Indy 500 hautnah: Eine Woche am "Brickyard"

Redakteur Mario Fritzsche berichtet von seinen positiven wie negativen Vor-Ort-Erlebnissen rund um das Indy 500 des Jahres 2018

(Motorsport-Total.com) - Liebe Fans des "Greatest Spectacle in Racing",

Titel-Bild zur News: Festivalparade vor dem Indy 500 2018 in Indianapolis

Festivalparade in Downtown Indianapolis am Tag vor dem Indy 500 2018 Zoom

während der vergangenen Tage hatte ich zum zweiten Mal nach 2011 die Gelegenheit, das Indy 500 direkt am Indianapolis Motor Speedway zu erleben. Das berühmte 2,5-Meilen-Oval liegt passenderweise im Indianapolis-Stadtteil mit dem Namen Speedway. Aber auch in anderen Teilen der Stadt stand und steht das Indy 500 ganz klar im Mittelpunkt des Interesses. Vor Ort verfolgte und begleitete ich das Geschehen rund um das Indy 500 des Jahres 2018 für die Webseiten Motorsport-Total.com und Motorsport.com Deutschland. Insgesamt betrachtet waren es zehn Tage mit unterschiedlicher Intensität, was nicht zuletzt dem Zeitplan geschuldet ist.

Angereist am Freitag, den 18. Mai, begab ich mich nach der Landung am Indianapolis International Airport auf direktem Weg zum nur wenige Meilen entfernten Indianapolis Motor Speedway (IMS). Im selbsternannten "Racing Capital of the World" deckte ich den als "Fast Friday" bekannten letzten Trainingstag vor dem Qualifying redaktionell aus dem Media-Center des IMS ab. Über die drei vorangegangenen Trainingstage hatte ich noch aus dem Büro von Motorsport.com in Miami berichtet.


Fotos: IndyCar 2018: Indy 500


Was erwartete mich nach bereits drei vollen Tagen vollen Indy-500-Fiebers nun also vor Ort am "Brickyard"? Da seien natürlich zunächst einmal die meiner Meinung nach optisch äußerst ansprechenden IndyCar-Boliden der Generation 2018 genannt. Und die in der IndyCar-Serie durchaus noch vorhandene Geräuschkulisse ließ sich selbst hinter den massiven Fensterscheiben des Media-Centers in der vierten Etage (in europäischer Zählweise natürlich die dritte Etage) schlecht ausblenden.

Festzuhalten bleibt ganz klar, dass weder die Optik noch die Akustik der 2018er IndyCar-Boliden enttäuschen, wenngleich die Dimensionen - und damit die Wirkung - des Heckflügels am aktuellen Speedway-Kit zumindest in Frage gestellt werden dürfen. Der nächste geplante Einsatz des Speedway-Kits ist bereits das zweite Juni-Wochenende auf dem Texas Motor Speedway in Fort Worth. Dort wird aller Voraussicht nach alles unverändert bleiben, für die weitere Zukunft könnte es aber Aero-Anpassungen geben.

Die Sache mit dem Zeitplan

Mit der aktuellen Speedway-Aerodynamik, die den IndyCar-Piloten noch wenig vertraut ist, gab es am "Fast Friday" in Indianapolis prompt den ersten größeren Abflug. Als die Autos erstmals im Hinblick auf das Qualifying getrimmt waren, zerlegte James Davison seinen roten Byrd/Foyt-Chevrolet eingangs der Gegengerade nachhaltig. Davison blieb unverletzt, aber seiner Crew hatte er direkt vor dem auf zwei Tage verteilten Qualifying eine ungeplante Nachtschicht beschert.

Am Qualifying-Wochenende aber ließ Davison im komplett neu aufgebauten Boliden seinen Crash direkt vergessen. Mit Platz 33 am "Bump Day" (Samstag) war es der nur für das Indy 500 gemeldete Australier, der letzten Endes den Ausschlag dafür gab, dass der wesentlich höher eingeschätzte Vollzeitpilot James Hinchcliffe an der Qualifikation für das Rennen scheiterte. Am "Pole Day" (Sonntag) steigerte sich Davison deutlich und fuhr schließlich in eindrucksvoller Manier den respektablen 19. Startplatz heraus. Am Renntag freilich sollte ein anderer Australier die Schlagzeilen bestimmen.


