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IndyCar-Chef Mark Miles im Interview: "Wir werden noch viel mehr tun"

Mark Miles spricht als Chef der IndyCar-Serie über die gerade begonnene Penske-Ära, einen möglichen dritten Hersteller, die künftige TV-Landschaft und mehr

(Motorsport-Total.com) - Mit der Verkündung des vielversprechenden neuen Stadtrennens in Nashville, das 2021 erstmals ausgetragen wird, war die IndyCar-Serie dieser Tage in den Schlagzeilen.

Titel-Bild zur News: Mark Miles

IndyCar-Chef Mark Miles gewährt Einblicke in die Zukunftsplanung der US-Formelserie Zoom

Überhaupt darf IndyCar auf eine starke Zukunft hoffen, seitdem US-Legende Roger Penske sowohl der Rennserie als auch dem Prunkstück Indianapolis Motor Speedway vorsteht. Wie sieht nun die konkrete Zukunftsplanung aus und was sind über die COVID-19-Pandemie hinaus die größten Gefahren?

In der jüngsten Episode unserer Interviewreihe #ThinkingForward spricht IndyCar-Chef Mark Miles unter anderem über den Vorstoß, einen dritten Hersteller in die US-Formelrennserie zu holen. Er spricht darüber, wie man die TV-Zukunft jenseits des klassischen Fernsehens gestalten will und er gibt Einblicke in einige weitere Themen.


#ThinkingForward-Interview mit Mark Miles

Das komplette Gespräch mit IndyCar-Geschäftsführer Mark Miles im Rahmen unserer Interviewreihe #thinkingforward. Weitere Formelsport-Videos

Frage: "Mark, was macht die IndyCar-Serie Ihrer Meinung nach zu etwas Einzigartigem für die Fans?"

Mark Miles: "IndyCar-Racing steht für Geschwindigkeit. Und wir lieben die Abwechslung. Wir fahren auf Superspeedways ebenso wie auf kurzen Ovalen, wir fahren auf permanenten Rundkursen ebenso wie auf temporären Stadtkursen. Ich glaube, diese Vielfalt ist wirklich interessant und ein großer Anziehungspunkt für unsere Fans."

"Hinzu kommt: Unsere Rennen ist hart umkämpft. Ein Fahrer kann vom Ende der Startaufstellung losfahren und trotzdem noch gewinnen. Eine beliebige Anzahl von Fahrern kann an der Meisterschaft teilnehmen und ernsthaft mitmischen. Kleine Teams können es mit großen Teams aufnehmen."

"In den Rennen wird Rad an Rad gefahren und es gibt Überholmanöver. Das ist etwas, was man heutzutage nicht grundsätzlich von jeder Art Rennsport erwarten kann. Daher sehe ich diese Faktoren als großartige Pluspunkte für IndyCar."

IndyCar-Action in Elkhart Lake 2020

Packendes Racing wie hier in Elkhart Lake ist bei IndyCar an der Tagesordnung Zoom

"Ein weiterer Aspekt sind unsere Fahrer. Wir haben es mit einer guten Mischung aus wirklich herausragenden jungen Piloten einerseits und etablierten Routiniers andererseits zu tun. Sie kämpfen Rad an Rad und rund die Hälfte des Starterfeldes kommt von außerhalb der USA. Ich glaube, wir haben für jeden, der sich für Motorsport interessiert, etwas zu bieten."

Frage: "Sie haben kürzlich dieses aufregende neue Stadtrennen in Nashville verkündet. Die Abwechslung zwischen Stadtkursen, Rundkursen und Ovalen ist, wie Sie selbst sagen, einer der Hauptanziehungspunkte der IndyCar-Serie. Wie finden Sie die richtige Balance der unterschiedlichen Streckentypen im Kalender?"

Miles: "Wir haben da keine feste Vorgabe. Wir glauben, dass Ausgewogenheit wichtig ist. Das Verhältnis muss nicht genau gleichmäßig sein, aber in den vergangenen Jahren war das mehr oder weniger der Fall, also ein Drittel Stadtkurse, ein Drittel Rundkurse und ein Drittel Ovale."

"Abgesehen von Indianapolis, was die Ausnahme ist, befinden sich die Ovale in der Regel nicht mitten in der Stadt. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung. IndyCar-Fans lieben Ovalrennen, weil es dort die höchsten Geschwindigkeiten und atemberaubendes Racing gibt."

"Es wird aber zunehmend schwierig, Fans dazu zu bewegen, an ein Oval zu kommen, das 30 oder 60 Minuten außerhalb der Stadt liegt. Das hat einen ganz einfachen Grund. Das Sport- und Entertainment-Angebot ist einfach riesig und hart umkämpft. Daran müssen wir wirklich arbeiten."

