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  • 07.07.2016 13:45

Interview mit dem Dateningenieur von Valentino Rossi

Der Dateningenieur von Valentino Rossi im Interview - Matteo Flamigni spricht über die Bedeutung der Elektronik, seine Aufgaben und was Rossi außergewöhnlich macht

(Motorsport-Total.com) - In den vergangenen Jahren wurde die Elektronik bei MotoGP-Motorrädern immer ausgefeilter und komplexer. Seit 2016 verwenden alle Hersteller und Teams die gleiche ECU und die gleiche Steuerungssoftware. Auch wenn die Einheitselektronik nicht so hoch entwickelt ist wie die alten Eigenentwicklungen der Hersteller, so ist die Elektronik auch weiterhin ein elementares Element, um konkurrenzfähig zu sein.

Titel-Bild zur News: Matteo Flamigni

Matteo Flamigni kümmert sich für Valentino Rossi um die Elektronik Zoom

In der Yamaha-Box von Valentino Rossi kümmert sich Matteo Flamigni um die Datenauswertung. Der Italiener wurde Ende 1999 von Max Biaggi ins Yamaha-Werksteam geholt und arbeitet seit 2004 für Rossi. Die beiden Ducati-Jahre machte Flamigni mit, doch er selbst sieht sich als Teil der Yamaha-Familie. Im Interview spricht er über seine Aufgaben, die Bedeutung der Elektronik und was Rossi so außergewöhnlich macht.

Frage: "Valentino fährt seit vielen Jahren MotoGP. Wie weit geht die Datenaufzeichnung zurück?"
Matteo Flamigni: "Wir haben von Valentino die Daten seit 2004. Das sind enorme Mengen. Vor einem Rennen checken wir in der Regel die Daten aus dem Vorjahr. Es geht um die Dynamik des Bikes und was wir gemacht haben. Das ist für den Anfang die beste Basis."

Frage: "Sind das nur die Daten von Valentino, oder auch von anderen Fahrern?"
Flamigni: "Momentan checke ich nur Valentinos Daten, weil ich ihm eine gute Basis geben muss. Wir können uns auch Lorenzos Daten während der Trainings ansehen. Zu Beginn checke ich nur Valentino. Wir haben in der Box einen großen Server stehen, der eine große Speicherkapazität hat."

Dashboard

Der Blickwinkel von Rossi: Die Anzeige der Einheits-ECU von Magneti Marelli Zoom

Frage: "Wenn ein Wochenende beginnt, womit fängst du an?"
Flamigni: "Am Donnerstag checken wir die Daten vom Vorjahr, um eine Idee zu haben, was wir getan haben. Das ist eine gute Basis. Wenn man im Vorjahr zum Beispiel mit viel Traktionskontrolle gefahren ist, weil die Strecke rutschig war, dann wird das jetzt auch der Fall sein, sollte es keinen neuen Asphalt geben. Vielleicht haben wir auch das Getriebe auf eine bestimmte Weise verwendet. Mit dieser Basis wird man nicht zu weit weg sein. Es ist immer wichtig, sich die Daten vom Vorjahr anzusehen."

Rossi gibt detailliertes Feedback

Frage: "Wie konstant ist Valentino?"
Flamigni: "Sehr konstant, er ist sehr präzise. Wenn das Motorrad in Ordnung ist, kann er die gleiche Runde mehrmals hintereinander fahren. Es ist beeindruckend."

Frage: "Wie detailliert ist sein Feedback?"
Flamigni: "Das ist eine Stärke von Valentino und hilft sehr. Kannst du dir vorstellen, wie viele Daten ich durchgehen muss? Glücklicherweise sagt er mir exakt in welcher Runde in welcher Kurve das Problem aufgetreten ist. Also kann ich sofort nach der Ursache suchen."

Valentino Rossi

Die Yamaha-Crew von Valentino Rossi besteht aus neun Personen Zoom

Frage: "Wie werden die ganzen Daten gespeichert?"
Flamigni: "Ich downloade alle Informationen vom Motorrad. Die Daten gehen dann direkt an den Server. Es ist prinzipiell ein großes Speichersystem."

Frage: "Was machst du, wenn die alten Daten für eine Strecke nicht passen?"
Flamigni: "Es ist interessant zu sehen, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Wir lernen aus dem Vorjahr, denn diese Informationen sind eine gute Erfahrung, auch wenn sie nicht hundertprozentig passen. Es ist trotzdem eine gute Basis. Wir starten zumindest nicht bei Null."

