• 01.10.2008 07:43

  • von Pete Fink

Das große Exklusiv-Interview mit Andreas Wirth (2)

Andreas Wirth war bislang der letzte Deutsche, der einen ChampCar-Boliden fuhr - hier Teil zwei des großen Exklusiv-Interviews mit 'Motorsport-Total.com'

(Motorsport-Total.com) - Im ersten Teil des großen Exklusiv-Interviews auf 'Motorsport-Total.com' beschrieb Andreas Wirth die Ereignisse, die ihm Anfang 2007 den Sprung zu den ChampCars zunichte machten. Zudem gab er einen ersten Einblick in die Anforderungen und Probleme, die die wiedervereinigte IndyCar-Serie nun bietet.

Titel-Bild zur News: Andreas Wirth Mexiko 2006 Dale Coyne

Andreas Wirth kämpft nach wie vor um ein Cockpit bei den IndyCars

Teil zwei beschäftigt sich vor allem mit den derzeit möglichen Alternativen, und warum auch ein Wechsel zu den Sportwagen oder zurück nach Europa realistisch wäre. Zudem erklärt Wirth, warum er einem talentierten deutschen Nachwuchspiloten den Sprung über den großen Teich durchaus empfehlen würde.#w1#

Frage: "Wie siehst du die IndyLights? Aus meiner Sicht ist die Serie wesentlich professioneller aufgezogen, als die derzeitige Atlantic?"
Andreas Wirth: "2008 vielleicht. 2006 und 2007 in keinem Fall. Da waren die Professionalität und der Wettbewerb viel besser und härter, das ist zumindest meine Meinung. 2008 ist die Atlantic-Serie vom Fahrerfeld auch besser, aber der Atlantic fehlt halt das ganze Drumherum."

"Und wenn das nicht gegeben ist, dann hat man natürlich ein kommerzielles Problem. Du kannst die Serie nicht verkaufen, die Fahrer und die Teams können das alles nicht ihren Sponsoren erklären, deswegen ist das schon ziemlich schwierig."

Viele Erfolge in der Atlantic

"Die IndyLights ist die Vorstufe zur IndyCar und da gäbe es für nächstes Jahr Möglichkeiten für mich. Aber dann muss man sich natürlich fragen: Was passiert danach? Und dann sind wir wieder genau dort, wo wir schon einmal waren. Denn es wird danach immer noch keine 36 Cockpits geben und es werden immer noch ein Paul Tracy und andere Leute da sein."

Andreas Wirth

Andreas Wirth feierte 2005 und 2006 viele Erfolge in der Atlantic-Serie Zoom

"Und was man auch gesehen hat: Selbst wenn man sehr erfolgreich in der Atlantic gefahren ist, heißt das noch lange nicht, dass man ohne Geld oder nur wegen dem Talent ein ChampCar-Cockpit bekommt. Das ist genau das Problem, das ich momentan habe. Ich will die nächsten Jahre im Rennsport aktiv sein und muss jetzt eine langfristige Entscheidung treffen."

"Soll heißen: Was ich jetzt machen werde, muss Sinn für die nächsten Jahre machen. Denn wenn ich Ende nächsten Jahres dastehen würde und weiß, dass es ohne zwei bis drei Millionen Dollar nicht weitergeht, dann bringt auch die IndyLights nichts."

Frage: "Was uns unmittelbar zum Thema ALMS bringt..."
Wirth: "Ganz genau. Oder eben Europa."

Wirth stammt aus der Formelschule

Frage: "Aber so wie ich dich verstanden habe, hängt dein Herz schon am Formelsport..."
Wirth: "Natürlich. Ich komme aus dem Formelsport, ich bin noch nie Tourenwagen oder Prototypen gefahren. Ich sage keinesfalls, dass mich das nicht reizen würde, weil ich denke, auch Sportwagen oder Prototypen sind absolut geile Autos."

