Heidfeld-Kolumne: Die IndyCar-Saison wird ein Knaller!
'Motorsport-Total.com'-Experte Sven Heidfeld analysiert die Fusion der US-Formelserien und erklärt die Faszination der großen Highspeed-Ovale
Liebe 'Motorsport-Total.com'-Leser,

© Sven Heidfeld
Sven Heidfeld analysiert die neue IndyCar-Serie für 'Motorsport-Total.com'
als ehemaliger Rennfahrer interessiere ich mich natürlich für alle Rennserien dieser Welt, und speziell die IndyCars haben mich in den vergangenen drei Jahren richtig gepackt. 2008 wird nun schon meine dritte IRL-Saison sein, die ich bei 'Premiere' kommentiere, und die Amerikaner sind mir ganz ehrlich richtig ans Herz gewachsen.
Das liegt zum einen Teil an der Offenheit, denn man spricht ja immer gerne davon, dass dies noch ein Formelsport zum Anfassen auf höchstem Niveau ist. Diese Atmosphäre kommt auch wirklich beim Beobachter an, wenn die Fahrer untereinander scherzen oder Interviews geben, bei denen Informationen oder Ausstrahlung und Sympathie einfach noch hängen bleiben können.#w1#
Spannung bis zur allerletzten Runde
Die Fahrer trauen sich noch etwas zu sagen, die allermeisten Rennen sind - vor allem in den letzten 20 Runden - extrem spannend und geprägt von taktischen Raffinessen. Teilweise gibt es in einem Rennen mehr Überholmanöver als andernorts in der ganzen Saison! Daher freue ich mich sehr, dass ich die Saison 2008 mit meiner Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' begleiten kann, vor allem, weil in den vergangenen Wochen Gewaltiges geschehen ist.

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Herzschlagfinale 2007: Dario Franchitti gewann den Titel auf den letzten Metern Zoom
Denn die endlich vollzogene Wiedervereinigung freut nicht nur die vielen Fans auf der ganzen Welt, sondern ist auch ein extrem wichtiger Schritt für den gesamten amerikanischen Formelsport. Ich persönlich glaube nicht, dass da rein die Vernunft gesiegt hat, sondern dass knallharte wirtschaftliche Fakten im Hintergrund standen. Ich denke, wenn man es jetzt nicht machen hätte können, dann wäre mindestens eine der beiden US-Serien ganz schnell gestorben.
Manche sagen, dass die NASCAR ganz bewusst ein paar Fahrer wie zum Beispiel Dario Franchitti oder Sam Hornish Jr. abgeworben hat, was allerdings auch nicht so schwierig ist, wenn man das Fünf- oder gar Sechsfache bezahlen kann. So ist ein Wechsel natürlich für jeden Fahrer interessant, der sich seine Meriten bei den IndyCars bereits verdienen konnte - auch wenn es zu Beginn richtig harte Arbeit bedeutet.
Für die ChampCar-Teams steht jetzt ebenfalls ein sehr schwieriger Wechsel an. Auto, Strecken - alles ist neu und muss in Windeseile gelernt werden, aber langfristig war dies der einzige Weg, um ein Überleben für alle garantieren zu können. Jetzt muss man nur wirklich zusammenarbeiten und persönliche Dinge ganz weit hinten anstellen.
Der Nachteil, den die ChampCar-Teams zu Beginn haben werden, ist riesengroß. Man kann die Situation aus Rennfahrersicht vielleicht am besten so beschreiben, dass man nun plötzlich ein Arbeitsgerät bedienen muss, von dem man nicht alle Knöpfe kennt.
Natürlich kann der Zufall eine Rolle spielen, vielleicht ist man einmal vorne mit dabei, aber etwa Dinge wie die richtige Rennstrategie, Wetterverhältnisse auf den Rundkursen oder das Verhalten des Autos im Verkehr auf den Ovalen - dazu braucht man Daten, und ob die alteingesessenen IRL-Teams den Kollegen all ihre geheimen Tricks verraten, das wage ich doch leicht zu bezweifeln.
Für mich ist eine erste ernsthafte Standortbestimmung frühestens in Indianapolis möglich, denn dann sind vier Ovalrennen gefahren, und für das Indy 500 wird ja den ganzen Mai in aller Ausführlichkeit vor Ort getestet. Das ist 2008 auch extrem wichtig, denn Indianapolis ist jedes Jahr ein Highlight - und in dieser Saison mit Sicherheit noch viel mehr.
Ein alter Bekannter: Ryan Briscoe
Ich finde es schön, dass immer mehr interessante Stadtkurse in den Kalender aufgenommen werden. Zudem mischen viele Europäer mit - und dazu zähle ich auch fast schon Ryan Briscoe. Der kommt zwar aus Australien, aber er hat so lange mit Nicky Pastorelli, Robert Doornbos und mir in Italien gelebt, dass er bei mir fast schon als Europäer durchgeht.

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Ryan Briscoe könnte beim Penske-Team zur großen Überraschung werden Zoom
Ryan kann am Ende des Jahres sicher unter den ersten Vier landen. Er war 2003 der erste Gesamtsieger in der Formel-3-Euroserie - übrigens vor Christian Klien - und für die Insider in Europa ist es keine allzu große Überraschung, dass er sich jetzt bei Penske in den USA so gut schlägt.
Einen kleinen Nachteil haben die Europäer im Oval aber generell gegenüber den Amerikanern, die ja auf den großen Speedways sozusagen aufgewachsen sind, nämlich den Respekt vor den großen Ovalen. Normalerweise sprechen Rennfahrer eigentlich nie über Geschwindigkeiten, denn auf einer herkömmlichen Rennstrecke spürt man das nicht besonders.
Im Oval ist das anders. Dort wird einem die Geschwindigkeit sehr wohl bewusst, wenn man 500 Meilen lang mit Speeds von bis zu 380 km/h entlangdonnert. Im Prinzip kann das jeder Autofahrer nachvollziehen: Fährt man Tempo 100, ist die Autobahn schön breit. Fährt man 200, wird die Straße schon enger, aber bei jenseits 350 km/h kommt es dann zu dem berühmten Tunnelblick.
Da wirken plötzlich gewaltige Kräfte auf den Körper und vor allem auch auf die Psyche. Man braucht schon ein unglaubliches Vertrauen in sein Fahrzeug, man darf sich nicht einmal den Hauch eines Fehlers leisten, wenn man 50 oder 70 Runden lang Rad an Rad mit dem Gegner kämpft.
Ich freue mich 2008 in jedem Fall sehr auf die neue, wiedervereinte IndyCar-Serie, die mit Sicherheit sehr viel Spannung bringen wird, und ich freue mich auch darauf, die Leser von 'Motorsport-Total.com' regelmäßig auf dem Laufenden halten zu können.