Streckenskizze: Stadtkurs in Nashville

Ab 2021 im Kalender: Der Stadtkurs in Nashville mit Flussüberquerung Zoom

"Ich persönlich liebe Stadtrennen. Der neue Kurs in Nashville liegt mitten in der Stadt. Das wird dort so wie in St. Petersburg, in Long Beach, in Detroit oder in Toronto, wo die Rennen jeweils die ganze Gemeinde in den Bann ziehen. Ein solches Event ist einfach unübersehbar. Ich kann nur sagen, wir lieben Stadtrennen. Sie sind aber nicht einfach durchzuführen. Man muss die richtige Balance finden aus Elementen, die eine Einschränkung darstellen und Elementen, die für Begeisterung sorgen."

"Rundstreckenrennen sind im Vergleich dazu einfacher durchzuführen. Die Strecken sind vorhanden und wir wissen, wo sie liegen. Uns geht es darum, diese Art von Rennen in etwa im gleichen Anteil wie die anderen beiden im Kalender zu haben."

Frage: "Diese Interviewreihe heißt #ThinkingForward. Wenn wir bezüglich IndyCar nach vorne denken, befinden wir uns hinsichtlich der Besitzverhältnisse im Anfangsstadium der Penske-Ära. Roger Penske ist jemand, der die US-Motorsportszene in- und auswendig kennt, weil er schon so lange dabei ist. Wie sieht die Zukunftsvision aus?"

Miles: "Ehrlich gesagt konzentrieren wir uns momentan noch stark auf Nordamerika. Wir hatten Gelegenheiten, über Auslandsrennen nachzudenken. Derzeit aber lautet die Antwort auf solche Anfragen: 'Nein, wir konzentrieren uns auf die USA.' Lasst uns zunächst einmal auf dem US-Markt das Bestmögliche erreichen. Dann sehen wir weiter."

"Bei allem Respekt für die Formel 1 glaube ich, dass wir in den USA die führende Formelrennserie sind. Wie können wir darauf künftig aufbauen? Zunächst einmal schauen wir nicht darauf, wie viele Rennen wir in den Kalender quetschen können. Ich finde, allein die Nashville-Bekanntgabe verheißt Großartiges für die kommenden Jahre."

Roger Penske, Chip Ganassi, Mark Miles

Mark Miles (re.) im Gespräch mit Roger Penske und Chip Ganassi Zoom

"Diversität ist uns wichtig. Dieses Motto wollen wir leben, und zwar nicht nur in Bezug auf unsere Fans, sondern auch in Bezug auf unsere Teams und Fahrer. Das wird hoffentlich nächstes Jahr greifbar sein. Abgesehen davon wird sich auch das Auto weiterentwickeln. Wir schauen uns die Möglichkeit an, mindestens einen dritten Hersteller an Bord zu holen. Das ist eine Herausforderung. Aber wenn es jemanden gibt, der diese Herausforderung meistern kann, dann ist es wohl Roger Penske."

Frage: "Es liegt auf der Hand, dass sich Hersteller einerseits aus Gründen der technischen Entwicklung und anderseits aus Gründen des Marketings im Motorsport engagieren. Die aktuelle Pandemie aber macht es für die Hersteller sehr schwierig. Sehen Sie darin eine Gefahr und glauben Sie, dass die Krise hier und da zu einem Rückgang des Interesses führen könnte?"

Miles: "Mit Blick auf solche Gespräche kann man sich natürlich kaum eine schwierige Zeit vorstellen. Aber glücklicherweise arbeiten wir schon seit geraumer Zeit an diesem Thema. Es gibt eine Reihe von Herstellern, denen unsere Geschichte bekannt ist und die unsere Fortschritte verfolgt haben. Ich würde die Coronakrise am ehesten mit einer Bodenwelle vergleichen. Ich glaube nicht, dass sich die Grundprämisse ändern wird. Wie Sie es schon haben anklingen lassen, sehe ich das Ganze als Chance, sich zu entwickeln. Und insbesondere auf dem US-Markt ist es eine Chance für Marketing."

Ferrari-Logo

Ferrari kokettiert ernsthaft mit einem Einstieg in die IndyCar-Serie Zoom

"Unterm Strich glaube ich, dass IndyCar einen großen Wert hat. Wenn man die Kosten mit der Formel 1, und selbst mit NASCAR vergleicht, dann ist unser Kosten-Nutzen-Verhältnis meiner Meinung nach großartig. Und aus unseren Gesprächen wissen wir, dass das auch verstanden wird."

Frage: "Für die Formel 1 und ihr Wachstum ist das Thema Digitalisierung ein ganz entscheidendes. Zahlen belegen, dass seit der Übernahme durch Liberty Media 52 Prozent der neu hinzugekommenen Fans unter 35 Jahre alt sind. Wie sieht die IndyCar-Strategie aus, wenn es um das Finden neuer, junger Fans geht?"

