Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Der letzte Sieg von Maverick Vinales liegt jetzt exakt 365 Tage zurück - Redakteur Ruben Zimmermann glaubt, dass der Spanier mental in einem tiefen Loch steckt
Liebe Leser,

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Maverick Vinales hat seit einem Jahr keinen Grand Prix gewonnen Zoom
kennen sie den englischen Spruch "what a difference a year makes"? Gemeint ist damit in etwa, dass sich eine Situation in einem Jahr mehr oder weniger komplett ins Gegenteil verkehren kann. Und auf kaum eine Person in der MotoGP trifft dieser Satz am heutigen Tag so sehr zu wie auf Maverick Vinales. Denn der Yamaha-Pilot konnte vor genau 365 Tagen seinen bis heute letzten Sieg in der Königsklasse feiern.
In Le Mans setzte sich der Spanier vor genau einem Jahr gegen seinen Teamkollegen Valentino Rossi durch, feierte seinen dritten Sieg im fünften Saisonrennen und führte die Weltmeisterschaft mit 85 Punkten relativ komfortabel an. Zwölf Monate später hat sich das Blatt komplett gewendet. In Le Mans - eigentlich eine Yamaha-Paradestrecke - kam Vinales nicht über Platz sieben hinaus. Ein sportlicher Offenbarungseid.
Vor allem der Rückstand des Spaniers am Sonntag spricht Bände. 23,7 Sekunden fehlten im Ziel auf Rennsieger Marc Marquez, auf Teamkollege Rossi waren es mehr als 18 Sekunden - in der heutigen MotoGP sind das Welten. Es ist der vorläufige Höhepunkt der jetzt bereits seit Monaten anhaltenden Talfahrt des Spaniers. Und da passt es perfekt ins Bild, dass sein letzter Sieg nun genau ein Jahr zurückliegt.
Vinales viel zu verbissen?
Rückblick: Als Vinales 2017 zu Yamaha kam, schlug er ein wie eine Bombe. Er führte sich auf der M1 gleich mit zwei Siegen in Katar und Argentinien ein, und man musste sogar die Befürchtung haben, dass der Youngster der Konkurrenz in jener Saison komplett um die Ohren fahren würde. Wie wir alle wissen, kam es anders. Und mittlerweile scheint Vinales in einem Loch angekommen zu sein, aus dem er einfach nicht mehr herauskommt.
Besonders erschreckend sind in diesem Zusammenhang die Aussagen des Spaniers nach dem Rennen in Le Mans. "Es war mir egal, ob ich stürze oder nicht", verriet der Yamaha-Pilot nach dem Grand Prix am Sonntag. Seine Erklärung: "Ich möchte nicht Zehnter werden. Ich möchte gewinnen." Wenn er dazu nicht in der Lage ist, ist ihm alles andere egal. Diese Gleichgültigkeit ist überhaupt keine gesunde Einstellung.

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Trotz der Enttäuschungen ist Vinales nach Le Mans neuer WM-Zweiter! Zoom
Aber es passt ins Bild, das Maverick Vinales bereits seit Monaten vermittelt. Dazu eine kleine Anekdote vom Saisonauftakt in Katar, als wir im gleichen Hotel einquartiert waren wie der Spanier. Spät am Abend, als fast alle anderen den Tag längst in gemütlicher Runde mit ein paar Getränken ausklingen ließen, führte der Weg von Vinales stattdessen in den Fitnessraum, wo er mit seinem Trainer noch einmal ein Programm absolvierte.
Das Vertrauen in Yamaha schwindet
Vinales ordnet dem sportlichen Erfolg alles unter. Das kann man vorbildlich und professionell finden. Im Zusammenhang mit seiner aktuellen Situation lässt es ihn - in meinen Augen - aber einfach nur verbissen und verkrampft wirken. Möglicherweise tue ich ihm unrecht, schließlich bin ich weder ausgebildeter Sportwissenschaftler noch studierter Psychologe. Ich persönlich kann mir aber nicht vorstellen, dass Vinales momentan in der mentalen Verfassung ist, um Rennen zu gewinnen - oder gar Weltmeister zu werden.
Zumal Vinales jetzt in einer Phase angekommen ist, in der er die Schuld nicht mehr ausschließlich bei sich selbst sucht. Mittlerweile scheint er auch das Vertrauen in die Yamaha zu verlieren. Auf das kommende Rennen in Mugello angesprochen erklärte er gestern: "Mugello war im vergangenen Jahr eine gute Strecke für uns, aber in diesem Jahr glaube ich nicht wirklich daran." Das klingt fast schon nach Resignation.