Sensoren zeichnen alles über das Bike auf

Frage: "Was sagen dir all diese Daten?"
Flamigni: "Die Daten sagen dir sehr viel, weil wir viele Sensoren haben, die die Dynamik des Motorrades aufzeichnen. Es geht um die Bremse, die Beschleunigung und den Gasgriff. Es gibt auch viele Sensoren für die Performance des Motors und die Diagnose des kompletten Motorrades. Prinzipiell kann ich alles über das Bike sagen."

Frage: "Wenn ich dir Daten vorlegen würde, könntest du sagen um welche Strecke es sich handelt?"
Flamigni: "Ja vielleicht. Ich sollte etwas darüber nachdenken, aber ja."


Fotostrecke: MotoGP: Die Hospitalitys der Teams

Frage: "Könntest du auch sagen, wo man sich genau auf einer Strecke befindet?"
Flamigni: "Das ist einfacher. Sobald man die Strecke erkannt hat, ist die Kurvenfolge dann einfach."

Frage: "Wenn ich dir die Daten von verschiedenen Fahrern vorlegen würde, könntest du sie identifizieren?"
Flamigni: "Wahrscheinlich ja. Ich kenne Valentino sehr gut und in der Vergangenheit haben wir ihn oft mit seinen Teamkollegen verglichen - Checa, Edwards und Lorenzo. Da ich die unterschiedlichen Stile verglichen habe, habe ich Valentinos Fahrstil kennengelernt."

Valentino Rossi

Unzählige Sensoren erfassen die komplette Dynamik des MotoGP-Prototypen Zoom

Frage: "Was ist an einem Stil so besonders im Vergleich zu anderen Fahrern?"
Flamigni: "Sein Bremsstil ist sehr speziell, er ist darin sehr gut. Außerdem macht er Richtungswechsel sehr schnell. In den schnellen Kurven ist er sehr schnell. Dazu kommt die Art, wie er mit der Vorder- und Hinterradbremse umgeht, wie er das Bike bewegt. Man kann viel über einen Fahrer sagen."

Flamigni sieht Rennen wie den Film Matrix

Frage: "Kann man auch das aktuelle Bike von den Vorgängern unterscheiden?"
Flamigni: "Das benötigt eine etwas tiefere Analyse. Es ist nicht so einfach. Man kann leicht nachsehen, ob ein Motor schneller ist, weil man die Geschwindigkeit und die Beschleunigung sieht. Wenn man aber die Dynamik zwischen einem alten und einem neuen Chassis vergleicht, muss man sehr genau analysieren."

Frage: "Was macht eine gute oder schlechte Software aus?"
Flamigni: "Viele Dinge. Es hängt zum Beispiel davon ab, ob man die Traktionskontrolle Kurve für Kurve programmieren kann, oder vielleicht eine andere Anti-Wheelie-Kontrolle. Man kann unterschiedliche Strategien haben. Je präziser sie ist und je mehr man Einstellen kann, desto besser funktioniert Anti-Wheelie. Eine simple Software kann bei den Wheelies ein wenig helfen, aber eine gute Software hält das Bike perfekt auf der Linie. Es ist schneller und rutscht nur, wenn du es willst."

Yamaha Team

Das komplette Yamaha-Team nach dem Doppelsieg in Jerez Zoom

Frage: "Wie verfolgst du die Rennen?"
Flamigni: "Hast du den Film Matrix gesehen? Wenn ich das Motorrad auf der Strecke beobachte, sehe ich Zahlen und Graphen. Es ist unglaublich!"

Frage: "Ist das auch bei anderen Rennen der Fall?"
Flamigni: "Mehr oder weniger, ja. Ich sehe die Zahlen durch die ECU. Die Strategien, die Binärcodes. Ich sehe überall Zahlen."

Frage: "Kannst du dich ausruhen, wenn ein Rennen läuft?"
Flamigini: "Ja, ich kann sie genießen. Wenn das Rennen startet, ist meine Arbeit erledigt. Ich kann dann nichts mehr tun. Ich sehe zu, wie mein Fahrer um den Sieg kämpft. Es passiert eben nur, dass ich die Rennen mit Zahlen und dem Benzinverbrauch sehe."