Miles: "Ich finde, Liberty Media und die Formel 1 haben in dieser Hinsicht großartige Arbeit geleistet. Sie haben investiert und haben gezeigt, dass sich das rechnen kann. Der Erfolg gibt ihnen recht. Ich weiß nicht, ob wir ein neues Modell erfinden werden. Grundsätzlich werden wir auch diesen Weg einschlagen."

"Was die Live-Übertragung der Rennen betrifft, sind wir bei uns im Land zum größten Teil dem klassischen Fernsehen gegenüber verpflichtet. Ich glaube aber, dass sich die gesamte Architektur in diesem in den kommenden Jahren verändern wird. Nicht zuletzt, weil die Anzahl der Abonnenten für das Kabelfernsehen zurückgeht, gewinnt das Thema Streaming mehr und mehr an Bedeutung."

Start zum 104. Indy 500 am 23. August 2020

Indy 500 (hier 2020 ohne Vor-Ort-Zuschauer): Herzstück der IndyCar-Serie Zoom

"Ich glaube, auf unserem Kernmarkt USA wird das klassische Fernsehen noch eine ganze Weile lang die höchsten Zuschauerzahlen verzeichnen. Ich glaube aber auch, dass Streaming vor allem international mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Das betrifft zu einem gewissen Grad auch einige unserer Schlüsselmärkte. Für einen Großteil unserer internationalen Zuschauer ist Streaming die beste Möglichkeit. Deshalb werden wir künftig auf diesem Gebiet noch viel mehr tun."

Frage: "Nach dem Lockdown wurde der Rennsport in den USA früher als in anderen Teilen der Welt wieder aufgenommen. Zuerst fuhr NASCAR wieder und wenig später auch IndyCar. Wie sieht die Prognose für den Rest des Jahres aus? Die COVID-19-Zahlen im Land sind ja weiterhin sehr hoch..."

Miles: "Bei uns stehen in diesem Jahr noch drei Rennen an, zwei davon in Indianapolis. Beim Double-Header Anfang Oktober werden wir Zuschauer empfangen (maximal 10.000; Anm. d. Red.). Es werden also Fans vor Ort sein, aber natürlich nicht so viele, wie die Strecke grundsätzlich aufnehmen kann. Trotzdem werden es wohl mehr sein als bei jeder anderen Sportveranstaltung, die es in Indianapolis seit geraumer Zeit gegeben hat."

Start zum Indianapolis-Grand-Prix der IndyCar-Saison 2020

Auf dem Indianapolis-Rundkurs wird im Oktober vor Zuschauern gefahren Zoom

"Unser Finale findet in St. Petersburg in Florida statt. Dort wissen wir derzeit aber immer noch nicht, in welchem Umfang Zuschauer erlaubt sein werden. Psychologisch gesehen ist es ein seltsamer und in gewisser Weise abschreckender Prozess. Für die Fahrer aber ändert sich nicht viel. Sie konzentrieren sich in einer sicheren Umgebung auf die Rennen."

"Natürlich hätten wir am liebsten Zuschauer vor Ort. Schließlich ist die Zugänglichkeit einer der großen Pluspunkte unserer Rennserie. Die Fans kommen bei uns ins Fahrerlager und unsere Fahrer freuen sich jedes Mal, wenn sie Autogramme geben können und den Fans ganz nahe sein können. Aus diesem Grund ist das natürlich etwas, was wir absolut vermissen."

Frage: "Apropos Zugänglichkeit: Während des Lockdowns hat das Thema E-Sport zahlreichen Rennserien neue Möglichkeiten eröffnet. Dadurch gab es insbesondere für junge Fans die Möglichkeit, diesen Sport zu entdecken. Ich meine damit nicht nur das Verfolgen der Rennen, sondern in vielen Fällen auch die Möglichkeit, selbst gegen die berühmten Fahrer anzutreten. Wie stehen Sie zum Thema E-Sport in diesem Jahr und in Zukunft?"

Miles: "Nun, durch den Lockdown wurde die Möglichkeit geschaffen, dass sich E-Sport etablieren kann. Wir selbst hatten sechs E-Sport-Events, wovon fünf im US-Fernsehen übertragen wurden. Die Zuschauerzahlen waren gar nicht mal schlecht. Ich glaube, das Thema hat definitiv eine Zukunft. Ich gehe davon aus, dass das Thema noch größer wird. Wie groß es in Bezug auf das Wachstum unserer Rennserie wird, müssen wir abwarten."

