• 09.12.2007 17:31

  • von Pete Fink

Die Geschichte der NASCAR (2)

Der zweite Teil der NASCAR-Geschichte auf 'Motorsport-Total.com' handelt von den 1950er Jahren und versucht das Phänomen Daytona zu erklären

(Motorsport-Total.com) - Im ersten Teil der NASCAR-Geschichte auf 'Motorsport-Total.com' wurde die lange Historie der amerikanischen StockCar-Serie geschildert. Teil zwei beschäftigt sich nun mit dem NASCAR-Wachstum der 1950er Jahre und wie durch den Bau des Daytona International Speedways gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden konnten.

Titel-Bild zur News: Daytona 1963 A.J. Foyt Fireball Roberts Petty

Daytona 1963: A.J. Foyt führt vor Fireball Roberts - Richard Petty ist Vierter

Die erste komplette Dekade der NASCAR war zwischen 1947 und 1957 gekennzeichnet von einem enormen Wachstum, und ein Hauptgrund für den großen Erfolg war schlicht und ergreifend die Tatsache, dass in den Gründerzeiten der NASCAR ganz normale Modelle fuhren, die dann jedermann am Montagmorgen bei seinem lokalen Händler um die Ecke erwerben konnte.#w1#

Die Kosten für die Aktiven waren extrem niedrig und bis auf ein Tuning des Triebwerks und Einbauten, die der Versteifung der Karosserie dienen sollten, waren keine weiteren Modifikationen erlaubt. So wurde etwa Tim Flock 1952 als Sieger in Daytona Beach disqualifiziert, weil sein Eigenbau des Überrollkäfigs im Auto aus Holz bestand.

Aus vielen Fahrern wurden schnell Helden, aus Namen wie Junior Johnson, Lee Petty, Fireball Roberts, Buck Baker und den Gebrüdern Bob, Fonty und Tim Flock wurden Legenden. Vor allem aus heutiger Sicht waren die meisten der Piloten ganz eigene Charaktere und die Flocks waren darunter wohl die auffälligsten, wie folgende Beispiele durchaus verdeutlichen können.

Polizei auf der Strecke

"Ich hätte dieses Rennen gewonnen, wenn sich die Polizei herausgehalten hätte." Bob Flock

Insgesamt bestand die Familie Flock aus neun Kindern. Vater Carl Lee Flock starb, als der jüngste Sohn Tim gerade einmal ein Jahr alt war. Mutter Maudie musste in der Nachkriegszeit in einer Strumpfwarenfabrik am Fließband arbeiten, um die Familie überhaupt durchbringen zu können.

Um ihre Mutter zu unterstützen, etablierten die älteren Flock-Brüder eine bald florierende Moonshine-Destillerie, und in der Region um Atlanta, Georgia, entwickelten die Flocks bald einen Ruf als hervorragende Bootlegger, was natürlich auch den zahlreichen Regierungsbeamten nicht verborgen blieb.

Eines Tages erfuhren die Beamten, dass Bob Flock beabsichtige, an einem Rennen in Atlanta teilzunehmen und wollten durch eine öffentliche Verhaftung Abschreckung erwirken. Doch Bob Flock ließ sich nicht blicken. Erst als sich das Feld bereits in den Aufwärmrunden befand, öffnete sich plötzlich ein Tor und Bob Flock fuhr auf die Strecke.

Kurz darauf stürmten etwa ein Dutzend Polizeiautos auf das Oval, Sirenen heulten und Bob Flock wurde gejagt. Er fuhr noch ein paar Runden auf der Strecke, bevor er die Chance bekam, mit seinem Auto durch einen Zaun zu brechen und zu flüchten. Erst als ihm in Atlanta das Benzin ausging, konnte er gestellt werden. "Ich hätte dieses Rennen gewonnen, wenn sich die Polizei herausgehalten hätte", lautete sein lapidarer Kommentar.

Jocko Flocko gewinnt

Start Michigan 1951Marshall Teague Tim Flock

Marshall Teague führt vor Tim Flock - Start in Michigan 1951 Zoom

Sein Bruder Tim Flock gewann am 16. Mai 1953 das Grand-National-Rennen in Hickory, North Carolina, mit einem ganz besonderen Beifahrer - einem Rhesus-Affen namens "Jocko Flocko", der bis heute einzige Affe blieb, der jemals ein NASCAR-Rennen gewinnen konnte.

Acht Rennen lang begleitete der Affe sein Herrchen und Flock erinnerte sich: "Es begann alles als ein Marketing-Gag. Wir gaben ihm seine eigene Fahreruniform und einen eigenen Sitz. Damals hatten wir im Wagen eine Klappe, mit Hilfe derer wir den Reifenverschleiß überprüfen konnten."

