, Toyota, Ford und natürlich Juan Pablo Montoya stehen im Fokus des zweiten Teils der großen NASCAR-Expertenrunde auf 'Motorsport-Total.com'

(Motorsport-Total.com) - Im zweiten Teil unerer großen NASCAR-Expertenrunde dreht sich alles um Joe Gibbs Racing mit Denny Hamlin und Kyle Busch, um die Probleme bei Roush und der Ford Motor Company, sowie um die Frage, was hinter der suboptimalen Saison von Juan Pablo Montoya steckt.

Titel-Bild zur News: Kyle Busch

Kyle Busch ist für unsere Experten der schnellste Mann im NASCAR-Feld

Frage: "Hochinteressante Dinge geschehen auch bei Joe Gibbs Racing. Denny Hamlin ist mit gerade einmal 30 Jahren der älteste Pilot im Team, Kyle Busch ist erst 25 Jahre alt, Joey Logano gerade einmal 20. Wenn die Drei zusammenbleiben, dann sind die in fünf Jahren doch unschlagbar, oder?"
Christian Kuhn: "Eigentlich ja. Kyle Busch - und das hat er dieses Jahr wieder bewiesen - kann sich nur selber schlagen."

Günther Steiner: "Dass Kyle Busch sauschnell ist, das weiß jeder."

Kuhn: "Aber er hat nur eines vergessen: NASCAR ist im Prinzip ein Langstreckenrennen ohne Fahrerwechsel und Teamkollege. Da lautet das oberste Gesetz: Ins Ziel kommen und wenn möglich mit einem funktionierenden Auto. Mit Ausnahme von Denny Hamlin haben bei Gibbs alle anderen ein mentales Problem. Es gibt ja das berühmte Sprichwort: Mit dem Alter wird man ruhiger. Das muss man bei Kyle Busch abwarten. Vom reinen Speed her ist er die klare Nummer eins. Er ist unglaublich gut und fast unschlagbar. Aber er kann einfach sein Temperament nicht zügeln, er bekommt das nicht kontrolliert."

Frage: "Aber wenn wir sagen, dass der NASCAR eine Feindschaft, wie früher Petty gegen Pearson, Earnhardt gegen Waltrip oder später gegen Gordon fehlt, dann wäre Super-Bösewicht Kyle Busch doch der prädestinierte Gegner für Johnson?"
Kuhn: "Sicher. Da gibt es nur ein Problem: Wenn man Jimmie Johnson näher kennt, dann weiß man, dass man ihm nicht wirklich böse sein kann. Mit Earnhardt Sr. hat man sich schon sehr gut streiten können, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Aber über was willst du dich mit Jimmie Johnson streiten? Wenn der Kerl mal was falsch macht, geht er hinterher hin und gibt es zu. Klar wäre Kyle Busch das genaue Gegenteil von einem Disziplinfreak Johnson. Aber wie willst du dich an Jimmie Johnson reiben? Das geht gar nicht und das ist das Problem."

Hamlin und die Nerven

Frage: "Wird Kyle Busch die Kurve noch kriegen?"
Kuhn: "Tja. Das ist wahrscheinlich genau die Frage, die sich J.D. Gibbs fast täglich stellt. Diese Frage könnte von Gibbs selber kommen."

Denny Hamlin

Die Nerven: Denny Hamlin schrammte knapp am Titel vorbei Zoom

Steiner: "Ich sehe das ein wenig so, wie im Fall Harvick. Wenn sich Kyle Busch auf eine Sache konzentrieren würde, dann würde ihm das sehr helfen. Wie viele Nationwide- oder Truck-Rennen ist Johnson denn gefahren? Keines. Und wenn du mit diesem Temperament auch noch jede Menge Rennen fährst, dann macht dich das noch viel anfälliger, denn du stehst ja dauernd unter Stress. Und so regt er sich über jede Kleinigkeit auf. Ich sage ganz klar: Wenn ich Sprint-Cup-Champion werden will, dann muss ich mich auch voll und ganz darauf konzentrieren. Anders geht es nicht."

Frage: "Und bekommt er die Kurve noch?"
Steiner: Ja. Er ist noch jung genug. Irgendwann wird er sich hinsetzen und sich sagen: 'Jetzt habe ich es mit allen Mitteln probiert. Mit Schimpfen, mit Schreien, mit Drohen. Jetzt muss ich einmal etwas anderes probieren.'"

