Das große NASCAR-Interview mit Dario Franchitti
Dario Franchitti spricht über die Herausforderung NASCAR, die Gründe für seinen Wechsel und den wehmütigen Abschied von der IndyCar-Serie
(Motorsport-Total.com) - Als amtierender IndyCar-Champion und Indy-500-Sieger hat Dario Franchitti heute bekannt gegeben, was ohnehin schon alle wussten: dass er 2008 für Chip Ganassi NASCAR fahren wird. An der Seite von Juan Pablo Montoya und Reed Sorenson wird der Schotte versuchen, sich im Sprint-Cup zu etablieren - eine Herausforderung, auf die er sich schon sehr freut.

© Ganassi
Dario Franchitti freut sich, dass es mit dem NASCAR-Wechsel geklappt hat
Frage: "Dario, die Katze ist quasi aus dem Sack, du wirst 2008 NASCAR für Chip Ganassi fahren. Was fällt dir anlässlich der Bekanntgabe spontan ein?"
Dario Franchitti: "Es ist eine große Ehre für mich, bekannt zu geben, dass ich für Chip und sein Team fahren werde. Ich hatte elf großartige Jahre im Formelsport. Die Zeit war reif für eine neue Herausforderung - und das ist sie! Es wird eine ungemeine Herausforderung, alles zu lernen. Ich sitze hier mit null Erfahrung und werde mich sehr auf meine Teamkollegen verlassen. Ich habe Juan (Montoya; Anm. d. Red.) heute Morgen schon alle möglichen Fragen gestellt. Wenn ich am Wochenende in Talladega ins ARCA-Auto steige, wird das ein großer Schritt für mich. Es wird eine schwierige, aber auch eine aufregende Herausforderung, und genau darauf freue ich mich."#w1#
NASCAR ist ein Fulltimejob
Frage: "Du hast dich nach deinem Indy-500-Sieg und dem IndyCar-Titel beschwert, nicht genug Zeit zu Hause verbringen zu können, aber NASCAR ist so ziemlich ein Ganzjahresjob. Ist dir das bewusst?"
Franchitti: "Mir wurde gesagt, es sind elf Monate (grinst; Anm. d. Red.)! Im Ernst: Mir ist klar, dass es ein hektischer Zeitplan ist, aber darauf bin ich vorbereitet. Ich habe mit Juan und Chip gesprochen. Juan war fast wie ein NASCAR-Vertreter, hat geschwärmt, wie viel Spaß es macht: 'Du kennst den Kalender, es sind viele Rennen, aber es macht viel Spaß! Du solltest es wirklich machen!' Andererseits bin ich mir auch wieder nicht so sicher, denn er hat mir erzählt, wie gut alle miteinander auskommen und dass er sich mit Kevin Harvick so gut versteht. Eine Woche später war Watkins Glen (lacht; Anm. d. Red.)! Ich weiß, dass es stressig wird, aber ich bin langfristig hier. Ich muss aber noch viel lernen."
Frage: "Wie bereitest du dich vor?"
Franchitti: "Ich werde zunächst einmal viele Fragen stellen. Ich bin gestern zum ersten Mal in einem Stockcar gesessen. Ich setzte mich einfach rein und ließ einen Sitz anpassen. Vor ein paar Jahren bin ich in Deutschland DTM gefahren, also weiß ich, wie es ist, ein Dach über den Kopf zu haben. Ich werde Reed (Sorenson; Anm. d. Red.) und Juan viele Fragen stellen, auch den Crewchiefs, allen Jungs im Workshop und natürlich Chip. Die Jungs kennen das ja schon von Juan, was mir sicher helfen wird, weil sie diese Kinderkrankheiten und die Umstellungsphase nicht zum ersten Mal durchmachen werden. Das ist ein weiterer Grund, weshalb ich mich für dieses Team entschieden habe, denn sie haben das alles schon einmal erlebt."
Frage: "Was hat dich so angezogen? Waren es die Leute, der Sport, die Rennen, die Fans? Wie kamst du auf NASCAR?"