"Während des Raleigh 300 riss sich Jocko plötzlich los, steckte seinen Kopf durch die Klappe und drehte völlig durch. Es war schon schwer genug, diese schweren alten Autos damals unter normalen Umständen zu beherrschen, aber mit einem durchgeknallten Affen, der wild im Innenraum umhertobte, war es geradezu unmöglich."

Flock musste zu einem ungeplanten Aufenthalt an die Box, verlor dadurch seine Führung und beendete das Rennen schließlich auf Rang drei. Der Preisgeldverlust betrug 600 Dollar und Jocko Flocko wurde mit sofortiger Wirkung in Pension geschickt.

Schwerer Unfall bedeutet fast das Aus

Richard Petty 1960 Martinsville

Martinsville war Ort von Tragödien und Triumphen - hier Richard Petty 1960 Zoom

Die Pure Oil Company entwickelte einen ersten Rennreifen, Oldsmobile, Lincoln und die zu Beginn der 1950er Jahre überlegenen Hudson Hornets brachten erste Rennkits auf den Markt und im Jahr 1955 waren es vor allem Chevrolet und Ford, die mit einigen Programmen damit begannen, eine erste Art von Werksunterstützung aufzubauen.

Die NASCAR nahm also massiv an Fahrt auf, doch mitten im Aufschwung geschah etwas, was Bill France beinahe das Genick gebrochen hätte. Im Frühjahr 1957 krachte der Mercury von Billy Meyer in Martinsville in eine Zuschauermenge und ein erst acht Jahre alter Junge musste sein Leben lassen. Die Reaktion der Automobile Manufacturers Association (AMA) war harsch: Unter der Führung des damaligen General- Motors-Präsidenten Red Curtice beschlossen die Hersteller einen vollständigen Rückzug aus der Serie.

NASCAR hatte sich zu diesem Zeitpunkt seine ersten nationalen Sporen verdienen können, doch mit einem Schlag blieben viele Zuschauer aus Sicherheitsgründen den Rennen fern. Die Einnahmen brachen drastisch ein, und die Teambesitzer und Fahrer mussten neue Wege gehen, um an das notwendige Geld zu kommen.

Natürlich existierte damals kein Sponsoringsystem, wie es heute Usus ist. Einzig das Preisgeld sorgte dafür, dass Fahrer und Teams überleben konnten, und nach dem Wegfall der Werksunterstützung oblag die Sicherung des Fortbestandes den lokalen Händlern, die mit ihren Vereinigungen nun eine große Verantwortung übernahmen. Es war auch die Zeit, in der Teams wie Petty Engineering oder die Wood Brothers federführend operieren - beide Traditionsrennställe existieren noch heute.

Der Bann der Hersteller sollte bis zum Jahr 1962 andauern und ein ganz wesentlicher Aspekt für die Rückkehr von Ford und Co. war wieder einmal Daytona. Denn Mitte der 1950er Jahre gab es bereits elf asphaltierte Strecken, darüber hinaus wurden Grand-National-Rennen auch in Wisconsin und New York ausgetragen, was der Serie jedoch fehlte, war ein richtiges Symbol, wie es etwa der Indianapolis Motor Speedway für die Indy Cars darstellte.

Wieder einmal Daytona

Daytona 2004 Umbau

Umbauarbeiten gaben 2004 einen Blick auf die alten Daytona-Fundamente frei Zoom

Bereits im Jahr 1954 hatte Bill France erste Pläne, einen 2,5 Meilen langen, mit extremer Kurvenüberhöhung ausgestatteten Superspeedway zu erbauen und seine Standortwahl fiel natürlich auf Daytona, wo auch das NASCAR-Hauptquartier stationiert war. "Wenn wir den Motorsport und die damit verbundene Wirtschaftskraft behalten wollen, dann brauchen wir einen Speedway", war das Argument, das France den Stadtvätern Daytonas unter die Nase rieb.

Zwischen Daytona und dem nördlich gelegenen Ormond Beach wurden bereits seit dem Jahr 1903 Rennen ausgetragen. Der bei Ebbe extrem flache und harte Sand ermöglichte - ähnlich zu den Salzseen in Utah - auch Rekordversuche in Sachen Geschwindigkeit, doch die France-Familie war es unter anderem auch müde, die Beach-Camper am Morgen des Renntages zu wecken und ihnen mitzuteilen, dass sie ihre Zelte besser abbrechen sollten, da hier in wenigen Stunden ein Rennen ausgetragen werden würde.

Nur wenige glaubten in der Folge an eine Durchführbarkeit dieses Mammutprojektes, doch France unterzeichnete 1957 einen Vertrag, in dem er sich ein 200 Hektar großes, mit Zypressen bewachsenes Sumpfgelände im Südwesten der Stadt sicherte. Die notwendige Starthilfe in Höhe von 35.000 US Dollar steuerte der texanische Ölmagnat Clint Murchison bei, der später das American Football Team der Dallas Cowboys gründen sollte.