Frage: "Womit wir bei Denny Hamlin wären. Was war da am Saisonende los?"
Kuhn: "Hamlin war 2010 der schnellste Mann..."

Steiner: "...was ich ihm ganz ehrlich nicht zugetraut hätte. Also vor allem, dass er so konstant schnell ist. Hamlin ist sehr gut, das ist klar. Aber dass er wirklich bis zum Ende mitkämpfen kann, das hat mich doch überrascht."

Kuhn: "Eigentlich kann es nicht sein, dass einer acht Rennen gewinnt und nicht Meister wird. Aber wir alle haben unterschätzt, wie gut dieser Jimmie Johnson wirklich ist. Oder die anderen eben doch nicht gut genug, wenn der Druck ins Unermessliche steigt."

Steiner: "Ich glaube, dass es die Nerven waren."

Frage: "Bei Hamlin oder im ganzen Team?"

Steiner: "Im Team."

Logano und die Gordon-Prognose

Frage: "Ist Johnson zu gut oder die anderen zu schlecht, weil sie noch Fehler machen?"
Kuhn: "Beides. Tendenziell würde ich sagen, dass alle anderen noch irgendwo ein Defizit haben, was sie noch nicht richtig umgesetzt bekommen."

Kevin Harvick, Joey Logano

Heißsporn Joey Logano (o.) legte sich 2010 mit einigen Kollegen an Zoom

Steiner: "Mit der klaren Betonung auf noch."

Frage: "Hinter den beiden Big-Boys vielleicht noch ein Wort zu Joey Logano. Mir bleibt immer ein Zitat von Jeff Gordon in Erinnerung, den ich einmal gefragt habe, wer denn der NASCAR-Champion 2015 werden wird. Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: Joey Logano."
Steiner: "Na ja, mit Jimmie Johnson hat Jeff Gordon zumindest einmal bewiesen, dass er für solche Fragen einen guten Riecher hat. Also ich will Logano jetzt nicht zu schlecht reden. Er ist noch sehr jung und er fährt im Sprint-Cup."

Kuhn: "Also vom Speed her hat er schon recht. Der Junge ist der Oberglüher vor dem Herrn. Ich finde die Aussage von Jeff Gordon trotzdem mutig. Speed alleine ist bei NASCAR nicht kriegsentscheidend. In Europa, also zum Beispiel in der Formel 3 oder in der DTM, musst du in der Qualifikation in den ersten beiden Reihen stehen. Sonst hast du kaum eine Chance, ein Rennen zu gewinnen. In der NASCAR ist das anders, da ist deine Startposition fast egal. Im Qualifying geht es nur darum, dabei zu sein. Aber Joey ist eben leider auch die jüngere Ausgabe von Kyle Busch."

Frage: "Nach dem Motto: Wenn mir etwas stinkt, dann fahr ich dem Montoya halt auch unter Gelb in die Kiste?"
Kuhn: Genau.

Steiner: "Das war ziemlich blöd. Sieht so ein zukünftiger Champion aus? Ich weiß nicht. Wir reden darüber, die Fahrer reden auch darüber und sind ganz sicher nicht beeindruckt von der Situation."

Frage: "Also eine Art zweiter "Bad" Brad Keselowski?"
Steiner: "Unterschätzt mir den Keselowski nicht. Der hat mir heuer in der Nationwide-Serie gut gefallen. Sehr konstant, nicht immer das beste Auto, aber immer das Optimum herausgeholt."

Die Probleme bei Roush

Frage: "Beeindruckend war 2010 auch der Turnaround bei Roush. Das gesamte Jahr über waren sie nicht zu sehen und plötzlich fahren sie am Ende der Saison allen um die Ohren. Was war da los?"
Kuhn: "Ford hat das ganze Jahr über die Wood Brothers und deren Crewchief David Hyder mit dem neuen FR9-Motor auf irgendwelchen Nicht-NASCAR-Strecken testen lassen. Noch im Mai 2010 ist denen der neue Motor andauernd um die Ohren geflogen. Das Gerücht sagt, der FR9 sei zu filigran ausgelegt, viel zu temperaturempfindlich, das Ding sei nicht standfest. Ford hat, unzählige Versionen dieses Motors gebaut und irgendwann hat es funktioniert. Jetzt ist dieser Motor ein Fortschritt."