Fotostrecke: So feiert Indy-500-Sieger Will Power

Was mir persönlich an den beiden Qualifying-Tagen am meisten imponierte, waren aber weder James Davison noch Will Power, sondern die Souveränität, mit der alle Piloten ihre IndyCar-Boliden für jeweils vier fliegende Runden am Stück am Limit bewegten. Im Gegensatz zum Freitag nämlich blieben Crashs am Samstag und Sonntag erfreulicherweise aus. Der Blick auf die Ergebnistabellen verriet zwar sofort, dass weder samstags noch sonntags so schnell gefahren wurde wie freitags. Dies war aber in erster Linie den Streckenbedingungen und nicht etwa gebremstem Schaum der Piloten geschuldet.

Nach dem intensiven Qualifying, das am Sonntag mit Pole-Position für Ed Carpenter zu Ende ging, stand am Montag der vorerst letzte Tag mit Fahrbetrieb an. Anschließend wurden die beim Indy 500 traditionellen Ruhetage eingeläutet. Im Montagstraining fabrizierte Robert Wickens noch einen vergleichsweise harmlosen Abflug und Sage Karam holte sich im Windschatten eine vergleichsweise wenig aussagekräftige Tagesbestzeit.

Was folgte waren drei aufeinanderfolgende Tage ohne Fahrbetrieb, wovon die Fahrer an zwei dieser drei Tage - nämlich Dienstag und Mittwoch - noch nicht einmal anzutreffen waren. Grund: Sie tourten anlässlich der "Indy 500 Media Tour" quer durch die USA. In diversen Metropolen wurde dabei von Alexander Rossi, Danica Patrick, Josef Newgarden, Marco Andretti und Co. die Werbetrommel für das nicht nur in motorsportlicher Hinsicht absolute Highlight des Monats Mai gerührt.

Die Sache mit der Patrick

Am Donnerstag schließlich war das Indy-500-Fahrerfeld wieder vollzählig am Speedway in Speedway vertreten. Gefahren wurde trotzdem nicht, sondern es stand der traditionelle Media-Day auf dem Plan. Im großen Zelt direkt hinter dem Wahrzeichen des IMS - dem Start/Ziel-Turm in Form einer Pagode - stellten sich die Piloten in zwei Gruppen für jeweils 60 Minuten den Fragen der Medien. Die größte Traube an Print- und TV-Journalisten zog bei dieser Gelegenheit die einzige Frau im diesjährigen Starterfeld an: Danica Patrick.


Fotos: Danica Patrick, IndyCar 2018: Indy 500


Während sich IndyCar-Champion Josef Newgarden ob des Rummels um Patrick noch kurz wunderte, sah Indy-500-Polesitter Ed Carpenter eben diesen Rummel um seine einmalige Angestellte ganz gelassen. Der Fahrer und Teambesitzer von Ed Carpenter Racing beantwortete in aller Ruhe Fragen zum starken Gesamtauftritt seines Teams und äußerte sich bezüglich der Aussichten nüchtern optimistisch.

In diesem Zusammenhang erwähne ich "nüchtern" ganz bewusst, schließlich hat Carpenter die Wodka-Marke Fuzzy's als Hauptsponsor. Und für diesen hochprozentigen Sponsor hatte er kurz nach seiner Fahrt auf die Pole-Position mal noch eben dutzende Wodkaflaschen signiert... Es war eine Szene, wie man sie sich in anderen Rennserien nur schwer vorstellen kann.

Was Danica Patrick betrifft, so war sie am Media-Day noch ganze drei Tage von ihrem letzten Rennen entfernt und präsentierte sich dabei wesentlich lockerer und gesprächiger als es dann am Sonntag in der Pressekonferenz direkt nach ihrem Crash der Fall sein sollte. Ob es sonntags tatsächlich notwendig gewesen wäre, die Pressekonferenz mit Patrick direkt während des Rennens abzuhalten, sei dahingestellt.

