IndyCar Nashville: Marcus Ericsson fliegt und siegt bei Chaos-Premiere

Zahlreiche Crashs auf neuem Stadtkurs in Nashville: Marcus Ericsson übersteht alles inklusive Spritsorgen und gewinnt, nachdem er nach Flugeinlage fast schon out war

(Motorsport-Total.com) - Die IndyCar-Premiere auf dem neu errichteten Stadtkurs in Downtown Nashville war eine chaotische.

Titel-Bild zur News: Marcus Ericsson

Marcus Ericsson: Sieger des völlig verrückten Rennens in Downtown Nashville Zoom

Der Music City Grand Prix auf dem 3,5 Kilometer langen Kurs mitsamt zweimaliger Brückenüberfahrt über den Fluss (Cumberland River) sah am Sonntag neun Gelb- und zwei Rotphasen. Von einem Rennen im eigentlichen Sinne dieses Wortes konnte man nur bedingt sprechen. Die mit jeder Menge Bodenwellen versehene Brücke (Korean Veterans Memorial Bridge) war dabei aber das geringste Problem. (Fotos: IndyCar in Nashville)

Der Sieg ging letzten Endes an einen Fahrer, der bereits in der Anfangsphase scheinbar aus dem Rennen schien: Ganassi-Pilot Marcus Ericsson, der in den fünften Runde in einen Crash verwickelt war und mit allen vier Rädern den Bodenkontakt verloren hatte!

Ericssons Auto, das wie durch ein Wunder nicht schwer beschädigt wurde, wurde von der Ganassi-Crew wieder flott gemacht. Und nach turbulentem Rennverlauf hielt der Schwede beim letzten Restart ausgerechnet seinen erfahrenen Teamkollegen, den sechsmaligen IndyCar-Champion Scott Dixon, hinter sich.

"Das ist unglaublich! Das zeigt einfach, das in einem IndyCar-Rennen alles passieren kann und dass man niemals aufgeben kann. Mit einem guten Team und einem guten Auto kann man es immer noch in die Victory Lange schaffen. Meine Jungs haben das Auto repariert und es hat gereicht. Unglaublich!", jubelt Ericsson.

Für die IndyCar-Saison 2022 ist Ericsson im Ganassi-Team mangels Budget derzeit noch nicht offiziell bestätigt. Sein völlig verrückter zweiter Sieg (nach Detroit) dürfte diesbezüglich aber ein wichtiger Schritt sein.


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Startphase: Erst gesittet, dann chaotisch

Der fliegende Start wurde nicht im Bereich der Ziellinie vollzogen, die sich vor dem Football-Stadion des NFL-Teams Tennessee Titans befindet. Stattdessen wurde Grün unmittelbar nach rückwärtiger Überquerung der Brücke gezeigt. Wie sich herausstellen sollte, wäre das auch für die zahlreichen Restarts der bessere Platz gewesen ...

Polesetter Colton Herta (Andretti-Honda) führte das Feld in die erste Kurve, eine schnelle Bergauf-Links. Neben sich hatte er Scott Dixon (Ganassi-Honda), der die zweite Position aber direkt in dieser ersten Kurve an Hertas Andretti-Teamkollege Alexander Rossi verlor.

Während sich das Feld ausgesprochen gesittet durch die engen Kurvenpassagen auf dem Parkplatz des Stadions schlängelte, musste dennoch direkt im Verlauf der ersten Runde Gelb gezeigt werden. Grund: Im Hinterfeld war Dalton Kellett (Foyt-Chevrolet) auf der Strecke liegengeblieben. Als es zum ersten Restart ging, wurde es zum ersten Mal chaotisch.

Flugeinlage von Marcus Ericsson

Das Feld beschleunigte in Richtung der Grünen Flagge, die nun im Gegensatz zum Rennstart tatsächlich vor dem Nissan Stadium gezeigt wurde. Beim Beschleunigen rauschte Marcus Ericsson ins Heck des Foyt-Chevrolet von Sebastien Bourdais und setzte zu einer Flugeinlage an. Mit viel Glück landete das Auto des Schweden wieder auf den Rädern. Das eigentlich Chaotische aber: Es dauerte eine halbe Runde, bis erneut Gelb gezeigt wurde!

Der zweite Restart klappte ausnahmsweise reibungslos. Herta führte das Feld vor Teamkollege Rossi sowie Dixon auf die ersten Runden unter Renntempo. Hinter den Top 3 an vierter Stelle lag IndyCar-Rookie Romain Grosjean (Coyne-Honda), der von P5 gestartet war.