Greg Biffle, Matt Kenseth, Carl Edwards

Das Roush-Triumvirat Matt Kenseth, Carl Edwards und Greg Biffle Zoom

Frage: "Das bedeutet: Roush ist 2011 ein ganz heißer Kandidat?"
Kuhn: "Absolut. Roush war immer der große Gegenpart zu Hendrick. Heute sind es vielleicht mit Childress und Gibbs vier Teams."

Steiner: "Ich sehe das ein bisschen anders. Für mich ist Ford in der NASCAR eine komische Geschichte. Ford lässt Roush immer vor sich hin arbeiten. Ohne jede Konkurrenz. Chevy hat Hendrick, Childress und Ganassi. Wenn Roush nicht vorne mitfährt, dann hat Ford niemanden mehr und das ist für mich ein Problem. Du hast nur eine Meinung, du bist in keinster Weise breit aufgestellt. Was Jack Roush sagt, ist Religion. Warum holt man denn nicht einmal ein Team wie Ganassi? Und wenn es nur darum geht, Roush einmal richtig herauszufordern?"

Frage: "An Ganassi war Ford ja dran..."
Steiner: "Wenn man das wirklich will, dann muss man überzeugend sein. Dann muss man zum Beispiel garantieren, dass jeder gleichwertig behandelt wird. sonst wird ein Chip Ganassi niemals Ja sagen."

Frage: "Also ist es eine Frage von Selbstzufriedenheit, wie man im Verlauf der Saison 2010 den Eindruck bekommen konnte? Klar waren Carl Edwards, Greg Biffle oder Matt Kenseth gut genug, um sich in den Chase hinein zu schaukeln, aber von Top-Leistungen waren sie meilenweit entfernt..."
Kuhn: "Ein Roush-Problem ist es, dass der Laden so groß ist. Die machen ja alles Mögliche von der GrandAm über die Late-Models und viele andere NASCAR-Unterklassen. Die machen einfach zu viele andere Dinge, das ist ja eine eigene Industrie. Dazu kommt, dass Geoff Smith, ein Neuseeländer, der die Firma seit fast 20 Jahren im Tagesgeschäft führt, aufhören wollte. Er hat eben nicht aufgehört und das ist auch ein wichtiger Faktor."

Frage: "Welcher der drei Roush-Piloten - David Ragan einmal ausgenommen - ist derjenige, der Johnson 2011 am ehesten in die Suppe spucken kann?"
Kuhn: "Ganz klar Carl Edwards. Irgendwann muss auch mal wieder ein Ford gewinnen. Kenseth ist ja eigentlich - und das meine ich nicht böse - eine Art Billigversion von Jimmie Johnson. Keine Fehler, immer ins Ziel, aber das reicht heutzutage nicht mehr."

Steiner: "Sicher ist Edwards kein schlechter Fahrer, genauso wenig wie Greg Biffle. Daran liegt es nicht. Bei Matt Kenseth ist die Frage, wie motiviert er noch ist. Aber das ist alles nicht das Problem. Ich glaube, ohne interne Konkurrenz wird Roush nicht ganz vorne mitfahren können."

McMurray vs. Montoya

Frage: "Hinter diesen vier Teams interessiert uns Europäer natürlich vor allem Ganassi. Hat Jamie McMurray in der abgelaufenen Saison Juan Pablo Montoya entzaubert?"
Kuhn: "Vorsicht. Vor fünf oder sechs Jahren wurde McMurray als der zukünftige NASCAR-Superstar gehandelt. McMurray war zudem extrem populär, ist aber bei Roush gnadenlos untergegangen. Vielleicht war die Maschine Roush zu groß für ihn, vielleicht fehlen ihm auch die letzten drei, vier Prozent. Vielleicht hat man ihn auch nur besser geredet als er ist."

Jamie McMurray

Jamie McMurray gewann 2010 drei wichtige NASCAR-Rennen Zoom

Steiner: "Im Prinzip war McMurray ja schon komplett abgeschrieben. Er ist schon ein Guter."

Kuhn: "McMurray ist vor allem ein ganz weicher Fahrer, der, wenn alles passt, unheimlich sanft und materialschonend fahren kann. Wenn aber die kleinste Kleinigkeit am Auto nicht stimmt, dann geht es ganz schnell rückwärts."

Frage: "Wie ist das nun im Vergleich zu Montoya einzuordnen?"

Steiner: "Montoya hat auf jeden Fall mehr Talent..."

Kuhn: "...aber McMurray hat mittlerweile unheimlich viel Erfahrung mit diesen Autos."

