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Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Jorge Lorenzo tritt weiter auf der Stelle und wird wiederholt von den Piloten auf der Vorjahres-Ducati geschlagen - Das wirft auch Fragen über seine Zukunft auf

Titel-Bild zur News: Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo erlebt bisher eine Saison zum Vergessen Zoom

(Motorsport-Total.com) - Howdy MotoGP-Fans,

während ich diese Kolumne schreibe, ist hier in Austin noch immer später Sonntagabend. Insofern ist der Titel dieses Mal streng genommen nicht ganz korrekt, denn geschlafen hat bisher vermutlich sowieso noch niemand aus dem MotoGP-Fahrerlager. Trotzdem wollen wir natürlich auch nach dem Großen Preis der USA wieder einen Piloten "krönen", der nach dem Rennen an diesem Wochenende eher wenig Schlaf finden dürfte. Und das fällt mir nach diesem Rennen ehrlich gesagt relativ schwer.

Natürlich gibt es einige Kandidaten - wie zum Beispiel Cal Crutchlow. Der Brite verlor nach einem unnötigen Sturz die WM-Führung und konnte nicht an seine starke Leistung aus Argentinien anknüpfen. Darüber dürfte er sich zwar ärgern, aber Crutchlow ist nicht der Typ, der deswegen schlaflose Nächte verbringt. Auch ein Alex Rins dürfte unzufrieden sein, weil er selbst stürzte, während Suzuki-Teamkollege Andrea Iannone auf dem Podium jubeln durfte. Er kann sich jedoch mit dem Gedanken trösten, dass er selbst in Argentinien zuletzt noch auf dem Podest stand.

Und so fällt meine Wahl dieses Mal auf den Mann, dem wir unsere Kolumne bereits beim Saisonauftakt in Katar "gewidmet" haben: Jorge Lorenzo. Ich gebe zu, dass ich mit dieser Entscheidung etwas hadere, weil ich ungern zweimal in drei Rennen den gleichen Piloten "schlecht schlafen" lasse. Doch weil es im Rennen in Austin einfach keine anderen großen Verlierer gab, muss der Ex-Champion leider auch dieses Mal wieder herhalten.

Wiederholt von Tito Rabat geschlagen

Rein sportlich ist die Entscheidung ohnehin relativ schnell begründet. Lorenzo sah die Zielflagge als Elfter. Mehr als eine halbe Minute fehlte am Ende auf Rennsieger Marc Marquez, Teamkollege Andrea Dovizioso - der übrigens selbst ein Wochenende erlebte, an dem er ziemlich zu kämpfen hatte - sah die Zielflagge immerhin noch mehr als 17 Sekunden vor Lorenzo. Bei einem 20-Runden-Rennen bedeutet das, dass der Spanier im Schnitt fast eine Sekunde pro Runde auf seinen Teamkollegen verloren hat.

Fast noch bitterer ist ein Blick auf die Fahrer, die im Ziel vor Lorenzo landeten: Aleix Espargaro, Jack Miller und Tito Rabat. Bei allem Respekt vor den drei Jungs: Es kann nicht der Anspruch eines Jorge Lorenzo sein, die Zielflagge nach einem Miller und einem Rabat (beide wohlgemerkt auf der Vorjahres-Ducati!) zu sehen. Nein, Jorge Lorenzo will mit Ducati um den WM-Titel kämpfen. Aber davon ist er momentan so weit entfernt, wie ich hier in Texas von einem gesunden und nahrhaften Frühstück.

Jorge Lorenzo, Jack Miller, Tito Rabat

Statt um die Spitze kämpfte Jorge Lorenzo in Austin mit den Vorjahres-Ducatis Zoom

Besonders pikant: Das Rennen in Austin war kein Ausrutscher. Auch in Termas de Rio Hondo kam Lorenzo zuletzt hinter Rabat, Miller und Co. ins Ziel. Da zeichnet sich ein Muster ab. Für den Spanier ist das in sportlicher Hinsicht ein Fiasko. Nach drei Rennen steht er mit sechs WM-Zählern so schlecht da, wie noch nie in seiner MotoGP-Karriere. Der WM-Zug scheint für ihn bereits jetzt abgefahren und ein weiteres Jahr in Rot verschenkt zu sein.

Wo fährt Lorenzo 2019?

Kevin Schwantz hat es für mich zuletzt recht gut erklärt. Lorenzo braucht ein Bike, das zu 100 Prozent zu ihm passt. Und das hat er momentan nicht. Von außen wirkt das Treiben in seiner Box mittlerweile regelrecht verzweifelt. Man probiert, macht und tut, aber es will einfach nicht besser werden - im Gegenteil. Vielleicht tue ich ihm und seiner Crew Unrecht, ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Doch Lorenzo hat momentan sowieso noch ein ganz anderes Problem.

Denn momentan geht es für die Mehrheit der MotoGP-Piloten auch darum, sich in eine gute Ausgangsposition für die anstehenden Vertragsverhandlungen zu bringen - das gilt auch für Lorenzo. Der (hochdotierte) Vertrag des Ex-Weltmeisters bei Ducati läuft am Ende des Jahres aus, und mit Leistungen wie in Argentinien und den USA sammelt der 30-Jährige nicht gerade Argumente für einen neuen Kontrakt - und schon gar nicht zu den aktuellen Bezügen.


MotoGP in Austin

Seine Verhandlungsbasis gleicht momentan der eines Pokerspielers, der nicht einmal ein Pärchen auf der Hand hat. Mit sportlichen Leistungen kann er nicht punkten, und zu allem Überfluss fehlen ihm auch echte Alternativen. Eine Rückkehr zu Yamaha ist ausgeschlossen, dort wurde bereits mit Valentino Rossi und Maverick Vinales verlängert. Honda? Da ist Marquez fest im Sattel, und für die zweite RC213V gibt es mit Dani Pedrosa, Cal Crutchlow oder auch einem Johann Zarco mehr als genug andere Optionen.

Intern längst von Dovizioso abgehängt

Bleibt noch Suzuki. Das dürfte für Lorenzo aber maximal eine Notlösung sein - und das weiß auch Ducati. Unterm Strich glaube ich tatsächlich, dass wir die Startnummer 99 auch im kommenden Jahr auf der Desmosedici sehen werden. Klar ist allerdings auch, dass Lorenzo beim Gehalt Abstriche machen muss - deutliche Abstriche. Er hat nicht mehr den Marktwert, den er noch vor ziemlich genau zwei Jahren hatte, als Ducati den Vertrag mit dem mehrfachen Weltmeister unterzeichnete.

Damals verpflichtete man Lorenzo als Heilsbringer, der Ducati den ersten WM-Titel seit Casey Stoner bringen sollte. Heute wissen wir: Wenn es diesen Heilsbringer tatsächlich gibt, dann lautet sein Name mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eher Andrea Dovizioso. Die Frage lautet nun, ob Jorge Lorenzo selbst noch daran glaubt, gemeinsam mit Ducati die Wende zu schaffen. Er selbst beteuert das immer wieder, aber ein Blick in das Gesicht des Spaniers lässt mich häufig daran zweifeln.

Andrea Dovizioso

Andrea Dovizioso hat Lorenzo teamintern längst den Rang abgelaufen Zoom

Ein kleiner Trost: Lorenzo wäre nicht der erste Pilot, der sich an der Desmosedici die Zähne ausgebissen hat. Valentino Rossi und Co. lassen grüßen. Allerdings bezweifle ich stark, dass ihn dieses Wissen in dieser Nacht auch nur eine Minute mehr schlafen lässt ...

Ihr

Ruben Zimmermann