Bis in die 16. der 80 Runden ging es zunächst gut. Dann sorgte eine Kollision zwischen Grosjeans Coyne-Teamkollege Ed Jones und IndyCar-Rookie Scott McLaughlin (Penske-Chevrolet) für die dritte Gelbphase. Passiert ist der Zwischenfall im denkbar engen Kurvengeschlängel zwischen den beiden Brückenüberquerungen. In Kurve 4, der 90-Grad-Links nach der ersten Überquerung, wurde McLaughlin von Jones umgedreht und erwischte mit dem Heckflügel die Mauer.

Die damit ausgelöste Gelbphase wurde von einigen Fahrern im Feld zum ersten routinemäßigen Boxenstopp genutzt. Dazu zählte allen voran McLaughlins Teamkollege und Lokalmatador Josef Newgarden. Der ganz aus der Nähe von Nashville stammende Penske-Pilot fand sich in der Anfangsphase weit hinten im Feld wieder, nachdem er im Qualifying am Samstag die Mauer erwischt hatte und nur von P12 in sein Heimrennen ging. In der chaotischen Anfangsphase fiel Newgarden noch weiter zurück und kämpfte fortan mit schiefstehender Lenkung.

Polesetter Colton Herta und Co. verlieren mit "Gratisstopp" kaum Zeit

Die Spitzengruppe aber bliebt auf der Bahn. So führte Herta das Feld auch beim dritten Restart vor Rossi an - und bei diesem gab es wieder Chaos. Die engen Kurvenpassagen auf dem Stadionparkplatz laden regelrecht zu Berührungen ein. In diesem Fall war mehr als ein halbes Dutzend Autos in einen Stau verwickelt, der letztlich eine Unterbrechung mit der roten Flagge zur Folge hatte.

Auslöser: Zwischen den Penske-Teamkollegen Will Power und Simon Pagenaud wurde es zu eng und Pagenaud wurde daraufhin von hinten aufgegabelt. Verwickelt waren allen voran Rinus VeeKay (Carpenter-Chevrolet), Takuma Sato (Rahal-Honda), die Rookies Jimmie Johnson (Ganassi-Honda) und Cody Ware (Coyne-Honda) und nicht zuletzt Tabellenführer Alex Palou (Ganassi-Honda), der in der Kettenreaktion in die Autos der beiden Rookies rutschte.

Nach einigen Minuten Rot, während der Jimmie Johnson aus dem Rennen genommen wurde (Details siehe unten) ging es weiter. Um ein Haar hätte es im Hinterfeld wieder gekracht, aber für den Moment ging es gut. Herta führte vor Rossi, Dixon, Grosjean und Felix Rosenqvist (McLaren-Chevrolet). Die nächste Gelbphase gab es in Runde 31 aufgrund eines Abflugs von Rinus VeeKay in die Reifenstapel der ersten Schikane.

Die Spitzengruppe um Herta, Rossi und Co. kam unter Gelb zum ersten Boxenstopp. Und obwohl jede Menge Fahrer auf der Bahn blieben, kam Herta nach seinem Stopp als Dritter wieder auf die Strecke. Grund: Das Pace-Car führte das Feld derart langsam um den Kurs, dass Herta, Rossi und Co. in der Boxengasse kaum Zeit verloren.

Ericsson nach früher Flugeinlage plötzlich P1

An Herta vorbei kamen einzig Marcus Ericsson sowie seine eigenen Hertas Andretti-Teamkollegen Ryan Hunter-Reay und James Hinchcliffe. Zur Erinnerung: Ericsson, der nun führte, war derjenige, der in der Anfangsphase des Rennens beinahe nicht nur sprichwörtlich, sondern buchstäblich abgeflogen wäre ...

Also führte Ericsson das Feld in die nächste Etappe des zerstückelten Rennbetriebs. Dahinter kam Herta mit seinen frischen Reifen zügig an Hinchcliffe und auch Hunter-Reay vorbei, womit er schon wieder Zweiter war. Aber auch Rossi kam gut voran. Er ließ Herta nicht aus den Augen und folgte ihm an den beiden anderen Andretti-Piloten vorbei auf die dritte Position.

