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Bartholemy-Interview: "MotoGP diktiert mein Leben"
Im ausführlichen Interview spricht Michael Bartholemy über die Fortschritte bei Kawasaki, seine 18-Stunden-Tage und das Ziel WM-Titel für 2009
(Motorsport-Total.com) - Kawasaki belegte 2007 in der Herstellerwertung zwar nur den fünften und vorletzten Platz, schlug damit lediglich die KR212V von Kenny Roberts Sr., aber für ein Aufbaujahr war es dennoch eine alles in allem erfolgreiche Saison. 2008 bläst die Truppe aus Japan mit Neuzugang John Hopkins zum Generalangriff - und Teamchef Michael Bartholemy hält die Zügel fest in der Hand.

© Kawasaki
Michael Bartholemy will mit Kawasaki schon 2009 MotoGP-Weltmeister werden
Frage: "Michael, neue Kawasaki-Struktur, neue 800er-Formel, neue Reifenregeln und so weiter. Wie lautet deine Bilanz nach dem Jahr 2007?"
Michael Bartholemy: "Als mir Kawasaki Heavy Industries (KHI) am 6. November 2006 mitgeteilt hat, dass wir weitermachen und dieses Team für die folgende Saison zusammenstellen würden, hatte ich meine Zweifel. Ich war nicht davon überzeugt, dass wir das schaffen können - nicht, weil wir nicht dazu in der Lage wären, sondern weil die Zeit unser größter Feind war. Wir hatten keine Werkzeuge, keine Transportcontainer, nichts. Aber anstelle mir deswegen Sorgen zu machen, demonstrierten wir der Außenwelt, dass wir es schaffen werden. Wenn man schwach erscheint, hat man das erste Rennen schon verloren."#w1#
15 Prozent noch zu erledigen
Frage: "Verlief das Jahr im Nachhinein betrachtet nach Plan?"
Bartholemy: "Wenn du mich vergangenen November gefragt hättest, ob ich denke, dass das Team komplett stehen würde, dann hätte ich gesagt, dass es in zwölf Monaten der Fall sein müsste. Nach einem Jahr muss ich nun sagen, dass 15 Prozent der ursprünglich fehlenden 100 Prozent vom 6. November 2006 immer noch offen sind. Es gibt noch Kleinigkeiten, die finalisiert werden müssen. Daher ist nun der Januar das Ziel für mich - dann muss alles sitzen. Aber auch wenn es noch bis zum ersten IRTA-Test im Februar dauert, ist es okay."
Frage: "Eines der größten Probleme abseits des Aufbaus war die Situation mit eurem französischen Fahrer Olivier Jacque..."
Bartholemy: "Wir wussten von Anfang an, dass er nicht mehr der Jüngste war. Vielleicht stand ich ihm ein bisschen reserviert gegenüber, zumindest am Saisonbeginn. Aber man muss das Beste aus den Fahrern machen. Ich glaube aber auch, dass man in meiner Position couragiert genug sein muss, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmt - und da hat sicher etwas nicht gestimmt. Olivier ist zu oft abgeflogen, er verletzte sich oft und es war keine einfache Situation."
Frage: "Am Ende kam er euch zuvor und erklärte seinen Rücktritt."
Bartholemy: "Das ist richtig. Verständlicherweise fiel ihm das schwer: Er ist ein Racer, ein ehemaliger Weltmeister - da braucht es eine Menge Courage, wenn man sich eingestehen muss, dass dieser Lebensabschnitt vorbei ist. Da dachte ich, dass wir ihn doch vom Stress des Rennfahrens befreien und ihn nur noch als Testfahrer einsetzen könnten. Olivier hat sich auf seine neue Rolle brillant eingestellt - und meiner Meinung nach ist er der beste Testfahrer in der MotoGP. Ich glaube, wir haben von dieser Situation alle profitiert, und ich wünsche mir, dass er noch viele Jahre bei uns bleiben wird."
Von West wird eine Steigerung erwartet
Frage: "Ihr habt euch entschieden, an seiner Stelle Anthony West zu holen."
Bartholemy: "Er ist ein guter Rennfahrer, weshalb ich das Gefühl hatte, dass er der Richtige für den Job ist. Er muss noch ein bisschen geschliffen werden, aber ich bin sicher, dass wir bei ihm bald eine Steigerung erkennen werden. Darum haben wir ihn für nächste Saison wieder unter Vertrag genommen."
Frage: "Bist du zufrieden mit euren Fahrern?"