Frage: "Gut, aber McMurray gewinnt in Daytona, Indianapolis und Charlotte, während Montoya nur die Watkins-Glen-Sache, also sein ureigenes Territorium, vorzuweisen hat. Das ist doch bitter."
Kuhn: "Ja. Das ist schon eine gute Frage. Von seinem Talent her, müsste Montoya im Chase stehen. Das ist sein Anspruch und auch der von Chip Ganassi. Oder es ist halt eine Tatsache, dass Ganassi in der NASCAR eben nicht die erste Adresse ist. Also im Vergleich zu Hendrick, Childress, Roush oder Gibbs."

Frage: "Was ist mit Indianapolis? Montoya hat es zum zweiten Mal in Folge versemmelt."
Steiner: "Sollte nicht passieren, ist aber passiert. Er hat es wieder geschafft."

Kuhn: "Indianapolis ist ganz klar eine Fahrerstrecke. Man sieht ja, dass in Indianapolis nur die Jungs vorne sind, die richtig gut fahren können. Johnson, Tony Stewart und eben Montoya. Da brauchst du schon die berühmten Eier und jede Menge Mut."

Steiner: "Trotzdem habe ich den Eindruck, dass er die Sache zu sehr auf die leichte Schulter nimmt. Wenn du NASCAR nur noch als Familienausflug begreifst, dann wirst du nichts gewinnen."

Ist Montoya noch motiviert?

Frage: "Was können wir 2011 von Montoya erwarten?"
Steiner: "Wenn er sich anstrengt, dann wird er es in den Chase schaffen. Wenn er so weitermacht, dann wird es nicht funktionieren."

Juan Pablo Montoya

Erlebte keine gute Sprint-Cup-Saison 2010: Juan Pablo Montoya Zoom

Kuhn: "Ich glaube, Montoya wird immer nur so gut sein wie Ganassi. Wenn noch ein paar Prozent möglich sind, dann kann man den Chase erwarten. Aber das muss schon auch vom Team kommen."

Frage: "Und wann kommt der erste Oval-Sieg?"
Kuhn: "Das wird sich Ganassi auch langsam fragen. Kann man das beantworten? Das müsste eigentlich schön langsam mal kommen, denn die Eingewöhnungszeit ist ja langsam vorbei. Wobei ich bei Montoya schon ein paar Defizite in Sachen Ehrgeiz und Fitness sehe. Auch in der NASCAR musst du fit sein, wenn du ganz vorne mitfahren willst. Also wenn man ihn so anschaut, dann trägt er jedes Jahr eine Rennanzuggröße mehr."

Frage: "Da gibt es aber noch einen und der heißt Tony Stewart..."
Kuhn: "Genau. Die beiden könnten die Anzüge tauschen. Also es tut mir leid, aber für Fitnessgeräte oder Hometrainer wird Montoya nie Werbung machen. Bei allem Respekt."

Frage: "Aber für Cheeseburger?"
Kuhn: "Da wäre er der optimale Mann..."

Steiner: "Montoya hat nun einmal die Veranlagung, sofort zu zulegen. Er muss sich wirklich permanent anstrengen, wenn er sein Gewicht halten will. Dazu reicht Windsurfen in Miami aber leider nicht aus."

Frage: "Mit anderen Worten: Wenn Tony Stewart für Burger King Werbung macht und bei Ganassi Jamie McMurray die McDonalds-Werbung trägt, dann ist dieser Deal bei Ganassi eigentlich völlig falsch platziert?"
Kuhn: "Absolut. McMurray ist ja ein absoluter Fitnessfreak, der sich das ganze Jahr über nur von Cerealien und Bananen ernährt. Wer durchs NASCAR-Fahrerlager spaziert und beobachtet, wie viele Jungs da Bananen futtern - also ich habe da nicht viele gesehen..."

Frage: "Und wie lange wird sich Chip Ganassi das Ganze noch anschauen?"
Steiner: "Langsam, langsam. Er macht sich ja nicht lächerlich. Er fährt vorne mit, er führt Rennen an, er gewinnt nur nicht. Die Sponsoren sind auch happy. Er hat ein Riesentalent, aber er strengt sich nicht an."

Im dritten und letzten Teil unserer Expertenrunde dreht sich alles um Team Red Bull und dessen prominenten Neuzugang Kasey Kahne, um Danica Patrick, Mattias Ekström und natürlich um die große Frage, ob der Volkswagen-Konzern wirklich in die NASCAR einsteigen wird. Teil drei folgt am Sonntag.