Fakt ist, dass genau zu dieser Zeit das WLAN im Media-Center kollabierte. Dabei war nur drei Stockwerke tiefer der Kampf um den Rennsieg noch in vollem Gange. Unseren Liveticker bei Motorsport-Total.com hätte ich gerne durchgezogen, was aufgrund von Miss Patrick aber nicht möglich war. Zum Glück sprang mein Kollege Markus Lüttgens sofort ein und übernahm von Deutschland aus das weitere Tickern für mich.

Zu diesem Zeitpunkt war ich ohnehin schon mehr als bedient, denn am Freitag, kurz nach dem Tagesbericht zum "Carb Day", war mein Laptop im großen Stil mit Bluescreen kollabiert. Wie und wo ich den Samstag abseits des Speedways verbracht habe, folgt etwas später, aber für Sonntag musste wohl oder übel Ersatz her.

Zu meinem Glück waren die Mitarbeiter im Media-Center des IMS so freundlich, mir für den Renntag einen Leih-Laptop zur Verfügung zu stellen. Aber: Dass dieser mit US-Tastatur, ohne Maus und mit Notepad als dem einzigen Textverarbeitungsprogramm zum Verfassen des Rennberichts daherkam, waren Hürden, die ich so natürlich ebenso wenig eingeplant hatte wie das Erliegen der Internetverbindung aufgrund einer Pressekonferenz mitten im Rennen...

Die Sache mit dem rausgeworfenen Geld

Als sich Danica Patrick am späten Sonntagnachmittag längst ein für allemal verabschiedet hatte, war es Will Power, der den prestigeträchtigen Indy-500-Sieg einfuhr. Wie ich am Montag kurz vor meinem Rückflug nach Miami erfuhr, waren die Reaktionen auf den ersten australischen Indy-500-Sieger der Geschichte aber durchaus gespalten.


Fotos: Will Power nach dem Indy 500


"As soon as Power crossed the line, we had at least 40 people leave the restaurant", erzählte mir in einem Restaurant in Downtown Indianapolis die dortige Bedienung und sie setzte fort: "You know, the people here would have loved to see the Hoosier guy Ed Carpenter pull it off."

Nur zwei Tage vor dieser Aussage hatte sich mir nur wenige Meter entfernt von jenem Restaurant ein ganz anderes Bild geboten. Der Samstag vor dem Indy 500 ist traditionell der Tag der Fahrerparade. Diese steigt nicht etwa in Speedway, wo der Speedway gelegen ist, sondern in Downtown Indianapolis rund um die American Legion Mall - einem öffentlichen Park, an dessen Südende sich ein Obelisk befindet.

Rund um diesen Park werden für die Tage des Indy-500-Zeitplans mal eben die offiziellen Straßennamen durch die Namen der Indy-500-Teilnehmer ersetzt. So wird aus einer Washington Street der Andretti Drive, aus einer Georgia Street der Patrick Drive, aus einer Meridian Street der Wickens Drive und so weiter. Die ganze Stadt ist im Indy-500-Fieber und dabei spielt es keine Rolle, aus welchem Land oder welchem Bundesstaat die Fahrer kommen.

Weil ich bei meinem ersten Indy-500-Besuch vor sieben Jahren nicht die Gelegenheit hatte, der Fahrerparade am Samstag beizuwohnen, war ich diesmal so "clever", mir vorab für 30 Dollar ein Sitzplatzticket zu sichern. Sehr bald stellte ich fest, dass diese 30 Dollar in ein saftiges Steak am Abend wesentlich besser investiert gewesen wären. Denn ob man die Fahrerparade am frühen Nachmittag nun aus einer der wenigen Sitzreihen verfolgt oder aber man auf einen solchen Campingstuhl verzichtet und sich bequem dahinter stellt, macht nun wirklich keinen Unterschied.

So überflüssig das Sitzplatzticket war, so unterhaltsam war die rund zweistündige Parade selbst. Neben den 33 Indy-500-Teilnehmern, die pro Startreihe in drei Cabrios vom Typ Chevrolet Camaro vorgefahren wurden, gab es diverse andere Teilnehmer der Parade zu beklatschen. So war von originellen Wagen, die die Geschichte des Indy 500 repräsentierten, über Cheerleaders und Musikkapellen bis hin zu diversen Pace-Cars aus der langen Indy-500-Historie alles dabei.