Gelb, Gelb, Gelb und scheinbar kein Ende

Zu diesem Zeitpunkt war gerade mal die Hälfte der 80 Runden zurückgelegt. Aber die Sonne stand schon ziemlich tief. Der Start des Nashville-Rennens war aufgrund des vorangegangenen NASCAR-Rennens in Watkins Glen erst um 16:45 Uhr Ortszeit (23:45 Uhr MESZ) erfolgt. Hintergrund: Die Rennen von NASCAR und IndyCar werden in der zweiten Jahreshälfte beide vom selben TV-Sender (NBCSN) übertragen. Letzten Endes ging das Rennen in Downtown Nashville doch über die volle Distanz und nur wenige Minuten vor Sonnenuntergang über die Bühne.

Die fünfte Gelbphase kam heraus, als sich einmal mehr zwei Penske-Piloten in die Quere kamen. Nach Power und Pagenaud zuvor waren es in diesem Fall Power und McLaughlin. Der Rookie aus Neuseeland wurde ausgerechnet in der breitesten Kurve der Strecke (Kurve 9, die beim Rennstart die erste Kurve war) vom Routinier aus Australien umgedreht. Bei dieser Gelegenheit rauschte auch Dalton Kellett noch ins querstehende Auto von McLaughlin.

In dieser Gelbphase kam Rossi erneut an die Box, während Herta auf der Bahn blieb. Somit gingen die Strategien der beiden bis dahin bestimmenden Fahrer ab diesem Zeitpunkt auseinander. Weil auch Spitzenreiter Ericsson an die Box kam, erhielt Herta seine vorherige Führung zurück.

Romain Grosjean wird in Führung gespült, kollidiert später

Weiter ging es mit Herta als Spitzenreiter, der bei diesem Restart den anfangs weit zurückgefallenen Lokalmatador Josef Newgarden direkt hinter sich hatte. Lange gut ging es freilich nicht. In Kurve 4 kollidierten Rossi und Patricio O'Ward (McLaren-Chevrolet) und es gab direkt wieder Gelb. Diese Gelegenheit wurde von Herta, Newgarden und Co. zum Boxenstopp genutzt.

Und so war es plötzlich Romain Grosjean, der das Feld anführte. Beim nächsten Anlauf eines Restarts diktierte er das Tempo. In seinem Nacken: Ericsson, Hinchcliffe, Dixon und Hunter-Reay. Dixon kam sofort an Hinchcliffe vorbei und brachte sich damit für einen Podestplatz ins Gespräch. Indes rangierte Grosjeans Coyne-Teamkollege nach einem Dreher mehrmals auf der Strecke hin und her - wieder Gelb. Diese Gelegenheit wurde von Grosjean zum Boxenstopp genutzt, womit wieder Ericsson führte.

Mit Ericsson und Dixon hatte Ganassi nun zwei Piloten auf den ersten zwei Positionen fahren. Dahinter folgte das Andretti-Trio Hinchcliffe, Hunter-Reay und Herta. Derweil drehte Rossi als der vierte Andretti-Pilot nach seiner Kollision mit O'Ward nur noch außerhalb der Top 10 seine Runden.

Wie schon zuvor waren Hunter-Reay und Hinchcliffe leichte Beute für Herta. Auch Dixon konnte dem übermächtigen Tempo des Polesetters nicht lange standhalten. Ericsson aber, der im Gegensatz zu Dixon und Herta auf den weichen Reifen (Reds) unterwegs war, erwies sich als härtere Nuss. Rundenlang biss sich Herta mit seinen harten Reifen (Blacks) am Getriebe von Ericsson die Zähne aus.

Crash von Herta auf der Verfolgung von Ericsson

13 Runden vor Schluss sorgte eine Kollision zwischen Grosjean und Pagenaud NICHT für Gelb. Stattdessen ging es im Renntempo weiter - und Herta biss sich an Ericsson weiter die Zähne aus. Als er es an der schnellsten und breitesten Stelle der Strecke (Kurve 9) probierte, machte Ericsson knallhart die Tür zu. Herta konnte mit blockierenden Rädern eine Kollision gerade so vermeiden, verlor aber vorentscheidend an Boden. Das war noch nicht das Schlimmste.

Denn fünf Runden vor Schluss setzte Herta als der bis dahin absolute dominierende Fahrer des Wochenendes seinen Andretti-Honda in die Mauer und war draußen. Der Fehler passierte ihm in Kurve 9 auf der Verfolgung von Ericsson. Herta war zu schnell, erwischte am Ausgang der Kurve die Reifenstapel und war anschließend untröstlich. Die Folge war eine zweite Rotphase, die aber deutlich kürzer ausfiel als die erste.