Bartholemy: "Wir hatten mit Randy de Puniet und auch Anthony einige gute Resultate, aber ich bin zuversichtlich, dass es dieses Jahr noch besser wird, speziell mit John Hopkins. Ich habe mich schon im April entschieden, dass wir 'Hopper' haben wollen - zu einem Zeitpunkt, als es noch nicht einfach war, die Leute von unseren Fortschritten zu überzeugen, denn die Resultate waren nicht die besten. Aber nach dem Rennen in Valencia ging ich ins Motorhome und schaute mir die finale Punktetabelle an. Erster war Casey Stoner, der bei Ducati bleibt, Zweiter Pedrosa, der bei Honda bleibt, Dritter Rossi, der bei Yamaha unter Vertrag steht. Damit war Hopkins als Vierter der beste verfügbare Fahrer, den wir bereits im April gewählt hatten, und er wollte zu Kawasaki kommen. Das sagt etwas aus."
Frage: "Was hättest du geantwortet, wenn dir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass ihr jemanden wie John Hopkins bekommen könnt?"
Bartholemy: "Ich hätte es für unmöglich gehalten, aber es ist uns gelungen. Und es ist ja nicht so, dass er der einzige Fahrer war, der Interesse hatte. Ich denke, wir waren zum ersten Mal für mehrere Fahrer eine echte Option. Natürlich hat die Saison 2007 unser Leben verändert - und wir werden von den Leuten in der MotoGP nun anders wahrgenommen, nämlich als vollwertiges Werksteam."
Harte Arbeit der Ingenieure

© Kawasaki
John Hopkins ist Kawasakis große Hoffnung für die nächsten Jahre Zoom
Frage: "Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie vor einem Jahr alles angefangen hat..."
Bartholemy: "Als wir Ende November 2006 zum ersten Test nach Sepang abgereist sind, hatten wir noch viele Probleme, aber als wir am 21. Januar zum zweiten Mal dort waren, hatten wir keinen einzigen Defekt mehr. Während des Winters hat die Armee großteils unsichtbarer Kawasaki-Ingenieure sehr hart gearbeitet, und was sie erreicht haben, war unglaublich. Nach dem IRTA-Test im Februar war mir klar, dass wir konkurrenzfähig sein würden. Das Motorrad war schnell, aber das war nicht alles: Die Ingenieure setzten ihre Arbeit an der ZX-RR fort und wir machten während des ganzen Jahres riesige Fortschritte."
Frage: "Du hättest dir noch mehr erwartet, aber ich denke, du siehst das recht philosophisch, nicht wahr?"
Bartholemy: "Ich habe gesagt, dass ich mit Platz neun in der Weltmeisterschaft zufrieden wäre, denn davor war Kawasakis bestes Abschneiden Platz zehn. Das zu schlagen, war ein Traum. Ich wusste, dass das schwierig werden würde. Nach der Saison muss man sagen, dass das Motorrad locker für Platz neun gut genug gewesen wäre, aber wir wurden Elfter. Ich muss gestehen, ich bin auch damit zufrieden."
Frage: "Wie wurde euer Ringen um Anerkennung von den Medien dargestellt?"
Bartholemy: "Natürlich wurde über die großen Veränderungen im vergangenen Jahr viel spekuliert, aber die meisten Journalisten waren ziemlich beeindruckt von dem, was wir erreicht haben. In der Hospitality kommen immer mehr Leute zu uns, um zu reden und eine Tasse Kaffe zu trinken und um herauszufinden, was sich bei uns tut. Das sind viel mehr Leute als unter dem vorherigen Regime. Ich denke, wir haben Türen geöffnet, die vorher wahrscheinlich noch geschlossen waren. Wir bekommen viel mehr positives Feedback. Ja, es wird immer schlechte Publicity geben, für jedes Team, aber wir können unsere Zweifler nur mit besseren Resultaten überzeugen."
Offene Herangehensweise an den Job
Frage: "Du machst einen Job, der mit viel Druck verbunden ist, in einem Umfeld, das mit viel Druck verbunden ist. Wie gehst du damit um?"
Bartholemy: "Ich gehe geradlinig an meinen Job heran - und ich glaube, das sehen die meisten Leute im Team genauso! Ich wünsche mir aber auch von meinen Kollegen, dass sie genauso offen sind, denn das macht einem das Leben leichter. Ich mag Klarheit, denn nur so können wir unser Ziel erreichen, nämlich den MotoGP-WM-Titel. Meine Beziehungen nach Japan sind mir irrsinnig wichtig und ich habe hart daran gearbeitet, dass mein Verhältnis zu KHI als Europäer ein starker Punkt für uns alle ist. Das ist notwendig. Ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, an dem ich mich mit dem Präsidenten des Unternehmens als Freund unterhalten kann, weil wir so die Dinge effizienter erledigen können. Das gefällt mir und das ist ein weiterer Aspekt, der sich gebessert hat."