Andreas Wirth

Insgesamt vier Jahre fuhr Andreas Wirth in den USA - auch Europa denkbar Zoom

"Und einem Vollblutrennfahrer ist es eigentlich egal, wo er drin sitzt. Hauptsache es macht Spaß, es ist schnell und es ist Rennsport. Aber alles was ich bisher gemacht habe war Formelsport und ich müsste lügen, wenn ich jetzt nicht sagen würde, dass ich es klasse finden würde, IndyCars zu fahren."

"Auf der anderen Seite reizt es mich schon, Sportwagen zu fahren. Vor allem sind in der ALMS - noch mehr als in der LMS - viele Hersteller dabei und der Wettbewerb ist richtig hart. Das ist schon eine tolle Serie und absolut auf dem aufsteigenden Ast."

"Klar ist die ALMS nicht mit der IndyCar zu vergleichen. Sie hat ihre Stärken und Schwächen, so wie es übrigens auch bei den IndyCars ist. Aber wenn man über Nordamerika spricht, dann gibt es eigentlich nur NASCAR, worauf wir jetzt einmal nicht eingehen. Und wenn man das Geld für die IndyCars nicht hat, dann gibt es eben nur die ALMS."

Wenn es sein muss auch Ovale

Frage: "Wenn man sich bei den Fahrern so umhört, dann haben vor allem die Piloten europäischer Prägung eine Menge Respekt vor den Ovalen. Würdest du dir denn einen Oval-Einsatz mit einem Formelauto wünschen oder zutrauen?"
Wirth: "Ich formuliere es einmal so: Ein Grund, warum ich in der Atlantic gefahren bin, war der, dass die Atlantic-Serie mit den ChampCars zusammen war, und weil man dort nicht auf den Ovalen gefahren ist. Klar, Ovale sind eine nordamerikanische Angelegenheit. Sie waren schon immer da und das Indy500 ist legendär."

Andreas Wirth

Vor den großen US-Ovalen der IndyCars hätte Andreas Wirth keine Angst Zoom

"Aber ich müsste es nicht unbedingt haben, in einem Oval zu fahren. Man sieht es immer wieder, dass es im Oval nicht auf den Fahrer, sondern auf die Aerodynamik, auf das Gesamtpaket des Autos ankommt. Das erkennt man daran, wie nahe die ehemaligen ChampCar-Teams auf den Rundstrecken oder den Straßenkursen bei der Musik sind."

"Auf den Ovalen fahren die ChampCar-Teams jedoch hinterher. Die IndyCar-Teams haben ganz klar den Vorteil, dass sie dieses Auto schon lange kennen. Aber: Hätte ich jetzt die Möglichkeit IndyCar zu fahren, dann stellt sich diese Frage nicht, denn als Rennfahrer würde ich das natürlich machen."

Auf gleichem Niveau wie Graham Rahal

Frage: "Wenn man sich mit den IndyCar-Piloten unterhält, dann sagen diese, dass die Faszination Oval fahren in einem Formelauto aus drei Elementen besteht: Setup, Erfahrung und Mut. Kann man das alles auf diese drei Begriffe herunter brechen?"
Wirth: "Erfahrung ist im Oval das A und O, das steht fest. Das Zweite ist das absolute Vertrauen in dein Auto, was dann wiederum auf dieses Paket zurückzuführen ist. Und klar, wenn ich in Indianapolis eine Runde - oder ein ganzes Rennen - Vollgas fahren muss, dann brauchen wir über das Thema Mut nicht zu sprechen."

Andreas Wirth

2007 hatte Andreas Wirth viel Zeit für seine Hobbys - zuviel Zeit Zoom

"Was aber noch dazu kommt, ist Geduld. Man muss im Oval einfach relaxt zu Werke gehen. Man hat Anfang des Jahres ja gesehen, wie Leute wie Graham Rahal dann abgeflogen sind, wenn sie zu viel wollten. Im Oval kommt es darauf an dranzubleiben und konzentriert zu sein."