E-Sport: Scott McLaughlin, IndyCar iRacing Challenge

E-Sport: Die IndyCar iRacing Challenge wurde von Scott McLaughlin gewonnen Zoom

"Wir hätten gerne ein richtig gutes und überzeugendes IndyCar-Game. Dann könnten wir sehen, welche Auswirkung das Ganze hat. Der erste Schritt auf diesem Weg ist, den passenden Titel für so ein Spiel zu finden. Diese Hürde darf man nicht unterschätzen. Ich kann nur sagen, dass es unsere Fahrer genossen haben, wann immer wir solche Events hatten. Damit meine ich nicht nur die im Coronajahr, sondern auch schon vorher. Unsere Fahrer lieben es einfach, auf dieser [E-Sport-]Bühne gegen die Fans anzutreten. Deshalb sehe ich für dieses Thema definitiv eine Zukunft."

Frage: "Etwas anderes, was in diesem Jahr verstärkt auf die Bildfläche getreten ist, geht über den Unterhaltungsfaktor hinaus. Es ist geht darum, dass Sport ganz generell auch einen gewissen Zweck erfüllen muss, eine Botschaft überbringen muss. Von der Formel 1 über Fußball bis hin zu Football sehen wir überall alle möglichen Botschaften für soziale Gerechtigkeit, Diversität und Nachhaltigkeit. Wie sehen Sie diese Themen?"

Miles: "Wichtig ist meiner Meinung nach, Dinge zu tun, die mehr als nur symbolisch sind und die mehr als nur Aussagen sind. Wir setzen uns für Diversität in unserem Sport ein. Ich glaube aber, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben, um in dieser Hinsicht auch nur annähernd dort zu sein, wo wir sein sollten. Wir stehen in engem Kontakt mit den Teams und den Rennveranstaltern, was die Zusammensetzung der Crews und des Starterfeldes betrifft. Auch unsere Nachwuchsrennserien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle."

Pippa Mann

Pippa Mann blickt auf sieben Indy-500-Teilnahmen zurück Zoom

"Ehrlich gesagt sieht unsere Pipeline diesbezüglich nicht gut aus momentan. Wir sind aber gerade dabei, Möglichkeiten zu eruieren, um das so schnell wie möglich zu ändern. Wir spüren die Verantwortung, die wir haben. Sport als eine öffentlich sichtbare Plattform hat die großartige Chance, diese Thema platziert zu halten. Abgesehen davon müssen wir unser eigenes Haus in Ordnung bringen. Wir müssen es schaffen, mehr Vorbild als nur Symbol zu sein. Ich hoffe, dass wir mittelfristig echte Fortschritte auf diesem Gebiet machen können."

Frage: "Letzte Frage: Glauben Sie, dass der Lockdown und die zu dieser Zeit saubere Luft dahingehend einen Einfluss auf die Menschen haben werden, dass Themen wie E-Mobilität künftig noch stärker verfolgt werden?"

Miles: "Nun ja, in und rund um Kalifornien ist die Luft ehrlich gesagt nicht so sauber. Die Auswirkungen der Waldbrände sind in großem Umkreis zu spüren. Das geht inzwischen wirklich von Küste zu Küste. Umso wichtiger, dass wir das Ganze nicht nur als Naturkatastrophe einstufen, sondern als Beweis für die globale Erwärmung sehen. Es ist im Grunde das Gleiche wie mit den Hurrikans im Süden des Landes. Ich glaube, beides zusammen erhöht die Dringlichkeit, alles erdenklich mögliche zu tun, um die globale Erwärmung unserer Umwelt einzudämmen."

"Momentan mag unser Motto eher 'schneller und lauter' sein. Das ist es, was unsere Marke verkörpert. Es ist aber nicht so, dass uns Fragen der Nachhaltigkeit egal wären. Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir dieses Thema anpacken können. Das betrifft auch das Geschehen abseits der Strecke, zum Beispiel, wie wir unsere Veranstaltungen durchführen. Andere Serien haben diesbezüglich richtig gute Arbeit geleistet."

IndyCar-Action im Gateway Motorsports Park in St. Louis

Für die Zukunft denkt auch IndyCar über Hybridtechnik nach Zoom

"Was das Geschehen auf der Strecke betrifft, diskutieren wir gerade über Hybridmotoren. Es geht aber nicht darum, den Basismotor vollständig abzulösen. Vielmehr geht es um eine Ergänzung. Diese Gespräche werden weitergehen und in den kommenden Jahren wird Hybridtechnik in irgendeiner Weise implementiert werden. Wie es dann weitergeht, werden wir sehen."

"An dieser Stelle muss ich aber auch sagen, dass es unseren Herstellern General Motors und Honda um PS geht. Sie glauben, dass wir für diesen Teil ihrer Strategie eine großartige Plattform sind. Und diese Erwartung werden wir auch weiterhin erfüllen."

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