Die Sache mit der Zuschauerzahl

Von der Fahrerparade zurück, brach ich am Sonntagmorgen in aller Früh vom Hotel in Richtung Speedway auf. Dass es sich gerade am Renntag dringlich empfiehlt, bezüglich der Ankunftszeit keine Experimente zu machen, wusste ich noch von meinem Erstbesuch im Jahr 2011. Deshalb sattelte ich diesmal schon am Sonntagmorgen um 4:30 Uhr den Mietwagen, um gegen 5:00 Uhr an der Strecke zu sein.

Der Plan in Form der frühen Anreise ging auf, aber wie ich feststellen durfte, war ich zu dieser Zeit alles andere als der erste im Media-Center. Es war offensichtlich, dass diverse Kollegen ihrerseits bereits ihre Erfahrungen mit den am Renntag urplötzlich gesperrten Straßen und hoffnungslos verstopften Zufahrtswegen gemacht hatten... Dass sich der Media-Parkplatz am IMS direkt auf einem Campingplatz mit entsprechender Beschallung und Unruhe befindet, ist dabei noch das geringste Problem.

Start zum Indy 500 2018

Der Start zum 102. Indy 500 Zoom

Am Sonntag noch vor Sonnenaufgang im Media-Center angekommen, stand nun also der Renntag an. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es der Begriff "Renntag" nicht ganz trifft. Denn das Indy 500 wird zwar (mit Unterbrechungen während der Kriegsjahre) bereits seit 1911 ausgetragen. Die diesjährige Auflage war die 102. in der Geschichte des Rennens. Aber noch bei weitem nicht so lange findet ebenfalls am letzten Sonntag im Mai, ebenfalls auf dem Gelände des IMS, das Musikfestival "Snake Pit" statt.

Seit 2016 steigt "Snake Pit" zur gleichen Zeit wie die Pre-Race-Show zum Indy 500 und schließlich das Rennen selbst. In diesem Jahr waren Axwell & Ingrosso sowie Deadmau5 die Headliner beim "Snake Pit" und diese beiden DJ-Acts spielten direkt während des Rennens. Als Axwell & Ingrosso die erste Scheibe auflegten, wurde von Hollywood-Star Chris Hemsworth gerade die Grüne Flagge zum Start des Rennens geschwenkt.


Die Highlights vom Indy 500 2018

Die wichtigsten Szenen vom 102. Indianapolis 500 in 5 Minuten. Weitere Formelsport-Videos

Aufgrund der zeitlichen Übereinanderlegung ist es gar nicht möglich, vor Ort sowohl das Rennen als auch das Festival mit der gleichen Intensität zu erleben. Doch der Hintergrund der Übereinanderlegung ist klar: Bei den Angaben der Zuschauerzahlen am Renntag zählen die Festivalbesucher zwangsläufig dazu.

Die Zuschauerzahl für das Indy 500 des Jahres 2018 wurde seitens der IndyCar-Serie mit 300.000 beziffert. Wie viele davon tatsächlich auf den Tribünen saßen, blieb dabei aber ebenso ungenannt wie die Zahl derer, die sich nur aufgrund des Festivals im Infield aufhielten. Eintrittskarten und Eingänge freilich wurden für Indy 500 und Snake Pit von vornherein strikt getrennt.

Was nach insgesamt zehn Tagen am Indianapolis Motor Speedway hängengeblieben ist, lässt sich nicht nur meinen Zeilen, sondern auch meiner Fotostrecke zu Beginn dieses Artikels entnehmen. Abschließend bleibt für mich nur noch festzuhalten, dass das Indy 500 mit all seiner Tradition und all seinen Eigenheiten sicherlich auf die To-Do-Liste eines jeden Rennsport-Fans gehört. Für mich persönlich kommt es insgesamt betrachtet aber an die Faszination der 24 Stunden von Le Mans nicht heran.

Mit einem Schluck Milch zum Gruß an den Ort, an dem von Dan Gurney die Champagner-Dusche erfunden wurde,

Mario Fritzsche

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