Frage: "Aber der Aufwand, die neue Konstellation hochzuziehen und sie dann zum Laufen zu bekommen und sich weiterzuentwickeln, ist der nicht immens?"
Bartholemy: "Ich lasse meine Arbeit ehrlich gesagt nie liegen. 18 Stunden pro Tag diktiert die MotoGP mein Leben, die restlichen sechs Stunden schlafe ich - und zwei davon träume ich von der Arbeit! Vielleicht werde ich mich in zehn Jahren etwas mehr entspannen, aber jetzt möchte ich das nicht. Ich wünschte, ich könnte manchmal mein Telefon abschalten oder die E-Mails nicht checken, aber das ist unrealistisch. Wenn ich an der Rennstrecke manchmal lange arbeiten muss, stört mich das überhaupt nicht, aber manchmal fehlt es mir, ein bisschen Zeit für mich selbst zu haben."
"Jemand aus dem Team kam kürzlich auf mich zu und sagte: 'Hey, du musst dir die Haare schneiden lassen!' Aber ich hatte nicht die Zeit dafür! Einfach mal Zeit zu haben, auf die Bank zu gehen - das fehlt mir. Und natürlich würde ich gerne mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen. Aber wie gesagt, ich fühle mich in diesem Team wohl und weiß, dass noch jede Menge Arbeit vor uns liegt."
Bartholemy gibt sich als Teamplayer
Frage: "Wie zufrieden bist du mit dem Team um dich herum?"
Bartholemy: "Alle von uns haben große Opfer gebracht, aber wir machen so große Fortschritte, dass wir dafür auch belohnt werden. Nach diesem verrückten Jahr wird sich bald alles ein wenig normalisieren. Gemeinsam haben wir es geschafft und ich denke, dass wir der kommenden Saison optimistisch entgegenblicken dürfen."
Frage: "Was waren deine persönlichen Highlights 2007?"
Bartholemy: "Die Kawasaki-Fahrer in Laguna Seca in den Top 10 zu haben und natürlich Randys Podium in Motegi. Das war etwas Besonderes. Ducati hat das Rennen gewonnen, also waren wir in Japan das beste japanische Motorrad - mit all unseren Bossen vor Ort. Da kamen viele Dinge zusammen und Randy fuhr ein fantastisches Rennen. Das war ein wirklich großartiger Tag."
Frage: "Wie lautet nun der Plan für 2008?"
Bartholemy: "Zunächst müssen wir alles sortiert bekommen, aber das Wichtigste ist, dass wir kein neues Motorrad vorstellen, was meiner Meinung nach ein positiver Schachzug ist. Das gleiche Motorrad zu behalten, es aber weiterzuentwickeln, ist meiner Meinung nach etwas, was uns stärker machen wird. Unser Motorrad wird immer besser, also warum sollten wir etwas anders machen?"
Neuer Sponsor wird gesucht

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Michael Bartholemy (rechts) im Gespräch mit Testfahrer Olivier Jacque Zoom
Frage: "Ist es richtig, dass du nach neuen Sponsoren suchst, um das Team weiter nach vorne zu bringen?"
Bartholemy: "Ja. Wir haben dieses Jahr hart daran gearbeitet, um einen Sponsor von außerhalb der Motorradszene anzulocken. Da geht es nicht nur ums Geld, sondern auch darum, unsere Marke in anderen Märkten zu positionieren. Dann wären wir nicht mehr nur in Motorradmagazinen und in anderen traditionellen Bereichen vertreten, in denen man uns ohnehin kennt. Wir müssen neue Märkte erschließen und dürfen uns nicht nur auf den Zweiradsektor konzentrieren, auf dem wir bereits präsent sind."
Frage: "Und was wirst du uns nächstes Jahr um diese Zeit erzählen?"
Bartholemy: "Ich werde sagen, dass wir nach einer erfolgreichen Saison 2008 nun Weltmeister werden wollen! Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen können - voll überzeugt. Wir haben bei Kawasaki einige sehr, sehr gute Leute hinter uns - und ich glaube, wir haben das beste Team in der MotoGP. Wir haben gemeinsam schon viele Höhen und Tiefen durchgemacht, aber wir haben ein unglaubliches Motorrad gebaut und ein Werksteam zum Funktionieren gebracht. Ich bin auf alle wahnsinnig stolz."