Die Bauleitung wurde an Bauingenieur Charles Moneypenny übertragen, der während der Bauphase mit einigen größeren Problemen konfrontiert war. Denn France wollte eine Kurvenerhöhung von nicht weniger als 31 Grad sehen und dazu musste aus dem Infield tonnenweise Erdreich als Fundament für die beiden mächtigen Steilkurven herangeschafft werden. Die Folge ist der Lake Lloyd, der heute noch das Infield des Superspeedways ziert.

Um die Kurven so plan und eben wie nur möglich zu asphaltieren, wurden die dazu notwendigen Geräte an Ketten befestigt, die wiederum mit oben an dem Bankett verankerten Bulldozern verbunden waren. Die erste Ausbaustufe der Haupttribüne gab 10.000 Zuschauern Platz und als 1959 die Bauarbeiten beendet waren, hatte das Projekt stolze 1,6 Millionen US Dollar verschlungen.

Tragödie und Fotofinish

Richard Petty Junior Johnson

Richard Petty (li.) und Junior Johnson waren entscheidende Daytona-Figuren Zoom

Und dann drohte alles gleich wieder zu kippen, noch bevor überhaupt die erste Startflagge gefallen war. Lokalmatador Marshall Teague, der in den Jahren 1951 und 1952 eines der Aushängeschilder des Hudson-Hornet-Teams war und die NASCAR ein Jahr später im Streit verließ, wollte am 11. Februar 1959 mit seinem Sumar Special Indy Car einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen.

Doch das Fahrzeug fing Unterluft, hob ab und überschlug sich mehrfach. Teague starb nach einem heftigen Unfall an Ort und Stelle. Dies führte natürlich zu sofortigen Diskussionen zum Thema Sicherheit und für eine kurze Zeit wurden die Sprüche über "France's folly", die Torheit von Bill France in Bezug auf das Daytona-Projekt wieder hervorgeholt.

Doch das weitere Renngeschehen blieb von schweren Unfällen verschont. Im Gegenteil, die Zuschauer sahen am Start des ersten Daytona 500 nicht weniger als 59 Autos und nach 500 Meilen, also 200 Runden später, einen Side-by-Side Zieleinlauf zwischen Lee Petty (Oldsmobile) und Johnny Beauchamps (Ford).

Beauchamp wurde als Sieger gefeiert, doch Petty - der Vater der späteren NASCAR-Legende "King" Richard Petty - legte Protest ein. NASCAR sah sich nicht in der Lage, den Zieleinlauf aus eigenen Kräften eindeutig aufzuklären und wandte sich via Presse an die Bevölkerung, alle Film- oder Fotodokumente einzureichen, die zur Aufklärung beitragen konnten. Zwei Tage später wurde Petty zum Sieger des allerersten Daytona 500 erklärt.

Junior Johnson Superstar

Junior Johnson 1963 Atlanta Chevrolet

Junior Johnson gewann 1963 sieben Rennen - hier in Atlanta Zoom

Ein Jahr darauf begannen die Fernsehstationen CBS und ABC von einigen NASCAR-Rennen zu berichten und das Daytona-Rennen von 1960 sollte einen weiteren wichtigen Meilenstein der NASCAR-Geschichte hervorbringen, das "Drafting", oder - deutsch formuliert - das Windschattenfahren. Der Name des eher zufälligen Erfinder lautete Junior Johnson, der wohl der legendärste aller NASCAR-Piloten ist, die nie einen Meistertitel erringen konnten.

Das hatte einen ganz einfachen Grund, denn Johnson war einer der "Bootlegger", seine ganze Familie verdiente ihren Lebensunterhalt mit dem "Moonshining", der Produktion von illegalem Whiskey. Es existieren unzählige Anekdoten über die zahlreichen Konfrontationen zwischen der Johnson-Sippe und dem langen Arm des Gesetzes und Johnson saß 1956 fast ein ganzes Jahr im Gefängnis.

Wer aber heute von Charlotte in Richtung der Appalachen fährt, der sieht links und rechts am Wegesrand unzählige überdimensionale Werbeplakate mit Johnsons Antlitz, denn der heute 76-Jährige - von der US-Regierung unter Ronald Reagan in den 1980er Jahren längst rehabilitiert - produziert heute sehr erfolgreich und ganz legal ... Whiskey.

Bis zu seinem Rücktritt 1966 hatte er über 50 Grand-National-Rennen gewonnen, in der Saison 1960 jedoch hatte Johnson kein vernünftiges Fahrzeug zur Verfügung. Pontiac hielt sich nicht allzu streng an den Bann der Werke: Auf mysteriösen Umwegen gelangten Teile, die für Polizeiwagen bestimmt waren, in die NASCAR und die Pontiacs waren die Autos, die in diesem Jahr zu schlagen waren.

