• 18.04.2011 00:26

  • von Pete Fink

Long Beach: Conway überrascht das Establishment!

Riesensensation im turbulenten Long Beach: Mike Conway schlägt den Stars ein Schnippchen und gewinnt sein erstes IndyCar-Rennen

(Motorsport-Total.com) - Long Beach sah das endgültige IndyCar-Comeback von Mike Conway. Im Mai 2010 erlitt der 27-jährige Brite bei einem Horrorcrash in Indianapolis schwere Bein- und Rückenverletzungen, die ihn die gesamte Saison außer Gefecht setzten. Im Winter bekam er einen Vertrag bei Andretti Autosport und schon im dritten Rennen des Jahres 2011 zahlte er das Vertrauen von Teamchef Michael Andretti zurück: Conway gewann den prestigeträchtigen Toyota Grand Prix of Long Beach!

Titel-Bild zur News: Mike Conway

Premiere in Long Beach: Mike Conway gewinnt sein erstes IndyCar-Rennen

Es war nicht nur ein Überraschungserfolg aufgrund der Conway-Historie, sondern auch aufgrund der Rennentwicklung. Nach einem Fehler beim ersten Stopp, als er seinen Boxenplatz nicht traf, wurde der ehemalige Honda-F1-Testfahrer von Rang drei auf 22 (!) zurück geworfen. In einem äußerst turbulenten Long-Beach-Finale arbeitete sich Conway jedoch wieder an die Spitze zurück, kassierte 13 Runden vor Schluss den bis dato führenden Ryan Briscoe (Penske; 2.) - und fuhr zu seinem IndyCar-Premierensieg auf und davon.

Natürlich profitierte die schwarze Startnummer 27 dabei von der Tatsache, dass Helio Castroneves (12.) seinen Penske-Teamkollegen Will Power (10.) bei einem Restart in Runde 66 von der Strecke räumte. Auch das Schicksal seines Andretti-Teamkollegen Ryan Hunter-Reay kam Conway zugute, als dieser in Runde 71 mit einem Getriebeschaden ausrollte. Doch das Pech der Konkurrenz nutzte er am Ende wild entschlossen und überzeugend aus.


Fotos: IndyCars in Long Beach


Dabei begann die am Ende so spannende Long-Beach-Auflage 2011 im Schatten der Queen Mary eher unaufgeregt. Lediglich Ana Beatriz (Dreyer & Reinbold) sorgte für Irritationen, als sie sich gleich in der ersten Warmup-Lap auf kalten Reifen hinter dem Pace-Car drehte. Ansonsten gingen der Start und der heikle Sprint auf den berüchtigten Turn 1 völlig sauber und ereignislos über die Bühne.

Tracy dreht de Silvestro um

Vorne gab es keine Positionsveränderungen: Polesitter Power, Hunter-Reay und Conway setzten sich ab und hatten nach 20 Runden bereits sieben Sekunden Vorsprung auf Oriol Servia, Justin Wilson, Helio Castroneves, Dario Franchitti und Scott Dixon. Kämpfe gab es nur im Hinterfeld, wo Marco Andretti auf Rang 17 liegend den Rest der Meute aufhielt.

Justin Wilson

Justin Wilson erlitt am Sonntag in Long Beach gleich zwei Dreher Zoom

In der engen Haarnadel vor Start und Ziel krachte es dann zweimal binnen zwei Runden: Erst drehte Castroneves Wilson um, dann folgte weiter hinten IndyCar-Rückkehrer Paul Tracy diesem Beispiel: Der Dragon-Pilot nahm Simona de Silvestro aufs Korn. Die junge Schweizerin würgte dabei unglücklicherweise ihren HVM-Dallara ab, was sie zwei Runden kostete. Damit war de Silvestro chancenlos und landete am Ende nur auf Position 20.

Interessant war die Entscheidung der Rennleitung: Während Castroneves für seinen Wilson-Schubser ohne Strafe davon kam, musste Tracy für das gleiche Vergehen unter Grün einmal durch die Boxengasse rollen. Für das Endergebnis war dies jedoch nicht entscheidend, denn der Kanadier trat nie in Erscheinung und wurde bei seinem Comeback-Auftritt 16.

Der Wilson-Dreher in Runde 23 hatte auch zur Konsequenz, dass Alex Tagliani, Ryan Briscoe und Tony Kanaan der Meinung waren, die Rennleitung würde eine erste Gelbphase ausrufen. Also bog das Trio zum Tanken an die Box, doch die IndyCar-Offiziellen entschieden sich anders: Nur lokales Gelb. Kanaan hatte bei diesem Stopp Pech, denn bei KV/Lotus klemmte die Befüllanlage, der Brasilianer verlor viel Zeit und kam hinter Spitzenreiter Power zurück auf die Strecke. Als wenig später der HVM-Dallara de Silvestros nicht sofort wieder gestartet werden konnte, kam die erste Gelbphase schließlich doch noch. Riesenglück also für Tagliani und Briscoe, während sich Kanaan durch den folgenden Wave-Around hinten im Feld als 21. anstellen musste.