Franchitti: "Es waren die Rennen. Ich rede immer von der neuen Herausforderung. Ich war lange im Formelsport, es war an der Zeit, etwas anderes auszuprobieren. NASCAR hat mich wegen des Wettbewerbs in der Serie so angezogen - und wie gesagt wegen der Vertreterqualitäten von Mister Montoya! Ich liebe diesen Wettbewerb, liebe es, etwas ganz anderes zu machen, etwas, von dem ich momentan keine Ahnung habe. Ich kam von unten, wurde zum Teamleader (bei Andretti/Green; Anm. d. Red.) und bin jetzt wieder ein Rookie. Das wird spannend."
Noch keine Ziele für 2008
Frage: "Habt ihr für 2008 irgendwelche Meilensteine ausgegeben, eine Art Checkliste, eine Zielsetzung?"
Franchitti: "Nicht für den Moment, wir gehen es Woche für Woche an. Chip muss ein Programm ausarbeiten, um mich mit ARCA und Busch an die Sache heranzuführen. Ich habe mich noch gar nicht so sehr nach 2008 erkundigt."
Frage: "Du bist es gewöhnt, gegen und mit Leuten zu fahren, die du gut kennst, zum Teil gegen Freunde. Wie wird es, gegen einen Haufen fremder Konkurrenten anzutreten?"
Franchitti: "Das gehört alles zum Lernprozess dazu. Für mich geht es darum, den anderen Fahrern zu zeigen, wie ich bin, damit sie Vertrauen zu mir aufbauen können. Ich muss lernen. Ich war so lange im Formelsport unterwegs, dass ich schon genau wusste, wie sich ein Fahrer im Vergleich zu einem anderen in einer bestimmten Situation verhalten würde. Das gehört alles zum Lernprozess dazu, wie gesagt. Ich freue mich schon sehr darauf, gegen so großartige Fahrer anzutreten."
Frage: "Was erwartest du dir insgesamt? Wirst du versuchen, dich bei den anderen Fahrern einzuschleimen, wirst du gleich mal Kevin Harvick anrufen? Wie schwierig wird es?"
Franchitti: "Es wird schwierig, da gebe ich mich keinen Illusionen hin. Vor mir liegt die größte Herausforderung meiner Karriere, was mit ein Grund für meine Entscheidung war. Es wird eine steile Lernkurve. Ich hoffe, dass ich für den Job gut genug bin. Was Freunde angeht, so werde ich die Jungs treffen und mich mit ihnen unterhalten. Ich kenne manche schon ein bisschen. Ich freue mich darauf, sie zu treffen, denn ich habe sie ja immer im TV gesehen. Auch auf die Rennen gegen sie freue ich mich schon. Meine Frau Ashley hat zu mir gesagt, dass sie jetzt viel mehr TV gucken muss, wenn ich so viele Rennen mehr fahre!"
Unfälle trugen zur Entscheidung bei
Frage: "Haben dich einige deiner schweren Unfälle in der IndyCar-Saison 2007 zu dieser Entscheidung bewegt?"
Franchitti: "Ich würde lügen, wenn ich das verneinen würde. Es war definitiv eine kleine Ursache für die Entscheidung, aber es steckte noch viel mehr dahinter. Wie gesagt fühle ich mich zur Herausforderung NASCAR schon seit einiger Zeit hingezogen. Das war der Hauptgrund. Der Sieg beim Indy 500 und der Titel machten mir die Entscheidung noch einmal einfacher, denn dadurch hatte ich alles erreicht, was ich erreichen wollte. Es war an der Zeit, etwas anderes zu machen und in diese Welt zu springen."

© Ganassi
Dario Franchitti mit seinem neuen Arbeitgeber, Teamchef Chip Ganassi Zoom
Frage: "Wie sehr beeinflusste der Ausgang des letzten IndyCar-Rennens deine Entscheidung? War da deine Entscheidung schon gefallen oder fiel sie erst mit dem Gewinn der Meisterschaft?"