Johnson entdeckt das Drafting

Cotton Owens 2006

Cotton Owens wird 2006 im Alter von 82 Jahren interviewt Zoom

Johnson wiederum erhielt das Angebot, für Ray Fox einen Chevrolet zu fahren, der den Pontiacs jedoch hoffnungslos unterlegen war. Als er im Training einmal von Pontiac-Pilot Cotton Owens überholt wurde, entdeckte er den Windschatteneffekt. Johnsons Wortlaut in seiner Originalbeschreibung: "Ich setzte mich direkt hinter seine Stoßstange und blieb dort. Nachdem ich wieder an die Box gefahren war, kam Cotton Owens zu mir und fragte mich: 'Hey Junge, hast du die Kiste tatsächlich zum Laufen gebracht?'"

Was er natürlich nicht wusste, war, dass Johnson gerade das Windschattenfahren entdeckt hatte. Johnson blieb das gesamte Rennen über den dominierenden Pontiacs auf den Fersen. Er tankte, wenn die Pontiacs tankten, er ließ die Reifen wechseln, wenn die Pontiacs beim Service waren. Zehn Runden vor dem Ende fiel schließlich auch der letzte Pontiac aus und Johnson gewann mit großem Vorsprung.

Wer übrigens glaubt, dass die Zeiten der Whiskeyschmuggler zu diesem Zeitpunkt bereits längst vorüber waren, der täuscht sich gewaltig: Noch im Jahr 1967 wurde auf dem Middle Georgia Raceway in Macon, Georgia, eine tief unter dem Ticketschalter verborgene Destillationsanlage ausgehoben, die in der Lage war, alle fünf Tage 760 Liter feinsten Moonshine zu produzieren.

Johnson selbst wurde im März 1965 zum "letzten Amerikanischen Helden" und zu verdanken hatte er dies dem US-Schriftsteller Tom Wolfe, der im Esquire-Magazine einen umfangreichen Artikel über den Lebensweg des NASCAR-Piloten veröffentlichte. So wurde aus dem halbkriminellen Johnson in den USA eine Legende, die 1973 darin gipfelte, dass sein Leben in einem Kinofilm mit eben dem Titel " The Last American Hero" und Jeff Bridges in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Die Rückkehr der Werke

Pontiac Bristol 1961 Fireball Roberts Junior Johnson

Drei Pontiacs führen in Bristol 1961 - 2. Fireball Roberts, 3. Junior Johnson Zoom

Aber nicht nur Johnson, auch das Daytona 500 wurde zur absoluten Legende. "Wenn du durch den Tunnel fährst und auf das Infield von Daytona kommst, ist es für einen Rennfahrer, wie wenn du an das Himmelstor klopfst", wird der dreifache NASCAR-Champion Darrell Waltrip zitiert, der das Daytona 500 im Jahr 1989 gewinnen konnte. "Wenn du in Daytona auf die Strecke rollst und keine Gänsehaut bekommst, dann bist du kein Rennfahrer."

Im Februar 2008 wird die 50. Ausgabe des "Great American Race" ausgetragen werden. Die unglaubliche Rennaction von Daytona und das damit verbundene stetig wachsende Interesse der Amerikaner war einer der ganz wesentlichen Gründe dafür, warum die Hersteller im fernen Detroit ihr 1957 selbstauferlegtes Fernbleiben von der NASCAR nicht dauerhaft durchhalten konnten und wollten.

Zwar wurden in den vergangenen Jahren intensive Kontakte zu den Teams gepflegt, ein öffentliches Bekenntnis der Werke fehlte jedoch. Lediglich Pontiac sah die Sache etwas lockerer und war in dieser Zeit die in der NASCAR dominierende Marke. Dazu kam noch ein zu Beginn der 1960er Jahre enormer Konkurrenzdruck, denn die Verkaufszahlen vieler Modelle stagnierten, während ein jährlicher Modellwechsel viel Kapital auffraß.

Der vorläufige Triumph der Familie France wurde am Montag, den 11. Juni 1962 besiegelt, als Henry Ford II die Rückkehr der Ford Motor Company in die NASCAR verkündete. Die 1957 von der AMA herausgegebene Resolution wurde für ungültig erklärt und Chrysler zog sofort mit. 1963 dominierten Pontiac und die starken Ford-Triebwerke, Chrysler hatte nur eine Chance auf den Short Tracks.

Doch die NASCAR-Rückkehr der Werke brachte Bill France auch in einige größere Probleme, auf die im dritten Teil der Geschichte der NASCAR auf 'Motorsport-Total.com' eingegangen werden wird.