Briscoe Reifenpoker geht auf

Plötzlich krachte es in der Boxengasse: Marco Andretti übersah den von hinten herankommenden Sebastien Bourdais und fuhr dem Franzosen in die rechte Fahrzeugseite. "Das war meine Schuld, ich habe ihn ganz einfach nicht gesehen", gab der Andretti-Pilot seinen Fauxpas zu. Für Bourdais war Long Beach vorzeitig zu Ende, Andretti gab zehn Runden später ebenfalls auf. Just in dieser Phase erwischte es auch Conway, der sich nun im Hinterfeld wieder fand.

Sebastien Bourdais

Diskussionsbedarf zwischen Sebastien Bourdais und Marco Andretti Zoom

Vorne griff Briscoe sofort beim Restart Tagliani erfolgreich an. Kurz danach zogen auch Power und Hunter-Reay am Sam-Schmidt-Dallara vorbei. Briscoe hatte nach seinem verpatzten Qualifying und Startplatz zwölf gepokert: Der Penske-Pilot ließ sich beim Start als einziger die härteren Blacks aufziehen und war folgerichtig nach dem ersten Stopp als einziger auf den weicheren Reds unterwegs. Das sollte sich auszahlen.

"Die Gelbphase und die Reifenstrategie kamen uns sehr zugute", gestand der Australier, der in der Folge das Rennen von der Spitze aus kontrollierte. Hinter Power und Hunter-Reay verteidigte Tagliani Rang vier, dicht gefolgt von Castroneves, Franchitti, Servia, Dixon und Newman/Haas-Rookie James Hinchcliffe. So ging es in die Serie der zweiten Boxenstopps ab Runde 53 unter Grüner Flagge.

Acht Umläufe später wurde es wieder turbulent: Erst versenkte - einmal mehr - Ernesto Viso seinen KV/Lotus nach einem äußerst optimistischen Überholversuch gegen Danica Patrick in den Reifenstapeln, dann stand zum zweiten Mal Justin Wilson gegen die Fahrtrichtung. Dieses Mal ohne Fremdeinwirkung, was aber die zweite Gelbphase des Sonntagabends auslöste.

Penske-Fauxpas und ein streikendes Getriebe

An die Box musste keiner mehr, doch der Restart sollte es in sich haben: Briscoe verteidigte sich mit Kampflinie gegen Hunter-Reay, ganz außen drohte Power. Plötzlich schoss dahinter Castroneves geradeaus - und drehte ausgerechnet seinen Penske-Teamkollegen um! Servia löste die Situation mit einem eleganten 360-Grad-Dreher gegen die Fahrtrichtung, während Dixon einen Streifschuss ab bekam. Die Reihenfolge an der Spitze war auf den Kopf gestellt.

Will Power, Ryan Hunter-Reay

Start mit Ryan Hunter-Reay (li.) und Will Power: Keiner kam durch Zoom

Natürlich kam es zu Gelbphase Nummer drei, beim Restart lag Briscoe vor Hunter-Reay, Franchitti, Conway, Hinchcliffe, Tagliani und Servia. Power und Castroneves waren nicht mehr in den Top 10, Dixon verlor mit verbogener Aufhängung eine Runde. Direkt nach dem Restart kassierte Conway Franchitti, während fast gleichzeitig Hunter-Reay mit Getriebeschaden ausrollte.

Conway bekam nun Flügel. Binnen weniger Runden robbte er sich an Briscoe heran und kassierte diesen mit einem Überraschungsmanöver an der Franchitti-Stelle in Turn 6. "Ich dachte wirklich, ich würde dieses Rennen gewinnen", gab der Australier zu Protokoll. "Aber Mike war superschnell und seinen Angriff habe ich wirklich nicht erwartet."

Conway am Ende unwiderstehlich

Damit war die Sache gegessen. Conway stürmte im Finale auf und davon, Briscoe konnte den wie üblich extrem unauffälligen Franchitti hinter sich halten. "Mein Auto war eigentlich schon schnell, aber ausgerechnet aus der Haarnadelkurve kam ich nie gut heraus", sagte der Schotte, der mit seinem nicht zu erwartenden dritten Platz nun wieder die IndyCar-Gesamtführung inne hat.

Mike Conway

Mike Conway hatte Long Beach am Ende deutlich im Griff Zoom

Bärenstarker Vierter wurde James Hinchcliffe, der in seinem erst zweiten IndyCar-Rennen den Newman/Haas-Aufwärtstrend eindrucksvoll untermauern konnte. Sein Teamkollege Oriol Servia landete hinter Alex Tagliani auf Rang sechs. Und siehe da: Danica Patrick hielt sich ebenfalls aus allen Scharmützeln heraus und beendete Long Beach als beste US-Amerikanerin auf Rang sieben. Ein guter Nicht-Ovalauftritt, denn die 29-Jährige ging von Startplatz 20 aus ins Rennen.

Tony Kanaan rettete nach seinem Boxenmissgeschick immerhin noch Rang acht vor Vitor Meira (Foyt). Will Power schaffte mit einem finalen Kraftakt als Zehnter gerade noch eine Top-10-Platzierung. Der große Triumphator eines unterhaltsamen IndyCar-Sonntags hieß jedoch Mike Conway, der mit seinem Erfolg den ersten Nicht-Penske und Nicht-Ganassi-Sieg seit Iowa 2010 verwirklichte. Weiter geht es am 1. Mai beim Brasilien-Abstecher in Sao Paulo.