Franchitti: "Ich hatte mich schon davor entschieden. Es war nach einer fabelhaften Saison nur noch das Tüpfelchen auf dem I, ein sehr schöner Sieg zum Abschluss der Meisterschaft."
Frage: "Nur wenige haben das Indy 500 und den IndyCar-Titel in ihrer letzten Saison gewonnen. Bist du nach diesen Erfolgen im Reinen mit deiner Karriere?"
Franchitti: "Ja. Wir haben im Formelsport viele Rennen gewonnen, die allesamt schön waren. Ich sitze hier gemeinsam mit Chip, der vom ersten Tag an einer meiner schärfsten Rivalen war. Ich verbrachte viel Zeit mit einem Target-Auto vor oder hinter mir, daher ist es ganz witzig, dass wir jetzt gemeinsam hier sitzen. Wir haben all diese Rennen gewonnen, das 500, die Meisterschaft. Diese beiden Erfolge waren schön, ein sehr schönes Gefühl. Ich erinnere mich noch daran, wie Gil de Ferran nach seinem letzten Sieg zurückgetreten ist, und ich habe ihn immer darum beneidet. Die Tatsache, dass ich es jetzt genauso machen konnte, ist sehr schön."
Indy 500 steht nicht auf dem Programm
Frage: "Wie gehst du damit um, den Indy-500-Sieg nicht verteidigen zu können, oder wirst du Tony George überreden, die Startzeit nach vorne zu verlegen, damit du an jenem Tag beide Rennen fahren kannst?"
Franchitti: "Sag niemals nie, aber im Moment scheint das unmöglich. Ehrlich gesagt denke ich, dass ich hier alle Hände voll zu tun haben werde, um mich einzugewöhnen und meinen Job zu erledigen. Wir bereiten uns auf nächstes Jahr vor, wollen im Cup konkurrenzfähig sein."
Frage: "Bedauerst du es, den Indy-500-Sieg nicht verteidigen zu können?"
Franchitti: "Ja, ein bisschen. Als ich die Vor- und Nachteile des Wechsels abgewogen habe, war das ein bedauerlicher Faktor, denn es hat mir so viel bedeutet, dieses Rennen zu gewinnen. Das war einer der schwierigsten Aspekte der Entscheidung, aber es gibt ja auch viele positive Beweggründe."
Frage: "Warst du im Vorjahr enttäuscht, als dir mitgeteilt wurde, dass Juan Pablo Montoya statt dir im Auto sitzen würde, und glaubst du, dass die IRL ausblutet?"
Franchitti: "Was das Verlassen der IRL angeht: Ich denke, die Serie ist größer als jeder einzelne Fahrer, denn es gibt viele andere Jungs, die meinen Platz einnehmen werden, und viele andere großartige Fahrer. Ich glaube nicht, dass sich das auswirken wird. Ob ich enttäuscht war? Ja, natürlich, aber ich bin sehr, sehr froh, dass es dieses Jahr geklappt hat. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich es gehasst hätte, Andretti/Green und die IRL Ende 2006 zu verlassen, denn 2006 war ein Katastrophenjahr für uns. So kann ich den Wechsel mit einem viel besseren Gefühl vollziehen."
Frage: "Wenn dir im Vorjahr jemand gesagt hätte, dass du ein Rennen gegen Jacques Villeneuve und Scott Speed fahren wirst, dann hättest du vielleicht an die Formel 1 oder an das Indy 500 gedacht, aber sicher nicht an das ARCA-Rennen in Talladega, oder?"
Franchitti: "Wer hätte gedacht, dass Scott Speed und 'JV' auch rüberkommen würden? Es ist erstaunlich, wie sich alles entwickelt, die Richtung, in die NASCAR nun mit Fahrern aus aller Welt geht. Ich bin schon gespannt, wie sich diese Fahrer schlagen werden. Vor allem auf Jacques bin ich gespannt - er fährt ja dieses Wochenende im Cup."