Colton Herta

Colton Herta, der bestimmende Fahrer des Wochenendes, crashte kurz vor Schluss Zoom

Zwei Runden waren noch zu fahren, als Ericsson den letzten Restart vor Ganassi-Teamkollege Dixon anführte. Der Schwede kam gut in die Gänge und setzte sich sofort ein wenig ab. Aufgrund seiner Boxenstoppstrategie wäre es bei ihm unter Umständen knapp geworden mit dem Sprit. Aufgrund der Vielzahl an Gelbphasen aber erledigte sich für ihn auch dieses Problem.

Und so fuhr Ericsson nach seiner frühen Flugeinlage tatsächlich zum Sieg bei der chaotischen Premiere eines IndyCar-Stadtrennens in Nashville. Dixon kam als Zweiter ins Ziel und hat damit in der Meisterschaft viel Boden aufgeholt. Dritter wurde Hinchcliffe, für den es das mit Abstand beste Rennen in dieser Saison war. Hunter-Reay und der gänzlich unauffällig gebliebene Graham Rahal (Rahal-Honda) machten die Top 5 komplett. Romain Grosjean wurde letztlich auf P16 gewertet, nachdem er für die Kollision mit Simon Pagenaud bestraft wurde.

Für Indy-500-Sieger Helio Castroneves war Nashville das zweite Rennen seiner Teilzeitsaison 2021 für Meyer Shank Racing. Dieses beendete der Brasilianer nach einem seinerseits weitgehend unauffälligen Rennen auf P9 direkt vor Josef Newgarden. Der Lokalmatador wiederum kam somit mit schiefstehender Lenkung immerhin noch in den Top 10 ins Ziel. Castroneves fährt 2022 auf Vollzeitbasis für das Team von Michael Shank und Jim Meyer.

Jimmie Johnson: Zweieinhalb Mal Schrott und aus Rennen genommen

Jimmie Johnson, der in das Chaos verwickelt war, das zur ersten Rotphase führte, produzierte am Nashville-Wochenende zweimal Schrott ohne Fremdeinwirkung. Sowohl im Qualifying am Samstag als auch im Warm-Up am Sonntagmittag setzte er seinen Ganassi-Boliden in die Streckenbegrenzung.

Im Rennen allerdings wurde Johnson ohne eigenes Verschulden nicht gewertet. Denn als seine Crew regelwidrig unter Rot zur Reparatur ansetzte, wurde der prominente Rookie aus der Wertung genommen. Das bisher beste Ergebnis in der noch jungen IndyCar-Karriere des siebenmaligen NASCAR-Champions? Platz 19 direkt bei seinem Debüt im Barber Motorsports Park.

In der IndyCar-Gesamtwertung 2021 hat Alex Palou seine Führung nicht nur verteidigt, sondern sogar ausgebaut. Obwohl der Ganassi-Youngster nach dem Qualifying eine Rückversetzung um sechs Plätze (Motorwechsel) hinnehmen musste und obwohl auch er in das Chaos verwickelt war, das zur ersten der zwei Rotphasen führte, kam er am Ende auf P7 ins Ziel.

Jimmie Johnson

NASCAR-Champion Jimmie Johnson erlebt eine harzige erste IndyCar-Saison Zoom

Damit geht Palou nun mit 42 Punkten Vorsprung auf Teamkollege Scott Dixon in die letzten fünf Rennen der Saison. Dixon ist mit seinem zweiten Platz im Rennen an Patricio O'Ward (13.) vorbeigekommen. Der McLaren-Pilot ist mit 48 Punkten Rückstand auf Palou nur noch Dritter der Tabelle. Josef Newgarden hält den vierten Tabellenrang, Marcus Ericsson den fünften. Letztgenannter aber hat mit seinem zweiten Saisonsieg Boden gutgemacht. Die Top 5 liegen jetzt innerhalb von 79 Punkten.

Das nächste Rennen steigt am kommenden Wochenende auf dem Indianapolis-Rundkurs, der bereits im Mai angesteuert wurde. Diesmal handelt es sich um ein gemeinsames Rennwochenende mit NASCAR. Am Samstag finden das IndyCar-Rennen und das Rennen der zweiten NASCAR-Liga (Xfinity-Serie) statt, bevor am Sonntag - erstmals ebenfalls auf dem Rundkurs - das Rennen der NASCAR-Topliga steigt.