Frage: "Gutes Stichwort: Als Graham Rahal 2006 in der Atlantic Zweiter wurde und Simon Pagenaud gewann, warst du Dritter. Rahal fährt IndyCars, Pagenaud fährt bei Gil de Ferran ALMS. Was macht Andreas Wirth?"

Wirth: "Da sieht man einmal, wie unfair es zugehen kann (lacht; Anm. d. Red.). Ich bin jetzt einfach einmal so selbstbewusst, dass ich behaupte, ich könnte den gleichen Job wie Pagenaud in der ALMS machen. Man sieht, dass Rahal bei den IndyCars sehr gut zu Recht kommt. Warum? Er fährt für das Newman-Haas-Team, eine der erfolgreichsten Mannschaften im US-Rennsport."

"Rahal hat Erfolg damit, aber wir drei waren eigentlich immer auf einem Level, das wage ich jetzt einfach einmal zu behaupten. Graham und ich haben mehr Rennen gewonnen als Pagenaud, der letztendlich Meister wurde. Aber es ging halt nicht darum, die meisten Rennen zu gewinnen, sondern die meisten Rennen zu beenden und deswegen haben wir beide am Ende den kürzeren gezogen."

"Natürlich, wenn man sich dies alles auf der Zunge zergehen lässt, dann schmeckt mir das nicht. Aber ich muss positiv bleiben. Ich hoffe einfach, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten etwas herauskristallisiert, wo ich in den kommenden Jahren erfolgreich unterwegs sein kann. Was das sein wird, ist mir eigentlich egal. Hauptsache, ich kann Rennsport betreiben."

USA auch als Lebenserfahrung

Frage: "Letzte Frage: In Deutschland haben wir fünf Formel-1-Fahrer, aber keinen IndyCar-Piloten. Man fragt sich, wie viele Deutsche die Formel 1 verträgt, bevor Bernie Ecclestone einschreitet. Würdest du mit deiner USA-Erfahrung einem jungen deutschen Nachwuchspiloten empfehlen, zum Beispiel nach der Formel 3 einen Cut zu machen, und sich auf das Abenteuer USA einzulassen?"
Wirth: "Ja absolut. Das war damals auch der Grund, warum ich in die USA gekommen bin. Man muss klar sagen, dass ich auch einfach nicht das notwendige Glück gehabt habe. Ich habe mit Sicherheit meine Leistung gezeigt und habe mir in den USA einen Namen gemacht. Gut, dass die ChampCars eingehen, damit konnte man damals nicht unbedingt rechnen."

Andreas Wirth Panoz 2007 Dale Coyne

Anfang 2007 befand sich Andreas Wirth auf dem Sprung zu den ChampCars Zoom

"Aber ich kann den Leuten das durchaus empfehlen, wenn sie wissen, dass sie ihr Leben lang Formelsport machen wollen. Ich glaube, wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, dass es in Richtung Formel 1 sehr viel mit Politik und den richtigen Leuten zusammenhängt."

"Geld kostet nicht nur die Formel 1, die IndyCars auch, das ist ganz klar. Aber wenn man erfolgreich ist und sich sagt, ich kann mir die IndyCars vorstellen, dann sehe ich überhaupt keinen Grund, warum ich irgendjemand davon abraten würde."

"Es ist nicht nur eine Erfahrung im Motorsport, es ist eine Lebenserfahrung, einmal komplett von zu Hause weg zu sein und diese Mentalität kennenzulernen. In den USA wird Rennsport einfach ganz anders betrieben, als in Europa."

"Manchmal ist es gut, manchmal ist es nicht so gut. Aber man muss überall erfolgreich sein und das gewisse Talent mitbringen. Die IndyLights ist für jemanden, der aus der Formel 3 kommt, sicher sehr interessant, denn wenn man sich heute anschaut, was der Weg in die Formel 1 kostet, dann ist das eigentlich fast nicht mehr finanzierbar. Da hat man in Amerika noch andere Möglichkeiten."