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Vor einem Jahr galt Maverick Vinales noch als heißer Titelanwärter Zoom
Schon nach dem jüngsten Test in Jerez wirkte Vinales genervt von der ganzen Situation. Die Leichtigkeit, die er noch zu Beginn des Jahres 2017 versprühte, hat sich mittlerweile komplett ins Gegenteil verkehrt. Besonders wurmen dürfte ihn zusätzlich, dass er die letzten beiden Rennen hinter Rossi beendet hat. Dass der Altmeister aus der Yamaha aktuell mehr herausquetschen kann, dürfte ihm überhaupt nicht gefallen.
Rossi kommt mittlerweile besser klar
Denn auch in dieser Hinsicht hat sich seit Le Mans 2017 einiges geändert. Vinales sicherte sich den Sieg in Frankreich vor einem Jahr im direkten Duell gegen seinen Teamkollegen. Der Spanier trieb Rossi in einen seltenen Fehler und sicherte sich damit nicht nur den Sieg. Er stellte auch eben einmal klar, wer die neue Nummer eins bei Yamaha ist. 365 Tage später ist davon nichts mehr zu sehen.
Bei aller Kritik darf man übrigens nicht vergessen, dass Vinales momentan auf dem zweiten WM-Platz liegt. Ich sage aber ganz klar, dass das nicht für Vinales spricht - sondern eher gegen diverse andere Piloten. Johann Zarco oder Andrea Dovizioso müssten in der WM eigentlich - deutlich - vor Vinales liegen. Dass sie das nicht tun, dazu später in dieser Kolumne noch etwas mehr ...

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Valentino Rossi zeigt derzeit eine etwas bessere Performance Zoom
Fakt ist jedenfalls, dass Maverick Vinales wieder einmal eine relativ schlechte Nacht gehabt haben dürfte. Und ich befürchte, dass der Spanier davon zuletzt einige hatte. Aber warten wir einmal ab, wie wir nach Le Mans 2019 über Vinales sprechen werden. Der Spruch "what a difference a year makes" muss nämlich nicht immer nur negativ gemeint sein. Er kann auch eine positive Bedeutung haben.
Wer sonst noch schlecht geschlafen hat
Johann Zarco: Es hätte das französische Märchen werden können - und wurde zum Albtraum. Der frühe Crash von Zarco beendete am Sonntag die Hoffnungen der Franzosen auf einen Heimsieg in Le Mans. Zarco wirkte gleich ab Rennbeginn nervös, möglicherweise war der Druck zu groß. Die Gründe spielen aber eigentlich auch gar keine Rolle. Eine angenehme Nacht dürfte der Franzose sicher nicht gehabt haben.
Andrea Dovizioso: Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle geschrieben, dass der Ausfall in Jerez für "Dovi" im WM-Kampf bereits einer zu viel gewesen sein könnte. Dass er 14 Tage später nun direkt den nächsten "Nuller" nachgelegt hat, hat natürlich nicht geholfen. Doppelt bitter: Dieses Mal war es auch noch seine eigene Schuld. Marc Marquez ist in der WM jetzt schon 49 Punkte weg. War es das schon?
Fabio Di Giannantonio: Eigentlich kümmern wir uns hier ja nur um die Königsklasse, aber in diesem Fall muss ein Ausflug in die Moto3 erlaubt sein. Wer in dieser Art und Weise (durch eine nachträgliche Zeitstrafe) um seinen ersten Sieg in der Weltmeisterschaft gebracht wird, der kann keine angenehme Nacht gehabt haben - beziehungsweise eigentlich gar nicht geschlafen haben. Die bitteren Tränen, die der Italiener anschließend weinte, sprechen für sich.
Ihr



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